Die Schüler sprangen über Tische und Stühle, warfen sich gegenseitig mit Papierkügelchen ab und jagten sich quer durchs Klassenzimmer. Ein schlanker Junge mit tiefsitzenden Hosen stand am Waschbecken und tränkte den Schwamm in einer dunklen Brühe, einem Gemisch aus Tafelwasser, Tinte und etwas sehr Übelriechendem. Vorsichtig trug er sein Experiment zum Stuhl vor dem Lehrerpult und bestrich die Sitzfläche mit der klebrig-ekligen Pampe, die bestialisch stank. Zwei Mädchen kauten eifrig auf einem Kaugummi und klebten sie dann, mit spitzen Zeigefingern an ein Stück Kreide, welches sie zurück auf die Tafelablage legten. Zwei Schüler standen
am Fenster und befestigten eine Reißleine an einem der Fenstergriffe, die mit einem blauen Putzeimer verbunden war, der versteckt unter der Decke hing und randvoll mit Wasser war. Als alle Vorbereitungen getroffen waren, setzten sich die Schüler brav und fromm wie die Lämmchen auf ihre Plätze und klatschten sich gegenseitig ab.
Eine große, schlanke Frau, mit langen blonden Haaren und einer riesigen, rosa Schleife in den Haaren, betrat auf rosalackierten Stöckelschuhen den Raum und versuchte krampfhaft, nicht vorne überzukippen. In einer Hand schleppte sie eine riesige, cremefarbene Handtasche und mit der freien Hand zog sie ihren quietschpinken Rock und ihre weiße Bluse glatt. Um ihren Hals baumelten zwei lange goldene Ketten, die mit jedem Schritt gefährlich hin und her wackelten. Erschöpft verbannte sie ihre Tasche auf das Lehrerpult und das erste Grinsen der Schüler wanderte durch den Raum. Sie hatte ihre Tasche mitten die angebrannten Reste einer Kartoffel,
die sie gestern im Biologieunterricht gekocht und zu lange auf dem Herd stehen gelassen hatten, gestellt. Wankend stellte sie sich vor den Schülern auf und strich sich mit den Fingern die Haare aus dem Gesicht. Die Jungen pfiffen argwöhnisch und die Mädels grinsten gehässig. „Guten Morgen allerliebste Klasse!“, quietsche die Frau in den Raum und schmetterte ein blitzendes Lächeln hinterher. „Mein Name ist Frau Schnatterdorf!“ Die Schüler lachten und Frau Schnatterdorf lief rot an. Um es vor den Schülern zu verbergen stöckelte sie schnell zur Tafel, um ihren Namen anzuschreiben. Als sie die Kreide in die Hand nahm, verzog sie angeekelt das
Gesicht und versuchte schnell, die Kreide loszulassen. Die klebte jedoch an ihrer Hand, mit einem klebrigen, vor Speichel triefendem Kaugummi. Angewidert kratzte sie sich mit ihren langen, natürlich pink lackierten Fingernägeln, die Reste des Kaugummis von der Hand und klackerte mit ihren zwanzigzentimeter-Absätzen zum Waschbecken. Die Schüler schauten sich wieder grinsend an und versuchten, ihre Schadenfreude zu unterdrücken. Während Frau Schnatterdorf sich die Hände wusch, quatschte sie in einem fort von Steigerungsformen verschiedener Verben. „Im Deutschem kann man Verben im Infinitiv verwenden. Wer
kann mir ein Verb im Infinitiv nennen?“ Sie schaute sich im Raum um und als sich niemand meldete, fuhr sie unbeirrt fort. „Gehen wäre ein Beispiel. Bildet man im Deutschen einen Satz mit Gehen, spricht man nie von jemandem direkt, sondern von mehreren, nicht näher definierten Personen oder Tieren. Zum Beispiel die Kinder gehen. Will man dagegen eine Person direkt ansprechen, muss man die Verben konjugieren. Von Gehen, wäre dann…“, sie betrachtete beiläufig ihre Hände um ihr Vorankommen zu untersuchen und kreischte laut auf. Statt mit Seife hatte sie ihre Hände mit schmierigem Kettenöl eingeseift. Wütend und mit blitzenden
Augen drehte sie sich auf dem Absatz um und hielt ihre Hände weit vom Körper entfernt, um keine Flecken auf ihren Markenklamotten zu hinterlassen. „Wer war das?“, kreischte sie empört und strich sich mit den Fingern die Haare aus dem Gesicht zurück, die wild auf und ab tanzten als sie hochrot vor Wut mit dem Kopf wackelte. Dabei zog sie zwei schwarze Striche quer über ihre Stirn. Die Schüler brüllten vor Lachen und hielten sich die Bäuche. Die Mädchen in den vorderen Reihen wischten sich die Tränen aus den Augen und die Jungs kugelten sich beinahe auf dem Boden. Ohne eine Antwort abzuwarten, stampfte Frau Schnatterdorf, kochend vor Wut,
hinter das Pult und brach dabei fast einen ihrer Absätze ab. Schnaufend ließ sie sich auf dem Stuhl nieder und die Welle des Gelächters wog erneut auf. „Von Gehen wären die 1. Person Singular dann Ich gehe!“, führte Frau Schnatterdorf unbeirrt und brüllend, um den Lärm zu übertonen, fort. „Die 2.Person wäre Du gehst und die dritte Person er, sie, es geht.“ Sie versuchte aufzustehen und merkte, dass sie am Stuhl festklebte. Sich den Rücken verrenkend drehte sie sich um, um die Ursache ihres Desasters zu finden. Als sie die klebrige, dunkle Pampe auf ihrem Stuhl und ihrem ehemals pinken Rock sah, heulte sie laut auf und zog dann mit
aller Kraft am Stuhl, um ihn von ihrem Hinterteil zu lösen. Mit einem lauten Ratsch! riss sie die Stuhllehne von ihrem Rock und ließ ihn zufrieden fallen. Die Schüler brüllten vor Lachen, als sich Frau Schnatterdorf den Rock glattstreichen wollte und merkte, dass an der Stelle, an der normalerweise ihr Rock war, nur noch eine geblümte Unterziehhose zu sehen war. Beschämt und rotanlaufend kratzte sie die Reste ihres ehemals ordentlichen Rockes, der immer ohne Falten und in strahlendem Pink erschienen war, von der Stuhllehne und schlug sie behelfsweise um ihre Taille. „Meine Güte ist das heiß hier…“, murmelte sie verlegen und stürzte zum
Fenster. Auf dem Weg dorthin fuhr sie mit ihrem Unterricht fort und stellte die weitere Konjugation des Wortes Gehen vor. „Weiter geht es mit der 1.Person Plural, Wir gehen. Wer kann mir sagen, wie es weitergeht?“ Sie war am Fenster angekommen, drehte sich zu den Schülern um und öffnete mit der anderen Hand das Fenster. Noch auf eine Antwort wartend, ergoss sich plötzlich ein Schwall eiskalten Wassers über ihrem Kopf. Panisch schrie Frau Schnatterdorf auf und stand, vor Wasser triefend, stock steif vor dem Fenster. Um ihre Füße hatte sich eine Wasserlache gebildet und ihre Haare klebten nass an ihrem Kopf. Die weiße Bluse klebte tropfend an ihrem
Oberkörper und die Schminke in ihrem Gesicht verlief langsam, in kleinen Rinnsalen hinunter zu ihrem Kinn und tropfte dort auf die makellos weiße Bluse. „Ich… Du“, keuchte Frau Schnatterdorf überrascht nach Luft und riss die Augen weit auf. „Wer war das?“, kreischte sie dann in einer Tonlage, die jeder Hundepfeife Konkurrenz machte. Die Schüler bogen sich vor Lachen über ihre triefende Lehrerin, die, mit schwarzen Strichen auf der Stirn, verlaufender Schminke, einem zerstören Rock und mit Kettenöl beschmierten Händen vor ihnen stand und vor Wut bebte. „DAS! WIRD! EIN! NACHSPIEL! HABEN!“ kreischte und keuchte sie vor
Wut und schnappte sich ihre Handtasche. Als sie die angekokelten Reste der Kartoffel auf dem creméfarbenen Stoff sah, brach sie in Tränen aus und stapfte kochend und bebend vor Wut aus dem Raum. Ein Schüler rief ihr noch, nach Luft schnappend, etwas hinterher. „Frau Schnatterdorf?“, sie drehte sich, funkelnd und mit den Lippen bebend, wieder um und suchte den Schüler, der sie soeben angesprochen hatte. „Sie wollten doch die Fortführung der Konjugationsreihe von Gehen wissen.“ Frau Schnatterdorf wartete, rauchend und ohne sich zu bewegen, auf eine Antwort. „Also?“, giftete sie nur und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich höre!“. Der
Schüler rammte seinem Nachbarn belustigt den Ellenbogen in die Seite und stellte sich dann, gespielt ernst, hin. „Ich gehe, du gehst, er,sie,es geht, wir gehen… Alle weg!“