Es herrschte eine gespenstische Ruhe. Nur noch wenige Personen hielten sich in dem Abteil auf, in dem Momente zuvor ein Kampf auf Leben und Tod getobt hatte. Vereinzelte Kleidungsstücke lagen noch auf den Sitzplätzen herum, wo unzählige elfische Reisende um ihr Leben gefürchtet hatten, während mehrere Taschen und Rucksäcke die blutigen Schleifspuren säumten, die vom vorderen Teil des Wagens zu einigen Leichen führten. Die getöteten Mitglieder von Alamos 20K wirkten ziemlich achtlos aufeinandergestapelt und türmten sich
vor einem Getränkeautomaten der Telestrian Industries Corporation, aus dem regelmäßig fröhliche Jingles und mehrsprachige Werbebotschaften erklangen. Während nun eine emotionale Frauenstimme - aus dem Automaten - den vitalisierenden und höchstwahrscheinlich aphrodisierenden Effekt von echtem Tír-Sojkaff anpries, waren vom Ende des Abteils, welches von einem Luftelementar ziemlich verwüstet worden war, immer noch die Stimmen mehrerer miteinander diskutierender Sicherheitsoffiziere zu
hören. Am anderen Ende ließ Nox SanJuan die herrschende Stimmung kurz auf sich einwirken, während er zum x-ten Mal den Timer in seinem Gesichtsfeld kontrollierte. In weniger als 10 Minuten würden sie den externen Grenzbahnhof Portlands erreichen. Eigentlich eine gute Nachricht. Wenn ihm nicht immer noch dieses undefinierbare Unbehagen im Nacken sitzen würde. Sein Blick wanderte vom hochgeklappten Matrixterminal zu Hiau Tzü. Sie saßen sich in der ersten Sitznische am Anfang des Wagens gegenüber und
warteten eigentlich auf ein Lebenszeichen Tzys. Die Deckerin hatte sich erst vor knapp ein paar Sekunden das letzte Mal gemeldet. Aber beiden kam es vor, als wäre es Stunden her. Inzwischen hatte die Asiatin ein Bein auf die Sitzfläche angezogen und die Arme darum verschränkt, während sie das andere hängen ließ und nervös mit dem Fuß wippte. Was Nox äußerst faszinierend fand. Denn die Bewegung war absolut natürlich und harmonisch. Die zierliche Frau war ziemlich unscheinbar in ihrem Aussehen und wirkte in ihrem Zoé Futura Anzug auf den ersten Blick wie ein echter
Sarariman. Doch bereits am Gelenk ihrer linken Hand, und an einigen Stellen um ihren Hals herum, war durch einige Risse in der falschen Haut eine massive Dermalpanzerung zu erkennen. Eigentlich hätte er einige der typischen Eigenarten von stark Verchromten von ihr erwartet. Diese kleinen Besonderheiten, die stets verrieten, dass ein gesunder Körper durch unzähligen Implantate und Eingriffe aus dem Gleichgewicht geraten war. Doch bei ihr war dies nicht der Fall. Es bestätigte nur den Eindruck, den er schon beim askennen bekommen hatte. Denn obwohl Kopf und Rumpf der Frau
einen sehr dunklen Schatten aufwiesen, strahlte ihre Aura immer noch in unerwartet leuchtenden Tönen. Zwar waren unzählige Verzerrungen gut sichtbar, wohl durch brutalste Verletzungen entstanden, die sehr wahrscheinlich nie richtig geheilt worden waren, und bei denen man wohl die betroffenen Partien oder Organe bloß ersetzt oder ausgebessert hatte; aber all das hatte die Helligkeit nicht gedimmt. Diese Frau musste einen unbezwingbaren Überlebenswillen haben! Und sehr wahrscheinlich ein kaum vorhandenes Körperbewusstsein. Vielleicht hatte dies mit der Tatsache zu tun, dass sie kein Mensch im
eigentlichen Sinn war… Hiau Tzü sah auf und erwiderte den Blick. „Alles in Ordnung, Mylady?" fragte er sie auf Mandarin. Die Asiatin nickte. Und Nox wusste, dass sie log. Es war sehr gut an ihrer Aura abzulesen. Irgendetwas machte ihr grauenhaft zu schaffen. Doch es war nicht nur die Untätigkeit... Sie wäre wohl lieber schon jetzt in Portland gewesen, als erst in einigen Minuten. Im Monitor zwischen ihnen knisterte es und eine fortlaufende Schrift erwachte, während eine undefinierbare
Frauenstimme daraus den Text aussprach. „Das ist einfach nicht zu glauben. Keines der Dokumente ist gefälscht. Alle Unterlagen sind rechtskräftig und einige sogar über zwei Monate alt! Das Decker-Team, mit dem die Bratach Gheal aneinander geraten ist, war wohl wirklich bloß ein Ablenkungsmanöver. Und das einer davon auf die Delaracirolle getippt hat, ein wirklicher Glückstreffer! Gut das White Ronin sofort auf den Hilferuf eines ihrer ehemaligen Kollegen geantwortet hat. Nur das Zeitmanagement war - gelinde gesagt -
katastrophal. Das einzige übrigens, das ich zwischen dem Zwischenfall mit den Deckern und unserer Lage in Zusammenhang bringen kann, ist die zufällige Löschung aller Sicherheitsaufnahmen des Bahnsteigs, als die Passagiere vor der Abfahrt den Schnellzug bestiegen. Hätte nie erwartet, dass die irren 20Ks eine solch saubere Arbeit leisten könnten. Nun, es gibt absolut keine Möglichkeit, herauszufinden, wie viele Leute von ihnen noch in den folgenden drei Wagen drin sind!" Der Hispanoamerikaner nickte. „Was sind das für Wagen?" „Der Treibwagen; so ein ultramodernes,
futuristisches Teil mit einem drei Wohnblocks langen elfischen Namen. So was wie ‚Das Versprechen der erfolgreichen Morgendämmerung'. TICs momentanes Vorzeigeprodukt und ganzer Stolz. Sollte theoretisch absolut unfallsicher und in der Lage sein, auch ohne Eisenbahnfahrzeugführer sein Ziel erreichen zu können. Als letzter angehängt ist ein HiTek Sicherheitspostwagen der letzten Generation und dazwischen ein Frachtwagen, in dem momentan mehrere Luxuskarossen und eine verdammt hoch versicherte Kunstlieferung transportiert wird." „Könnte das der Grund
sein?" „Kann's nicht sagen. Konnte mich in der kurzen Zeit nicht gerade ins Schatzamt Tírs hacken…" „Wie sind die Waffen an Bord gekommen?" „Ist auch nicht ersichtlich. Kann keine Anomalien in den Dokumenten feststellen, die Aufschluss darüber geben würden. Die Zugkomposition, so wie sie heute unterwegs ist, wurde übrigens schon vor drei Wochen bestimmt und zusammengestellt. Seit dem standen die Wagons nur noch an der Charles Royer Station herum und wurden Tag und Nacht kontrolliert und überwacht. Sogar in regelmäßigen Abständen von
normalem Personal gewartet und gereinigt!" „Vielleicht in diesen drei Wochen?" Meldete sich Hiau Tzü zu Wort. "Kaum, " sprach die Stimme aus dem Terminal weiter, "in Tacoma werden die Tir Schnellzüge ausschließlich von Elfen gewartet. Die Waffen müssen schon vorher an Bord gebracht worden sein." „Wieso drei Wochen?" fragte Nox neugierig. „Seltsame Geschichte. Scheinbar war irgend so ein hohes Tier der Telestrian Industries Corporation mehrfach nicht mit dem Aussehen des Treibwagens zufrieden und hat das Teil sage und schreibe neun Mal umspritzen
lassen!" „Elfen…" murmelte die Asiatin und sah darauf unsicher den Latino an. Doch der wirkte seltsam abwesend. Inzwischen hatten die Sicherheitsoffiziere, die zuvor am Durchgang zu den vorderen Wagen tätig gewesen waren zu ihnen ausgeschlossen. Einer der Elfen räusperte sich und trat vor. „Ich möchte mich nochmals in aller Form und Weise, im Namen von uns allen und dem freien Staate Tír Tairngire, bei ihnen bedanken! Ich denke dass der Prinzenrat sie mindestens mit einer Medaille dafür entlohnen wird!" Alle zogen ihre Dienstmützen aus und
verneigten sich nochmals. Während Nox abwinkte, blickte Hiau Tzü ein wenig verlegen weg. „Und ich möchte sie hiermit bitten, dass sie sich mit uns in das folgende Abteil begeben!" Der jüngste der der Security-Leute trat nun vor. „Es gibt absolut keine Möglichkeit in die vorderen Wagen vorzudringen. Alle Sicherheitssysteme und Kontrollleitungen wurden gekappt. Das ist zwar gut für uns, denn somit haben diejenigen, die den Zug entführt haben keinen Zugriff auf unsere Lebenserhaltungssysteme; aber ebenso ist der Durchgang von der anderen Seite
physisch komplett verriegelt worden. Wir können ihn von dieser Seite aus nicht mehr öffnen." „Selbst mit einem unserer Schweißgeräte würden wir dafür mindestens 20 Minuten benötigen." „Also haben wir entschieden, dass das nicht mehr unser Problem sein soll, denn in wenigen Minuten fahren wir in Portland ein. Und dann wird sich dieses verdammte Rassistenpack der Peace Force gegenüber sehen. Und die sind informiert und haben Blut geleckt!" „Es wäre zwar wünschenswert, dass man diese Schweine abschlachtet, wie sie es mit uns vor hatten; aber zum Wohle des Staates wird man sie wohl lebend vor
Gericht bringen wollen, damit die Gerechtigkeit siegt!" Nox kniff kurz die Augen zusammen. „Wie viele Leute fuhren in diesen Wagen mit?" „Im Moment des Überfalles nur der Zugführer und seine Assistentin. Möglicherweise noch bis zu fünf Sicherheitsbeamte für Fracht, falls diesmal eine wertvolle Ladung mit an Bord war. Aus Sicherheitsgründen haben wir so wenig Kontakt wie nur möglich untereinander. Deswegen betreten wir diesen Bereich auch nur selten. Da sind Passagiere nicht zugelassen!" „Falls jemand von ihnen noch am Leben ist, wird sich die Peace Force um ihre
Rettung kümmern. Und wenn nicht… darum, dass sie gerächt werden!" „Aber damit sie uns nicht noch einmal benutzen können, haben wir uns entschieden die automatische Abschaltung zu aktivieren!" Nox sah das Grüppchen fragend an, während er kurz Unsicherheit in den Augen der Asiatin aufflackern sah. „Das bedeutet?" „In knapp zwei Minuten werden die Haltebolzen, die diese Wagenkomposition mit den Fracht- und Triebwagen verbindet gesprengt. Darauf wird in allen Wägen automatisch die Notbremse aktiviert werden und wir werden zum Stehen kommen. Sie müssen
sich dann nur noch an den Evakuierungsplan halten, der jeweils beim Ausgang vermerkt ist. Wohl zur gleichen Zeit werden die Terroristen unseren Verteidigern der Gerechtigkeit unentrinnbar in die Arme fallen!" Zögernd nickte Nox. „Ich habe hier noch etwas zu tun…" Der älteste der Sicherheitsleute lächelte. „Ich werde sicherlich keiner sein, der ihnen oder ihren Partnerinnen etwas befiehlt. Aber halten sie sich bitte einfach gut fest. Eine Notbremsung mit solch horrender Geschwindigkeit und mit Passagieren an Bord ist noch nie probiert worden! Wir können also nicht sagen, was alles passieren
wird…" Dann verabschiedeten sie sich und bedankten sich noch ein letztes Mal herzlich, als sie aus dem Wagen hinausgingen. Gleichzeitig kamen sie an White Ronin vorbei, die gerade in den Wagen eilte. Kurz berichteten sie auch ihr, zu welchem Entschluss man gekommen war. Unschlüssig sah nun die Asiatin Nox an. „Muss das sein? Gibt es wirklich keine Möglichkeit durchzukommen?" Ihr antwortete die Stimme aus dem Terminal. „Die Schleuse wurde von der anderen Seite luftdicht versiegelt und verankert. Vielleicht könnte man das Schott aufsprengen, aber ich habe keine
Ahnung wie lange das dauern würde. Des weiteren würde das aber auch die Sicherheitstüren im Postwagen automatisch verriegeln. Besitze auch hierzu keine Angaben, wie lange man braucht um die zu knacken. Aber wisst ihr was, dieser verdammte Rigger schüchtert mich langsam wirklich ein. Er hat nicht nur intern alles gekappt und sogar die nötigen I/O Ports zerstört, er schafft es sogar sich den gebündelten Angriffen einiger der besten Decker Tírs entgegen zu stellen und diese immer noch vom Zug fern zu halten. Und wäre nicht unser gemeinsamer Sender Nights, der es mir durch dich ermöglicht, direkt Zugriff auf die internen Konsolen zu
erlangen, ich hätte echt kein Brot dagegen!" „Aber wieso?" Nox richtete sich auf, als White Ronin neben ihn trat und sah sie an, als er weiter sprach. „Das gibt einfach keinen Sinn. Tír Tairngire wird nach diesen rassistischen Übergriffen Himmel und Hölle in Bewegung setzen, sie lebend in die Finger zu kriegen. Sie werden sich hüten, auch nur eine Kugel auf den Zug abzugeben und diesen wohl mit Magie festnageln. Abgesehen davon, dass TICs wohl ihren Prestige-Treibwagen äußerst ungern opfern würde, denn ich glaube dass einigen des Prinzenrates ein solcher Verlust empfindlich wehtun würde. Dass
wissen aber auch diese Irren von Alamo. Wieso dann diese Verbissenheit? Ich meine, wir sind auf Geleisen unterwegs. Ob mit oder ohne den Rigger, wird der Zug in Portland einfahren und dort durch die üblichen Sicherheitseinrichtungen der Schnellbahnen zum Stehen gebracht werden. Ein Entgleisen oder das Verursachen irgendeines anderen Schadens ist unmöglich. Und dafür wird die Peace Force nicht einmal ein einziger Schuss abgeben müssen!" Er folgte seinem Gefühl. „Gibt es irgendwelche Aufnahmen über die Zeit, in der die Malarbeiten an dem Triebwagen
stattfanden?" White Ronin hatte ihre momentane Blöße mit einer weiten Jacke von einem der Sicherheitsleute verdeckt. Aber sie trug immer noch keinen Rock oder eine Hose, und auch keine Schuhe mehr. Ihre perlmutfarbene Seidenbluse hielt inzwischen nur noch an einigen wenigen Knöpfen und darunter war ihr BH gut sichtbar. Dafür zog sich über ihre Beine und den teilweise zerrissenen, weißen Strümpfen, wie auch über die Bluse und sogar dem Hals ein bizarres Muster roter Spritzer fremden Blutes. Sie sah einerseits faszinierend, aber anderseits auch ziemlich einschüchternd
aus. „Alle Passagiere sind jetzt in Sicherheit. Keine weitere Verletzte. Deine kleine Hexe haben wir in die Toilette gehängt und abgeschlossen und auch das verlorene Einhorn hat zu seiner Eigentümerin zurück gefunden. Hast du es dabei?" Nox musste jetzt breit grinsen, als er tief in seine Jacke griff. Manchmal konnte Tzy, wenn man sie ließ, wahre Wunder wirken… Dann zauberte er eine ArmTech MGL-6 hervor. Unter den erstaunten Augen Hiau Tzü warf er diese Ronin zu, zusammen mit einem Magazin Sprenggranaten. „Ihr Talisman!" War Nox Antwort auf
den fragenden Blick. Dann flackerte der Bildschirm auf und teilte sich in sechs verschiedene Fenster, in denen das geschäftige Treiben in einer Arbeitshalle zu verschiedenen Zeitpunkten der letzten drei Wochen zu sehen war. Unzählige Leute in schweren Schutzanzügen waren stets am Treibwagen der Delaracirolle am Arbeiten. Dabei wurden mehrfach sogar Nachtschichten geschoben. Akribisch wurde an einigen Stellen die Farbe mit speziellen Industrie-Spritzpistolen aufgetragen, während an anderen Stellen mehrere Schichten vorsichtig abgedampft
wurden. „Müssen die so gekleidet sein?" „Scheinbar gehört es zur Standard-Arbeitskleidung." Meinte Tzy. „Habe mir sagen lassen, dass diese Farben auch nicht gerade sehr gesundheitsfördernd oder biologisch abbaubar sein sollen. Laut Anmerkungen der abgenommenen Logeinträgen, haben sie übrigens gegen den Schluss sogar die Grundlackierung mehrfach auf alte Farbschichten aufgetragen, um nicht noch mehr kostbare Zeit zu verlieren." „Und das wurde von TICs so geordert?" „Jup, meistens telefonisch, zwei Mal per elektronischer Post. Habe die Unterlagen so genau wie bisher möglich geprüft,
scheint alles sauber. Vielleicht zu sauber…" Nun wuchs jeweils nach fünf Sekunden ein einzelnes Fenster zur Größe des Monitors und konnte man so in Nahaufnahme die Sisyphusarbeit der Angestellten verfolgen. Dabei konnte man genau erkennen, wie die Arbeiter herumgingen, fluchten oder einfach ihr Tagewerk vollbrachten, um es am nächsten Tag wieder zu entfernten. Im Bild war auch das Büro des Abteilungsleiters zu sehen, von dem regelmäßig jemand fluchend herausgestürmt kam oder sich die Arbeiter trafen, um zu rauchen etwas zu trinken, oder allgemein eine Pause
einzulegen. Vor allem in der Nacht hielten sich meistens die Arbeiter dort auf, wenn es ums Besprechen der nächsten Arbeitsschritte ging. Es wurde gerade eine solche Nachtschicht gezeigt und alle drei blickten anstrengend suchend in den Monitor, als Hiau Tzü „HALT!" schrie! „Das ist der Schweizer!" „Wer?" Sie tippte mit dem Finger in der nun eingefrorenen Aufnahme auf eine Silhouette, die für einige Sekundenbruchteile im Büro des Abteilungsleiters zu sehen war. Scheinbar handelte es sich dabei um jemanden, der sich im von der Kamera
nicht erreichbaren Hintergrund des Büros aufgehalten hatte. Eine Pultlampe hatte ihn verraten. Tzy zoomte den Ausschnitt des Büros zwar heran, aber es war eigentlich nicht wirklich etwas zu erkennen. Vor allem brauchte es einiges an Fantasie, um in dem Schatten auch so etwas wie eine Männliche Silhouette zu erkennen. „Sorry Leute, kriege wirklich kein besseres Bild herein. Ich konnte versuchen es durch einen Vergrößerungsraster zu jagen und aufzupeppen, aber das würde einige Minuten gehen. Wer soll das sein?" Nun warf die Asiatin einen Blick in die Runde und begann dann in rasendem
Tempo verschiedene Namen in Mandarin und chinesischen Dialekten abzuzählen. Dabei wuchs der Hass in ihrer Stimme. Nox riss die Augen auf. „Bekommst du die alle mit?" Die Deckerin antwortete nur mit Text. „Nein, aber ich jage jeden Begriff einzeln mit einer Universallsuchroutine ins Netz und verlinke die Ergebnisse mit einem Filter für Treffer." Während White Ronin inzwischen das Bild mit angehaltenem Atem studierte, sah Nox zur Hiau Tzü auf. "Jahr?" „Winter 2052!" „Danke!" meldete sich darauf die Deckerin wieder zu Wort. „Also... ich habe drei Übereinstimmungen. Zwei
davon sind wohl Pseudonyme der gleichen Person. Sie meint einen gewissen Khaled Frérot, ehemals schweizerischer Staatsbürger. Ihm wurde die Staatsangehörigkeit übrigens inzwischen abgesprochen. Ist der Sohn einer schweizerischen Botschafterin und eines französischen Wirtschaftsflüchtlings. Bekanntheit erlangte er dafür, dass er für Genom erfolgreich Kontakt mit Gansus Warlord Xin Laos aufnahm." Ein Bild von einem komplett verchromten Hünen erschien. Und Hiau Tzü nickte mit der Gewissheit eines Menschen, die endlich den Vollstrecker ihrer Familie gefunden
hatte. "Ja, das ist der Schweizer, der damals unter Xin Laos Schutz für Genom die Wirkung von O-2037 Max, dem Hauch des verfluchten Höllendrachens an der Zivilbevölkerung testete!" Die Stimme der Deckerin klang nun verwirrt. „Diesen chemischen Kampfstoff gibt's doch nicht. Das Zeug wäre doch komplett unkontrollierbar und ist doch vom Haager Tribunal schon verboten wurde, als bekannt wurde, das daran geforscht wurde?" Die Asiatin schluckte schwer. „Daran starben knapp 70% der Zivilbevölkerung eines Städtchens, dass es heute nicht mehr gibt. Hauptsächlich Kinder und alte
Leute." „Seid ihr sicher Leute?" Meldete sich erneut Tzy zu Wort. „Ich kann absolut nichts finden, dass beweisen würde, dass er sich in letzter Zeit irgendwo in Seattle aufgehalten hätte. Sein letzter bekannter Aufenthaltsort ist immer noch Warschau, wo er zusammen mit einer ehemaligen Speznas immer noch als Söldner tätig sein soll… darüber hinaus erkennt auch die beste Gesichtserkennungssoftware nur eine Übereinstimmung von 7% zwischen Khaled und diesem sich bewegenden Schatten…" „Glaubt mir bitte. Mein Instinkt hat mich noch nie getäuscht. Ich hab
mehrfach gegen den Schweizer gekämpft und jagte dieses verfluchte Monster zwei Wochen lang, als Xin Laos ihn endlich fallen gelassen hatte... weil er auch ihn hinterging, nachdem er bereits Genom erfolgreich gelinkt hatte!" „Ich tue es!" White Ronins Stimme wurde von dem gut hörbaren Einrasten eines Magazins in die ArmTech begleitet, als sie die Waffe in Richtung des Endes des Abteiles hob. „Tzy, mir ist aufgefallen, dass der kleine Monitor im Büro des Abteilungsleiters neben der Toilette stets das gleiche Programm zeigte. Und das über die letzten zwei Wochen hinweg. Kannst du herausfinden was das war?" Meinte sie
noch. „Jup, gib mir n'e halbe Sekunde!" White Ronin zielte und drückte ab. Kurz zuvor wechselte das Bild. Und sowohl Nox wie auch Hiau Tzü sprangen auf. „Scheiße… Tzy bleib unbedingt dran, wir werden dich auf der anderen Seite brauchen!" Und sie folgten White Ronin in die Druckwelle der Explosion. Von der Explosion aufgeschreckt kamen zwei der Sicherheitsleute in das Abteil gestürmt, als sie an dessen Ende noch erkennen konnten, wie sich der Hispanoamerikaner und die Asiatin
gerade hinter dem weggesprengten Sicherheitsschott der vorderen Zugkomposition - in die sie gehechtet waren - erhoben.
Eine weitere, schwächere Explosion folgte jetzt, als sich die Wagen mit einem Ruck voneinander trennten.
Nur kurz blickten dabei die zwei Security Leute verwirrt auf das Matrixterminal an dem vorher die beide gesessen hatten und die jetzt die Wetterkarte Portlands zeigte. Diese versprach für heute und den folgenden Tagen heftige Winde die über Portland ins Landesinnere blasen sollten.
Dann setzte mit ohrenbetäubendem Kreischen die Notbremsung ein.
Der Vorraum des gegenwärtig letzten Wagens der Delaracirolle war eng. Es hatte gerade Platz für eine Toilette, drei engen Garderobenschränke und ein Kontrollterminal, das bei der Sprengung der Wagentür durch die Mini-Granate vollkommen zerstört worden war. Sowohl die robuste Trennwand, wie auch die Durchgangsschleuse zwischen Vorraum und Frachtraum des staatlichen Tír Tairngire Postwagens waren massiv gepanzert, wobei Letztere nach dem Schuss aus der ArmTech automatisch von innen her verriegelt worden war. Zumindest gab es zu beiden Wagenseiten
eine kleine Fensterfront - obwohl deren Glas durch die Wucht der Explosion geborsten war - und auch das Licht funktionierte noch teilweise. Eine kleine Schiebewand trennte schließlich den Vorraum von der total verwüsteten Rückseite des Wagens, an der sich die Wände scharfkantig, wie bei einer aufgeplatzten Dose, nach außen bogen. Die verkrümmte Wagentüre hatte sich hier mit brutaler Wucht teilweise in die linke Fahrzeugseite und dem Dach gebohrt. Seltsamerweise hatte der darauf abgebildete grüne Baum - das Staatslogo Tír Tairngires - kaum einen Kratzer. White Ronin hatte inzwischen die
Halterung für das Magschloss an der Durchgangsschleuse aus der Verankerung gerissen und machte sich an der Verkabelung dahinter zu schaffen, während ihre zwei Begleiter daran waren ihre Bewaffnung zu überprüfen. Nox lies kurz von seiner HK - Assassin II ab, schüttelte mehrfach den Kopf und hieb sich dabei schwach auf das linke Ohr. „Ich weiß wie es geht und ich kenne auch die nötigen Tricks. Aber ich glaube, ich werde mich niemals daran gewöhnen. Hoffentlich klingt das Pfeifen bald ab. Ihr, meine Damen habt das Problem wohl nicht." White Ronin sah ihn nur kurz an und
schüttelte den Kopf. Hiau Tzü, die gerade mit dem Nachzählen ihrer Magazine für die Glock 88 beschäftigt war, zeigte auf ihre Ohren und murmelte. „Dämpfer!" „Okay, ich weiß, dass dieses O-2037 Max wie Paeniteo mit Brandbeschleuniger wirken soll und darüber hinaus noch als hochgefährlicher genotoxischer Stoff gilt. Was damals in der Schweiz passierte und zur Arkologie Genoms führte, war wohl nur eine kleine Feldübung dafür," meldete sich nun der Hispanoamerikaner erneut zu Wort, „Genom beteuert ja auch heutzutage noch, dass sie das Projekt bereits in der Planungsphase abgebrochen hätten, als
ihnen bewusst wurde, wie gefährlich dieses Mutagen wirklich ist. Bei uns nennen sie es übrigens die Schweizer Pest, Mylady." Die Chinesin nickte, während sie jetzt mit einer HK - Assassin II beschäftigt war. „Nun, das Ding ist zu heiß für Alamos 20K. Wenn es sich wirklich um die Schweizer Pest handelt, steckt da jemand anderes dahinter!" Er warf sich seine Assassin um. „Augenblicklich ist Tzy gerade kräftig daran, sowohl der Peace Force, wie auch der Bratach Gheal genug Verdachtsmomente zukommen zu lassen, damit sie auch diese Möglichkeit in
Betracht ziehen. Leider hat sie sie so auf sich aufmerksam gemacht und wird momentan als potentieller Feind betrachtet. Aber unsere Spitzohren werden wohl schlau genug sein, die Delaracirolle oder was von ihr übrig geblieben ist, nicht direkt anzugreifen. Vor allem nicht, weil der Grenzbahnhof von Portland - gerade wegen der Angst vor terroristischen Anschlägen - mit einem Sicherheitsgleis ausgerüstet ist, auf dem JEDER Schnellzug ohne Probleme zum Halten gebracht werden kann. Und steht dieser einmal, fällt es ihnen sicherlich viel leichter, zu entscheiden, ob man ihn und seine Insassen mit oder ohne Magie in den
Orkus blasten will." Er hielt kurz inne und schien dabei gegen die Toilettentüre in die Ferne zu blicken. „Bleibt uns einfach nur, uns zu vergewissern, dass wer auch immer da vorne im Triebwagen hockt, nicht auf dumme Ideen kommt, bevor der Delaracirolle nicht sicher in Portland ist. Und wenn es uns dabei noch gelingt ihnen die Schweizer Pest abzunehmen, von der Tzy übrigens immer noch nicht überzeugt ist, umso besser!" Er kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Was mir aber persönlich Kopfweh bereitet, ist die Tatsache, dass es unbedingt Alamo sein musste. Vor
allem... weil es zu Todesfällen unter Elfen gekommen ist und sich wegen den beteiligten Zivilisten die Nachricht darüber inzwischen wohl wie ein Lauffeuer im ganzen Elfenreich verbreitet hat." „Wieso?" Fragte Hiau Tzü. „Bei jedem anderen terroristischen Akt hätte man den Bahnhof hermetisch abgeriegelt und niemand hätte jemals erfahren wie es ausgegangen oder wer daran beteiligt war - geschweige denn ob es jemals einen Zwischenfall gab. Aber bei einer derart eklatanten Zurschaustellung von Rassismus, kippt die Sache. Dann wird es für die Spitzohren persönlich und die Regierung
steht durch den Druck der Öffentlichkeit unter Zugzwang!" Er rieb sich die Augen. "Ich rechne damit, dass das Staatstrid sehr wahrscheinlich eine mehrköpfige Delegation vor Ort haben wird, zusammen mit allem was das elfische Militär aufbieten kann, um zu demonstrieren, dass man sich bewusst ist, dass dies ein Angriff auf die Integrität des Staates ist! Dabei werden unsere elfische Apparatschiks absolut nichts auslassen, um während einer Live-Übertragung die Terroristen dingfest zu machen, sie durch die Medien zu schleifen und dann in einem weltweit ausgestrahlten ‚fairen'
Gerichtsverfahren abzuurteilen. Um sie dann für den Rest ihres Lebens wegzusperren." „Das ist nicht gut!" meinte die Asiatin nervös. „Das sie verurteilt werden sollen?" „Nein, es ist nur… damals entwickelte der Schweizer für Xin Laos ein Verfahren, wie man den Hauch des verfluchten Höllendrachens direkt unter die Opfer bringen kann, ohne das diese die Gefahr bemerken." Ihre Stimme klang besorgt. "Fragt mich nicht nach Details. Ich habe es schon damals nicht wirklich begriffen... und das ist schon ziemlich lange her. Aber es gelang ihnen
scheinbar das O-2037 Max in eine harmlose, aber unidentifizierbare chemisch stabile Form zu bringen, die mit einem geleeartigen Trägermedium vermengt, wie eine Grundierung auf Metall aufgetragen werden konnte. Die Oberfläche des Metalls wurde dabei zuvor mit einem chemischen Agent behandelt, der sobald die Oberflächentemperatur über 125 Grad Fahrenheit stieg, zu verdampfen begann. Dabei verband sich dieser mit dem Hauch des verfluchten Höllendrachens, löste ihn vom Trägermedium und aktivierte ihn auch sogleich. So konnte sich das Aerosol auch innerhalb versiegelten Orten verteilen. Vor allem
Waffen und Fahrzeugmotoren wurden damit mehrheitlich präpariert. Inmitten grösseren Menschenansammlungen, waren die Folgen katastrophal!" Nox wollte gerade etwas einwerfen, als er entsetzt inne hielt. Seine Augen weiteten sich. „Dios…" White Ronin nickte nur. „TIC hat erst letztes Jahr alle Fahrzeuge ihres öffentlichen Dienstes mit einer ‚selbstreinigenden Oberfläche' oder 'unbeschmutzbare Haut', wie sie es getauft haben, ausgestattet. Ein Prestige-Treibwagen ist da wohl auch keine Ausnahme!" Der Latino kniff kopfschüttelnd die Augen zu. „Du hast so verdammt recht,
meine Dame!" „Was ist so speziell daran?" „Sobald das Fahrzeug steht Mylady, wird Strom durch die Außenhülle geleitet. Dabei steht die Fahrzeugoberläche kurzzeitig unter einer leichter Spannung, die dafür sorgt, dass daran haftende Partikel, also Dreck und Schmutz, mehrheitlich abgestoßen werden." Er holte tief Luft. „Diese spezielle, schmutzabstoßende Haut wird bei diesem Verfahren nebenbei auf über 140 Grad Fahrenheit erhitzt!" „Das startet automatisch nur Sekunden nachdem die Zugmaschine zum Stehen gekommen ist und dauert mehrere
Minuten!" Nox rieb sich die Nasenwurzel. „Lasst mich mal raten Mylady, es sind neun Durchgänge nötig, um die perfekte Mischung für dieses Höllenzeug hinzubringen." Hiau Tzü nickte langsam. "Sie haben den Hauch des verfluchten Höllendrachens nicht bei sich, sie begleiten ihn nur ans Ziel!" „Wenn die meteorologische Karte von vorhin stimmt, verteilt sich das Toxin über die halbe Stadt, noch während sie die Delaracirolle am sichern sind..." kurz versagte ihm die Stimme, "hast du das mitgekriegt Tzy." Als der Hispanoamerikaner wieder in
eine undefinierbare Ferne blickte, schien er auch gleichzeitig etwas zu riechen. Angespannt zog er hierbei die Luft durch die Nase und wirkte ziemlich irritiert. Schließlich fuhr er zur Toilette herum, klemmte die Türe fest, drückte den Abfluss des Waschbeckens zu und ließ Wasser einlaufen. Er klang ziemlich gefasst. "Das wird ihnen wie der Weltuntergang vorkommen!" "Oder wie Ragnarök!" Nox sah White Ronin entgeistert an, nickte aber zustimmend. Noch bevor sich jetzt Hiau Tzü nach der Bedeutung des kryptischen Wortwechsels erkundigen konnte, donnerte White Ronin mit voller Wucht ihre Faust in die
Durchgangsschleuse und hielt kurz inne um mehrfach beruhigend durchzuatmen. Sofort machte sie sich wieder an den Kabeln zu schaffen. „Die Delaracirolle darf Cara'Sir nie erreichen!" "Cara'Sir?" "Portland," meinte Nox, „bin gleicher Meinung. Aber sowohl die Decker der Peace Force, wie auch unser Rigger irgendwo da vorne haben strickt was dagegen. Und laut Tzy, machen sie jetzt sogar Jagd auf sie. Niemand mehr nimmt uns diese Geschichte noch ab. Aber vor allem, müssen wir den Treibwagen zerstören. Wir sind inzwischen zu nahe dran. Der Zug darf unter keinen Umständen zum Stehen
kommen!" Hiau Tzü musste währenddessen verwundert erleben, wie der Latino seinen Oberkörper entblößte und die ganze Kleidung in das gefüllte Waschbecken stopfte. „Können wir den Zug ablenken, um Zeit zu gewinnen?" Fragte sie. Nox der gerade daran war sein Jeanshemd im Wasser zu ertränken blickte suchend in die Ferne. „Die Strecke ist eigentlich geradlinig und besitzt keine Abzweigungen. Aber Tzy macht mich gerade darauf aufmerksam, dass bei der Erstellung des Bahnhofes ein Wartungsgleis für die Schnellzüge existierte, über die sie anfänglich zurück
in das Entwicklungs- und Testareal konnten. Es scheint noch nicht außer Betrieb, nur inaktiv zu sein und sollte sich gerade bei der Einfahrt in den Bahnhof befinden." Er schien Hoffnung zu schöpfen. „Tzy könnte sehr wahrscheinlich im richtigen Augenblick die Weichen stellen und wir hätten bis dahin noch ganze zehn Minuten!" Nox grinste. „Falls wir die Delaracirolle mit ihren mehr als 200 Meilen pro Stunde drauf bringen, sind die Chancen extrem groß, dass sie uns entgleist ohne dass der Selbstreinigungsmechanismus aktiviert wird." Der Hispanoamerikaner hielt kurz inne,
während in seiner Stimme ein verzweifelter Unterton mitschwang. „Ich weiß Tzy, dass dir sowohl die Peace Force im Nacken hockt, wie auch dieser Rigger die Hölle heiß macht. Aber du bist verdammt nochmals unsere einzige Chance!" Er blickte zu den Frauen und beide nickten zustimmend. „Tzy, vertrau mir! Ich schwöre dir hier und jetzt: Wir werden dafür sorgen, dass sowohl der störrische Bordcomputer der Delaracirolle wie auch dieser vermaledeite Rigger ausgeschaltet sind, wenn du dich ins öffentliche Netz Tír Tairngires hackst, um die Weichen zu stellen. Mit der Peace Force musst du
jedoch selber fertig werden. Wir haben wirklich nur diese eine Chance!" Er lächelte schwach, als er sich mit beiden Händen am Beckenrand abstützte. „Du sagst es. Es ist wahrlich ein wunderschöner Tag, um mit Freunden zu Sterben…" Dann gab er sich einen Ruck und sah wieder auf. White Ronin erwiderte nur kurz sein Lächeln, während Hiau Tzü zustimmend nickte. „Wer auch immer dies hier geplant hat", sprach er mit einer Spur Bewunderung, „ hat seine Hausaufgaben perfekt gemacht. In dieser kurzen Zeit ist auch das schnellste Team nicht rechtzeitig vor
Ort. Und magisch erst recht nicht. Da vorne erwartet uns überdies noch mindestens ein ziemlich starker Magier mit Anhang. Mir ist kein militärisches oder paramilitärisches Team bekannt, das hier noch rechtzeitig hätte eingreifen können..." Ein FED-Boeing RXT Hubschrauber mit den Farben des Salish-Shidhe Councils umrundete nun plötzlich den fahrenden Zug, und rauschte in Richtung Zugmaschine vorbei. Überrascht, und mit einem Funken Hoffnung, fuhr Nox zu White Ronin herum - ebenso die Asiatin. Doch die Elfe schüttelte nur den Kopf. "Die Kennnummer ist
falsch!" Während jetzt Nox die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben stand, streckte Hiau Tzü die Hand aus. Ein langer Blick zwischen den beiden Frauen folgte. Dann legte ihr White Ronin stumm die ArmTech MGL-6 in die Hand. Schon fast zu vorsichtig, hangelte sich der blondhaarige Mann mit smaragdgrünen Augen nervös an den Kufen des FED-Boeing RXT hoch, der parallel zum Schnellzug flog und sich dabei teilweise auf dessen Dach abstütze. Hierbei kniete Padraic Kilroy Farquhar, den die anderen nur unter seinem
Straßennamen Calaitin kannten, mit dem linken Bein auf der Kante der hintersten Dachluke des Triebwagens. Doch obwohl er von einem Luftelementar eingehüllt und geschützt wurde, rauschte und zerrte der Fahrtwind dennoch so erbarmungslos an ihm, als befände er sich bloß im Auge eines Orkans, der ihn jederzeit ohne Vorwarnung verschlingen könnte. Und die Tatsache, dass um ihn herum die Landschaft nur aus einem wirren Farbenspiel bestand, welches mit schwindelerregendem Tempo vorbeirauschte, empfand er nicht gerade als beruhigend. Mit zitternder Hand erreichte er schließlich die Kante der offenen Einstiegsluke des Helikopters
und begann sich vorsichtig daran hoch zu ziehen, doch irgendwie wollten ihm im Moment seine Beine nicht so richtig gehorchen. „Schlaf nicht ein!" Erklang durch die Luke aus dem Wagen unter ihm eine tiefe Männerstimme. „Seid ihr wirklich sicher, dass das hier sicher ist?" Meinte hierauf der Magier, als seine Hand von der Kante rutschte und er sich erneut an die Kufen klammerte. Irgendwie hatte er immer noch Mühe damit, dass die Boing nur mit minimalem Kontakt zum rasenden Schnellzug an der Stelle fixiert bleiben konnte und sich selbst bei den Kurven
kaum von der Stelle bewegte. Auch wenn er Ehecatl und dessen Fähigkeiten vertraute - das hier war ihm unheimlich. Ein Frauenkopf mit kupferfarbenem Stoppelhaar tauchte aus der Öffnung unter ihm auf. „Bitte Calaitin, gerade du musst das fragen? Reiß dich endlich zusammen. Du selbst hattest doch behauptet, dass das mit Hilfe deines Luftelementares bloß ein Spaziergang sein würde." „Wieso musste ich dann als erster gehen?" „Zieh doch diesen gepanzerten Scheißkragen aus. Du kannst ja deinen Kopf kaum bewegen, " meldete sich erneut die Männerstimme zu Wort,
„Mann du bist schon so schwer gepanzert und in tausend und einem Schutzzauber gehüllt, dass dir der Zug unter dem Arsch hochgehen könnte und du würdest keinen Kratzer abkriegen." Die Frau, über deren knochigen Wangen grellbunte Federn tätowiert waren, warf einen warnenden Blick nach unten. „Lass ihn in Ruhe Ares." Währenddessen hatte sie sich im Schutze des Luftelementares weiter hinaus gewagt und stützte den Magier nun, schob ihn an seinem Hinterteil in die Höhe. Unsicher blickte sie dabei wieder in die Dachluke hinunter. „Ehecatl, wie sieht's
aus?" Der Rigger, der im schmalen Seitengang des Triebwagens stand und gegen eine Wand lehnte, an dessen Terminal er eingestöpselt war, hob die Hand zum O.K. Zeichen. „Habe Lok und Heli im Griff - Geschwindigkeiten sind perfekt getimt. Und es befindet sich kein Fahrzeug im Radius von -zig Meilen, das uns irgendwie gefährlich werden könnte. Da kann absolut nichts schief gehen. Sag einfach unserem Angsthasen von einem Magier, dass ich gerne einsteigen würde, bevor wir in Portland einfahren." „Ich hätte ihn doch reinwerfen sollen, wie ich bereits vorgeschlagen hatte!" „ARES,
bitte!" Der Hüne sprang jetzt kurzerhand zur Luke hoch und streckte neben der sehnigen Frau, die sich weiterhin an der in der Fahrzeugwand verankerten Leiter abstützte seinen Kopf ins Freie. „Soll ich helfen?" Während sich nun der Magier sichtlich verkrampfte, musste der Straßensamurai lauthals lachen und kassierte einen Rippenstoß von Sládka. Doch gerade als er wieder nach unten steigen wollte, erstarrte er. „Merde!" „Was?" Sowohl die Frau, wie auch der Magier fragten dasselbe - nur schwang bei letzterem die nackte Angst
mit. Der Hüne wies nach Hinten ans Ende der noch angehängten Waggons, wo man am Postwagen eine asiatische Frau erkennen konnte, die sich mühsam mit einer Hand irgendwo festhielt und die Augen zukniff, während sie gegen den Fahrtwind kämpfte. Sie hob gleichzeitig eine Waffe in ihre Richtung. „Macht mir nicht noch mehr Angst!" Als Sládka auszumachen versuchte, wer oder was das sein konnte, schrie Ares erneut. „Es ist eine verdammte Armtech!" Instinktiv ließ sie sich fallen, packte dabei den Hosenbund Padraics und riss ihn mit sich.
„Runter!" Ares der bereits seine Nitama - Daisho gezückt hatte, blieb nicht viel mehr, als mit dem Sturmgewehr ins Wageninnere zurück zu springen. Während hier die Frau auf den Füßen landete, knallte Calaitin ziemlich unsanft auf seinen Hintern. Gleichzeitig wichen auch die zwei asiatischen Söldnerkollegen des Straßensamurais verwirrt in den Gang zurück, die bisher erwartungsvoll neben der Leiter gewartet hatten. „Was zum Teufel?" entfuhr es Ehecatl. Und während sich die Schimpftiraden des Magiers mit der Verwunderung des Riggers mischte, erzitterte brutal der
Triebwagen. Sein Heck wurde dermaßen in die Schienen gedrückt, das die Räder kreischend protestierten und das Dach auf Höhe der Luke eingedrückt wurde, als bestünde es aus Wellblech. Mit einem ohrenbetäubenden Knall explodierte der Hubschrauber über ihnen und spuckte Glas und rotglühende Trümmer durch die Dachluke auf die verdutzten Personen hinunter. Wer nicht von den Trümmern getroffen wurde, wurde dafür im schmalen Seitengang durch eine bösartige Druckwelle umgeworfen, die den Triebwagen gefährlich schlingern ließ. Schützend warf sich Ares über Sládka, während Calaitins Seidejacke Feuer fing und er sich schreiend davon
befreien musste. Flackernd erlosch alles Licht für die Dauer mehrerer Herzschläge. Dann war der Hubschrauber spurlos verschwunden. „Schei… ich habe kein Signal mehr von der Boeing?!?" Noch während der Wagen immer noch gefährlich schwankte, schoss Sládka hoch und packte ziemlich unsanft den Rigger am Kragen. „Wieso hast du sie nicht gesehen?" Der Amerindianer versuchte sich aus dem Würgegriff zu winden, während sich der Straßensamurai kopfschüttelnd und mit einem bösartigen Grollen erhob. Dieser schüttelte sich dabei kurz und
warf dann seinen zwei verunsichert dreinblickenden Begleitern einen finsteren Blick zu. „Wir sind noch nicht fertig. Wer auch immer das getan hat, der gehört mir!" Dann stürmte er in Richtung des Postwagens. „Sie müssen sich durch die Luke gesprengt haben!" „Und das hast du nicht gesehen?" „Ich dachte, sie hätten dabei die Passagierwägen freigesprengt." Die Frau warf jetzt den Rigger achtlos gegen die Wand und fuhr zum Magier herum, der entsetzt die rauchenden Überreste seines ehemals modischen Kleidungsstückes betrachtete. „Tja, wird
doch nicht so einfach wie angenommen. Ab jetzt tritt Plan Omega in Kraft! Wir bleiben hier bis zum bitteren Ende. Und egal was auch passiert. Ich will die Köpfe dieser Eindringlinge auf einem Silbertablett!"
Khaled Frérot und Padraic Kilroy Farquhar eilten durch den Frachtwagen der Delaracirolle zur Sicherheitsschleuse des Postwagens. Wie Schatten folgten ihnen zwei asiatischen Messerklauen, die Padraic nur als Deimos und Phobos kannte. Was absolut zum Job gehörte; denn ihn kannten die zwei siamesischen Zwillinge - so wirkten sie zumindest auf
ihn - auch nur unter seinem Straßennamen Calaitin. Ein wenig besorgt war er momentan über die Tatsache, dass bisher noch keiner der vier Watcher zurückgekommen war, die er in den Wagen vor ihnen geschickt hatte. Aber das konnte im Moment vieles bedeuten. Zumindest war er sich immer noch absolut sicher, dass kein weiterer Magier mehr an Bord dieses ‚Boten des Jüngsten Gerichts‘ war. Sehr wahrscheinlich hatten ihre Gegner auch diese aufdringliche 20K Schlampe einer Mestizin bereits gegrillt… was irgendwie schon fast bedauerlich war - weil sie eigentlich die einzige dieses ganzen chaotischen Haufens gewesen
war, die er überhaupt auf Augenhöhe erlebt hatte. Aber für seinen Geschmack blieb sie trotzdem bloß ein aufdringlicher und ungebildeter Bauerntrampel. Kein Wunder, dass diese Alamos-Witzbolde niemand richtig ernst nehmen konnte. Kurz fesselte eine marmorne Büste seine Aufmerksamkeit. Der dargestellte Mann war hager, mit hoher Stirnglatze, markanter Nase, einem weit ausladenden Hinterkopf und einen langen, faltigen Hals. Sein Anblick hatte ihm schon nicht behagt, als er aus reiner Neugierde - beim ersten Durchqueren des Wagens - mehrere der hölzernen Transportkisten geöffnet
hatte. Denn irgendwie hatte er in diesen Behältern aus natürlichem Holz einen wirklich wertvollen Schatz erwartet. Aber nicht das Abbild eines älteren, griesgrämig dreinblickenden Mannes, der nach einem Pizza-Großverteiler benannt war… als Rache für die Enttäuschung hatte er ihm einen Zwirbelbart aufgemalt und sich dafür mehrere der Späne aus echtem Holz eingepackt. So etwas konnte sich wirklich nur ein Spitzohr ins Schlafzimmer stellen. Das schräge Teil gehörte zu unzähligen weiteren hölzerne Klimakisten und zwei mannshohen Statuen nackter Jünglinge, die wohl die Kunstsammlung ausmachten, mit dem das riesige
Frachtabteil schon fast bis zum Bersten gefüllt war. Nachdem er bei dem irritierenden Anblick der fürwahr sexistischen Statuen seine Ansicht der Elfen Tír Tairngires zweifelsfrei bestätigt bekommen hatte, hatte sich Padraic nicht weiter mit den Transportkisten und den darin gelagerten Gemälden beschäftigen wollen. Er hatte sogar kurzzeitig mit dem Gedanken gespielt, die nach oben aufklappbaren Ladeluken des Frachtwagens zu öffnen und den ganzen Schrott während der Fahrt rauszuwerfen. Aber kaum hatte er die Sicherungsbolzen gelöst, hatte er einen derartigen Anschiss von Ehecatl kassiert, dass ihm Alekto dafür fast den
Kopf abgerissen hätte. Also hatte er artig die Finger davon gelassen. Ares und seine Schatten hatten inzwischen die gegenüberliegende Wand erreicht und gingen nun daran, in Windeseile noch ein letztes Mal ihre Sturmgewehre und Maschinenpistolen zu checken. Der Magier blieb dafür neben dem eigentlichen Blickfang des Abteils stehen. Die zwei Fahrzeuge in der Mitte des Raumes ruhten auf Paletten, die ihrerseits mit dem Boden verschraubt waren und die Räder der Luxuslimousinen mit massiven
Wegfahrsperren an jedem Rad felsenfest sicherten. Sie waren zwar mit gepanzerten Schutzplanen abgedeckt und mit mehreren Spanngurten fixiert, aber ihre unverkennbaren Umrisse verrieten sie. Das waren eindeutig zwei Rolls Royce Phaetons. Da ihm diese Fahrzeuge kürzer erschienen, als er sie in Erinnerung hatte, konnte es sich bei ihnen sogar um Helios-Sondermodelle handeln; die weltweit nur in einer begrenzten Stückzahl von achtzehn Exemplaren produziert worden waren. Das non-plus Ultra des Fahrkomforts und der Sicherheit auf der Straße. Es biss ihn schon ein wenig, dass er
keinen Blick drauf hatte werfen dürfen. Und das hatte er dann auch an den fünf Wachleuten ausgelassen, deren Leichen zwischen den Limousinen wie hingeworfen aufeinander gestapelt lagen. Es war Alektos ausdrücklicher Befehl gewesen, sie so schnell wie möglich zu töten; ansonsten hätte er sie noch ein wenig leiden lassen. Aber so waren sie bereits bewusstlos gewesen, bevor sie wirklich realisiert hatten, dass sie erstickten. Vor ihren leblosen Körpern - mit Handschellen an die Spanngurte einer der Limousinen gefesselt - rang inzwischen eine junge Elfe verzweifelt nach Luft. Die Frau, die die Uniform
eines Zugführers trug, hatte dabei eine unnatürliche violette Färbung im Gesicht, während sie mit blutroten Augen verloren in die Ferne starrte. Wie er es seinem Luftelementar befohlen hatte, war sie zwar immer noch knapp bei Bewusstsein, aber zu sehr damit beschäftigt, um ihr Überleben zu ringen, als dass sie die Ereignisse um sich herum bewusst wahrnahm. Während er nun auch noch sein Feuerelementar herbei rief, fokussierte er sich auf Khaled, der ihn vor dem Durchgang zum Postwagen erwartungsvoll ansah. „Ehecatl sprach von höchstens drei oder vier Eindringlingen. Schnapp dir also
diese verfluchte Hexe, die den Heli auf dem Gewissen hat und überlasse ruhig den Rest mir,“ übermittelte er ihm lautlos in Gedanken, „ich werde hier noch eine nette, fette Überraschung für sie bereit halten!“ Dann verneigte sich Calaitin und wurde unsichtbar. Als sie zum Postwagen hinübersetzten, befahl Khaled Frérot seinen Leuten, die Schleuse auf dieser Seite zu entsichern. Der über zwei Meter große Hüne hatte schon die ganze Zeit ein nagendes Gefühl im Nacken, wie er es schon seit Jahren nicht mehr gespürt hatte. Und das, seit er diese Asiatin am Ende des
Zuges gesehen hatte. Die Begegnung hatte zwar nicht gereicht, um sie zu identifizieren - und auch die Zeit war zu kurz gewesen, dass er genug visuelle Daten erhalten hätte, damit seine Headware was damit hätte anfangen können. Aber irgendetwas in der Tiefe seines Gehirnes sagte ihm, dass er diese Frau kannte… dass er ihr schon mal begegnet war. Und dass er sie töten musste… Durch die kleine Fensterfront war nichts Außergewöhnliches im Postwagen zu erkennen. Alles sah ruhig und geordnet aus - herrschte eine trügerische Ruhe. Der Hüne wies Kang an, die innere Schleuse zu öffnen, während er und Xie
sich kampfbereit machten. Im Moment würden sie auf ihre Nitama - Tantos vertrauen. Die Schleuse fuhr eine Spur zu schnell auf und sie huschten hinein, als eine erste, gezielte Salve die Kontrollsteuerung der Türe zerstörte. Noch während Phobos - oder Xie Chunqiao, zur Linken auswich, brach förmlich die Hölle los. Das Deckungsfeuer kam überraschenderweise aus dem anderen Ende des Abteils. Dabei hatte er es eigentlich weiter vorne erwartet. Khaled zählte hierbei mindestens zwei HK - Assassin II die gleichzeitig feuerten, als er sich hinter einem metallischen Pult in
Position brachte, um das Feuer zu erwidern. Doch er musste zurückweichen, als es dem Angreifer gelang, mehrere Abpraller unter dem Pult so zu setzen, dass sie mindestens zwei Mal seine Stiefel trafen. Ein weiterer Abpraller traf nun seinen Helm, während der Kugelhagel sich förmlich um ihn herum zusammen zu ziehen begann. Dabei war er sich inzwischen absolut sicher, dass er einem einzelnen Gegner gegenüberstand, der sich mit zwei Maschinenpistolen auf ihn einzuschießen begann. Sein Pech... Er brauchte jetzt nur einen kurzen Augenblick - um sich der Schussrate so
anzupassen, dass er zum schießen kurz hochsehen konnte, als zumindest eines der Magazine des Gegners leer war. Dieser würde nicht schnell genug sein, um das Magazin zu wechseln. Noch während er zum Schuss ansetzte, musste er jedoch erkennen, dass der Gegner nicht nur nicht mehr dort war, wo er ihn erwartet hatte, sondern dass ihm gerade auch eine leere HK - Assassin II entgegen geflogen kam. Die Asiatin hatte mehrere Waffen über den Raum verteilt, auf die sie ausweichen konnte, noch während sie schoss… und sie war verflucht schnell! Er schoss zwar, musste aber gleichzeitig vor dem Wurfgeschoss in Deckung gehen
und weiter zurückweichen, um dabei um Haaresbreiten nicht in eine ihrer Salven zu laufen. Dabei grinste sie, während sie Position wechselte. Im besten Mandarin wurde er nun von ihr in der Hölle willkommen geheißen. Ihm dämmerte jetzt, dass sie ihn scheinbar kannte und wohl sehr genau wusste wie er kämpfte. Noch während seine Headware ihre Stimme analysierte, hielt er dafür nach seinen Schatten Ausschau. Wieso erwiderten diese nicht das Feuer… Nun, ihnen war es auch nicht besser ergangen. Während Xie in einem wilden Handgemenge mit einem hispanisch
wirkenden Menschen oder Elf verwickelt war, wurde Kang von einer halbnackten Elfe förmlich vorgeführt. Zumindest eines war ihm jetzt absolut klar. Das waren keinesfalls Sicherheitsleute der Delaracirolle. Die beiden gehörten eindeutig militärischer Spezialeinsatzkräfte an. Und sie kämpften so, dass er sich eine ziemliche Blöße hätte geben müssen, hätte er seinen Leuten helfen wollen. Darauf wartete die Asiatin wohl. Ihrem gezielten Sperrfeuer ausweichend, musste er sich gleichzeitig eingestehen, dass Deimos absolut keine Chance gegen die nackte Carromeleg-Fotze hatte. Trotz seiner militärischen Ausbildung und der
schweren Körperpanzerung trieb sie ihn wie einen Anfänger vor sich hin. Und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis er einen Fehler begehen und sie ihn knacken würde… Er konnte es förmlich in Kangs verzweifelten Blick lesen, dass er zwar dank seiner Implantate mit ihr mithalten konnte, aber einfach nicht dazu kam, sie auch nur anzukratzen. Eine weitere Salve ließ nun einen heftigen Funkenregen über ihn herniedergehen, als einer der gezielten Schläge der Elfe Deimos Helm beschädigte. Fast wäre währenddessen der Hüne auf einen der Sprengsätze getreten, mit
denen sie den Postwagen noch zusätzlich gespickt hatten. Wenn er nur zu einem sauberen Schuss käme, ohne sich zu weit vorwagen zu müssen… Instinktiv wusste Khaled, dass im Nahkampf höchstens Sládka eine reelle Chance gegen dieses Monster gehabt hätte. Oder... der Magier! Inzwischen trafen ihn immer mehr Abpraller, versuchte die Asiatin gezielt auf die Gelenke seines Körpers los zu gehen und ihn mit gespielten Unterbrüchen der Schussgeschwindigkeit oder scheinbar taktisch ungeschickten Stellungswechsel aus der Reserve zu locken. Wieso riskierte sie es, die ganze Muni zu
verbraten? „Erinnerst du dich noch an unsere letzte Begegnung im Shengrong-Tempel in Jinchang?“ Ein eiskalter Schauer lief dem Hünen den Rücken hinab. Weil sie Huolong - der Feuerdrache war! Und plötzlich ergab alles Sinn. Teilen und erobern! So banal und einfach war es… Er konnte förmlich spüren, wie sie sich näher heran arbeitete. Sie wollte sie einzeln ausschalten. Seltsam, er kannte sie bisher bloß als furchtlose und rücksichtslose, aber individuelle Kämpferin - und hätte vor allem von ihr nicht erwartet, dass sie auf
die Hilfe verkrüppelter Magier angewiesen wäre. Da keiner der beiden bisher Magie eingesetzt hatte, musste er wohl davon ausgehen, dass sie nicht magisch aktiv waren. Nun, Ki-Adepten mochten für sie möglicherweise ein Problem sein. Aber mit ihnen würde Padraic dafür locker fertig werden… Hierbei ergab die Tatsache, dass sie dermaßen Druck nach vorne machten - anstatt die Position zu halten - und dabei sogar riskierten sich ihm gegenüber eine Blöße zu geben, keinen Sinn. Außer… sie wären unter Zeitdruck und versuchten bloß durchzubrechen… Taktisch ergab sich so natürlich ein ganz anderes
Vorgehen. Khaled steckte nun seinen Nitama - Tanto ein und wechselte zur Daisho, funkte dabei seinen Schatten einen eindeutigen Befehl zu. Wenn ihre momentane Gäste gehen wollten, wer sollte sie dann noch aufhalten? Xie und Kang hechteten fast gleichzeitig von ihren Gegnern weg, um sich vor dem Hünen in Position zu bringen und das Feuer auf Hiau Tzü zu konzentrieren, sie so in Deckung zu zwingen. Wie erhofft, nutzten die Adepten den Stellungswechsel nicht aus, sondern schossen förmlich aus dem Abteil hinaus. Zwar versuchte Khaled sie dabei unter Beschuss zu nehmen. Doch während ihm
die halbnackte Elfe förmlich vor den Projektilen des Sturmgewehrs wegschlüpfte, gelang es ihm nicht wirklich die Bewegungen des Hispanoamerikaner wahrzunehmen.
Aber wie erwartet waren beide verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.
‚Viel Spaß noch, Calaitin‘ dachte er, als er mit einem wuchtigen Tritt auf dieser Seite der Schleuse die Türe ins Schloss warf und kampfbereit hochfuhr.
„Feuerdrache, du gehörst mir! Holt sie euch!" rief er, während er noch das absolut hässliche Geräusch einer abgefeuerten ArmTech MGL-6 wahrnahm.
Während der Fahrtwind der Delaracirolle gut hörbar an den entsicherten Ladeluken des Frachtwagens rüttelte, war eine flüsternde Stimme - die einen hypnotischen Singsang sprach - kaum zu hören. Vor allem wurde sie mehrfach von dem Japsen der Assistentin des Zugführers übertönt, welche an die dem Triebwagen näheren Limousine gefesselt war. Die brünette Elfe kämpfte nach Luft ringend verzweifelt darum, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Doch die Sauerstoffkonzentration um ihren Kopf schien dafür einfach zu niedrig zu sein… Ansonsten herrschte einen Herzschlag lang eine trügerische
Ruhe. Einzig das Vibrieren vereinzelter Behälter war noch zu vernehmen. Dann stürmten zwei Gestalten mit der Bestimmtheit einer Naturgewalt aus dem Postwagen in den Frachtraum hinein. Die eine war eine Amazone, die scheinbar nur die gepanzerte Jacke einer der Sicherheitsleute der Delaracirolle trug. Darunter verhüllte einzig eine lädierte Seidenbluse und ein dreckiger BH ihre Blösse, zusammen mit einem Slip und arg zugerichteten, halterlosen Strümpfe. Sie trug nicht einmal mehr Schuhe. Die andere war ein hispanoamerikanischer Elf mit kupierten
Ohren, der scheinbar gerade aus einer gefüllten Badewanne kam, als er nass bis auf die Knochen auf die erste Luxuslimousine in der Mitte des Raumes zu steuerte. Dabei wurde Nox SanJuan fast schon von der atemberaubenden Pracht im Astralraum geblendet. Denn aus jeder einzelnen der hölzernen Klimakisten leuchteten faszinierende Farbenbögen, und glühten die zwei mannshohen Statuen nackter Jünglinge förmlich aus sich heraus. Sie erhellten dabei den ganzen Frachtraum taghell - wenn man das im Astralraum so sagen konnte. Schließlich strahlte hinter den festgezurrten und massiv mit Planen und
Spanngurten gesicherten Luxuslimousinen eine marmorne Büste ähnlich hell. Dazwischen, genau vor dem ersten Helios-Sondermodell, war unter diesen Lichtverhältnissen der feindliche Kampfmagier problemlos auszumachen. Ebenso sein Elementar, das nun wie ein bösartiger Wachhund auf sie zugestürzt kam. Nox übernahm die Spitze. Wie zu erwarten, war das Elementar nicht materialisiert, als er es direkt angriff - auch wenn es für seinen Geschmack eine Spur stärker war als erhofft. Eigentlich war er es gewohnt, sich zuerst
auf die Situation einzustellen und die Lage gründlich zu sondieren, bevor er zur direkten Konfrontation überging. Aber hier und jetzt hatten sie diesen Luxus leider nicht. Denn sie hatten absolut keine Zeit zu verlieren. Nicht nur, weil den Schnellzug Portland immer näher kam - sondern vor allem auch, weil ihm sehr bewusst war, was der Magier vor ihnen gerade am Aussprechen war. Obwohl es einiges einfacher gewesen wäre, das Feuerelementar in manifestierter Form niederzuringen, konnte er dennoch gerne auf die damit einhergehenden sekundären Effekte
verzichten. So landete der Latino mit der Wucht seiner tödlichen Kralle einen gezielten Treffer auf den Kopf des riesigen Salamanders, den diesen verwirrt zu Boden gehen ließ und dabei komplett ausbremste. Es galt, dieses Geschöpf so schnell wie möglich von dieser Ebene zu verdrängen. Währenddessen übersprang White Ronin die zwei Kämpfenden mit einem gewaltigen Sprung, bei dem sie nur um Haaresbreite das Dach des Abteils verfehlte. Noch in der Luft schleuderte sie mehrere Karten durch den Raum auf den fixierten Wagen vor ihr. Einige davon trafen die Schutzplane über
der Luxuslimousine und blieben darin stecken oder zerschnitten diese. Außer einer einzelne Karte, die davor abprallte. Während des Sprunges fokussierte sich White Ronin nun mit ihrem ganzen Körper auf diesen Ort, während sie die Glock 88 in der rechten Hand umso fester packte. Von flirrender Luft und Dampf umgeben, der aus seiner Kleidung aufstieg, versuchte Nox währenddessen mit seinem Willen gegen die Macht der Kreatur zu bestehen und dabei auch durch die Deckung ihres Gegners zu blicken. Denn kein Magier mit gesundem
Menschenverstand stellte sich einem Angriff derart entgegen; wenn er nicht ein Ass im Ärmel hatte. Oder mehrere… Vielleicht vertraute dieser auch nur total seinen Künsten… denn er war gerade mit einem Elfenmassaker beschäftigt, den er bald zu Ende formuliert haben würde. Und es war wirklich ihr Glück, dass dieser Spruch zu den komplexeren gehörte. Was ihnen vielleicht genau die Sekundenbruchteile gab, die sie benötigten um dieses weitere Hindernis wegzufegen. Ansonsten hätte Nox selber wohl Mühe gehabt, den Angriff zu spiegeln. Und es ist nicht auszumachen, wie White Ronin damit fertig geworden
wäre. Diese krachte nun mit den Knien voran und ohne abzubremsen, in den Wagen hinein. Oder zumindest in etwas, das unsichtbar davor gestanden hatte. Zwar unterbrach sie damit den angefangenen Zauber des Magiers und wuchtete ihn so in das Fahrzeug hinter ihm, dass er seinen Unsichtbarkeitszauber fallen lassen musste - aber es gelang ihr nicht, ihm den Atem zu rauben. Bei Nox läuteten deswegen alle Alarmglocken, als er sich jetzt des hell leuchtenden Feldes um den Magier herum bewusst wurde, dass auch für
White Ronin gut sichtbar war. Der verdammte Bastard hatte seine Magie hauptsächlich dafür gebraucht, sich zu tarnen. Deswegen hatte er wohl so lange für den verfluchten Spruch gebraucht. Währenddessen leerte White Ronin das Magazin der Glock in den scheinbar ungeschützten Kopf des Magiers. Doch dabei prallten die Kugeln an dem Glühen das seinen Körper umschloss wirkungslos ab, durchschlugen zwei Abpraller sogar ihre wehende Jacke und verfehlten sie nur um Haaresbreite. Der Hispanoamerikaner ließ nun gänzlich von dem betäubten Elementar ab und stürmte
vor. Sie hatten den Magier wohl in der Eile des Gefechtes unterschätzt. Denn obwohl dieser maskiert war, hatte Nox dennoch mit seiner wahren Sicht einiges ausmachen können. Vor allem die unzähligen Foki die der Magier auf sich trug, hatten ihn kurz wie eine Neonreklame aufleuchten lassen, bis ein wohl verankerter Zauber endlich hochgekommen war und nun versuchte den Mann vor seinen Augen zu tarnen. Dabei war der mächtigste, denn er gesehen hatte wohl ein Spruchabwehrfokus gewesen, den Nox auch so förmlich wahrnehmen konnte. Aber der Kerl besaß auch eine aktive
Klingen- und Projektilrüstung. Und wie es schien sogar eine dieser hässlichen kinetischen Rüstungen. Dafür sprachen auch die mehreren aktiven Zauberspeicher, die ihm kurz aufgefallen waren. Und dennoch war da noch etwas anderes, das im Sorgen machte. Denn dieser Magier versteckte immer noch etwas… „White!“ Brüllte er. Doch die Elfe war zu fixiert, den momentanen Vorteil ihrer Initiative komplett auszunutzen und wohl zu fest unter Zeitdruck, dass sie auch nur einen Gedanken an die Warnung ihres Begleiters verloren
hätte. Calaitin war inzwischen zu Boden gegangen, während seine Angreiferin auf ihn sitzend wie eine Berserkerin auf ihn einschlug. Noch von der Heftigkeit des Angriffes komplett benommen, versuchte er einen brauchbaren Gedanken zu fassen, als er glasklar in den Augen der einschüchternden Elfe über sich deren Absicht erkennen konnte. Ihn gefror das Blut in den Adern und Angst umklammerte sein Herz. Dabei hatte er den Angriff immer noch nicht richtig realisiert und die zwei Eindringlinge nicht einmal wirklich
wahrgenommen. Aber zumindest hielt im Moment sein magischer Panzer und hatte dieser ihre Versuche, ihm die Nase oder den Kiefer zu brechen verhindert. Aber wie lange noch. Er musste bloß… „MACHT…“ Seine Stimme klang schrill und panisch. Nox überanstrengte sich jetzt massiv, um noch rechtzeitig bei der Frau zu sein. Denn inzwischen wusste er, dass der verdammte Magier ein anderes Elementar im Schlepptau hatte. White Ronin musste da weg! Er bereute es inzwischen von ganzem Herzen, dass er ihrem Plan eingewilligt hatte und den Magier ihr überlassen
hatte. Ihm war schon vorher so gewesen, dass diese Leute hier eindeutig von einem anderen Kaliber waren. „… SIE…“ Es waren kaum einige Atemzüge seit ihrem Angriff vergangen, als nun eine wutentbrannte White Ronin den Kopf des Magiers packte, und - nachdem keiner ihrer bisherigen Schläge eine Wirkung gezeigt hatte und sie einfach nicht an sein Gesicht heran kam - brutal herum riss. Padraic Kilroy Farquhar konnte dabei überdeutlich spüren, wie der spezielle Schutzkragen aus Metall und Keramik, der gut getarnt seinen Hals umschloss und sein Kinn stützte, brach und
förmlich unter der unbeschreiblichen Kraft splitterte. Sein Herz setzte dabei förmlich aus, als er kurz die Überraschung in White Ronins Augen sah, während sie mit mörderischer Gewissheit zum zweiten und wohl letzten Versuch ansetzte. „WEG!“ Schlagartig manifestierten sich gleichzeitig ein Luftelementar sowie das Feuerelementar, gegen das Nox zuvor noch gekämpft hatte, zwischen dem Magier und der Elfe. Die brutale Druckveränderung, zusammen mit der abrupten Hitze, erzeugten hierbei eine derart heftige Druckwelle, dass diese den über einer
Tonne schweren, gepanzerten Rolls Royce Phaeton über ihnen knapp einen Meter weit anhob und seine massiven Wegfahrsperren ohne Probleme von der Palette abbrach. Die gepanzerte Schutzplane zerriss wie Papier. Wie Peitschenhiebe schossen gleichzeitig die Spanngurte durch die Luft, während der Magier dermaßen heftig nach unten gedrückt wurde, dass seine Rüstungszauber kurz aussetzen und ihm dabei die Luft brutal aus den Lungen gedrückt wurde. Während nun die Explosion der schlagartig erhitzten Luft als ohrenbetäubender Donner durch den Wagen pflügte, wurden Nox und White
Ronin wie Stoffpuppen auseinander geschleudert. Die Elfe hinterließ dabei eine Spur vereinzelter Karten; die derart im Boden einschlugen, dass sie wie Rasierklingen aufrecht stecken blieben, als sie grausam gegen die Seitenwand knallte. Die Wucht ihres Aufpralles - zusammen mit der Druckwelle - riss dabei die Ladeluke komplett auf, so dass ein großer Teil der Kunstsammlung und eine der Statuen weit aus dem Abteil ins Freie hinaus geblasen wurden. Die Luke selber schwang hierbei komplett aus, krachte wuchtig gegen das Dach und brach seitwärts aus der Verankerung, als sie wieder zurück
schwang. Dabei verhakte sie sich mit lautem, metallischem Quietschen, bis sie entfernt an einen gebrochenen Flügel erinnerte, der aus dem fahrenden Zug hinaus ragte. Dann herrschte plötzlich Ruhe… Noch während die Luft von herumfliegenden Holzspänen und allerlei herumwirbelndes Füllmaterial erfüllt war, hallte nur noch der Fahrtwind brüllend durch das Abteil. Kaum ein einziger Behälter der Kunstsammlung war ganz geblieben, es herrschte auch auf der anderen Seite des Wagens eine riesige Verwüstung und totale Zerstörung. Heftig vibrierte hier
die Wand, wurde ab und zu vom Fahrtwind aufgedrückt und es flatterten dann Leinwände davon oder hoben einzelne Seitenwände der zerbrochenen Klimakisten wie Flugdrachen ab. Calaitin schnappte inzwischen verzweifelt nach Luft, als er mit pochendem Herzen hochschoss und dabei vom Luftelementar gestützt werden musste. Erst jetzt dämmerte ihm, dass das bloß ein verdammter Ki-Adept gewesen war. Das waren bloß verkappte Möchtegernmagier… Aber verdammt schnelle… musste er sich eingestehen, als er sich kurz auf den Wagen hinter sich abstützte. Da dieser des Transportes wegen im Leerlauf war,
rollte die Maschine einige Zentimeter weit zurück, was ihn erschrocken zusammen fahren ließ. Erst einige Herzschläge später hatte er sich einigermaßen gefasst. Dann blickte er zuerst zu seiner Gefangenen, die bewusstlos, wohl wegen der Druckwelle, immer noch in ihren Handschellen hing. Sie schien immer noch am Leben zu sein… Erst jetzt wanderte sein Blick furchtsam in die Richtung, in welche die Frau aus seinem Blickwinkel verschwunden war. Wohin hatte es diese räudige Hündin einer Elfe geblasen? Eine unheimliche Erleichterung erfüllte
ihn. Denn an einer der massiven Bolzenhalterungen der Ladeluke, welche mehrere Meter weit vom Abteil ins Freie ragte, flatterte nur noch der zerfetzte, blutverschmierte Rest einer Jacke. Und das war wirklich das Einzige, dass von dieser Kreatur übrig blieb, die ausgesehen hatte wie eine Frau. Er kniff heftig die Augen zu. Das war alles, was diese dämlichen Elfen gegen sie aufzubieten hatten? Mit jedem neuen Atemzug schöpfte der Magier immer mehr Mut und Zuversicht. Dann hatten sie wahrhaft verdient, was ihnen noch bevor stand! Siedend heiß fiel ihm plötzlich ein, dass
da noch wer gewesen war…
Verunsichert schoss Calaitin suchend herum.
Der zweite Angreifer war wohl durch die Druckwelle in mehrere Transportbehälter gekracht. Und an einem, wie eine Klinge aufstehenden metallischen Keil zu urteilen - von dem immer noch Blut tropfte - wohl schwer verletzt worden.
Padraic vergewisserte sich noch dass beide Elementare bei ihm waren; dann atmete er tief durch, während er sich selbstsicher aufrichtete. “Dein Arsch gehört mir!“