Biografien & Erinnerungen
Unsere alten Pauker - Teil I

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"Unsere alten Pauker - Teil I"
Veröffentlicht am 30. Januar 2016, 10 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Ich wohne in der Oberlausitz und schreibe gern über meine schöne Heimat, schon seit der ersten Klasse. Ich liebe meine vier Kinder und bin sehr stolz auf sie. Nun sind sie in die Welt gezogen von Berlin bis Tokio, also besorgten wir, mein Mann und ich uns zwei neue Babies: Katze Nala und Hund Willy. Jeder von uns hält einen im Arm.
Unsere alten Pauker - Teil I

Unsere alten Pauker - Teil I

Von meiner alten Schule hatte ich ja schon berichtet.

Nun bin ich nach 40 Jahren wieder mit von der Partie. Nein, nicht als Schülerin. Diesmal bin ich quasi Reporterin. Der Verein „Freunde des Gymnasiums“ sprach mich an. „Da muss doch etwas die Zeiten überdauern von uns und von unseren Lehrern“, war die Idee.

Sicher, die Geschichte vom Herrnhuter Stern, der zuallererst von den Nieskyer „Pennälern“ gefertigt wurde, kennt fast jeder und den Theologen und Philosophen Friedrich Schleiermacher, der hier seine Schulzeit absolvierte, zumindest die Nieskyer Bürger und einige Berliner.

Nun wandeln wir auf den Spuren der jüngeren Geschichte. Wir, also ein junger,

ungestümer Kameramann, unser HNO-Arzt Bernd, der 3 Klassen über mir war und ich mit dem Fragenzettel.



Unser Ziel ist die Gemeinde Klitten, auf Sorbisch Kletno, die heute am Bärwalder See liegt, einem riesigen Tagebau-Restloch, und die es eigentlich gar nicht mehr gäbe, hätten 1989 die Einwohner sich nicht im kollektiven Ungehorsam geübt. Der Fall ging sogar durch die DDR-Presse und wurde schließlich einer der ersten Beschlüsse der Modrow-Regierung, den die spätere neue Regierung dann auch umsetzte. Und so fiel Klitten nicht der Kohle zum Opfer, der Bagger stoppte genau am Ortseingang und unser ehemaliger

Musiklehrer Heinz Roy lebt hier immer noch in seinem kleinen Häuschen.


Der alte Herr empfängt uns, zwischen riesigen Notenblättern vergraben. Zeit habe er wenig, die neue Sinfonie müsse fertig werden. Zwar versagen dem Betagten leider die Beine, der Kopf sei aber noch völlig o.k., erklärt er uns verschmitzt lächelnd.

Heinz Roy war schon zu DDR-Zeiten eine geachtete Persönlichkeit, Mitglied des Komponistenverbandes bis heute. Seine Werke zeitgenössischer Musik spielten selbst Orchester im deutschsprachigen Ausland. Der Sorbe schrieb und komponierte auch alle Stücke für unser Schulorchester und die meisten für den Schulchor selbst.


Wie so viele damals ist er nach dem Krieg Neulehrer geworden, das heißt, er wurde gefragt:“Würdest du dir das zutrauen, du warst doch auf dem Gymnasium? Deutsch kannst du bestimmt gut und musikalisch bist du wie kein Zweiter.“ So stand er mit nicht einmal 18 Jahren am 1.10.1945 vor seiner ersten Klasse, holte später im Crashkurs den Lehrerabschluss nach. So war das eben, resümiert er. Auch seine erste Sinfonie führte er 1956 an unserer Schule auf. Viele Stücke folgten, Anfragen vom hessischen Staatstheater kamen später, Einladungen da hin. „Darf ich fahren?“ fragte er, es gab ja längst zwei deutsche Staaten. „Selbstverständlich, allerdings musst du deine

Fahrkarte selbst bezahlen, für 200,00 DM“, erklärte ihm der Komponistenverband der DDR. „Die hab ich nicht, dann wird es wohl nichts.“ Die Sekretärin im Vorzimmer hielt ihn zurück. „Du fährst.“ Am Abend brachte sie ihm die mit Westgeld erstandene Fahrkarte, ab da war der Sorbe und Christ häufiger Gast auf westdeutschen Bühnen - gelebte deutsch-deutsche Geschichte.


Bernd und ich gehen bei seinen Erzählungen unseren eigenen Erinnerungen nach. Ein Lied fällt mir plötzlich ein, und Bernd stimmt es an: „Als die Sonn` aufging und der Tag begann und der Wind strich über die Saaten, da kamen bei uns die Lastwagen an mit den jungen, den neuen Soldaten.“ Wir singen

beide und unser alter Musiklehrer lächelt gerührt. Wie oft sangen wir es im Unterricht oder bei großen Auftritten!

„Stellt euch vor, jetzt hat die Bundeswehr bei mir angefragt. Sie wollen das Lied haben. Ich gebe es aber nicht.“ Wir nicken. Ist wohl besser so. Die weiteren Strophen würden nicht zum Charakter der Bundeswehr passen.


Hat er eigentlich als Lehrer etwas bewirkt, sind Schüler seinem Beispiel gefolgt, quasi in seine Fußstapfen getreten? Heinz Roy überlegt nur kurz und nickt. 

Professor Manfred Fabricius, der Dirigent des Kinderärzteorchesters und Hochschullehrer an der Berliner Musikhochschule „Hanns Eisler“ fällt ihm sofort ein. Auch Frau

Professor Lille-Popp, die an der Musikhochschule in Halle lehrte. Und natürlich Frau Hänel, die jetzige Musiklehrerin des Gymnasiums Niesky, es müssen nicht immer die ganz großen Namen sein, Traditionen pflegt man an Ort und Stelle.


Damals, während seiner Gymnasialzeit 1943, hatte ein Lehrer zu ihm gesagt: „Roy, Sie sind doch Wende, lernen Sie russisch, das dürfte Ihnen doch leicht fallen und Sie werden es noch brauchen.“ Er hat sich stets gewundert über die Worte dieses Lehrers zu jener Zeit. Und so hat er zu Russland bis heute ein besonderes Verhältnis, war mehrere Male dort, wenn seine Werke aufgeführt wurden.

„So etwas wie damals darf sich nie

wiederholen, dieser Krieg, diese Feindschaft überhaupt“, sagt er uns zum wiederholten Male. Er, der selbst nur knapp dem Krieg und sowjetischer Gefangenschaft entkam.

Deshalb auch schrieb er seine „Stalingrader Sinfonie“, sie soll ein „Ja“ zum Leben, ein völkerverbindendes Symbol sein. Er betont es mehrmals. Am 15. April diesen Jahres wird sie in der Russischen Botschaft in Berlin wiederaufgeführt. Er lädt Bernd und mich dazu ein. Oja, wir wären gern dabei.

Und die Zeit an der Nieskyer Schule?

„Sie war die schönste meines Lebens“, verabschiedet sich unser alter Lehrer.

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Über den Autor

Albatros99
Ich wohne in der Oberlausitz und schreibe gern über meine schöne Heimat, schon seit der ersten Klasse.
Ich liebe meine vier Kinder und bin sehr stolz auf sie.
Nun sind sie in die Welt gezogen von Berlin bis Tokio, also besorgten wir, mein Mann und ich uns zwei neue Babies: Katze Nala und Hund Willy. Jeder von uns hält einen im Arm.

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FLEURdelaCOEUR 
Hach, wie schön und gut du wieder unsere Vergangenheit/Jugend beschreibst! Der Schleiermacher hat auch in Halle an der Saale eine Straße und die Gemeinde Klitten/Kletno kennt auch mein Mann noch, damals muss es dort einen (Segel-)Flugplatz gegeben haben.
Auch wenn ich nicht im Sorbenland aufgewachsen bin, keine so bedeutenden Lehrer hatte, so haben mir doch auch meine Lehrer vieles mitgegeben ... Beim letzten Klassentreffen 2015 war unser letzter Deutschlehrer und ehemaliger Direktor dabei, er ist mit 81 Jahren der einzige, der noch lebt. Er kam damals frisch von der Armee und arbeitet heute noch immer an der Schulchronik.... und wir hatten auch einen tollen Schulchor ...
Leider ist aus unserer Schlossinternatsschule in Wiesenburg/Mark eine Eigentumswohnanlage von gut Betuchten geworden, nichts erinnert mehr an unsere Zeit ...
Danke dir für das alles!
Liebe Grüße
fleur


Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Danke für deinen Kommi. Ja, Erinnerungen aufzuspüren oder unsere eigenen nieder zu schreiben, das macht nicht nur Spaß, sondern erscheint mir auch sinnvoll. Zu vieles geht verloren. Wir waren jetzt schon bei dreien, 2 Lehrer eine Schülerin Abijahrgang 48, was da so für Geschichten zusammen kommen. Kein Film kann spannender sein. Und mir selbst geht es auch so. Wenn ich damit die Schulzeit meiner Kinder vergleiche, echt langweilig (sagen sie auch immer).
Liebe Grüße Christine
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Liebe Christine,
auf den Spuren der Vergangenheit ... und ich bin diesen Spuren gern gefolgt - führen sie doch in eine Zeit, die es wert ist, dass man sich ihrer erinnert. Nicht nur, dass Zeitgeschichte erlebt wurde, auch, dass man Menschen begegnen durfte, deren Wirken auch Jahre später noch von Nachhaltigkeit bestimmt ist. Mir hat Deine Geschichte sehr gefallen und sie ist - wie Deine Texte immer - großartig geschrieben. :-)
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Sylke 
Da ist aber ein guter Grundstein in der Schule gelegt worden, du bist immer noch dort zu Hause, vielleicht nur gedanklich, aber immer verbunden.
LG von Sylke
Vor langer Zeit - Antworten
pekaberlin Tolle Geschichte, Christine!
Gern würde ich ja die weiteren Strophen dieses Liedes kennen, als ehemaliger "junger, neuer Soldat".
Aber, solltest Du ihn nochmals treffen, sag ihm meinen Dank dafür, dass er es der Bundeswehr nicht zur Verfügung stellt. Nein, mit dieser Bundeswehr hatte unsere Armee nichts gemein, genauso wie mit der Wehrmacht. Ja, vielleicht sollten auch heute mehr Menschen russisch lernen, nicht unbedingt weil sie es noch brauchen könnten, aber dafür, dass sich "so etwas" nie wiederholt!
Liebe Grüße
Peter
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Da habt Ihr ja einen berühmten Lehrer gehabt. Damit kann ich leider nicht aufwarten, muss aber sagen, dass wir sehr gute Lehrer (bis auf ein, zwei Ausnahmen) hatten, die es auch geschafft haben ihre Schüler nicht nur zu bilden, sondern auch zu erziehen, was heutzutage gar nicht mehr so leicht sein dürfte.
Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Da habt Ihr ja einen berühmten Lehrer gehabt. Damit kann ich leider nicht aufwarten, muss aber sagen, dass wir sehr gute Lehrer (bis auf ein, zwei Ausnahmen) hatten, die es auch geschafft haben ihre Schüler nicht nur zu bilden, sondern auch zu erziehen, was heutzutage gar nicht mehr so leicht sein dürfte.
Liebe Grüße
Bärbel
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