Böses Erwachen, Teil 2
Adrian hob das Mädchen auf seinen Arm. Sie war schwerer als gedacht, vermutlich stammte sie von einer Welt mit leicht erhöhter Schwerkraft, oder ihre Knochen waren aus einem anderen Material. Sie schlang einen ihrer Arme um seinen Rücken, zwei um seinen Hals. Doc legte eine Decke über sie, und sie lächelte. Adrian meinte, nie eine schönere Frau gesehen zu haben.
"Wer sind Sie, Ma'am, und wie fühlen Sie sich?", fragte der Arzt den Findling.
"Mein Name ist Cassia'ta'Lhimai. Sie können Cassia oder Cassi sagen, Doktor. Ich fühle mich ein wenig geschwächt; ich habe Kopfschmerzen, Durst und Hunger. Soviel ich
weiß, bin ich jedoch nicht verletzt", erklärte sie erstaunlich sachlich. "Ich bin jedenfalls sehr froh und dankbar, dass Sie hier sind. Viel länger hätte ich nicht mehr durchgehalten."
"Was ist denn hier geschehen, Fräulein Cassia?", erkundigte sich Craig, ihr Einsatzcaptain. Sie sah ihn ernst an.
"Krieg, äh... Seargant?", antwortete sie leise, und Craig nickte, erstaunt, dass sie seinen Rang richtig geraten hatte.
"Craig Rolov", stellte er sich nebenbei vor. "Müssen wir mit weiteren Angreifern rechnen?" Sie schüttelte leicht den Kopf.
"Ich denke nicht. Wenn ich das richtig weiß, sind beide Schiffe völlig zerstört worden; es ist wahrscheinlich, dass ich die Einzige
Überlebende bin. Aber Sie müssen mit Aufklärungseinheiten rechnen, und dann sollten Sie schnell verschwinden. Jede der beiden Seiten wird glauben, ein neues Schiff der Gegenseite entdeckt zu haben."
Sie bewegten sich inzwischen zügig dem Ausgang zu. Langsam wurde sie schwer, doch Adrian wollte jede Berührung von ihr auskosten.
"Wir bringen Sie erst einmal auf die Riga, Fräulein Cassia. Dort sehen wir dann weiter. Vielleicht können Sie uns ja Hinweise darauf geben, was vor uns liegt, denn wir sind neu in diesem Teil des Universums", erklärte Craig und öffnete die Schleuse zum Shuttle.
Doc hatte Cassia erst einmal in die Quarantäneeinheit gebracht, da er nicht sicher war, was sie alles an Mikroorganismen mit sich bringen würde. Das Shuttle wurde dekontaminiert, die Anzüge auch, und Adrian tat erst einmal seinen gewohnten Dienst im Sicherheitszentrum. Normalerweise mochte er die Nachtüberwachung nicht, weil es keine langweiligere Schicht gab, doch da die Quarantäneeinheit eine Kamera hatte, machte die Morpheusschicht ihm diesmal nicht viel aus. Selbst wenn sie nur schlief, beobachtete er sie gern.
Sie war wirklich bis auf die vier Arme genau wie eine Menschenfrau. Selbst einen Bauchnabel hatte sie, was bisher bei keiner weiteren Spezies entdeckt worden war. Sie
war clever, das hatte er bemerkt, denn sie hatte keine zehn Minuten gebraucht, um die Kommunikationseinheit so weit zu verstehen, dass sie Bücher und Filme abrufen konnte. Aktuell sah sie sich eine beliebte Kinderserie über acht kleine Rabauken und ihr zahmes Zinutea* an. Sie lachte viel. Adrian merkte, dass er sich immer mehr in diese wunderbare Frau verliebte.
An Nahrung vertrug sie, was auch die Menschen aßen, jedoch hatte sie einen erhöhten Bedarf an Kalzium und Natrium.
*Zinutea: hausgroßes Wollgürteltier, in dessen Panzer kleinere Lebewesen tatsächlich wohnen können. Sehr freundlich.
Doc gab ihr zu jedem Essen einen Milchshake mit Zusatzstoffen, um den hungrigen Metabolismus von Cassia angemessen zu versorgen. Die Versorgungsabteilung hatte zunächst Schwierigkeiten gehabt, Kleidung für Cassia herzustellen, sodass Adrian zwei Tage lang ihre nackte Schönheit weiter bestaunen konnte. Dann jedoch hatte Cassia ihnen eine Zeichnung von Kleidung gezeigt, wie sie auf ihrer Heimatwelt getragen wurde, und prompt hatten Rufus und Rhonda ihr so etwas zusammengeschneidert. Allerdings unterstrich das Kleid die Anmut und feste Biegsamkeit der Außerirdischen noch, sodass es ihm nicht allzu viel ausmachte. So
blieb mehr für die Phantasie. Und davon hatte Adrian reichlich.
Er sah auf den Bildschirm, als sie wieder einmal lachte. Dabei wanderten ihre Augen kurz zu der Kamera, und fast hatte er das Gefühl, sie wüsste, wer vor den Monitoren saß. Sie lächelte, schaltete den Bildschirm aus, und begann, sich bettfertig zu machen. Adrian lehnte sich zurück und vergaß für ein paar Minuten die Welt.