Kapitel 9 Die Wache
Naria hatte begonnen einige junge Zauberer zu auszubilden, die gleichzeitig auch von ihrem Vater unterwiesen wurden. Nicht in der Magie, sondern mit dem Schwert.
Zwar war Maras einer der friedlichsten Orte, die sie kannte, aber auch hier musste man zuweilen für Ordnung sorgen. Eine simple Stadtwache reichte jedoch bei einer derart mit Magiern durchsetzen Bevölkerung bei weitem nicht aus und so suchte man sich unter den Zauberern jene aus, deren Gabe zwar stark genug war, um die meisten Zauber
zu beherrschen , jedoch kein übermäßiges Talent darin bewiesen um als Ordnungshüter zu dienen.
Zyle Carmine hatte einst den Archonten Helikes als Schwertmeister gedient und auch wenn dies nun fast zwei Jahrzehnte zurücklag, war er nach wie vor ein Kämpfer mit dem man rechnen musste. Und das Wissen, das er sich angeeignet hatte, gab er weiter.
Naria fand ihn auf einer Lichtung hinter den großen Feldern der Stadt, wo sich ein gutes Dutzend Männer und Frauen um ihn gescharrt hatten. Alle bis auf einen trugen sie leichte Kleidung aus weißem Leinen und hatten sich in einem Halbkreis um den Schwertmeister
versammelt. Ihre Roben hingegen lagen ordentlich zusammengefaltet am Rand der Lichtung. Einzelne Baumsprösslinge ragten aus dem grünen, mit Laub bedeckten Gras und irgendwo in der Ferne huschte etwas durch das Unterholz. Vermutlich nur ein Vogel oder eines der fast verschwundenen Rehe der Insel. Durch die Besiedlung von Maras und die Jagd war das ohnehin eher seltene Wild hier schnell knapp geworden.
Dämmriges Sonnenlicht viel durch die Zweige über ihnen, während Zyle jedem eine Waffe in die Hand drückte und dann kurz Naria zunickte, die sich neben ihn
stellte.
Er war ein Fuchs und ein Stück kleiner, als die meisten seiner Schüler. Graues Fell bedeckte seinen Körper und die hellen, bernsteinfarbenen Augen musterten jeden und alles mit ruhigem, gefasstem Blick. Auch wenn er doppelt so alt war, wie sie selbst, verrieten seine Bewegungen keinerlei Unsicherheit. Im Gegenteil, geschmeidig wie ein Tänzer trat er vorwärts. Grau und die Farbe von ausgewaschenen, braunen Leinen das er trug verschmolzen zu einer Einheit, während er den Männern eine Schrittfolge demonstrierte und dabei die Klinge in einem Bogen führte. Verwischtes Silber zerteilte einen etwa
drei Armlängen hohen Schössling, der eben noch auf der Lichtung gestanden hatte. Seine Schüler sahen nur wortlos dabei zu, wie der abgetrennte Ast auf dem Boden Aufschlug.
,, Habt ihr auf meine Füße geachtet ?“ , fragte Zyle die Umstehenden, während er das Schwert zurück in die Scheide schob. ,, Beinarbeit ist das wichtigste, wenn ihr eure Waffe meistern wollt. Jeder kann ein Schwert in die Hand nehmen und damit einen Schnitt machen. Aber wenn ihr dabei über eure eigenen Beine stolpert, seid ihr Tod. Da gibt es nichts schön zu reden. Ich sage das, damit euch klar ist, warum wir das hier tun. Lernt eure Füße und eure Arme gleichzeitig zu
benutzen, bis ihr nicht einmal mehr darüber nachdenken müsst. Ihr nehmt eure Kraft aus eurem Stand und aus eurer Bewegung, nicht aus eurem Arm.“
,, Ich will euch sicher glauben.“ , meldete sich ein junger Mann zu Wort, der im Gegensatz zu allen anderen nach wie vor die Robe eines Magiers trug. Nicht grade geeignet für einen Tag im Wald oder hartes, körperliches Training. ,, Aber wir sind Zauberer. Ich verstehe nicht ganz, wieso ihr darauf besteht uns mit dem Schwert zu unterweisen. Unser Geist ist schneller als jede Klinge.“
,,Ist er das Rethan ?“ Zyle trat auf den Mann zu, der plötzlich Nervös wirkte. ,, Ich habe mehr Magier durch ein Stahl
sterben sehen, als ihr euch vorstellen könnt. Nicht wenige davon durch meine Hand. Glaubt mir einfach wenn ich sage, dass ihr aller größter Fehler war, genauso zu denken wie ihr. Wenn ihr kein Schwert führen wollt, zwingt euch keiner dazu. Aber ihr solltet zumindest verstehen, zu was euer Gegner wirklich in der Lage ist. Ihr bleibt heute bei mir. Jorick, Erin und Aaron ihr geht ans andere Ende der Lichtung und wartet auf Naria.“
Die Männer nickten und auch Rethan fügte sich mit einem entnervten Seufzten in sein Schicksal, heute der Gruppe anzugehören, die ihre Unterweisung im Schwertkampf erhalten
würde. Und während Zyle darauf wartete, das seine Schüler zu ihm kamen, beugte er sich verschwörerisch zu Naria herüber. ,, Gib ihnen ruhig was zu tun. Besonders Aaron. Der Junge kann besser mit einer Klinge umgehen als der Rest zusammen, aber ich glaube er ist alt und grau bevor wir sein Windspiel in der Lichterhalle sehen.“
Die Stimme ihres Vaters klang bitter und Naria konnte sich auch denken warum. Er konnte das Talent des jungen sehen, aber nichts tun um es auch einzusetzen, solange er nicht als vollwertiger Zauberer anerkannt wurde.
,, Du kümmerst dich gut um sie.“ , antwortete sie lediglich. ,, Und du
weißt wie es läuft. Am Ende bestimmen die Lehrer jedes einzelnen Magiers zusammen ob er so weit ist, seine Ausbildung abzuschließen.“
,, Es gibt solche und solche.“ , erwiderte Zyle. ,, Ihr versucht allen den gleichen Weg aufzuzwingen. Ich weiß, ich habe schon versucht, den Meisterrat davon zu überzeugen eine individuellere Ausbildung anzustreben aber… ihnen gefällt ihre schöne Ordnung offenbar zu sehr. Mit Fairness jedoch hat das wenig zu tun. Würde man mich fragen ich würde ihn und die Hälfte dieser Leute sofort der Wache zuteilen, Ausbildung als Zauberer hin oder her.“
Naria kannte die kritische Einstellung
ihres Vaters nur zu gut. Sie selbst hatte die gleiche Ausbildung erhalten wie alle Magier. Sicher, bis sie feierlich daraus entlassen wurden, mussten sich alle den Regeln und Erwartungen ihrer Lehrer beugen danach jedoch stand es ihnen durchaus frei, eigene Wege zu gehen. Sie selber hatte ja die Pfade der Magie verlassen und sich Jahrelang mit der Heilkunst beschäftigt und was hielt Aaron oder sonst jemanden davon ab, es ihr gleich zu tun? Auf der anderen Seite…Konnte man versuchen alle in eine Form zu pressen und dann noch erwarten das der Großteil schon seinen eigenen Weg finden würde?
Zyle klopfte ihr beruhigend auf die
Schulter. ,, Ach gib nicht so viel auf das Gerede eines alten Mannes.“ , meinte er lächelnd. Er konnte ihre Unsicherheit sehen. Vielleicht hätte er dagegen sein sollen, als Relina darauf bestand, sie die gleiche Ausbildung wie alle Magier durchgehen zu lassen. Es prägte einen doch und das er es in Frage stellte… Nein das war sicher nicht leicht für sie.
Selbst Relina schalt ihn ja dafür… und mit dem Meiserrat war in manchen Dingen scheinbar genau so wenig zu reden wie mit den Archonten.
Vielleicht war er auch manchmal bloß nachdenklicher und kritischer als gut für ihn war. Und wenn es etwas gab das Naria von ihm und nicht von ihrer
Mutter geerbt hatte, dann war es wohl das.
Das war aber nicht immer so gewesen, nicht? In seinem Fall zumindest. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er jedes Wort der Archonten geglaubt und es automatisch für das beste Befunden. Vielleicht konnte er jetzt nicht mehr damit aufhören, Dinge zu hinterfragen. Und er hatte seinen Preis für diese Lektion gezahlt, nicht?
Unwillkürlich wanderte seine Hand zu seiner Brust. Kein Herzschlag war darunter zu spüren, kein Atem… Manchmal fragte er sich auch ob er überhaupt noch sterblich war. Und der Gedanke machte ihm Angst. Er alterte,
aber er fühlte es nicht. Sein Körper blieb genau so beweglich wie immer, sein Verstand scharf…
Zyle schüttelte die beunruhigenden Gedanken ab und wendete sich wieder Naria zu. Sie spürte offenbar, dass ihn irgendetwas beschäftigte, sagte aber nichts. Er zwang sich zu einem Lächeln, das bald auch in ein echtes Überging. Das waren Dinge über die er sich im Zweifelsfall wohl noch Jahrzehnte Gedanken machen konnte. Seine Tochter jedoch stand grade vor ihm.
,, Also dann, wollen wir ?“ Er deutete in Richtung der wartenden Schüler und Naria nickte, bevor sie sich auf in Richtung ihrer Gruppe machte. Zyle sah
ihr einen Moment nach und konnte nichts gegen das Lächeln tun, das weiterhin auf seinem Gesicht blieb. Er konnte sich noch zu gut erinnern, wie er sie das erste Mal im Arm gehalten hatte. Ein schreiendes, kleines Fellbündel, das kein Wort sprechen, geschweige denn laufen, konnte… und er konnte sich bis heute nicht erklären wie so etwas sein Herz im Sturm erobern konnte, nur dass es so war. Es war vielleicht eine andere Art der Liebe als die, Relina gegenüber aber mindestens genauso stark. Er musste sie nicht mit seinen Gedanken belasten.
Zyle wendete sich wiederwillig ab und trat auf seine Schüler zu, allen voran Rethan, der missmutig die Arme vor der
Brust verschränkt hatte. Der Junge war nicht dumm, aber Hochmütig. Und das würde nochmal sein Untergang sein, da war Zyle sich so sicher, dass er den Mann schon fast tot vor sich liegen sah. Irgendwie musste er diesem Sturkopf klar machen, dass allein seine Gabe ihm im Zweifelsfall nicht retten würde. Und das er das ganz sicher nicht tat um ihn zu schikanieren. Das war auch noch so eine Sache. Als Magier mochte er sich anderen vielleicht Überlegen fühlen… aber wenn er glaubte wegen einer einzigen Fähigkeit besser als jeder zu sein, der diese nicht besaß, hatte er etwas Wichtiges vergessen… Es gab noch mehr als genug andere Fertigkeiten, die
jeder erlernen konnte. Und einige davon waren genauso tödlich, wie jeder Zauber.
Erneut ging Zyle dazu über, seinen Schülern Schrittfolgen und Schnitte zu demonstrieren, doch diesmal ließ er sie die Bewegungen wiederholen. Die meisten stellten sich genauso an, wie er selbst bei seinen ersten Versuchen mit dem Schwert. Manche unter oder Überschätzten das Gewicht der Waffen in ihren Händen schlicht und taumelten, andere schienen schlicht nicht bedacht zu haben,
was er ihnen zuvor erklärt hatte. Aber immerhin, sie versuchten es, dachte er mit etwas Stolz. Selbst Rethan gab sich schließlich einen Ruck und auch wenn er
dabei das Gesicht zu einem mürrischen Ausdruck verzog, schaffte er es fast perfekt, die Übung nachzumachen.
Von der anderen Seite der Lichtung drang mittlerweile ein seltsames Gefühl zu ihnen herüber. Es war nicht direkt wahrnehmbar, sondern schien mehr aus dem Erdboden zu kommen, ein leichtes Kribbeln, das von den Füßen aufwärts am ganzen Körper zu spüren war. Für einen außenstehenden Beobachter hätte es nur so ausgesehen, als Stünde Naria mit ihren drei Schützlingen nur völlig still da. Die Magie war jedoch deutlich spürbar und Zyle konnte sehen, wie sich die drei Zauberer anstrengten. Schweißtropfen traten ihnen auf die
Stirn, während sie versuchten die Barriere, die Naria für sie erschaffen hatte, zu brechen.
Zauber im Zweifelsfall aufzulösen oder zu brechen war bei weitem die wichtigste Aufgabe, welche die Wächter von Maras übernehmen mussten und Naria machte es ihnen nicht einfach.
Den ganzen Mittag lang erschuf sie Zauber und Barrieren, gegen die ihre drei Schüler anrannten, in den meisten Fällen vergeblich. Auch wenn sie schon zu den Älteren und Erfahreneren Magiern gehörten, war ihre Ausbildung bei weitem noch nicht abgeschlossen wohingegen Naria bereits seit Jahren ihre Kunst frei ausübte. Aber das durfte
später keinen Unterschied mehr für die zukünftige Wache machen und langsam kamen sie scheinbar auch dahinter, was sie zu tun hatten.
Die drei hörten auf sich auf jeder für sich zu arbeiten und begannen, sich abzusprechen und ihre Fähigkeiten zu Konzentrieren.
Nun war es Naria, für die die Sache langsam anstrengend wurde. Zusammen waren Jorick, Erin und Aaron , so unerfahren sie sein mochten , ihr mehr als ebenbürtig und während die Stunden vergingen zerbrach mehr als einer ihrer schwächeren Zauber. Als die Sonne bereits begann, sich dem Horizont zuzuneigen, rief Zyle schließlich zum
Aufbruch und sie machten sich gemeinsam zurück auf den Weg in die Siedlung.
Seine Schüler warfen sich ihre Roben über und trugen ihre Sachen zusammen, während der alte Schwertmeister die Waffen einsammelte und in einer großen Ledertasche verstaute. Als wögen die dutzend Schwerter so gut wie nichts, wuchtete er sich das Paket auf die Schulter.
Unter dem dichten Blätterdach wurde es rasch dunkel und nur in der Ferne konnten sie den rötlichen Schimmer des Sonnenuntergangs noch zwischen den Baumstämmen hindurch sehen. Naria entzündete ein magisches Licht und die
übrigen Zauberer taten es ihr gleich.
Sie war erst seit wenigen Tagen wieder auf der Insel und doch war erstaunlich leicht, wieder in den alltäglichen Trott zurück zu finden, dachte die Gejarn. Immerhin, sie konnte sich daran gewöhnen…