Autorenchallenge Nr. 6
"Stufen"
von Hermann Hesse
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Blinddate
Moritz schaute auf sein Smartphone.
SMS von Mutter
„Frühling! heute zum Griechen? Lade dich ein! Mama“
Er schüttelte den Kopf, gerade heute! Er wollte mit Gisa ins Kino. Er tippte und sendete.
Marianne blickte auf ihr Handy.
SMS von Sohn Moritz
„Mittags 12:00, Passage? Ok, freue mich. Mo“
Sie lächelte. Tippte: „OK“ und sendete.
Marianne öffnete ihr Notebook.
Traumprinz ist online auf Skype:
„Guten Morgen, meine Traumfee. Mein Liebling! Ich freue mich so, dass wir uns heute Abend zum ersten Mal treffen werden. Bin schon so gespannt.“
Marianne überfiel plötzlich die Erinnerung an die Vergangenheit.
Wie oft hatte sie mit ihren Mann, Thomas, geskypt, wenn er auf Dienstreise war, irgendwo auf der Welt. "Liebling, heute Abend Flughafen! Und
dann zum Italiener?" So kündigte er das Ende der Dienstreise an. Und sie eilte dann zum Flughafen.
Es fühlte sich stets ähnlich an, wie die Verabredung heute.
... vor genau 10 Jahren hatte sie Thomas dann verlassen, nachdem sie ihn am Flughafen mit der Sekretärin erwischt hatte. Er war einen Flieger früher gekommen und die beiden saßen dort sehr intim in der Sushibar.
Doch so einem zärtlichen und verrückten Mann war sie nie wieder begegnet, obwohl sie nach einem neuen Partner gesucht hatte. Bis auf diesen Traumprinzen eben.
Ein Hauch Bedauern und ein Hauch
Hoffnung kämpften in ihr.
Ihr Sohn lästerte schon: „Mama auf Männerjagd!“
Und ihre Tochter meinte vor einem Jahr: „Lass los, Mutter. Dann wird der Neue von ganz allein zu dir finden.“
Marianne alias Traumfee tippte ihrem Traumprinzen ins Skype: „Ich auch. Immerhin kennen wir uns heute genau ein Jahr.“
Traumprinz: „Dann treffen wir uns heute 19 Uhr am Savignyplatz beim Italiener. Ich habe einen Tisch reserviert. Frag nach Traumprinz.“
Traumfee: „Ich habe Schmetterlinge im Bauch. Jetzt gehe ich zum Friseur und lasse mich hübsch machen. Bis dann.“
Traumprinz: "Halt deine Schmetterlinge fest, ich möchte auch die kennenlernen. Bis heute Abend."
Marianne fühlte ein Gribbeln. Pizzaria Savignyplatz, dort war sie auch immer mit Thomas gewesen. Seit ihrer Trennung hatte sie das Restaurant gemieden. Heute also ..
Aber jetzt schnell zum Friseur und dann essen mit Moritz. Er sollte es zuerst erfahren.
Im hellen Hosenanzug mit frisch gefärbtem Haar eilte Marianne zur Passage. Tatsächlich wartete ihr Sohn schon. Marianne lächelte, sah wie ihrem Sohn der Kinnladen runter klappte. „Mutter, wir haben uns ja ewig nicht gesehen, du siehst toll aus. 20 Jahre jünger.“ Er lächelte verschmitzt. „Bist du etwa verliebt?“
„Erwischt“, antwortete die Mutter ihrem Sohn.
„Und heute treffen wir uns beim Italiener! Zum ersten Mal. Ich weiß nicht mal, wie er aussieht.“
„Blinddate! Savignyplatz etwa?“ Moritz machte Augen.
„Genau, Savignyplatz!“
Marianne bestellte beim Kellner eine kleine Salatplatte und ein Glas Wein, während Moritz sich mit einer Portion Lammsteaks verwöhnen ließ.
„Ich freue mich so für dich, Mutter. Wird auch Zeit, dass Du Dich wieder auf jemanden einlässt und nicht immer Vater als Messlatte nimmst.“
„Weißt Du, Moritz, ich habe keine bessere Messlatte. Und er genügt ihr. Nein falsch. In manchem übertrifft er sie sogar, er interessiert sich auch für ökologischen Gartenbau. Darüber konnte ich mit Thomas nicht reden, nur streiten. Ach und noch etwas. Neulich
schrieb er, dass er eine Beziehung durch einen dummen Fehler vernichtet habe. Aber nun hoffe er, dass es auch für ihn ein neues Glück gäbe. Ich bin also nicht die Einzige, der es so ging."
„Mama, ich wünsche Dir einen zauberhaften Frühlingsanfang.“
Ihr Sohn umarmte sie. Sie tauschten zum Abschied einen Kuss auf die Wange und winkten sich nach einigen Schritten, sich nach dem Anderen umdrehend, noch einmal zu.
Ein herrlicher Frühlingsabend, die Luft duftete und war noch mild. Marianne hatte sich ein neues Kleid gekauft, dass
ihre schlanke Figur umschmeichelte. Den leichten Wollmantel trug sie geöffnet darüber. Ein Strahlen ging von ihr aus. Tiefe Freude, mit etwas Anspannung vermischt, erfüllte sie.
Der Kellner am Einlass nahm ihr den Mantel ab und begleitete sie freundlich zu dem Tisch, der wie sie ihm erklärt hatte, unter dem Stichwort „Traumprinz“ reserviert sei.
„Sie werden schon erwartet, Signora.“
Am Fenstertisch in der kleinen Nische, in der sie so oft mit ihrem geschiedenen Mann den Abend verbrachte, saß ein
schlanker Herr, von dem sie nur die Rückfront mit grau melierter Mähne, und dunkelblauem Jackett erkennen konnte.
Der Kellner sprach ihn an: „Sir, la signora è venuta.“
Der so angesprochene erhob sich und drehte sich um.
In seiner Linken ein Veilchenstrauß.
Marianne schaute mit großen Augen auf das, was sie nun sah und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte:
„Thomas?!“
„Ja, Marianne, ich.“
„Aber wieso? Wie? “
„Weil ich dich liebe.“