Ich muss mich nicht vorstellen, weil ich in Ihnen zuhause bin. Es ist Ihnen nur nicht immer bewusst. Schauen Sie sich um. Vor Ihnen glänzt der Flaschenhals, nach dem Sie gestern verzweifelt griffen, als Ihnen der Kronleuchter auf den Kopf zu fallen drohte und Sie sich ängstlich am Stuhlbein festhielten.
Aber errichten Sie keine Mauer der Angst, schönes Kind. Immer wird es jemanden geben, der Ihre Korallenlippen oder Ihre alabasterweiße Haut oder das Weizenblond ihrer Haare oder die Tiefe hinter den schimmernden Fensterlein Ihrer Augen
erkennt.
Sie haben es schon bemerkt: Im Alltag bin ich leicht und umgänglich, ein einfacher bildhafter Vergleich, bei dem nur das Wörtchen „wie“ entfallen ist. Lassen Sie sich also auf den Flügeln der Fantasie an den Strand der Metaphern tragen und baden Sie genüsslich im Metaphernmeer. Am Morgen weckt sie die rosenfingrige Eos, springen die munteren Delphine der Visionen, verfliegt der Sand der Zeit unter Ihren hoffnungsfrohen Schritten, am Mittag tauchen Sie ein in die Klänge der Panflöte, erblicken Sie die entrückten Horizonte der Ideen, träumen Sie auf den Schwingen von Flamingos, am
Nachmittag trägt sie das Schiffchen der Einbildungskraft, am Abend durchfährt Sie das Feuer des schreibenden Poeten und bei Nacht besänftigt mondne Kühle Ihr glühendes Herz.
Ich vermute, dass Ihre Augensterne einige dieser Metaphern schon einmal gelesen haben. Sie ruhen als abgekürzte Vergleiche im Schatzhaus Ihrer Erinnerung und Sie können deren Gedankenflug leicht folgen.
Spannender und schöner sind aber die Metaphern aus dem Schoß der Assoziationen, die sich allein rational nicht entschlüsseln lassen:¶
„des Wahnsinns sanfte Flügel“, „ein
knöchernes Grauen“, des Ölbaums blaue Stille“ (Georg Trakl),¶
„von dem verborgenen Goldgefäß// läuft durch mein Blut ein schmerzliches Gleißen“ (Gertrud Kolmar),
„Wenn mittags das weiße Feuer//der Verse über den Urnen tanzt“ (Peter Huchel)
„Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft
unter den Akrobaten und Vögeln:
mein Bett auf dem Trapez des Gefühls
wie ein Nest im Wind
auf der äußersten Spitze des Zweigs.“ [...]
Hilde Domin
„Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
[…]
Paul Celan
Gönnen Sie sich die Freude, liebe Leser, im Strudel geheimnisvoller Metaphern der Poesie zu versinken, aber seien Sie wachsam im Alltag. Entdecken Sie die bittere Pille der Wahrheit unter dem Honig der Unterhaltung und spitzen Sie die Ohren, wenn Rattenfänger auf der Schalmei der Verführung
blasen.
© Ekkehart Mittelberg. Februar 2016
Ich muss mich nicht vorstellen, weil ich in Ihnen zuhause bin. Es ist Ihnen nur nicht immer bewusst. Schauen Sie sich um. Vor Ihnen glänzt der Flaschenhals, nach dem Sie gestern verzweifelt griffen, als Ihnen der Kronleuchter auf den Kopf zu fallen drohte und Sie sich ängstlich am Stuhlbein festhielten.
Aber errichten Sie keine Mauer der Angst, schönes Kind. Immer wird es jemanden geben, der Ihre Korallenlippen oder Ihre alabasterweiße Haut oder das Weizenblond ihrer Haare oder die Tiefe hinter den schimmernden Fensterlein Ihrer Augen
erkennt.
Sie haben es schon bemerkt: Im Alltag bin ich leicht und umgänglich, ein einfacher bildhafter Vergleich, bei dem nur das Wörtchen „wie“ entfallen ist. Lassen Sie sich also auf den Flügeln der Fantasie an den Strand der Metaphern tragen und baden Sie genüsslich im Metaphernmeer. Am Morgen weckt sie die rosenfingrige Eos, springen die munteren Delphine der Visionen, verfliegt der Sand der Zeit unter Ihren hoffnungsfrohen Schritten, am Mittag tauchen Sie ein in die Klänge der Panflöte, erblicken Sie die entrückten Horizonte der Ideen, träumen Sie auf den Schwingen von Flamingos, am
Nachmittag trägt sie das Schiffchen der Einbildungskraft, am Abend durchfährt Sie das Feuer des schreibenden Poeten und bei Nacht besänftigt mondne Kühle Ihr glühendes Herz.
Ich vermute, dass Ihre Augensterne einige dieser Metaphern schon einmal gelesen haben. Sie ruhen als abgekürzte Vergleiche im Schatzhaus Ihrer Erinnerung und Sie können deren Gedankenflug leicht folgen.
Spannender und schöner sind aber die Metaphern aus dem Schoß der Assoziationen, die sich allein rational nicht entschlüsseln lassen:¶
„des Wahnsinns sanfte Flügel“, „ein
knöchernes Grauen“, des Ölbaums blaue Stille“ (Georg Trakl),¶
„von dem verborgenen Goldgefäß// läuft durch mein Blut ein schmerzliches Gleißen“ (Gertrud Kolmar),
„Wenn mittags das weiße Feuer//der Verse über den Urnen tanzt“ (Peter Huchel)
„Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft
unter den Akrobaten und Vögeln:
mein Bett auf dem Trapez des Gefühls
wie ein Nest im Wind
auf der äußersten Spitze des Zweigs.“ [...]
Hilde Domin
„Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
[…]
Paul Celan
Gönnen Sie sich die Freude, liebe Leser, im Strudel geheimnisvoller Metaphern der Poesie zu versinken, aber seien Sie wachsam im Alltag. Entdecken Sie die bittere Pille der Wahrheit unter dem Honig der Unterhaltung und spitzen Sie die Ohren, wenn Rattenfänger auf der Schalmei der Verführung
blasen.
© Ekkehart Mittelberg. Februar 2016