Der vergessene Mann
Vielleicht wäre `Der vergessliche Mann´ der bessere Titel aber egal, an der Geschichte ändert sich nichts.
Vor einigen Jahren hatten wir einmal Mieter, eine Familie, deren angekündigter Auszug wahre Freude im gesamten Haus auslöste. Die Kinder, zwei an der Zahl lebten mit Mutter und Vater in einer schönen fünfundsiebzig Quadratmeter Wohnung in der ersten Etage. Sie wurden von der Arge unterstützt, aber der Vater ging regelmäßig zur Arbeit. So genannte Aufstocker. Er war dann immer für zwei bis drei Tage verschwunden. Kam er zurück, war er meist sternhagelvoll. Die Mutter, so um die dreißig Jahre alt, hatte an diesen Tagen ein sehr reges Sozialleben. Oder, wie die Kinder sagten, „Da sind wieder Onkels bei
Mama, wir spielen so lange draussen.“ Das eingeschaltete Jugendamt war allerdings nicht der Meinung, dass es an dem Familienleben etwas auszusetzen gab, nur für die fünf Katzen wurde ein Katzenklo verordnet. Nun, Monatsende kam der Tag des Auszugs. Was für den Vermieter bedeutete, ab sofort keine Miete mehr vom Amt. Kündigungsfristen? „Sie können ja die Miete bei den Mietern eintreiben!“ Am Abend des Dreißigsten fand ich dann den Schlüssel im Briefkasten. Am nächsten Morgen, also am Ersten machte ich mich dann auf, die Wohnung zu inspizieren. Ein fürchterlicher Gestank kam mir, wie erwartet, entgegen. Alles was
unbrauchbar war, befand sich gestapelt in der Badewanne. Nur eins fand ich im Schlafzimmer, nackt wie Gott ihn schuf, auf einer ollen Matraze. Den Eheman, laut schnarchend. Nachdem ich ihn wachgerüttelt hatte, stellte sich heraus, er war mal wieder arbeiten und hatte den Auszug vergessen. Was ihm sichtlich peinlich war. Er entschuldigte sich stotternd ein paar mal, schlüpfte in seine Schuhe, Socken hatte er noch an, schnappte sich seine Arbeitstasche und rannte zur Bushaltestelle. Das ging schnell. Ich begab mich dann zum Fenster an der Straßenseite und schaute mir das Spektakel an. Erst kam eine kleine Gruppe Schülerinnen von der nahe
gelegenen Berufsschule der Friseure, die kichernd vorbeigingen. Er lächelte verlegen zurück. Anschliessend kamen zwei Frauen so um die fünfzig, Figuren wie Sumoringer, bauten sich vor ihm auf und schauten Ihn von oben bis unten an. In diesem Moment ist ihm wohl bewusst geworden, dass er etwas vergessen hatte. Er war immer noch splitternackt. Dann rannte er, ungeachtet des Verkehrs, unter dem schallenden Gelächter der beiden Matronen, über die Strasse, wo ich ihm schon sie Tür aufdrückte.
Ja, man sollte den Restalkohol im Blut nicht unterschätzen!
(c) Uwe Honnef