am pier
Majestätisch lag sie vor Anker.
Mit über dreihundert Meter Länge und über dreißig Meter Breite zeigte sie sich stolz am Hafen von Costa Rica.
Die Göttliche.
Für dreitausend Personen war sie zum temporären zu Hause geworden und sorgte für Entspannung, eine Brise Leichtigkeit und jede Menge Abwechslung.
Schon vom Morgen an spürte man die eindringliche Wärme und die
hohe Luftfeuchtigkeit, die für diese Breite typisch war. Doch dies ließ die meisten nicht davon abbringen, von Bord zu gehen und ein weiteres Land auf ihrer Kreuzfahrt zu erkunden, selbst wenn es nur eine Anzahl von Eindrücken war, die unter ein paar Stunden möglich waren.
Gleich neben der Rampe des Schiffes spielten zwei Einheimische Xylophon und brachten die Neuankömmlinge mit ihrer Musik in eine Stimmung des Wohlgefühls.
Nur wenige Schritte entfernt waren Stände aufgebaut und boten diverse Ausflüge für jene Touristen an, die
nicht bereits eine Exkursion vom Schiff aus gebucht hatten und denen auch der niedrigere Preis willkommen war.
Durch die Ankunft des Schiffes gab es ein buntes Treiben am Pier.
Ein herrenloser mittelgroßer Hund mischte sich ebenfalls unter die Menschen. Er war scheu, ließ sich nicht anfassen, aber etwas Essbares nahm er vorsichtig an.
Einige Passagiere nahmen ein Taxi und ließen sich von den ortskundigen Fahrern die Gegend zeigen. Andere wieder genossen einfach die Swimmingpools am Schiff und ließen sich mit Cocktails
verwöhnen.
Kurzum, für jeden war etwas dabei.
Doch auch dieser Tag verging.
Mit der Zeit kam ein Ausflugsbus nach dem anderen zurück und jene Personen, die sich privat ein Taxi genommen hatten, wurden zum Abschied von ihrem Fahrer umarmt.
Auch der streunende Hund war wieder zu sehen.
Langsam füllte sich wieder das Schiff und jeder Einzelne konnte vom vergangenen Tag auf ein unterschiedliches Erlebnis
zurückblicken.
Da war das deutsche Ehepaar, die sich einer Tour angeschlossen hatten und enttäuscht waren über das Fehlen eines deutschsprechenden Reiseführers. Eine englische Familie, die sich einen Tag am Strand gönnten. Ein junges Paar, das eine Ökotour mitmachte und sich den Dschungel von oben angesehen hatte. Ein weiteres Pärchen, das sich diskret in ihre Kabine zurückgezogen hatte.
Zwei Schwestern, die den Tag mit einer Massage im Wellnessbereich nützten und eine junge Frau, die
sich mit einem Buch entspannte.
Mittlerweile war es dunkel geworden.
Das Hauptrestaurant öffnete seine Türen und ließ die Gäste für die erste Sitzung hinein.
Je mehr Passagiere an den Tischen Platz nahmen, umso lauter wurde es im Saal und die Kellner liefen geschickt zwischen den einzelnen Tischen und servierten einen Gang gefolgt vom nächsten.
Nur Wenigen fiel auf, dass das Schiff Verspätung hatte und immer noch fest vertäut am Hafen lag.
Zu dieser Stunde waren am Pier
sämtliche Willkommensstände bereits entfernt worden und nur ein paar Container waren zu sehen, die darauf warteten, weiter transportiert zu werden. Zusätzlich hatten sie tagsüber Schatten für paar Katzen gegeben und nachts einen ruhigen Schlafplatz.
Einige Scheinwerfer beleuchteten mit einem gelblichen Licht den Pier, um die Fläche vor einer kompletten Dunkelheit zu bewahren.
In dieser räumlichen Atmosphäre fuhr ein Auto der Hafensicherheit vor, gefolgt von einem
Ambulanzwagen.
Es verstrich weitere Zeit.
Längst hätte die Göttliche Kurs auf Cozumel nehmen sollen. Stattdessen lag sie immer noch vor Anker.
Doch dann trat ein Ereignis ein, an das niemand denkt und sich niemand wünscht. Und keinesfalls in einem fremden Land.
Drei Personen von der Besatzung warteten vor der Rampe am Pier, als ein erkrankter Passagier mit einer Trage aus dem Schiff und in den Ambulanzwagen gebracht wurde.
Nur kurz darauf entfernte sich der
Wagen mit eingeschaltetem Blaulicht.
Nun war eine weitere Person in der Gruppe zu sehen. Es war eine Frau, deren Koffer gerade in das Auto der Hafensicherheit verstaut wurde. Die Frau selbst setzte sich auf dem Beifahrersitz.
Während einer von der Besatzung wieder an Bord ging, unterhielten sich die beiden anderen noch mit der Frau. Sie gaben ihr die Hand, schlossen die Autotür und der Wagen fuhr fort.
Zurück blieb nur der streunende Hund, der sich abwechselnd jedem anwesenden Menschen näherte, mit
einem rührenden Blick zu ihm hinauf sah und vielleicht noch auf Futter hoffte.
Als alle den Pier verlassen hatten, zog schließlich auch er sich zurück.
Unweigerlich musste ich an die Worte denken, die der Reiseführer, dem im Gesicht geschrieben war, dass er ein schweres Leben bereits hinter sich hatte, wiederholend sagte:
„Yesterday ist history, tomorrow is a mystery. Today is a gift.“
Ende