Kurzgeschichte
Meine Flüchtlinge

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"Meine Flüchtlinge"
Veröffentlicht am 16. Januar 2016, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Melinda Nagy - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich wohne in der Oberlausitz und schreibe gern über meine schöne Heimat, schon seit der ersten Klasse. Ich liebe meine vier Kinder und bin sehr stolz auf sie. Nun sind sie in die Welt gezogen von Berlin bis Tokio, also besorgten wir, mein Mann und ich uns zwei neue Babies: Katze Nala und Hund Willy. Jeder von uns hält einen im Arm.
Meine Flüchtlinge

Meine Flüchtlinge

Da sitzen sie also vor mir, erwartungsvoll, geheimnisvoll mit ihren dunklen Augen, auch offen. Offen wirklich? 19 Männer im Alter von 19 bis 50 Jahren, ein Mädchen, 22 wie meine Tochter Maria. Fast alle aus Syrien, 2 Iraker, 2 Iraner, 2 Afghanen.

Ich bin schrecklich aufgeregt. Werde ich sie erreichen? Werden sie mich als Frau akzeptieren? Reicht mein Englisch? Sprechen sie genügend englisch, auf dass wir eine gemeinsame Sprache finden zu Anfang?

Nach dem ersten Tag ist das Eis gebrochen, mit Feuereifer stürzt sich meine Klasse auf die für sie neue Sprache. Ich treibe sie vorwärts, am 2. Tag sind wir alle nach 4

Stunden total erschöpft, und doch kommen sie zu mir und sagen in ihrem schnarrenden Deutsch: „Das war serr gutt.“ Ich bin stolz, auf meine Klasse, und ein bisschen auch auf mich.

Von Beruf sind sie Anwalt, Richter, IT-Ingenieur. Bodour, die einzige Frau, was übersetzt Mond heißt, studiert Bankwesen. Ich habe Kfz-Mechaniker, Friseure, Taxifahrer und Schneider dabei. Und ab dem 2. Tag ist da plötzlich noch Achmed, ein 12 jähriger Pfiffikus. Sein schwarzes Strubbelhaar und der dunkle Teint verraten, dass zumindest ein Vorfahre aus Afrika nach Syrien einwanderte. Achmed ist mit seinem 21jährigen Bruder hier, die anderen 6 Geschwister und die Eltern blieben in Syrien.

Achmed versteht mein Englisch nicht, aber dafür kann er das Deutsche schneller aufnehmen als die Erwachsenen und folgerichtig umsetzen. Die neuen Wörter hopsen ihn regelrecht an.

Wir üben: Ich sehe einen ….. Alle ergänzen den Satz mit den eben erarbeiteten neuen, in Bildern dargestellten Wörtern. Da ruft Achmed dazwischen: „Ich sehe einen Zauberer.“ Ich bin sprachlos und muss lachen. Achmed Fröhlichkeit ist ansteckend.

Sie behandeln mich als ihre Lehrerin mit größter Höflichkeit und mit Respekt. Mein Mann warnt mich ständig: „Sei vorsichtig, lass sie nicht zu nah an dich ran, sie sind anders.“

Ich komme ins Grübeln. Wo fängt Anderssein

an, wo ist die Grenze, wie weit ist nah? Bis zu persönlichen Freundschaften oder doch nicht?

Jeder Tag scheint ein neues Abenteuer. Ich erzähle über uns Deutsche, über die Region, über den Tierschutz, frage nach ihren Eindrücken, nach Vorurteilen der Nieskyer, Ablehnungen. Niesky ist wie immer, total ruhig. Für manchen, vor allem die Jüngeren, zu ruhig. Ansonsten ist es hier wie überall, es gibt freundliche  Leute und solche, die grimmig schauen und ihren Gruß nicht erwidern. Na gut, das passiert mir auch. Offene Anfeindungen gab es bis jetzt noch nicht. Wird Köln was daran ändern?

Meine Schüler gehören zu denen, die bisher noch nie negativ in der Stadt auffielen oder

mit der Polizei in Konflikt kamen. Im anderen Asylbewerberheim am Rande der Stadt fährt 2 bis 3 Mal pro Woche die Polizei vor. Es ist eben immer der einzelne Mensch mit seinem Verhalten, der sich für ein gutes Miteinander oder dagegen entscheidet.

Am Donnerstag kommt es dann doch zu einem unerwarteten Vorkommnis. Ich führe das Wort „haben“ ein und dessen Konjugation. Irgendetwas muss ich nicht exakt vermittelt haben, plötzlich bricht ein Streit zwischen 3 Männern aus. Die harten arabischen Worte schwirren wie Peitschenhiebe durch die Luft. In Sekundenschnelle ist eine Lautstärke und ein Agressionspotential erreicht, dass mich erst einmal sprachlos macht. Wie verhalte ich

mich jetzt richtig?

Ich stelle mich vor sie und sage bestimmt und deutlich: „Bitte!“ und „Be quiet!“

Die Kampfhähne setzen sich, augenblicklich schauen mich alle wieder an, der Unterricht kann weiter gehen.

Gemeinsam lernen heißt für mich auch gegenseitig lernen. Bazella heißen die grünen Erbsen auf Arabisch, die ich auch so gern esse. Reiten kann beileibe nicht jeder von ihnen, hätte ich nicht vermutet. Und als ich von unseren Störchen erzähle und dass die Lausitz eines der größten Storchgebiete Deutschlands ist, erfahre ich, dass es in Syrien auch sehr viele Störche gibt. Allerdings sind sie schwarz und ernähren sich von Fisch und sie reisen im Winter nicht ins Ausland.

Am Ende der Woche möchte ich mich bei meiner Klasse bedanken. Auch zusammen gesungen haben wir schon, einem „Geburtstagskind“ das „Happy birthday“. Das klappt also scheinbar überall auf der Welt.

Nun male ich die Redewendung: W ER GUT ARBEITET, SOLL GUT ESSEN. an die Tafel. Dazu reichen ihre Deutschkenntnisse schon aus. Alle verstehen mich.

Ich habe einen Dresdener Stollen eingepackt und erläutere noch die 500jährige Geschichte dieses Gebäcks. Dann lassen wir es uns schmecken, ja es schmeckt ausgezeichnet.

Später fällt mir ein: meine Oma buk den Stollen unter anderem mit Schweineschmalz und legte die Rosinen in Rum ein. Egal, bei der allgemeinen Begeisterung werden die

Götter einer Atheistin gewiss verzeihen.

Da sitzen sie also vor mir, erwartungsvoll, geheimnisvoll mit ihren dunklen Augen, auch offen. Offen wirklich? 19 Männer im Alter von 19 bis 50 Jahren, ein Mädchen, 22 wie meine Tochter Maria. Fast alle aus Syrien, 2 Iraker, 2 Iraner, 2 Afghanen.

Ich bin schrecklich aufgeregt. Werde ich sie erreichen? Werden sie mich als Frau akzeptieren? Reicht mein Englisch? Sprechen sie genügend englisch, auf dass wir eine gemeinsame Sprache finden zu Anfang?

Nach dem ersten Tag ist das Eis gebrochen, mit Feuereifer stürzt sich meine Klasse auf die für sie neue Sprache. Ich treibe sie vorwärts, am 2. Tag sind wir alle nach 4 Stunden total erschöpft, und doch kommen sie zu mir und sagen in ihrem schnarrenden Deutsch: „Das war serr gutt.“ Ich bin stolz, auf meine Klasse, und ein bisschen auch auf mich.

Von Beruf sind sie Anwalt, Richter, IT-Ingenieur. Bodour, die einzige Frau, was übersetzt Mond heißt, studiert Bankwesen. Ich habe Kfz-Mechaniker, Friseure, Taxifahrer und Schneider dabei. Und ab dem 2. Tag ist da plötzlich noch Achmed, ein 12 jähriger Pfiffikus. Sein schwarzes Strubbelhaar und der dunkle Teint verraten, dass zumindest ein Vorfahre aus Afrika nach Syrien einwanderte. Achmed ist mit seinem 21jährigen Bruder hier, die anderen 6 Geschwister und die Eltern blieben in Syrien. Achmed versteht mein Englisch nicht, aber dafür kann er das Deutsche schneller aufnehmen als die Erwachsenen und folgerichtig umsetzen. Die neuen Wörter hopsen ihn regelrecht an.

Wir üben: Ich sehe einen ….. Alle ergänzen den Satz mit den eben erarbeiteten neuen, in Bildern dargestellten Wörtern. Da ruft Achmed dazwischen: „Ich sehe einen Zauberer.“ Ich bin sprachlos und muss lachen. Achmed Fröhlichkeit ist ansteckend.

Sie behandeln mich als ihre Lehrerin mit größter Höflichkeit und mit Respekt. Mein Mann warnt mich ständig: „Sei vorsichtig, lass sie nicht zu nah an dich ran, sie sind anders.“

Ich komme ins Grübeln. Wo fängt Anderssein an, wo ist die Grenze, wie weit ist nah? Bis zu persönlichen Freundschaften oder doch nicht?

Jeder Tag scheint ein neues Abenteuer. Ich erzähle über uns Deutsche, über die Region, über den Tierschutz, frage nach ihren Eindrücken, nach Vorurteilen der Nieskyer, Ablehnungen. Niesky ist wie immer, total ruhig. Für manchen, vor allem die Jüngeren, zu ruhig. Ansonsten ist es hier wie überall, es gibt freundliche  Leute und solche, die grimmig schauen und ihren Gruß nicht erwidern. Na gut, das passiert mir auch. Offene Anfeindungen gab es bis jetzt noch nicht. Wird Köln was daran ändern?

Meine Schüler gehören zu denen, die bisher noch nie negativ in der Stadt auffielen oder mit der Polizei in Konflikt kamen. Im anderen Asylbewerberheim am Rande der Stadt fährt 2 bis 3 Mal pro Woche die Polizei vor. Es ist eben immer der einzelne Mensch mit seinem Verhalten, der sich für ein gutes Miteinander oder dagegen entscheidet.

Am Donnerstag kommt es dann doch zu einem unerwarteten Vorkommnis. Ich führe das Wort „haben“ ein und dessen Konjugation. Irgendetwas muss ich nicht exakt vermittelt haben, plötzlich bricht ein Streit zwischen 3 Männern aus. Die harten arabischen Worte schwirren wie Peitschenhiebe durch die Luft. In Sekundenschnelle ist eine Lautstärke und ein Agressionspotential erreicht, dass mich erst einmal sprachlos macht. Wie verhalte ich mich jetzt richtig?

Ich stelle mich vor sie und sage bestimmt und deutlich: „Bitte!“ und „Be quiet!“

Die Kampfhähne setzen sich, augenblicklich schauen mich alle wieder an, der Unterricht kann weiter gehen.

Gemeinsam lernen heißt für mich auch gegenseitig lernen. Bazella heißen die grünen Erbsen auf Arabisch, die ich auch so gern esse. Reiten kann beileibe nicht jeder von ihnen, hätte ich nicht vermutet. Und als ich von unseren Störchen erzähle und dass die Lausitz eines der größten Storchgebiete Deutschlands ist, erfahre ich, dass es in Syrien auch sehr viele Störche gibt. Allerdings sind sie schwarz und ernähren sich von Fisch und sie reisen im Winter nicht ins Ausland.

Am Ende der Woche möchte ich mich bei meiner Klasse bedanken. Auch zusammen gesungen haben wir schon, einem „Geburtstagskind“ das „Happy birthday“. Das klappt also scheinbar überall auf der Welt.

Nun male ich die Redewendung: W ER GUT ARBEITET, SOLL GUT ESSEN. an die Tafel. Dazu reichen ihre Deutschkenntnissen schon aus. Alle verstehen mich.

Ich habe einen Dresdener Stollen eingepackt und erläutere noch die 500jährige Geschichte dieses Gebäcks. Dann lassen wir es uns schmecken, ja es schmeckt ausgezeichnet.

Später fällt mir ein: meine Oma buk den Stollen unter anderem mit Schweineschmalz und legte die Rosinen in Rum ein. Egal, bei der allgemeinen Begeisterung werden die Götter einer Atheistin gewiss verzeihen.

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Über den Autor

Albatros99
Ich wohne in der Oberlausitz und schreibe gern über meine schöne Heimat, schon seit der ersten Klasse.
Ich liebe meine vier Kinder und bin sehr stolz auf sie.
Nun sind sie in die Welt gezogen von Berlin bis Tokio, also besorgten wir, mein Mann und ich uns zwei neue Babies: Katze Nala und Hund Willy. Jeder von uns hält einen im Arm.

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Gabriele Meine Hochachtung für deinen Einsatz liebe Christine :-)
und meinen Glückwunsch zu der spannenden und gelungenen "Bericht-Erstattung", welche ich sehr gerne gelesen habe. Obwohl ich ja schon einige Zeit aus dem (alten) Berufsleben raus bin, hat es mich sehr an meine Zeit erinnert, als wir vor Jahren "Deutsch für Deutsche" (für deutschstämmige Polen und Russen) durchgeführt haben......
Ich wünsche dir und deiner Klasse weiterhin ein gutes Miteinander und Lernen! Mit lieben Grüßen, Gabriele
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 vielen herzlichen Dank, ich hoffe auch, dass es so bleibt und vor allem mit unseren Mitmenschen besser wird. Man bekommt eben immer die unterschiedlichsten Reaktionen mit. Aber auch die menschen aus anderen teilen der Welt sind nicht alle gleich (wie sollten sie auch?!) ich habe mich heute mit meinem Hausarzt und Schulfreund unterhalten. Einige sind bei ihm einfach zum Gernhaben und Knuddeln, meinte er. Andere kommen in seine Praxis und schreien laut rum, wenn sie warten müssen wie alle anderen Patienten. Jeder macht eben ganz eigene Erfahrungen, und deine kann ich gut nachempfinden, zumal ich auch ne Menge deutschstämmige Russen aller Couleur kenne, und mit den Polen hier direkt an der Grenze ja bestens vertraut bin. Überall wird nur mit Wasser gekocht (zum Glück). das scheinen jetzt viele zu vergessen.
Liebe Grüße
Christine
Vor langer Zeit - Antworten
Gabriele Liebe Christine :-)
ich danke dir herzlich für dein ausführliches Feedback. Ich denke da sehr ähnlich wie du - und - ich persönlich habe auch immer wieder die erfahrung gemacht: "Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es auch heraus." In diesem Sinne wünsche ich uns überwiegend positive Erfahrungen und positive Entwicklungen bei jedem Menschen. Mit lieben Grüßen zurück, Gabriele
Vor langer Zeit - Antworten
Gast Liebe Christine,
Danke für diese wunderbare Geschichte, die ich auch so und ähnlich erlebe, so oft ich mich auf "unsere Flüchtlinge" einlasse,
jedes mal ein Geschenk.
liebe Grüße
Christine Zierl
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Schön, dass es neben den allwissenden Medien aller Colloeurs noch Leute mit Herzen gibt. Vielen Dank!
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Endlich auch mal was Positives, was ja nicht immer der Fall ist. Aber wer schon mal eine gute Bildung in seinem Heimatland genossen hat, dem fällt sicherlich auch die Eingliederungen hier nicht so schwer.
Schön erzählt. mach weiter so.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Meine Hochstimmung hat mich auch nach 3 Wochen nicht verlassen, diese hier, die Syrier, Iraker und jetzt sogar 2 Inder sind wie du und ich. Natürlich gebe ich auch keinen Anlass für so manch dusselige Diskussion, wie ich sie immer mal wieder in den Medien höre oder lese.
Danke für deinen Beitrag.
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Man sollte eh den Medien nicht allzu viel Bedeutung zumessen. Die polarisieren und das ist nicht gut. Aus diesem Grund wird mich auch niemand bei Facebook finden.

LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
pekaberlin Keine Angst, Christine,
sie diskutieren immer so laut und scheinbar aggressiv.
Aber das ist wohl der an Konsonanten so reichen Sprache und dem Temperament geschuldet. Ein Syrer sagte mir: "Wir Araber sind wie Schäferhunde. Bellt einer, bellt der nächste lauter, der andere noch lauter und so weiter."
Aber Hunde die bellen ... na, du weeßt schon.
Ich kenne übrigens mehrere Heime und habe festgestellt, am besten klappt es dort (zwischenmenschlich nach innen und außen), wo die Arbeit bei den Kindern beginnt. Sie haben keine Vorurteile, sind neugierig, finden Kontakt und ziehen die Familien hinterher.
Liebe Grüße
Peter
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Ach, das war wohl nur ein Ausrutscher, sie sind wirklich sehr freundlich und himmeln mich regelrecht an. Ich gebe mir auch sehr viel Mühe, kein stures Abarbeiten. Und so ne und solche gibt es ja überall, meine jedenfalls und die andere Gruppe, die meine Kollegin hat, da gibt es nur Gutes zu berichten, auch nach 4 Wochen.
Vor langer Zeit - Antworten
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