Da sitzen sie also vor mir, erwartungsvoll, geheimnisvoll mit ihren dunklen Augen, auch offen. Offen wirklich? 19 Männer im Alter von 19 bis 50 Jahren, ein Mädchen, 22 wie meine Tochter Maria. Fast alle aus Syrien, 2 Iraker, 2 Iraner, 2 Afghanen.
Ich bin schrecklich aufgeregt. Werde ich sie erreichen? Werden sie mich als Frau akzeptieren? Reicht mein Englisch? Sprechen sie genügend englisch, auf dass wir eine gemeinsame Sprache finden zu Anfang?
Nach dem ersten Tag ist das Eis gebrochen, mit Feuereifer stürzt sich meine Klasse auf die für sie neue Sprache. Ich treibe sie vorwärts, am 2. Tag sind wir alle nach 4
Stunden total erschöpft, und doch kommen sie zu mir und sagen in ihrem schnarrenden Deutsch: „Das war serr gutt.“ Ich bin stolz, auf meine Klasse, und ein bisschen auch auf mich.
Von Beruf sind sie Anwalt, Richter, IT-Ingenieur. Bodour, die einzige Frau, was übersetzt Mond heißt, studiert Bankwesen. Ich habe Kfz-Mechaniker, Friseure, Taxifahrer und Schneider dabei. Und ab dem 2. Tag ist da plötzlich noch Achmed, ein 12 jähriger Pfiffikus. Sein schwarzes Strubbelhaar und der dunkle Teint verraten, dass zumindest ein Vorfahre aus Afrika nach Syrien einwanderte. Achmed ist mit seinem 21jährigen Bruder hier, die anderen 6 Geschwister und die Eltern blieben in Syrien.
Achmed versteht mein Englisch nicht, aber dafür kann er das Deutsche schneller aufnehmen als die Erwachsenen und folgerichtig umsetzen. Die neuen Wörter hopsen ihn regelrecht an.
Wir üben: Ich sehe einen ….. Alle ergänzen den Satz mit den eben erarbeiteten neuen, in Bildern dargestellten Wörtern. Da ruft Achmed dazwischen: „Ich sehe einen Zauberer.“ Ich bin sprachlos und muss lachen. Achmed Fröhlichkeit ist ansteckend.
Sie behandeln mich als ihre Lehrerin mit größter Höflichkeit und mit Respekt. Mein Mann warnt mich ständig: „Sei vorsichtig, lass sie nicht zu nah an dich ran, sie sind anders.“
Ich komme ins Grübeln. Wo fängt Anderssein
an, wo ist die Grenze, wie weit ist nah? Bis zu persönlichen Freundschaften oder doch nicht?
Jeder Tag scheint ein neues Abenteuer. Ich erzähle über uns Deutsche, über die Region, über den Tierschutz, frage nach ihren Eindrücken, nach Vorurteilen der Nieskyer, Ablehnungen. Niesky ist wie immer, total ruhig. Für manchen, vor allem die Jüngeren, zu ruhig. Ansonsten ist es hier wie überall, es gibt freundliche Leute und solche, die grimmig schauen und ihren Gruß nicht erwidern. Na gut, das passiert mir auch. Offene Anfeindungen gab es bis jetzt noch nicht. Wird Köln was daran ändern?
Meine Schüler gehören zu denen, die bisher noch nie negativ in der Stadt auffielen oder
mit der Polizei in Konflikt kamen. Im anderen Asylbewerberheim am Rande der Stadt fährt 2 bis 3 Mal pro Woche die Polizei vor. Es ist eben immer der einzelne Mensch mit seinem Verhalten, der sich für ein gutes Miteinander oder dagegen entscheidet.
Am Donnerstag kommt es dann doch zu einem unerwarteten Vorkommnis. Ich führe das Wort „haben“ ein und dessen Konjugation. Irgendetwas muss ich nicht exakt vermittelt haben, plötzlich bricht ein Streit zwischen 3 Männern aus. Die harten arabischen Worte schwirren wie Peitschenhiebe durch die Luft. In Sekundenschnelle ist eine Lautstärke und ein Agressionspotential erreicht, dass mich erst einmal sprachlos macht. Wie verhalte ich
mich jetzt richtig?
Ich stelle mich vor sie und sage bestimmt und deutlich: „Bitte!“ und „Be quiet!“
Die Kampfhähne setzen sich, augenblicklich schauen mich alle wieder an, der Unterricht kann weiter gehen.
Gemeinsam lernen heißt für mich auch gegenseitig lernen. Bazella heißen die grünen Erbsen auf Arabisch, die ich auch so gern esse. Reiten kann beileibe nicht jeder von ihnen, hätte ich nicht vermutet. Und als ich von unseren Störchen erzähle und dass die Lausitz eines der größten Storchgebiete Deutschlands ist, erfahre ich, dass es in Syrien auch sehr viele Störche gibt. Allerdings sind sie schwarz und ernähren sich von Fisch und sie reisen im Winter nicht ins Ausland.
Am Ende der Woche möchte ich mich bei meiner Klasse bedanken. Auch zusammen gesungen haben wir schon, einem „Geburtstagskind“ das „Happy birthday“. Das klappt also scheinbar überall auf der Welt.
Nun male ich die Redewendung: W ER GUT ARBEITET, SOLL GUT ESSEN. an die Tafel. Dazu reichen ihre Deutschkenntnisse schon aus. Alle verstehen mich.
Ich habe einen Dresdener Stollen eingepackt und erläutere noch die 500jährige Geschichte dieses Gebäcks. Dann lassen wir es uns schmecken, ja es schmeckt ausgezeichnet.
Später fällt mir ein: meine Oma buk den Stollen unter anderem mit Schweineschmalz und legte die Rosinen in Rum ein. Egal, bei der allgemeinen Begeisterung werden die
Götter einer Atheistin gewiss verzeihen.
Da sitzen sie also vor mir, erwartungsvoll, geheimnisvoll mit ihren dunklen Augen, auch offen. Offen wirklich? 19 Männer im Alter von 19 bis 50 Jahren, ein Mädchen, 22 wie meine Tochter Maria. Fast alle aus Syrien, 2 Iraker, 2 Iraner, 2 Afghanen.
Ich bin schrecklich aufgeregt. Werde ich sie erreichen? Werden sie mich als Frau akzeptieren? Reicht mein Englisch? Sprechen sie genügend englisch, auf dass wir eine gemeinsame Sprache finden zu Anfang?
Nach dem ersten Tag ist das Eis gebrochen, mit Feuereifer stürzt sich meine Klasse auf die für sie neue Sprache. Ich treibe sie vorwärts, am 2. Tag sind wir alle nach 4 Stunden total erschöpft, und doch kommen sie zu mir und sagen in ihrem schnarrenden Deutsch: „Das war serr gutt.“ Ich bin stolz, auf meine Klasse, und ein bisschen auch auf mich.
Von Beruf sind sie Anwalt, Richter, IT-Ingenieur. Bodour, die einzige Frau, was übersetzt Mond heißt, studiert Bankwesen. Ich habe Kfz-Mechaniker, Friseure, Taxifahrer und Schneider dabei. Und ab dem 2. Tag ist da plötzlich noch Achmed, ein 12 jähriger Pfiffikus. Sein schwarzes Strubbelhaar und der dunkle Teint verraten, dass zumindest ein Vorfahre aus Afrika nach Syrien einwanderte. Achmed ist mit seinem 21jährigen Bruder hier, die anderen 6 Geschwister und die Eltern blieben in Syrien. Achmed versteht mein Englisch nicht, aber dafür kann er das Deutsche schneller aufnehmen als die Erwachsenen und folgerichtig umsetzen. Die neuen Wörter hopsen ihn regelrecht an.
Wir üben: Ich sehe einen ….. Alle ergänzen den Satz mit den eben erarbeiteten neuen, in Bildern dargestellten Wörtern. Da ruft Achmed dazwischen: „Ich sehe einen Zauberer.“ Ich bin sprachlos und muss lachen. Achmed Fröhlichkeit ist ansteckend.
Sie behandeln mich als ihre Lehrerin mit größter Höflichkeit und mit Respekt. Mein Mann warnt mich ständig: „Sei vorsichtig, lass sie nicht zu nah an dich ran, sie sind anders.“
Ich komme ins Grübeln. Wo fängt Anderssein an, wo ist die Grenze, wie weit ist nah? Bis zu persönlichen Freundschaften oder doch nicht?
Jeder Tag scheint ein neues Abenteuer. Ich erzähle über uns Deutsche, über die Region, über den Tierschutz, frage nach ihren Eindrücken, nach Vorurteilen der Nieskyer, Ablehnungen. Niesky ist wie immer, total ruhig. Für manchen, vor allem die Jüngeren, zu ruhig. Ansonsten ist es hier wie überall, es gibt freundliche Leute und solche, die grimmig schauen und ihren Gruß nicht erwidern. Na gut, das passiert mir auch. Offene Anfeindungen gab es bis jetzt noch nicht. Wird Köln was daran ändern?
Meine Schüler gehören zu denen, die bisher noch nie negativ in der Stadt auffielen oder mit der Polizei in Konflikt kamen. Im anderen Asylbewerberheim am Rande der Stadt fährt 2 bis 3 Mal pro Woche die Polizei vor. Es ist eben immer der einzelne Mensch mit seinem Verhalten, der sich für ein gutes Miteinander oder dagegen entscheidet.
Am Donnerstag kommt es dann doch zu einem unerwarteten Vorkommnis. Ich führe das Wort „haben“ ein und dessen Konjugation. Irgendetwas muss ich nicht exakt vermittelt haben, plötzlich bricht ein Streit zwischen 3 Männern aus. Die harten arabischen Worte schwirren wie Peitschenhiebe durch die Luft. In Sekundenschnelle ist eine Lautstärke und ein Agressionspotential erreicht, dass mich erst einmal sprachlos macht. Wie verhalte ich mich jetzt richtig?
Ich stelle mich vor sie und sage bestimmt und deutlich: „Bitte!“ und „Be quiet!“
Die Kampfhähne setzen sich, augenblicklich schauen mich alle wieder an, der Unterricht kann weiter gehen.
Gemeinsam lernen heißt für mich auch gegenseitig lernen. Bazella heißen die grünen Erbsen auf Arabisch, die ich auch so gern esse. Reiten kann beileibe nicht jeder von ihnen, hätte ich nicht vermutet. Und als ich von unseren Störchen erzähle und dass die Lausitz eines der größten Storchgebiete Deutschlands ist, erfahre ich, dass es in Syrien auch sehr viele Störche gibt. Allerdings sind sie schwarz und ernähren sich von Fisch und sie reisen im Winter nicht ins Ausland.
Am Ende der Woche möchte ich mich bei meiner Klasse bedanken. Auch zusammen gesungen haben wir schon, einem „Geburtstagskind“ das „Happy birthday“. Das klappt also scheinbar überall auf der Welt.
Nun male ich die Redewendung: W ER GUT ARBEITET, SOLL GUT ESSEN. an die Tafel. Dazu reichen ihre Deutschkenntnissen schon aus. Alle verstehen mich.
Ich habe einen Dresdener Stollen eingepackt und erläutere noch die 500jährige Geschichte dieses Gebäcks. Dann lassen wir es uns schmecken, ja es schmeckt ausgezeichnet.
Später fällt mir ein: meine Oma buk den Stollen unter anderem mit Schweineschmalz und legte die Rosinen in Rum ein. Egal, bei der allgemeinen Begeisterung werden die Götter einer Atheistin gewiss verzeihen.