Autoren-Challenge Nr. 3
Ellas Vorgabe, zu einer Auswahl von drei Bildern von Marcello Zerletti einen Text, egal zu welchem Genre zu schreiben, hat mich zu einer Auseinandersetzung mit einer besonderen Lebenssituation animiert.
Hierbei ist auch einiges zu meiner Haltung
bezüglich der Widersprüche zwischen Glauben
und Institution Kirche eingeflossen.
Link zu den Bildern:
http://www.mystorys.de/b139569-Sonstiges-Bilder-.htm
Text und Titelbild:
MerleSchreiber Jan 2016
Seine Liebe, meine Stärke und dein Halt
Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich jemals in einen derartigen Zwiespalt kommen würde. Nein, nicht was die Liebe zwischen Thomas und mir
betrifft. Das ist echt und es fühlt sich richtig an, auch wenn uns das Gegenteil eingeredet werden soll. Würde unsere Liebe nicht so stark sein, wie hätte ich dann all das auf mich nehmen können? Dieses ständige Lavieren, diese Zickzackmanöver.
Oh, wie ich es hasse, mich verstellen zu müssen. Wie oft habe ich mich in der
vergangenen Zeit dabei ertappt, wie ich vor dem Spiegel stehe und einen möglichst unbelasteten, unbeteiligten Gesichtsausdruck übe. Wie ich die Mundwinkel nach oben ziehe - mein Gott, fühlt sich das falsch an.
Mehr noch, es tut weh.
Es tut so weh!!!
Mein Gott?
Nein, ich bin mir nicht mehr sicher, dass du MEIN Gott bist. Du gibst deinen Namen für eine derart gottlose Sache her. Du deckst mit deinem Schweigen dieses unselige Lügengebilde.
Gott, du bist so ein hilfloser Gott!
Kannst DU überhaupt noch in den Spiegel sehen? Oder stehst du auch davor
und trainierst dich dabei, gute Miene zum bösen Spiel zu machen?
Erfreust du dich an dem immer größer werdenden Götzenkult, der um dich getrieben wird oder würdest du den hoch in deinen Himmel ragenden
neonbeleuchteten Weihnachtsbäumen vor den Häusern der weltlichen Macht nicht auch gerne den Stecker rausziehen? Hach, die Mächtigen, egal wo sie sitzen. Ob in Staatshäusern oder in Prunkpalästen mit deinen Insignien. Die sogenannten Würdenträger haben aus deinen Vorgaben Papierschiffchen gefaltet, die sich schon längst im Gezeitenwasser aufgelöst haben.
Ja, nichts mehr da!
Alles weg.
Deine ganze schöne Barmherzigkeit.
Ich habe auf sie vertraut. Stattdessen halte ich einen eingeschriebenen Brief in Händen, der mich zu einem Notartermin auffordert.
Verzicht, ich soll verzichten!
Auf den Vater des Kindes, das ich
erwarte. Auf meine Arbeitsstelle und alle damit verbundenen Rechte. Und ich soll mich zur Verschwiegenheit verpflichten. Zur absoluten Verschwiegenheit!
Keine offizielle Vaterschaftsanerkennung
von Thomas, nur eine geheime vertragliche Regelung. Dafür würde ich Schweigegeld erhalten. Monatliche Zahlungen aus der Ordenskasse,
verdeckte Abfindungs- und Unterhaltsleistungen über das Konto eines Notars.
Lieber Vater im Himmel, so und nicht anders managen deine Vertreter einen Unfall, wie er Thomas und mir passiert ist und wie er vielen anderen auch widerfährt. So bezeichnen sie das. Und wie handeln sie? Thomas wird unter Druck gesetzt, es wird an seine Ehre als Ordensbruder appelliert. Er hätte mich für eine Abtreibung überzeugen sollen.
Diese armseligen Brüder berufen sich auf dich, um ihm und mir Angst einzuflößen.
Abt Benedikt sagte, es gehe ihm gar nicht darum, unsere sexuelle Beziehung zu verteufeln. Nein, das komme ja
schließlich öfter vor. Mit einem süffisanten Grinsen beteuerte er, dass er dafür sogar vollstes Verständnis habe. Es gehe vielmehr um den angemessenen Umgang mit den Folgen. Der diesbezügliche Kodex müsse eingehalten werden. Kein Hinterfragen unserer Gefühle, kein Zulassen von Zweifeln. Das kommt in diesem ehrenwerten Kodex nicht vor!
Thomas wird systematisch von der Gemeinschaft isoliert, nachdem er signalisiert hat, dass er die vorgegebenen
Spielregeln nicht einhalten und zu mir stehen wird. Er fühlt sich wie in einem Schneckenhaus, wenn er die Fühler herausstreckt, sieht er sich umgeben von
tiefen Kratern, allein auf weiter Flur.
Mobbing hinter Klostermauern.
Warum lässt du das zu?
Willst du das?
Nein, wenn du das wirklich wolltest, dann würdest du mich meine Zweifel nicht auskämpfen lassen, sondern du würdest mir jede Energie nehmen und mich aufgeben lassen. Eine Stelle als Religionslehrerin würde ich auch woanders finden. Ich bräuchte nur unterschreiben, meine Sachen packen und dann in den Bus einsteigen, der jeden
Nachmittag um 16.30 Uhr vor den Klostermauern hält.
Ich verspüre aber, wie mein Kampfgeist wächst. Wie meine Zweifel schwinden.
Nein, ich gebe nicht auf!
Denn wir haben nichts Falsches getan, das Unrecht steht auf ihrer Seite. Auf Seite der vorgeblich Unfehlbaren.
Ich unterschreibe nicht!
Ich werde um und mit Thomas kämpfen, ich weiß um SEINE LIEBE, um MEINE STÄRKE und um DEINEN HALT!