Dieser Geruch… Er war so ganz anders, als alles, was ich in meinem Gehirn bis jetzt unter Gerüchen verankert hatte. Er war so… kräftig. Und irgendwie so übermannend. Vorsichtig, ganz vorsichtig, um ja nicht zu viel einzuatmen, sog ich die mir unbekannte Luft in meine Nasenlöcher ein und versuchte zu erkennen, um was es sich handelte. Es roch nach… Angst. Verzweiflung. Aber irgendwie auch nach Neugier. Ehrgeiz. Nach Hoffnung und Erwartungsfreude. Aber diese Angst, oh war sie köstlich, sie überdeckte all die anderen Eigenschaften der muffelnden, stickigen Luft, die hier herrschte. Ganz langsam leckte ich mir mit der Zunge
über die rauen Lippen, versuchte die Angst zu schmecken, sie mit der Zunge auf der Unebenheit meiner Haut zu ertasten. Alles an meinem Körper kribbelte, Energie schoss in jede Pore meines kräftigen Körpers, meine ausgeprägte Behaarung stellte sich, elektrisiert von diesem einzigartigen Gefühl, erregt auf. Ich lechzte mit jeder Zelle meines Körpers nach diesem Gefühl der Überlegenheit, das ich so lange schmerzlich vermisst hatte. Alles an mir krallte sich an diesen unglaublichen Moment, ich ballte die Hände zu Fäusten, meine scharfen Krallen, im schwachen Schein der Sterne, die durch die dicke Wolkendecke
blinzelten, drückten sich schmerzhaft in meine Handinnenflächen und ich bäumte mich vor Glückseligkeit und Freude bebend auf. Flog fast vor Macht, Intrige und Herrschaft. Und dann, ganz plötzlich, genauso wie es gekommen war, verschwand das Gefühl wieder. Zog sich aus meinem Körper zurück und erinnerte mich schmerzhaft daran, wie schwach ich doch eigentlich war. Wie einem Engel, dem man die Flügel gestutzt hatte, plumpste ich zurück auf den harten, staubigen Dielenboden und kauerte mich zusammen. Gänsehaut zog sich über meine Haut und ich hatte das dringende Bedürfnis, die Arme um meinen nackten, stark behaarten
Oberkörper zu schlingen. Kauerte mich zusammen, wie ein kleines, chancenloses Baby und wimmerte kläglich. Meine langen, scharfen Krallen kratzen über die splitternen Dielen und mein Körper schoberte über den Boden. Alles in mir schrie nach dem Gefühl, dass mich auf schmerzhafte Weise verlassen und mich als einen kleinen, verletzlichen Körper zurückgelassen hatte. Die Fensterläden draußen klapperten unbehaglich gegen die hölzernen, morschen Wände und ein schwacher Luftzug zog unter dem Spalt der Tür hindurch und wirbelte die zentimeterhohe Staubschicht sachte auf. Wie Federn schwebten die Flusen zurück auf den Boden und bedeckten die Härte
und Schärfe der unebenen Dielenbretter unter sich, wie eine warme, weiche Decke den kranken Körper eines alten, gebrechlichen Mannes. In der Ferne hörte ich ein Geräusch. Zaghaft hob ich den Kopf ein wenig aus meinem Klammergriff, lauschte mit einem Ohr angestrengt in die Ferne und schaute dabei angsterfüllt, mit glänzenden Pupillen aus dem Fenster, hinaus in die stürmische, wolkenbedeckte Nacht. Da war es wieder. Dieses grässliche Heulen, dass mir alle Haare zu Berge stehen ließ. Der Ruf nach Blut, Eingeweiden und Verderben. Der Schrei nach menschlichem Fleisch und die Aufforderung zur gemeinschaftlichen
Jagd. Meine gelben Pupillen, mit denen ich scharf wie eine Nachteule sehen konnten, reflektierten das Licht der Sterne, die langsam und zögerlich hinter den grauen Wolken hervortraten. Ich wusste was jetzt kam. Ich spürte es. Ich spürte, wie sich mein Herzschlag erneut beschleunigte, wie mein Puls in die Höhe schoss, mir die Schweißperlen über das spitzmündige Gesicht, mit Haaren bedeckt, rannen und meine Pranken, größer und kräftiger denn je, vor Furcht ganz kalt wurden. Alles in mir schrie danach, wegzulaufen. Zu Fliehen. Dem Grauen zu entkommen. Doch nichts in mir bewegte sich. Kein Muskel zog sich zusammen, kein kleiner weißer Engel
setzte sich auf meine Schulter und forderte meinen Verstand auf, die langen, dünnen Beine in die Hand zu nehmen und fortzulaufen und kein schwarzer, rauchiger Teufel setzte sich auf die andere Seite und protestierte. Es war alles ruhig. Und dann kam er. Langsam und bedrohlich schob er sich zwischen den grauen Wolkendecken hindurch, die nach und nach zu dunklen Schollen wurden und sich in alle Himmelsrichtungen verteilten. Er drückte sie auseinander wie die Luft einen Ballon. Sein mächtiger, leuchtendgelber Kopf schob sich zwischen den Wolkenfetzen hindurch und grinste mich boshaft von oben herab an. Da war er.
Der schrecklichste und bösartigste Teil von allem: Der Vollmond.
Er lachte mich von dort oben boshaft und ohne Rücksicht auf Verluste schadenfroh an. Mit seiner Fülle, dem gefährlichen Strahlen und den unheimlichen Flecken, die wie Siegesnarben auf seiner Oberfläche thronten, grinste er hinunter auf die Erde und freute sich schadenfroh auf das blutige Gemetzel der Nacht. Jede Faser meines Körpers schrie nach der Jagd, nach der Hetze, meine Zunge lechzte nach dem Geschmack von frischem, menschlichem Blut und meine Zähne begannen zu mahlen, die virtuellen Knochen und Fasern des menschlichen Körpers zerreißend. Einzig mein Verstand brüllte gegen den Aufstand an. Erfolglos. Krampfhaft
sprang ich vom Boden auf, reckte mich in all meiner Größe und schüttelte den juckenden Staub aus meinem kurzen, borstigen Haar. Triumphal stand ich mitten in dem kleinen, kahlen Raum und reckte meine imposante Körpergröße zur Decke. Wie ich so auf dem Boden lag, konnte niemand meine wahre Gestalt sehen, aber nun, wie ich zu voller Körpergröße und bis unter die Decke ausgestreckt in der schäbigen und altersschwachen Hütte stand, drohend knurrte und mit den spitzen, von Speichel triefenden Zähnen fletschte, fehlte nur noch der schwarze, seidene Umhang und ich machte dem Teufel Konkurrenz. Mein Oberkörper hob und
senkte sich unter meinem Atem, alle Haare standen kerzengerade von meinem Körper ab. Meine krummen Beine reckten sich, die Tatzen, mit rasiermesserscharfen Krallen bestückt, kratzen wie Fingernägel auf Schiefer über den Holzboden. Meine Klauenartigen Pranken krallten sich an einem alten, speckigen Vorhang fest und meine feinen, scharfen Krallen rissen dünne Fransen in den einst farbenfrohen und sauberen Stoff. Alle meine Sinne waren bis auf das feinste geschärft, meine Augen strahlten im hellen Licht meines Schöpfers, dem grinsenden Mond, die Ohren waren weit aufgerichtet und meine lange, klebrige Zunge, hing
hechelnd aus meinem großen, mit messerscharfen Reißzähnen bestücktem Maul. Vorsichtig geduckt schlich ich zur Tür. Wie ein altes Weib lief ich mit gebeugtem Rücken und Buckel durch die Tür und streckte mich in der angenehm, milden Nacht. Ein paar Grillen in der Ferne zirpten bedächtig, doch meine Ohren erfassten sie mit der Lautstärke eines Feuermelders. Unter einem keuchenden Gähnen streckte ich all meine Gliedmaßen, ließ andächtig meine Gelenke knacken, leckte mir noch einmal mit der Zunge über die inzwischen vor Hunger auf Menschenfleisch triefenden Lippen und ließ mich vorsichtig auf die Vorderfüße. Ein Außensteher hätte
wahrscheinlich jetzt erst erkannt, mit welchem blutrünstigen und überaus gefährlichem Wesen er es eigentlich zu tun hatte. Anmutig schlich ich auf eine Erhebung, ließ mich auf mein Hinterteil nieder und streckte die Schnauze meinem Schöpfer entgegen. Dann heulte ich ausgelassen und verkündete meinen Brüdern und Schwestern den Beginn der Jagd. Es war Vollmond und die Jagd der Werwölfe nach unschuldigen Menschen hatte begonnen.
Vielstimmig antworteten mir meine Leidensgenossen und ich sog jeden liebevollen und hungrigen Ruf von ihnen gierig auf. In der Ferne, am Waldesrand, konnte ich schemenhaft ein paar Gestalten erkennen, die geduckt und mit Jägerhaltung im angrenzenden Tannenwald verschwanden. Auch ohne sie genauer erkannt zu haben, wusste ich genau, dass sie dasselbe, blutrünstige Ziel im Auge hatten wie ich. Das kleine Menschendorf hinter dem Waldgürtel, der sich, beschützend wie eine Mauer, um den kleinen See und das angrenzenden Fischerdorf gelegt hatte. Vor Vorfreude und Enthusiasmus ganz aufgekratzt, knurrte ich ein tiefes,
kehliges Knurren und hetzte hinüber zum Waldesrand. Aus dem Augenwinkel vernahm ich eine Gestalt, die mit großen Sprüngen auf mich zugeeilt kam und wurde langsamer. Mit aufgestellten Nackenhaaren, eingezogenem Schwanz und gefletschten Zähnen standen wir uns gegenüber. Bedrohlich schnupperten wir an dem anderen, stupsten ihn mit den Mäulern an und rannten dann gemeinsam weiter. Ein Artgenosse, vom selben furchtbaren Schicksal wie ich verfolgt. Von ihm ging keine Gefahr aus. Noch nicht. Wir preschten mit unseren Tatzen über die Wiese hinweg und gelangten zum Waldrand. Das Tempo drosselnd drangen wir in das Innere des Waldes
ein, sorgsam darauf bedacht, trockene Äste und Zweige zu meiden und keinem der anderen, wilden Nachtgeschöpfe zu begegnen. In der Ferne konnte ich etwas Helles aufleuchten sehen und kurz darauf preschte ein weißes Einhorn an uns vorbei, verfolgt von zwei jungen, hungrigen Werwölfen, die noch nicht wussten, dass sie gegen das Einhorn, würde es erst einmal außerhalb des Waldes sein, keine Chance mehr hatten. Tapsend drangen wir weiter in die Finsternis vor. Meine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt und ich schaute mich bei jedem kleinen Geräusch, das meine scharfsinnigen Ohren wahrnahmen, mit aufgestellten
Nackenhaaren sorgfältig um. Eine Waldmaus rannte angsterfüllt quietschend vor mir über den Weg und verschwand im Gebüsch. Anmutig weiterschleichend, näherte ich mich dem anderen Ende des Waldes. In meinen Augen spiegelte sich das Wasser des Sees und die Beleuchtung der kleinen, gemütlichen Wohnhäuser, die die Gefahr, die ihnen lauerte, noch nicht wahrnahmen. Immer mehr Werwölfe versammelten sich schweigend und ohne ein Geräusch von sich zu geben, im Schutz der dunklen Bäume und warteten auf ein gemeinsames Zeichen. Das Maul leckend und die spitzen Krallen ausfahrend saßen sie alle gemeinsam auf
dem Waldboden und schauten ihren Opfern zu, wie sie, ahnungslos und glücklich, in ihren Wohnzimmern vor den Kaminen saßen und sich gegenseitig Geschichten erzählten. Als ich mich neben den anderen Werwölfen niederließ, veränderten meine Artgenossen die Sitzposition. Sie hockten sich, bereit direkt loszuspringen, über den Waldboden und warteten nur auf ein Zeichen meinerseits. Andächtig fuhr ich mit der Pranke über einen morschen Baumstamm, der direkt neben mir lag. Ich wusste, was als nächstes passierte. Ich würde die Pranke ein Stück vom morschen Hol heben und sie würden, angetrieben durch meinen Befehl, in das
Dorf stürmen und alle Kinder aus ihren wohlbehorteten Elternhäusern reißen. Verfolgt vom Flehen und Schreien der angsterfüllten Eltern würden sie die Kinder zurück in den Wald schleppen und sie dort zu unseren Artgenossen machen. Die Starken würden einen infektiösen Biss erhalten und fortan mit uns auf die Jagd gehen müssen. Die Schwachen jedoch, würden als unser Festmahl dienen. Hechelnd und mit vor Speichel triefenden Mäulern würden wir über ihre zaghaften Körper hinwegfallen und ihnen die Gliedmaßen vom schüchternen Körper reißen. Obwohl ich wusste, dass wir so ein weiteres Dorf dem Untergang weihten, den Eltern das
Wichtigste in ihrem kleinen, zurückgezogenen Leben raubten und unsere eigene Macht durch Raub und Verderb ausweiteten, hob ich die Pranke vom Stamm und gab das Zeichen zum Beginn der Jagd.
Wie ein Rudel junger Hunde stürzten die schwarzen und grauen Gestalten aus ihrer Deckung und preschten über das letzte Stück Wiese, das sie von den warmen und gemütlichen Wohnhäusern der Menschen trennte. Ich trotte mit eingezogenem Schwanz hinterher. Der Mond grinste boshaft von oben auf uns herab und verfolgte das wilde Treiben seiner Schützlinge, als wüsste er genau, wie sehr mir dieses Unterfangen gegen den Strich ging. Als wüsste er, dass ich mich tief in meinem Inneren gegen die Prozedur wehrte und ihm trotzdem Folge leisten musste. Lechzend und hechelnd kamen meine Brüder und Schwestern bei den Häusern an und trampelten in die
gutbeheizten Stuben. Für einen Moment war nichts weiter zu hören als das sanfte Plätschern der zaghaften Wellen gegen das Ufer und dem entfernten Zirpen einiger Grillen, die wehmütig ihre Klagelieder in die Natur posaunten. Dann wurde die Stille von schmerzlichen und angsterfüllten Schreien der Mütter und Väter durchrissen, die ihre Kinder zu umklammern versuchten und mit Töpfen und Pfannen nach den gewaltigen Ungeheuern schlugen, die ihre Kinder aus der Sicherheit ihrer Familien zerrten. Schon morgen würde in diesem Dorf niemand mehr die Fensterläden öffnen und Reisende würden einen großen Bogen um das Tal machen, indem
Werwölfe ihr Unwesen trieben und Familien auseinanderrissen. Die schreienden und weinenden Kinder festgepackt, zogen die Werwölfe hastig an mir vorbei zurück in die Sicherheit des dunklen Waldes. Anmutig tapste ich durch die verlassenen Straßen und hörte das leise Wimmern der verzweifelten Eltern, die soeben ihre Kinder an blutrünstige Bestien verloren hatten. Eine Puppe lag einsam und verlassen auf der Straße und die Vorgärten der kleinen, malerischen Fachwerkhäuser zeugten mit dem plattgetrampelten Gras und den niedergerissenen Zäunen von der Verwüstungswut der hungrigen Ungeheuer. Als ich festgestellt hatte,
dass ausnahmslos alle Kinder aus ihren wohlbehüteten Heimen gerissen und alle meine Artgenossen wohlbehalten wieder im Schutz der Dunkelheit angekommen waren, preschte ich zurück und ließ das von uns zerstörte und dem Untergang geweihte Dorf zurück, wohlwissend, dass es nie mehr so erstrahlen würde, wie heute Nacht. Ohne mich noch einmal umzudrehen, sprang ich zurück in den Wald und verkündete mit einem langen, kehligen Heulen das Ende der Jagd. Meine Brüder und Schwestern zerrten an ihren Opfern. Es war an mir, zu entscheiden, wer von ihnen Leben durfte und wer nicht. Leben. Es klang so einfach und war so grausam. Tagsüber
lebten wir wie normale Menschen, zurückgezogen in unserem eigenen, kleinen Dorf. Keiner redete mit dem anderen, niemand verließ das Haus. Das wäre tödlich. Doch kaum wurde es Nacht und der Mond funkelte in all seiner Intensität zu uns auf die Erde, verwandelten wir uns die grundschlechten Ungeheuer und zogen gemeinsam auf die Jagd. Lechzten gemeinsam nach Blut und Verwüstung. Nur einmal im Monat, wenn der Mond als heller, leuchtender Ball machthaberisch über uns thronte, zeigten wir unser wahres Gesicht. Dann jagten wir nicht wie normale Wölfe die Tiere der Nacht und des Waldes. Dann waren wir, von
unserem Schöpfer und Herrscher, dem Mond, dazu verdonnert, Jagd auf menschliches Fleisch und Blut zu machen und unseren Fortbestand mit geraubten Knaben und Mädchen auf all Zeit zu sichern. So war es immer und so würde es auch immer sein. Ich musste ihnen Opfer bieten, sonst würden sie mich anstelle der jungen, kleinlichen Beute in der Luft zerfetzen. Ein wohlgenährter, kräftiger Knabe blickte zu mir hinauf und wimmerte mich angsterfüllt aus seinem pummligen, fetten Gesicht an. Wie ich diese verwöhnten Gören hasste. Sie erinnerten mich nahezu immer an das milchige, runde Gesicht am Himmel, dass uns jede Nacht scharf von oben
beobachtete. Ich bedeutete seinem Wärter, einem kräftigen Wolf mit robusten, dunkelblonden Fell und eiskalten, leuchtenden Augen, dass er wertlos sei und zog weiter zum nächsten Opfer. So ging es Knabe für Knabe und Mädchen für Mädchen. Am Ende waren es fünf Knaben und zwei Mädchen die zu welchen von uns wurden und vier Knaben und sechs Mädchen, die die heutige Nacht nicht mehr überleben und nie wieder die Intensität und Kraft der Sonne erblicken würden. Mit einem freudeschallenden und hungrigen Heulen begrüßten meine Brüder und Schwestern mein Urteil und fielen, hungrig und lechzend nach Blut über ihre Opfer her.
Die Klagens- und Schmerzschreie der Kinder waren nur von kurzer Dauer, dann verschwanden sie und wichen dem Schmatzen und Schlecken der Räuber, die mit blutverschmierten Mäulern ihre Reißzähne in die jünglichen Körper stießen und ihre Eingeweide zerfetzen. Das Blut und der Hunger nach Fleisch lockte auch mich und obwohl ich es so ekelerregend und abweisend fand, grub auch ich meine Zähne in einen der vielen kindlichen Körper und schleckte mir mit der Zunge lustvoll über die bluttrunkenen Lippen. Da war es wieder, dieses unbeschreibliche Gefühl. Macht. Herrschaft. Und Überlegenheit. Die Kinder, die den infektiösen Biss erhalten
hatten, lagen stöhnend und leise wimmernd auf dem Waldboden und wanden sich unter den Qualen des Giftes, dass ihnen durch einen einzigen Biss bis auf alle Ewigkeit in den Blutkreislauf injiziert und von nun an Teil ihres Lebens wurde. Zuerst würden sie eine Körperbehaarung bekommen. Dann würden ihre Glieder um das Dreifache wachsen. Ihre Zähne und Nägel würden zu gefährlichen Waffen und ihre Sinne bis auf das äußerste geschärft werden. Am Anfang noch zurückhaltend und angeekelt vom Geschmack frischen Blutes würden sie bald mit uns auf die Jagd gehen und selbst nach Opfern und Blut lechzen, angespornt von ihrem
Erschöpfer, der auf uns hinunterstrahlte und angezogen von der panischen Angst der flüchtenden Opfer. Sie würden sich mit ihrem Schicksal abfinden müssen, selbst wenn sie, wie auch ich es tief in meinem Inneren noch immer verspürte, eigentlich einem anderen Weg folgen wollten. Sie würden vor ihrem Herrscher und Gebieter in die Knie gehen, ihn anheulen und anbeten und jeder seiner Anweisungen ohne Meckern und Murren Folge leisten. Sie würden das Gefühl, dass es ihnen ausreden will, andere Lebewesen auf solch grausame Art zu jagen und zu töten, unterdrücken und stattdessen dem eigenen Verlangen nach Blut, Tod und den schmerzerfüllten
Schreien der am Boden zerstörten Eltern folgen, die wie Musik zu einem Tanz die ganze Jagd in all ihrer Intensität noch einmal steigern würde. Und irgendwann, wenn ihr Fell schon einen Ansatz an grauen Haaren haben würde und sie selbst schon über hundert Kehlen zerfetzt hatten, würde das Gefühl vielleicht ganz verschwinden. Oder es würde weiterhin jedes Mal erneut entfacht werden und die Werwölfe, gepeinigt und gefoltert vom Strahlen des tyrannischen Mondes, würden erkennen, dass es falsch war, was sie taten, und sich wehren.