Eine junge Liebe, die dafür bestimmt schien für immer zu halten. Doch als ihre Beziehung je in tausend Teile zerbricht, stürzen die beiden Männer Jamie und Mike in ein tiefes Loch der Einsamkeit. Jahrelang versuchen sie über den Verlust des jeweils anderen hinweg zu kommen und hinter sich zu lassen. Doch das Schicksal hat ihre Pfade eng mit einander verwoben… Die Geschichte zwei junger Menschen die sich, auf der Suche nach Vertrauen und Wärme, wieder begegnen und
versuchen die Wunden, die ihre gescheiterte Beziehung hinterlassen hat, zu heilen und wieder zu einander zu finden.
Das Fieber jagte Jamie von einem Traum in den nächsten. Noch bevor sich die Bilder des ersten in der warmen Dunkelheit auflösen konnten, drängte sich ihm schon der nächste Traum auf. Er saß in einem Bus, mit dutzenden Topfpflanzen, die sich auf den Sitzen zusammenkuschelten. Eine wundersame Melodie hing über ihnen. Jamie bildete sich ein verstehen zu können, was sie ihm mitteilen wollten. Er sah aus dem Fenster und schaute einem Schwarm Origamivögel zu, die durch die Luft glitten. Auf einmal saß ihm gegenüber eine Frau. Sie sah aus wie
Anna, hatte aber braune Haare und ihre Stimme klang hohl und fremd: „Haben wir irgendetwas vergessen?“ Jamie wusste nicht wovon sie redete, schüttelte aber den Kopf. „Sicher nicht? Mir kommt es so vor als hätten wir etwas Wichtiges vergessen. Hast du nicht auch das Gefühl du hättest etwas Wichtiges vergessen?“ Sie runzelte in Sorge die Stirn. Die Art wie sie redete, verstörte ihn. Der Bus bog nun scharf nach rechts ab und fuhr die ganze Strecke wieder zurück. Schweigend sah Jamie in die Landschaft, in der es nichts zu sehen gab. Sie hielten an der Gärtnerei, in der er
und Tyler gewesen waren. Er stieg aus und ging hinein. Ihn überkam das Gefühl etwas Verlorenes zu suchen. In der Gärtnerei sah es aus wie in einem Esszimmer. In der Mitte des Raums stand ein großer Tisch aus dunklem Holz. An den Wänden hingen Familienfotos und Kinderzeichnungen. Im nächsten Moment saß Jamie mit einer Familie beim Abendessen. Die Frau lachte immer wieder herzlich, während ihr kleiner Sohn alberne Späße machte und seine Schwester kicherte vergnügt. So ging es eine ganze Weile, bis sich die Frau Jamie zuwandte und sagte: „Es ist schon spät. Du willst sicher schon
nachhause.“ Er verabschiedete sich höflich und stieg in das Auto, das vor dem Haus parkte. Es war stockdunkel, die Sterne glommen kränklich am Himmel. Das Licht dass das Haus absonderte, gab die Sicht auf einen Wald frei, der sich ins Ungewisse erstreckte. Das Familienhaus war umgeben von riesenhaften Fichten und Tannenbäumen. Aber Jamie konnte doch gar nicht fahren, was machte er also hier? Da öffnete sich die Fahrertür und ein großer schlanker Mann stieg ein. Dort wo sein Gesicht hätte sein sollen, war nur Schwärze. Doch Jamie wusste genau wer diese Person war. Im Grunde seines
Herzens trug er ein Bild von ihm. Atemlos schwamm der Mann in kaltem Nebel. Er drehte den Schlüssel herum und der Motor sprang an. Sie fuhren in den Wald hinein. Die Straße war schmal und die Scheinwerfer schwach. Jamie war nervös. Eine instinktive Angst saß ihm zwischen den Schulterblättern. Der Mann neben ihm war ihm so fern dass sich Jamie langsam fragte ob er überhaupt ein Mensch war. Wie ein Geist aus dem Reich der Toten, der zwischen den beiden Welten hin und her pendelt, war der Gesichtslose unantastbar. Jamie wusste nicht ob seine Anwesenheit ihn so nervös machte oder die Fichten, die mit ihren stacheligen
Händen nach dem vorbeifahrenden Auto griffen. Am Himmel gab es keinen Mond. Da fiel Jamie die griechische Sage von Orpheus und Eurydike ein. Um seine tote Frau wiederzubeleben, steigt Orpheus in die Unterwelt hinab. Als beide die Stufen zur Oberfläche hinaufgehen, dreht er sich jedoch um und sieht sie an, was ihr Schicksal ein für alle Mal besiegelt. Wie Orpheus wagte Jamie es nicht den Mann anzusehen. Er wusste, würde er zu lange an die Stelle schauen, wo sein Gesicht sein sollte, würde es beginnen Züge anzunehmen. Und das hätte Jamie zerbrochen.
Plötzlich hellten die Scheinwerfer auf und gleißendes Licht gab die Sicht auf einen Hirsch frei, der auf der Straße stand und Jamie unverwandt ansah. Weinend wachte er auf. Die pupillenlosen Augen des Hirsches starrten ihn immer noch an. Weiße Seen, die alles von ihm sahen. Nach Luft schnappend richtete sich Jamie auf. Schweiß und Tränen klebten an ihm und seine Kehle war sauer. Er ruderte mit den Armen durch die Dunkelheit und torkelte an Land. Stolperte zur Toilette und übergab sich. Völlig ausgelaugt und mit pochendem Kopf saß er am Fliesenboden und wischte
sich mit Klopapier das Erbrochene vom Kinn. Ernüchternd stellte Jamie fest, dass seine Stirn glühte. Irgendwo hier war doch das Fieberthermometer. Blind tastete er danach und warf Verbandsrollen, Rasierer und Zahnpasta Tuben vom Regal. Mit leeren Händen und einem ekelhaften Geschmack im Mund blieb er einfach am Boden liegen und wartete bis sich sein Herzschlag wieder einiger Maßen beruhigt hatte. Die Fliesen waren kühl und tröstlich. Neben dem Fieber aber war es vor allem der Traum der Jamie den Schweiß aus den Poren trieb. Noch glasklar konnte er die leeren Augen des Hirsches vor sich sehen. Grotesk groß und leblos.
Jamie atmete tief durch und stand langsam auf, wankte in die stockdunkle Küche und trank ein Glas Wasser. Dann legte er sich zurück ins Bett und schlief weiter. Der nächste Morgen sah nicht besser aus. Die Kopfschmerzen verstärkten sich bei jeder Bewegung, die Jamie machte und obwohl sein Magen nach Nahrung schrie, bereitete ihm der Gedanke etwas zu essen Übelkeit. Unfähig auch nur aufzustehen blieb er im Bett und schlief den ganzen Tag. Erwachte schweißgebadet aus Albträumen, sank wieder in den Schlaf, nachdem er die schaurigen Bilder wieder verdrängt hatte. Erst am Abend war er
zum ersten Mal wieder richtig wach und sein Verstand ließ rationales Denken langsam wieder zu. „Ich muss etwas essen“, sagte Jamie der Dunkelheit und kämpfte sich aus dem Bett. Er durchsuchte den Kühlschrank nach etwas leichtem zu essen. Die Küche wackelte im Blau des Vollmondes. Schließlich aß Jamie eine Scheibe Brot und trank ein Glas Wasser mit Asperin, das einzige Medikament dass er im Haus hatte. Im Schlafzimmer schlüpfte er erstmal aus seinen Sachen, die er seit gestern trug und zog sich einen Pyjama an. Er nahm sein Handy vom Nachttisch und sah nach wer ihn schon alles angerufen hatte. Das Display war viel zu grell für
eine Vollmondnacht. Drei entgangene Anrufe von Anna und einer von Tyler. Jamie schrieb Tyler eine kurze SMS und rief danach Anna zurück. „Hey, Jamie“, ertönte ihre Stimme gleich nach dem zweiten Läuten. „Hi“ „Wo warst du heute? Alles okay bei dir?“, fragte sie besorgt. „Tut mir leid, ich habe Fieber und hab den ganzen Tag nur geschlafen darum konnte ich mich nicht krank melden“, Jamie setzte sich auf die Bettkante und zog sich die Decke über die Schultern. „Hat dich die Grippewelle also auch erwischt. Du Armer…soll ich her
kommen?“ Er lachte müde auf: „Das brauchst du doch nicht. Es geht schon.“ „Wirklich? Hast du schon irgendwas genommen oder etwas gegessen?“ „Brot und Asperin“ Vom anderen Ende der Leitung ertönte ein Seufzer: „Ich bin in fünfzehn Minuten da.“ Und tatsächlich stand Anna in fünfzehn Minuten in Jamies Vorzimmer. „Du siehst wirklich nicht gut aus“, murmelte sie und griff ihm an die Stirn. „Du hättest wirklich nicht gleich herkommen brauchen“, meinte Jamie, doch darauf ging sie nicht ein. Sie hatte eine Tüte mit Lebensmitteln dabei, die
sie von zuhause mitgenommen hatte und nun in der Küche ausräumte: „Wann hat das denn angefangen?“ „Gestern Nachmittag ging es mir schon nicht so gut und am Abend bin ich dann einfach zusammengeklappt“, sagte Jamie. Annas Anwesenheit schien die Geister wieder in die Ecken und Schatten zu treiben, aus denen sie gekrochen waren um Jamie zu quälen. Ihr Gesicht in der Dunkelheit war wie das Licht eines Leuchtturms. Versprach Sicherheit. „Verstehe…Ach ja, ich soll dir von Tyler ausrichten, dass die Kinder den Ficus ganz toll finden. Leg du dich nochmal hin während ich dir Suppe
mache, ich wecke dich dann“, sagte sie in einem Ton der keine Widerrede duldete. Folgsam legte sich Jamie wieder ins Bett doch obwohl ihn das Fieber völlig erschöpfte, konnte er nicht mehr einschlafen. Also schaltete er im Wohnzimmer den Fernseher ein und legte sich auf die Couch. Mit dem Gesicht zur Rückenlehne ließ er sich von dem Gemurmel berieseln und dämmerte vor sich hin. Aus der Küche kam Geklapper und Gerumpel. Wasser, das in einen Topf prasselte. Das Klicken des Herds. Jamie zog sich die Decke bis zum Kinn und fühlte sich wieder wie ein kleines
Kind. Sein Geist wanderte in der Zeit zurück und besuchte sein vier-jähriges Ich. Amelie hatte damals immer für ihn gekocht, wenn seine Eltern ausgingen oder lange arbeiten mussten. Er sah sich derweil seine Lieblingscartoons an, während aus der Küche warme Musik kam. Nudelgerichte waren Amelies Spezialität und am liebsten mochte Jamie ihre Tortellini mit Tomatensauce. Dann saßen beide auf der Couch, sahen fern (was Jamies Mutter nie erlaubt hätte) und aßen. Im Herzen war Amelie sehr kindisch, was Jamie eine ganz andere Sicht auf Erwachsene brachte. In seinem damaligen Umfeld gab es nur
Geschäftsmänner und Verkaufsfrauen. Allesamt schmierige Menschen in teuren Klamotten. Als seine Eltern Amelie als Kindermädchen einstellten, war er alles andere als begeistert gewesen. Noch ein Erwachsener, der sich des Geldes wegen um andere bemüht und ein falsches Lächeln aufsetzt. Doch Amelie war eine großherzige, geduldige Person mit einer Anziehungskraft, der man sich nur schwer entziehen konnte. Sie spielte viel mit Jamie und wenn ihm seine Spiele langweilig wurden, ließ sie sich neue einfallen. Auch kam es ihm so vor als sähe sie in ihm mehr als nur ein kleines Kind, um das sie sich kümmerte.
Manchmal unterhielten sie sich todernst über Dinge, über die Jamie bis jetzt nur für sich nachgedacht hatte. Er erzählte Amelie was in seinem Kopf vor ging und vertraute ihr Geheimnisse an und sie hörte ihm jedes Mal mit einem so ernsthaften Gesichtsausdruck zu, dass sich Jamie auf einmal ganz wichtig fühlte. Wie sein Vater, wenn er Arbeitskollegen zum Essen nachhause einlud und mit ihnen über das Geschäft redete. Amelie war wie eine große Schwester für Jamie gewesen. In gewisser Weise war sie auch einer der Gründe gewesen, warum er Kindergärtner geworden war. Er konnte schon beinahe ihre Stimme
hören, wie sie seinen Namen rief: „Jamie, wach auf. Die Suppe ist fertig.“ Verwirrt öffnete er die Augen. Anna stand vor ihm und hielt ihm eine Schüssel dampfende Gemüsesuppe hin. Etwas ungelenk setzte er sich auf und nahm sie mit beiden Händen: „Danke.“ In seinen Schläfen pochte es und er fühlte sich so schwach, dass die Schüssel zu halten, schon sehr anstrengend war. Anna setzte sich zu ihm aufs Sofa und aß auch ein bisschen Suppe. „Es ist schon spät. Kann ich hier schlafen?“, fragte sie während im Fernsehen eine Werbung für Kinderspielzeug lief. „Klar. Danke
nochmal für die Suppe“, krächzte Jamie und tauchte den Löffel in die Brühe. „Kein Problem“ Mit etwas warmen zu essen und Gesellschaft, fühlte sich Jamie innerlich gleich viel besser. Die Beiden blieben noch bis nach Mitternacht auf und Anna erzählte ihm was er im Kindergarten alles verpasst hatte. In Decken eingewickelt lagen sie nebeneinander und er hörte ihr mit geschlossenen Augen zu. Die Augen offen zu halten, verschlimmerte die Kopfschmerzen nur und ihrer Stimme zu zuhören entspannte Jamie. Irgendwann gegen zwei Uhr fragte er sie mit schwacher Stimme: „Erzähl mir etwas von Ben.“ Wie ein
Kind, das nach einer Gute Nacht Geschichte verlangt. Anna strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sagte lächelnd: „Mal sehen…Er arbeitet in einer Tierklinik und hat auch selbst einen Hund. Einen Golden Retriever, glaube ich. Ben ist siebenundzwanzig und hat im Juni Geburtstag, er ist ein bisschen größer als ich und hat gelbgrüne Augen. Und wenn er lächelt bleibt mir das Herz stehen.“, Lachte sie kindlich. „Aber weißt du, bis jetzt ist das zwischen uns nicht mehr als eine Schwärmerei. So kommt es mir zumindest vor. Keine Ahnung ob das etwas Ernsthaftes wird“, gedankenverloren sah sie wieder in den
Fernsehapparat. Jamie taumelte bereits in einen Traum hinein. Hielt sich noch mit einer Hand an der Realität mit Anna fest. „Ich glaube ich schlafe gleich ein“, murmelte er. „Komm, ich helfe dir ins Bett“, Anna rüttelte ihn sacht an der Schulter und bewegte ihn dazu aufzustehen. Wie ein verwundeter Soldat, stützte er sich an ihr ab und wankte ins Schlafzimmer. Die Luft dort war schal und verbraucht. „Ich lüfte ein bisschen“, sagte Anna und riss das Fenster auf. Jamie spürte sogleich wie die leise rauschende Luft ins Zimmer kroch und die wirren Gedanken vertrieb. Anna war im kühlen Licht des Mondes
eine wunderschöne Silhouette. Der frische Wind zerrte an ihrem dunklen Haar, dass es geisterhaft flatterte. In dem Moment fragte sich Jamie, ob er nicht vielleicht träumte. War sie tatsächlich hier? Sie sah so verzaubert aus, wie aus einer anderen Welt. Die Finger des Schlafes zupften bereits an seinem Ärmel. Er ließ sich in die Polster fallen und schloss die Augen. „Gute Nacht, Jamie. Wenn du morgen aufwachst bin ich sicher schon weg. Suppe ist noch da“, schälte sich Annas Stimme aus der Schwärze. Das Fenster war wieder geschlossen und sie stand nun im Türrahmen. „Anna“, besiegte seine Stimme die
Müdigkeit. „Hm?“ „Ich hab dich lieb“ Jamie konnte sie lächeln hören, als sie sagte: „Ich dich auch. Und jetzt schlaf.“ Mit einer magischen Wärme ums Herz, glitt er ins Reich der Träume. Am nächsten Morgen war von Anna keine Spur mehr. Das Sofa sah aus wie immer. Lediglich der Suppentopf, der in der Küche am Herd stand, zeugte davon dass sie letzte Nacht hier gewesen war. Es war Freitagvormittag und Jamie fühlte sich bereits etwas besser, auch wenn das Fieber noch nicht abgeklungen war. Etwas wackelig auf den Beinen,
ging er duschen und wusch sich die Schatten ab. Dabei fiel ihm ein dass er Miss Dawsons Katzen füttern musste. Auch wenn ihre Wohnung nur einen Stock über ihm lag, kostete es Jamie unglaublich viel Kraft sich aus der Wohnung zu quälen. Vor der Wohnungstür stehend, freute er sich bereits darauf, wieder in sein Bett zu schlüpfen und das Fieber auszuschwitzen. Trickser und Blacky begrüßten ihn empört miauend, da sie den Tag zuvor kein Futter bekommen hatten. Jamie gab ihnen extra viel Futter und mistete die Katzenklos aus, trank dann ein Glas Wasser in der Küche und nahm Trickser
auf den Arm, der sich schnurrend an Jamies Schulter schmiegte. Miss Dawson hatte ein Fenster in der Küche und Jamie blickte runter auf die Menschen, so klein wie Ameisen. Hoffentlich würde er nächste Woche wieder gesund sein, dachte er, während er den Kater unterm Kinn kraulte. Jamies Schritte verloren sich im hellen Gang, als er die Stiegen runterging. Sein Magen wimmerte leise und vom kurzen Ausflug in Miss Dawsons Wohnung war ihm etwas schwummrig geworden. Jamie steckte seinen Zweitschlüssel in die Hosentasche und dachte darüber nach, sich Annas Suppe aufzuwärmen und
etwas zu essen. Als Jamie auf den letzten Stufen stand, öffnete sich die Wohnungstür von Miss Grey. Für einen kurzen Moment erwartete Jamie die gebückte, alte Frau mit dem dünnen Haar und den runden Wangen zu sehen. Doch aus der Tür trat eine hohe, schlanke Gestalt mit breiten Schultern und spitzem Kinn. Im leeren Schweigen des Hauses, war die Präsenz dieses Mannes so stark dass sie Jamie den Weg versperrte und er stehen blieb. Seine Augen hefteten sich an den Mann mit den brünetten Haaren und dem schwingenden Körper. Feingliedrige Finger, die auf der Türklinke lagen. Breite Schultern unter dem Stoff eines
roten Pullovers. Jamie sackte in sich zusammen. Völlig weggetreten, vergaß er auf seine Kopfschmerzen und seinen trockenen Hals. Das bleiche Licht das die Wände abstrahlten, umfing den Mann. Als blicke er durch schmierige Brillengläser, konnte Jamie nicht glauben wen er da vor sich sah. Regungslos starrte er die Person vor sich an. Das elektrisierende Gefühl wenn man das Gesicht eines alten Bekannten sieht und auf einmal all die Erinnerungen mit dieser Person im Kopf abspielt, durchfuhr ihn. Ein finsterer Winterabend. Aus den
Fenstern der Häuser sickert warmes Licht. Die Schneeflocken stechen auf einmal auf der Haut. Seine Worte hängen immer noch tödlich in der Luft. Bohren sich durch meine Ohren, in mein Hirn. „Wir sollten uns trennen“ Jamie stand der Mund offen. Ihm tanzte ein Name auf den Lippen. Ein Kang, für den sich Jamie in den letzten sechs Jahren taub gestellt hatte. Doch das Wort erstarb kläglich in seiner Kehle. Im orangenen Licht des bevorstehenden Heiligabends, springt mir Mikes blaues Auge ins Gesicht. Es ist stark
angeschwollen und von ungesunder, feuchter Farbe. Auf Mikes aufgeplatzter Lippe glitzert Blut. Ich will schon nach dem Taschentuch in meiner Jackentasche greifen und es ihm anbieten. Doch, halt. Hat er nicht etwas gesagt? Ich rufe mir die Worte in Erinnerung, den Klang seiner Stimme, die auf einmal so kalt geklungen hat wie der Schnee in meinem Kragen. „Wir sollten uns trennen“ Jamie riss sich aus seinem Paralyse Zustand und realisierte plötzlich mit dem ganzen Körper, spürte es mit jeder Faser, dass dies keine Einbildung war. Mikes verschwommene Gesichtszüge
wurden plötzlich klar und bekamen Farbe. Seine mandelförmigen Augen weit aufgerissen, der Oberkörper angespannt, in der Bewegung eingefroren, sah er Jamie an und erkannte ihn. Die Spannung in der Luft erschwerte ihnen das Atmen. Die Erde hielt für einen Moment inne und stoppte in der Drehung. Zog den Moment in die Ewigkeit hinaus, in der sich die beiden in die Augen sahen und mit der Stille rangen. Jamie erinnerte sich an die Berührung von trägen Fingern. An dunkle Orte voller Körperwärme. An eine Zeit in der Lächeln noch so einfach war. Nach einer gefühlten Ewigkeit geriet
das Blut in Jamie wieder in Bewegung. Seine Ohren rauschten, die Kopfschmerzen meldeten sich wieder zurück und Schweiß brach ihm im Nacken aus. Er stieg die letzten Stufen hinunter, bis die beiden nur mehr Zentimeter trennte. Jamie wurde schlecht. Ich bin wie vor den Kopf gestoßen. Langsam wird mir die Bedeutung dieser Worte bewusst. Ich kann es nicht fassen was Mike gerade gesagt hat. Sie mich nicht so kalt an, das ertrage ich nicht! „Was meinst du mit, wir sollten uns trennen? Was redest du denn da? Ist das ein Scherz?“ Mikes Kiefer spannen sich
an als er mit mechanischer Stimme sagt: „Nein, ist es nicht, Jamie. Ich finde es wäre besser wenn wir Schluss machen würden.“ Jedes seiner Worte lässt mich eiskalt erschaudern und ich weiche einen Schritt zurück. Was redest du denn da? Meine Stimme ist auf einmal ganz heiser: „Wieso? Verdammt, Mike was sagst du denn da?!“ ich werde lauter. Langsam wird sein Blick weicher und seine Gesichtszüge verraten mir wie sehr es ihn auseinanderreißt: „Es wäre besser für uns. Für dich und für mich. Ich ertrage es nicht mehr in Gefahr zu sein!“ In einer schnellen Bewegung wandte sich
Jamie von Mike ab, stürzte zur Wohnungstür, sperrte auf, glitt ins Innere und schlug die Tür mit einem lauten Knall zu.
Nach einer kurzen Schweigeminute, lehnte er sich gegen die Tür, sank zu Boden, vergrub das Gesicht in den Händen und weinte lautlos.