Salute
Geschafft ! Aufatmend lasse ich mich in meinen Sessel fallen. Jetzt kann ich doch wieder durch meine Fenster hindurch blicken. Fenster putzen ist mir von jeher ein Gräuel gewesen. Im anderen Zimmer schrillt durchdringend das Telefon.
Seufzend erhebe ich mich. Wer ruft mich um diese Zeit an ? Meine Freunde pflegen es am späten Nachmittag oder abends zu tun.
Eine fröhliche Stimme, es ist die von Horst-Dieter meinem Nachbarn ,ruft: „Buon giorno Signora !“ Er wollte sich
und seine Frau Renate vom Urlaub zurückmelden.
Na, er scheint ja gut gelaunt zu sein. Normal kenne ich ihn nur als einen nörgelnden Muffelkopf. Na kein Wunder, wenn man auch Horst-Dieter heißt. Was hat seine Mutter sich nur dabei gedacht, einem süßen kleinen unschuldigen Kind den Namen Horst-Dieter zu geben ? Man muss sich mal vorstellen, sie ruft aus dem Fenster ihrem Bub zu :“Horst-Dieter komm zum Essen ! „ Bei Horst alleine, kann man ja noch Horsti sagen und Dieter ist auch okay. Aber Horst-Dieter, das geht doch gar nicht. Wenn Renate, seine Frau, sauer auf ihn ist, dann nennt sie ihn
immer Horst-Dieter. Ansonsten Dieter. Horst-Dieter bedankt sich wortreich für meine Blumenpflege, die ich natürlich als
gute Nachbarin übernommen habe. Er hat von Renate, die gerade beim Frisör weilt, den Auftrag bekommen, mich heute Abend zu einem typisch sardischen Abendessen einzuladen. Essen? Na, da sag ich doch nicht „Nein“. Und ich denke bei mir, Sardinien soll ja auch gute Weine haben. Ein Kostverächter bin ich ja auch nicht.
Und Horst-Dieter wirkt am Telefon so fröhlich, dass er mir heute auch den Abend nicht verderben wird. Ich habe ja mit ihm schon so manches erlebt.
Er freut sich sichtlich über meine
Zusage. Also 19.00 Uhr , abgemacht ?
Punkt 19.00 erscheine ich frisch geduscht und fein gemacht bei Nachbars.
Eine dunkelbraun gebrannte Renate empfängt mich strahlend, und Horst-Dieter steht schon mit drei Glas Prosecco bereit. „Salute“ ruft er fröhlich und wir prosten uns gegenseitig zu.
„Du, wir haben Dir auch was mitgebracht“ gibt mir Renate zu verstehen. Und Horst-Dieter überreicht mir mit einer großzügigen Geste einen Bildband.
„Was ist das ?“ Mein fragender Blick gilt dem Umband, auf dem große Steinhaufen zu sehen sind. Renate
antwortet mir:“Wir dachten, weil Du doch immer so viel liest, würde Dich das bestimmt interessieren. Das sind Nuraghen, alte Steinhäuser aus Sardinien, die noch aus der Zeit vor Christi stammen.
Ich heuchle Begeisterung. Was soll ich damit ? Habe ich mich jemals für alte Steine interessiert? Gott sei dank sehen sie es meinem Gesicht nicht an, oder wollen es nicht sehen. Nun wird zu Tisch gebeten.
Renate hat ihr gutes Porzellan heraus gesucht und das Silber geputzt. Oder hat sie Horst-Dieter dazu ran gezogen? Das macht sie gerne, damit er immer was zu tun hat und ihr nicht auf den
Wecker fällt. Gleichzeitig entschuldige ich mich im Stillen für meine hässlichen Gedanken.
Horst-Dieter entkorkt gekonnt die Flasche Canonau, so heißt der sardische Rotwein , und schenkt jedem ein Glas ein. Noch einmal „Salute!“ Hm, gar nicht schlecht, dieser Wein. Dazu wird sardisches Brot,das im Umfang fast wie ein Wagenrad, aber dünn wie Oblaten ist, gereicht. Dazu Schinken, Eselsalami und Käse. So ganz trifft es meinen Geschmack ja nicht, aber das sage ich natürlich nicht.
Sie erzählen begeistert vom tollen Hotel, dem riesigen Pool, dem wunderbaren Essen und den netten Kellnern, Und
Horst-Dieter verspricht mir nach dem Essen noch eine besondere Überraschung. Und die kam in Form seines Diaprojektors und der Leinwand. Auch das noch ! Horst- Dieter ist ein großer Verfechter von Dias, obwohl Renate ihn immer wieder zu einer Filmkamera überreden will. Aber nein, da ist er stur.
Verzweifelt überlege ich, wie ich mich aus dieser Affäre ziehen könnte. Ich kenne diese Abende zur Genüge. Aber mir will heute partout keine Ausrede einfallen. Also muss ich da durch. Ich werde auf das Sofa genötigt, ein Kissen wird mir hinter den Rücken geschoben und mein Glas wird fast bis zum Rand
nachgefüllt. „Sitzt Du auch so bequem ?“ fragen sie, was ich brav bejahe. Nun kredenzt mir Horst-Dieter noch einen echten von den Sarden selbstgebrauten Grappa, der mich im Geschmack stark an Spiritus erinnert und mir einen mittleren Hustenanfall beschert.
Nachdem ich mich davon wieder erholt hatte, ging es los. Die Beiden sind den langen Weg bis Sardinien wirklich mit dem Auto gefahren. „Solange wir es noch können!“ sagt Horst Dieter. Und Renate nickt beifällig.
Er hatte die Dias schon in Lindau, wo sie noch ein paar Tage bei Renates Schwester weilten, vorbereitet und sie gerahmt. Und so war alles
bereit.
Es ging los mit der Schweiz, die sie durchfuhren. Renate, malerisch in der Via Mala, Horst-Dieter vor seinem Mercedes, der schiefe Turm von Pisa, dann vor der Fähre in der Nähe von Rom. Da sahen sie doch schon ziemlich mitgenommen aus. Auf der Fähre vor dem kalten Buffet. Und endlich dann in Sardinien. - Große Berge im Hintergrund -.
Sardinien schien mir doch ziemlich karg und felsig zu sein. Zwischendurch entschwand Horst-Dieter immer mal , um angeblich die Toilette zu besuchen. Doch merkwürdigerweise wurde sein Blick immer trüber. An Renates
strafendem Blick merkte ich, dass es nicht seine Blase war, die ihm zu schaffen machte. Nein, der Grappa in der Küche war es, der ihn rief.
Zurück zu den Dias. Inzwischen waren die Beiden in ihrem Hotel angekommen. Dieses war ein gewaltiges Monstrum, was irgendwie nicht in die Landschaft passte, doch es hatte einen riesengroßen Pool. Mir ist eigentlich nie klar geworden, wofür man Tausende von Kilometern fährt, um an das Meer zu gelangen, wenn man sich nur am Pool aufhält. Denn das nächste Bild zeigte ein üppige, braungebrannte Renate im Bikini, die sich in ihrem Liegestuhl am Pool
räkelte.
„Na, den Bikini hätte sie doch lieber in einen Badeanzug umtauschen sollen. Ihre besten Jahre sind auch vorbei. Und Horst-Dieter ? Kann er überhaupt noch seine Füße sehen?“ Und gleich schäme ich mich schon wieder wegen meiner schlechten Gedanken.
Gerade kommt er schon wieder mit einer neuen Flasche, es ist schon die Dritte. Täusche ich mich ? Oder schwankt er ein wenig! Überhaupt scheint das Wort „Salute“ das Wort des Abends zu werden.
Jetzt kommt ein Bild, was Horst-Dieters Blick verfinstern lässt.
Renate neben einem glutäugigen Italiener,
der den Arm um sie gelegt hat. „Und das ist Marcello!“ ruft Renate begeistert „unser Ober !“
„Ja, das war ein richtiger Papagallo“ knurrt Horst-Dieter“der hat doch alle Weiber angemacht !“ und verschwindet wieder in der Küche. Renate schüttelt mit dem Kopf und ruft ihm nach:“Horst-Dieter, ich weiß genau, was Du immer in der Küche treibst! Ja, sie hat wirklich „Horst-Dieter“ gesagt. Das gibt später sicher noch ein Nachspiel. Mittlerweile ist auch die dritte Flasche Rotwein alle und ich schiele auf die Diaschiene, in der nun wirklich nur noch drei Dias stecken. Eine Schafherde auf der Straße, (die gibt es doch auch hier)
Abschied mit den Kellnern und gemeinsames Gruppenbild mit den anderen Gästen des Hotels.
Horst-Dieter hat inzwischen einen hochroten Kopf. Er sollte wirklich mal seinen Blutdruck kontrollieren lassen. Ich nehme mir vor, Renate mal darauf anzusprechen.
Aufatmend stehe ich auf , und darf mich auch verabschieden.
Horst-Dieter umarmt mich überschwänglich und drückt mir einen feuchten Grappakuss auf die Wange.
Ich bedanke mich wortreich für diesen wunderschönen Abend und Horst-Dieter
(er hat heute wirklich Geberlaune) holt noch schnell eine Flasche Rotwein aus
der Küche und überreicht sie mir zum Abschied. Was hat er gerade da gesagt ?
Er sagte doch wirklich „schalude !