Humor & Satire
Gespräch mit dem Führer

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"Gespräch mit dem Führer"
Veröffentlicht am 20. Januar 2016, 18 Seiten
Kategorie Humor & Satire
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Gespräch mit dem Führer

Gespräch mit dem Führer

Gespräch mit dem Führer

Was ich mitteile, geschah vor mehr als 70 Jahren. Ich war damals sehr jung, mein Bruder noch

jünger. Ich zählte 4 Jahre, er eins. Adolf Hitler war zu der Zeit wesentlich älter. Er hatte bereits 53

Lebensjahre hinter sich gebracht und schon Millionen Menschen umgebracht. Nicht er persönlich,

wohlgemerkt. Dazu ist ein einzelner Mensch, auch wenn er den Status eines Massenmörders besitzt,

gar nicht in der Lage.   Adolf wohnte vor mehr als 70 Jahren, ebenso wie mein Bruder und ich, in

Berlin. Seine Wohnung, die Neue

Reichskanzlei, war wesentlich größer als die unsrige. Die neidete

ihm unsere Mutter nicht, denn er war schließlich der Führer und sie nur Hausfrau. Wer führt,

benötigt genügend Auslauf.

Wir wohnten nicht weit weg von ihm, nur einige hundert Meter. Er wusste nicht, dass wir in seiner

Nachbarschaft lebten. Er konnte es nicht wissen, weil ihm niemand gesagt hatte, dass Frau

Schumacher mit ihren Söhnen Rainer und Detlef in der Tiergartenstraße Nr. Soundso zu Hause ist.

Vater Karl war nicht zu Hause. Er befand sich an der Ostfront, um mit

anderen deutschen Soldaten

gegen die bösen Russen zu kämpfen. Weder meinen Bruder Rainer noch mich interessierte, was da

draußen vor sich ging. Auch war uns schnuppe, wer die Männer in den Krieg beordert hatte. Das

heißt, wir kannten weder den Führer, noch seinen Namen.

Hätte Mutti uns gesagt, dass ein Onkel namens Adolf unseren Vati in ein fremdes Land geschickt

hat, damit er uns dort vor Ungeheuern schützt, dann wäre zumindest mein Interesse geweckt

worden. Mutti verschwieg das aber, und so lebte ich völlig desorientiert in den

Tag hinein. Mein

Bruder ebenso, der es als seine wichtigste Tagesaufgabe betrachtete, die Windeln zu beschmutzen.

Der Leidtragende dieser seiner Lieblingsbeschäftigung war ich. Jedenfalls an einem Sommertag des

Jahres 1942.

Während die deutschen Soldaten an den Fronten nach vorn oder nach hinten drängten, je nach Lage

der Dinge, ging Mutti wieder einmal außer Haus, um mit irgendeiner Freundin ein Schwätzchen zu

halten. Mir hatte sie aufgetragen, auf Rainerle aufzupassen. Sie werde bald wieder da sein,

versprach sie.

Die Nachmittagssonne schickte einige Strahlen ins Zimmer, und Rainerle  bemühte sich, sie mit

seinen Händchen zu erhaschen. Weil ihm das nicht gelang, patschte er an die Wand, um sie

festzuhalten. Sonnenstrahlen lassen sich aber nicht fangen. Das wusste Rainerle nicht, weshalb er zu

brüllen begann. Mir ging der Lärm auf die Nerven. Entschlossen tapste ich deshalb zum Telefon,

das auf dem Vertiko stand. Ich zog einen Stuhl heran, erklomm dessen Sitzfläche und konnte so

Apparat bequem bedienen. Ich nahm den

Hörer vom Telefon, drehte die Wählscheibe einige Male

und vernahm nach geraumer Zeit eine Frauenstimme. Im guten Glauben, Mutti wäre es, vermeldete

ich, dass Rainer sich bekackt habe. Sie solle schnell nach Hause kommen, denn er bemale mit der

Scheiße bereits die Wand hinter seinem Bett. Die Frauenstimme im Telefon tat kund, dass Mutti

gleich kommen werde. Ich solle ausharren und Rainerle besänftigen. Mutti kam aber nicht. Ich war

noch zu jung, um zu wissen, dass tratschende Frauen eine längere Gesprächszeit benötigen.

Erneut bediente ich die Wählscheibe des Telefons. Vom anderen Ende der Leitung vernahm ich eine

männliche Stimme. Weil ich glaubte, sie gehöre Vati, sprach ich: „Vati, komm nach Hause, Rainer

hat in die Hosen gekackt.“ Der Mann am anderen Ende lachte. Das klang so, als hätte er eine leere

Blechbüchse im Hals. „Wie sieht denn die Kacke aus?“ fragte er.

Weil ich die Grundfarben schon bestimmen konnte, antwortete ich: „Braun!“

„Das ist gut so“, ließ sich der Mann vernehmen und lachte wieder blechern. „Ist dein Vati zu

Hause?“ wollte er wissen. Jetzt lag etwas Lauerndes in seiner Stimme.

„Nein! Du bist doch mein Vati.“

„Nein, dein Vati bin ich nicht. Ich bin dein Führer.“ Die Stimme klang jetzt erhaben.

„Was ist ein Führer?“ wollte ich wissen.

„Ein Führer ist“, versuchte der Nicht-Vati kindgerecht zu erklären, „ein Schäfer, der seine Schafe

hinaus führt, damit sie etwas fressen können. Du weißt doch, was ein Schäfer ist?“

Ich verneinte. Wie sollte ich als Großstadtkind wissen, was ein Schäfer ist.

„Aber du weißt natürlich, was Schafe sind?“

„Das weiß ich“, verkündete ich stolz, „das sind die weißen Wolken am blauen Himmel.“

Mutti hatte mir von ihnen erzählt, als ich wissen wollte, wer die weißen Dinger dort oben angeklebt

hatte. Mein Gesprächspartner war mit meiner Auslegung nicht ganz zufrieden, und so drang er

tiefer in mein Wissen. „Wie alt bist du?“

„Vier!“

Das gefiel ihm. Forsch fragte er deshalb weiter: „Wo wohnst du?“

„Hier!“

„Ich wohne auch hier. Hier heißt Berlin.

Wer wohnt außer dir und mir noch in Berlin?“

„Mutti, Vati und Rainer, der in die Hosen gekackt hat. Kennst du Rainer?“

„Natürlich kenne ich Rainer. Ich kenne alle Rainer.“

Der Mann log unverschämt, denn es gab nur einen Rainer.

„Kennst du Vati?“ hakte ich nach, um ihn zu überführen.

„Ich kenne alle Vatis.“

Das war mir zu viel. Mit verhaltenem Zorn sprach ich: „Dann sage mir, wo mein Vati ist, du

Schwindelmeier?“

Der Blechbüchse gefiel die Anrede nicht, und so wurde auch sie

unfreundlich. „Dein Vati ist an der

Front wie alle Vatis.“

„Du schwindelst schon wieder! Mein Vati ist im Krieg!“ 

„Du hast recht!“ hörte ich, und das beruhigte mich ein wenig.

„Was macht dein Vati im Krieg?“

„Er schießt mit dem Gewehr.“

„Bravo! Du weißt aber viel. Auf wen schießt er denn?“

„Auf Drachen, böse Riesen und schlimme Hexen“, gab ich stolz von mir, denn des Mannes Lob tat

mir gut.

„Du bist ja ein ganz Schlauer! Wer hat dir das gesagt?“

„Meine Mutti..“

„Wo ist deine Mutti?“

„Meine Mutti ist mal weg. Sie kommt aber bald wieder, hat sie gesagt. Kennst du meine Mutti?“

„Deine Mutti kenne ich nicht“, äußerte er listig, weil es ihm unangenehm war, wieder der Lüge

bezichtigt zu werden. „Wie sieht deine Mutti denn aus?“

„Sie sieht schön aus.“

„Aha! Hat sie blonde Haare?“

„Hat sie!“

„Hat sie blaue Augen?“

„Hat sie!“

Mich störte seine blöde Fragerei; deshalb provozierte ich ihn mit der

Gegenfrage: „Hast du blonde

Haare und blaue Augen?“

„Habe ich nicht!“

„Dann siehst du auch nicht schön aus! Wie siehst du eigentlich aus? Bist du ein Gespenst oder ein

hässlicher Zwerg?“

Mit solch unverhohlener Kinderoffenheit hatte er nicht gerechnet. Er rächte sich deshalb mit

Fragen, deren Beantwortung mir aber nicht schwer fiel. „Kackst du noch in die Hosen?“

„Nein!“

„Willst du Soldat werden?“

„Nein!“

„Weshalb nicht?“

„Weil ich dann erschossen werde.“

„Wer hat das gesagt?“

„Vati!“

„Wie heißt dein Vati?“

„Das sage ich nicht!“

„Warum nicht?“

„Weil du ihm dann petzt, dass ich es dir gesagt habe.“

„Hat dein Vati blonde Haare?“

„Er hat keine Haare.“

„Hat er einen Schnurrbart?“

„Was ist ein Schnurrbart?“

„Ein Schnurrbart sind kurze Haare unter der Nase.“

„Den hat mein Vati nicht. Hast du einen Schnurrbart?“

„Den habe ich. Der ist berühmt, den

kennt jeder Mensch.“

Mir ging ein Licht auf.

„Dann bist du der Mann, der immer so brüllt wie Rainerle, wenn er in die Hose gekackt hat.“

„Wer hat dir das gesagt?“

„Das verrate ich nicht.“

„Wie heißt die Straße, in der du wohnst?“

„Dreimal darfst du raten!“

Vom anderen Ende der Leitung hörte ich ein Knacken. Dann blieb es still.

Ich war dem Mann mit dem Schnurbart und der Blechbüchse im Hals sehr böse, weil er Mutti nicht

gesagt hatte, dass sie nach Hause kommen solle, weil Rainerle sich

bekackt habe. 

Als Mutti gegen Abend endlich eintraf, berichtete ich ihr von meinem Telefonat mit dem

Schnurrbärtigen.

„Um Gottes Willen“, rief sie entsetzt, „du hast mit dem Führer gesprochen!“

„Ja“, betonte ich stolz, „mit dem Schäfer, der die Schafe zum Fressen führt.“

 

Nächsten Tags war in Deutschlands auflagenstärkster Tageszeitung, dem „Völkischen Beobachter“,

zu lesen, dass der von uns allen geliebte Führer Adolf Hitler einem kleinen

Berliner Jungen ein

Interview gegeben hatte. Damit beweise sich erneut, wie tief verwurzelt des Führers Glaube an die

Kraft der deutschen Volksgemeinschaft ist. 

 

 

 

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ArnVonReinhard Ich finde es es ganz schlimm, wie du ihn hier diffamierst - den Schnurrbart ...
;-)

LG
AvR
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Klein-Detlef hat ob seiner geschickten Gesprächsführung meine absolute Sympathie. :-)
Eine bemerkenswerte Geschichte.
Schmunzelgrüße,
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
AngiePfeiffer Das ist ja eine originelle Geschichte. Ich bin begeistert.
Amüsierte Grüße
Angie
Vor langer Zeit - Antworten
Gast Herzlichen Dank, Angie!
LG Detlef
Vor langer Zeit - Antworten
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