FB 48 - Randbeitrag
Thema: Schreck am Morgen
Vorgabewörter:
- Berge
- Brand
- Fettnäpfchen
- Kostümverleih
- Latte
- Menetekel
- Morgenrock
- Morgenschock
- Schneekugel
Die folgende Kurzgeschichte ist durch leichte Umarbeitung meines Battle-Beitrags "Ein ungewöhnlicher Morgen" zu SB 21 entstanden.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!
Wer vergleichen möchte:
http://www.mystorys.de/b83630-Romane-und-Erzaehlungen-Ein-ungewoehnlicher-Morgen.htm
(Außerdem ist sie auch das erste Kapitel meines "Grischa".)
ein Bärenschreck
Als Gregor eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Braunbären verwandelt. Im Moment des Erwachens war er jedoch noch völlig ahnungslos. Ohne die Augen zu öffnen, drehte er sich ächzend auf die linke Seite, nach dem Handy auf dem Nachtschrank greifend, um den Weckruf auszudrücken. Jedoch erwischte er hierbei die Schneekugel seiner Frau Edeltraut und hörte, wie sie geräuschvoll herunterfiel und zersprang.
Irritiert stellte er fest, dass ihm jegliches Feingefühl fehlte. Er konnte das Handy weder mit der Hand fassen, noch die Aus-Taste drücken, nahm nur das kratzende Geräusch seiner Fingernägel auf dem Kunststoffgehäuse wahr. Verstört riss er die Augen auf und betrachtete staunend eine zottige braune Bärentatze mit langen Krallen an Stelle seiner rechten Hand. In einer Wasserlache auf dem Fußboden schwammen weiße Körnchen und Glitterpartikel. Was war das – ein Tagtraum oder ein ausgewachsener
Wodkarausch? Er hätte sich gestern Abend in der russischen Bar mit seinem ominösen Geschäftspartner etwas mehr zurückhalten sollen … Wer weiß, womöglich war ja der Wodka gepanscht gewesen?
Hastig setzte er sich auf, schwang sich mit einem Ruck aus dem Bett und sah fassungslos an sich herunter. Wütend warf er den gestreiften Morgenrock vom Fußende seines Bettes in die Ecke. Auf allen Vieren tappte er zum großen Spiegel an der Tür des Kleiderschranks und richtete sich zu seiner vollen Größe
auf. Sein Spiegelbild zeigte ihm einen riesigen Braunbären. Die Augen blickten ihm klein und trüb entgegen, die gelblichen Zähne waren kräftig und die Eckzähne besonders lang, das Fell bedeckte glanzlos und zottelig den gesamten Körper. Ein heiseres Brüllen entrang sich seiner Kehle – das war ja ein echter Morgenschock!
Und was war mit seinem Penis los – lang und knochenhart wie eine Latte … Ach ja, er hatte einmal davon gelesen, dass Bären und andere Säugetiere einen echten Knochen in ihrem besten Stück besaßen.
Widerwillig begab er sich ins Badezimmer, um seinem Harndrang nachzugeben. Den Kopf krampfhaft vom Badezimmerspiegel abgewendet, als befürchtete er, dort ein flammendes Menetekel zu sehen, lief er zum WC und setzte sich gewohnheitsmäßig auf die Brille, die mit Seepferdchen in Leuchtfarbe verziert war. Das war wieder mal so ein schwachsinniger Einfall seiner Frau gewesen, wie vieles andere auch. Als er sich endlich erleichtern wollte, konnte er jedoch den harten Penis nicht im Klobecken unterbringen und urinierte
schließlich voller Erleichterung auf den WC-Vorleger im weiß-blauen Seepferdchen-Design, sich dabei schadenfroh die zeternde Empörung seiner Frau vorstellend. Ein barbarischer Gestank machte sich im Raum breit, doch er konnte ihn nicht als solchen wahrnehmen.
Wo war eigentlich Edeltraut? Ihre Bettseite war leer gewesen, als er erwachte. Vor der Waschmaschine türmten sich Berge von getragenenWäschestücken.
Bevor er sich auf den Weg machen
konnte, seine Frau zu suchen, läutete im Schlafzimmer erneut sein Handy. Das Display zeigte verschwommen einen Namen, den er jedoch nicht lesen konnte. Wie das? Ach ja, wahrscheinlich hatte er als Bär ein schlechteres Sehvermögen … Mühsam angelte er nach seiner Brille, doch als er sie endlich ungeschickt auf dem Kopf platziert hatte, passte sie ihm nicht mehr … Wütend hieb er auf das Handy, um es abzuschalten, er hatte keinen Bedarf mehr nach Kommunikation, war er doch der menschlichen Sprache ohnehin nicht mehr mächtig.
Ganz beiläufig öffnete er seinen Kleiderschrank, denn er ahnte schon, dass er darin keine für einen Bären passenden Kleidungsstücke finden würde. Wozu auch, schließlich hatte er ein wärmendes Fell.
Auf allen Vieren nahm er die Treppe nach unten und begab sich in die Küche, in Erwartung eines gedeckten Frühstückstisches. Doch wieder wurde er enttäuscht, lediglich Edeltrauts leere Kaffeetasse stand auf der Spülmaschine. Darunter lag ein Zettel mit ihrer großen, steilen Handschrift:
“Ich habe die Nase voll von deinen Eskapaden und reiche die Scheidung ein. Edeltraut.“
Eigentlich war ihm auch gar nicht nach Kaffee zumute, doch er hatte richtigen „Brand“, wie er es immer nannte. So trank er massenhaft kaltes Wasser und leerte dazu genüsslich zwei Gläser mit Haselnusscreme, denn Honigtöpfe gab es seit Jahren nicht in seinem Haus und schon gar nicht mehr in seiner Ehe.
Jetzt war ihm nach einer Morgenzigarette. In der Diele hing seine
Jacke am Garderobenhaken. Mit einem gezielten Tatzenhieb schlitzte er die linke Tasche auf, in der sich Zigarettenetui und Feuerzeug befanden. Das Zigarettenetui bekam er nach längerem Bemühen auf, doch hatte er keine Chance, das Feuerzeug zu zünden. Also kippte er die Zigaretten auf den Boden und fraß sie auf, obwohl ihm das, genau genommen, keinerlei Genuss bereitete.
Im Wohnzimmer fläzte er sich schnaufend in seinen Fernsehsessel, und es gelang ihm mit einiger Mühe, sein gewohntes Programm einzuschalten. Um
diese Zeit liefen die Börsennachrichten. Schei.., was war das denn! Anscheinend war er bei seiner Transaktion mit den RADOST-Papieren doch tatsächlich in eine Bärenfalle getappt, und nun überkam ihn nach dem unüblichen Zigarettengenuss auch noch ein heftiger Stuhldrang …
Bis ins WC schaffte er es ohnehin nicht mehr, und es war ihm völlig schnurz, ob er sich auf dem gefliesten Küchenfußboden oder auf dem Seidenperser im Wohnzimmer explosionsartig entleerte. Heute ließ er ohnehin kein Fettnäpfchen aus …
Nachdem es ihm danach wieder besser ging, wühlte der Hunger schmerzhaft in seinen leeren Gedärmen. Kurzerhand erhob er sich vom Perserteppich, nahm den Autoschlüssel vom Haken in der Diele und machte sich auf in den nächsten Supermarkt.
Eine gute Stunde später erwachte er im Schockraum der Notaufnahme mit heftigen Kopfschmerzen, sein linker Arm war geschient und am rechten hing eine Infusion. Oberarzt Dr. Petri und Schwester Yasmin standen mit ernsten, aber freundlichen Gesichtern an seiner
Seite.
“Guten Morgen, Herr …., sie hatten einen Verkehrsunfall und sind jetzt in der Charlottenklinik. Leider hatten Sie keine Papiere bei sich, denn Sie trugen nur ein Faschingskostüm.“
Mit den Augen wies Dr. Petri zum Stuhl, auf dem ein Bärenfell hing, anscheinend vom Kostümverleih. Gregor glaubte seinen Augen nicht zu trauen, er hatte wieder seine menschliche Gestalt und trug ein Kliniknachthemd. Sein Herz hüpfte vor Freude, wenn er sich doch nur nicht so schlapp fühlen würde! Und der Bauch fing auch schon wieder an zu
grummeln ….
“Ich bin Gregor Samsa, wohnhaft im Kamillenweg 28e, privat krankenversichert bei der AlieN, Herr Doktor!“
“Gut, Herr Samsa, Schwester Yasmin wird Ihre Personalien aufnehmen. Doch es gibt ein Problem. Sie müssen operiert werden, haben aber viel Blut verloren. Leider konnte unser Labor Ihre Blutgruppe noch nicht bestimmen, in Ihrem Blut wurden bisher keine Merkmale menschlicher Blutgruppen festgestellt …“ Dr. Petri konnte die Sorgenfalten in seinem Gesicht jetzt nicht länger
verbergen.
“Herr Doktor, ich bin einverstanden mit der Verlegung in die Veterinärmedizin. Aber bitte, geben Sie mir vorher noch eine Zigarette!“
© fleur 2013-01-24/2016-02-04