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Hallo, Leben! - (FB 47)

FB 47 - „WEIßE LEINWAND“

Vorgabewörter:
Terrassenbeleuchtung
vorausschaubar
Programm
Karton
organisch
Stille
Flanellmantel
Schneesturm
Ziegenpeter © fleur 2016

Leicht überarbeitet im Juni 2016

Hallo, Leben!

Früher habe ich manchmal mit dir gehadert.
Als häufig krankes Kind und ganz besonders, als du mich mit 38 zur Witwe machtest. Ein 13jähriger braucht doch schließlich seinen Vater! Das hast du wohl selbst eingesehen und mir meinen jetzigen Mann geschickt! Danke dafür! Auch für die Tochter, die er mitbrachte.
Dennoch muss ich dir heute Nacht, wo der riesige Silbermond in der Stille nach dem Schneesturm so tief hängt wie die Terras-senbeleuchtung, wo ich mich gerade mit dir so richtig wohl fühle, mal ganz ungeschminkt die Meinung sagen.

Natürlich ist mir klar, dass du nicht voraus- schaubar bist. Wer weiß schon, was dieser große Karton alles enthält, der nicht immer einer Pralinenschachtel gleicht? Ebenso ist mir bewusst, dass größtenteils ich selbst die Verantwortung für dich trage, wer sonst? Ich habe mich von Kindheit an redlich und zielstrebig bemüht, dich zu meistern und bin inzwischen halbwegs zufrieden mit dem, was ich geleistet und geschafft habe.
Manchmal hätte ich mich mehr anstrengen können, z.B. mit den Fremdsprachen … Dennoch gibt es Dinge, die nicht meinem Einfluss unterliegen … Oder doch?

Da sind diese unsäglichen, dramatischen Vorgänge in der Welt, denen die Politiker hilflos oder auch desinteressiert, manche sogar willentlich, beifällig oder gar zynisch, gegenüberstehen, auf die ich keinen nen- nenswerten Einfluss habe … Mitunter betrifft es mir besonders nahe Mit- menschen in meinem Umfeld, die von schwe- ren Krankheiten befallen werden, die sich nicht so einfach wie ein Ziegenpeter weg- stecken lassen und ich dann hilflos zusehen muss, wie manches Therapie-Programm auf den Erfolg warten lässt

… Und da ist auch immer öfter und zwingender der Gedanke an die organisch bedingte eigene Endlichkeit, die ich zwar für mich selbst nicht fürchte, aber doch nicht sicher-stellen kann, dass ich mit meinem Liebsten gemeinsam gehen kann. Diese Möglichkeit wird uns noch immer unter dem reichlich beschmutzten Flanellmantel der Religion vorenthalten … Vielleicht ist es gut, dass ich nicht weiß, was noch kommt. Doch ich werde den Rest noch auskosten, solange es geht. Kann jederzeit auf ein erfülltes Leben zurückblicken, mit- nichten auf eine weiße Leinwand.

Bild (Ausschnitt) von Joseph A., dem Schwiegervater meines Sohnes. Ein Geburtstagsgeschenk an meinen Mann.