Terrassenbeleuchtung
vorausschaubar
Programm
Karton
organisch
Stille
Flanellmantel
Schneesturm
Ziegenpeter
Fassungslos starrte Hermann von Wallershausen auf die weiße Leinwand. Seit einem Jahrzehnt leitete er das Kunstmuseum. Kuriose Ereignisse begleiteten seine Amtszeit. Als vor einigen Jahren der SCHNEESTURM die elektronische Stadtversorgung lahmlegte, glaubte er den Höhepunkt der Katastrophen mit erlebt, zu haben. Aber jetzt, hier, wenige Tage vor der verdienten Pensionierung stand er im zartrosa FLANELLMANTEL, vor einer blütenreinen weißen Leinwand. Am Abend zuvor hing an besagter Stelle, noch ordnungsgemäß, ein Gemälde von Edvard Munch. Eine niederschmetternde STILLE lag
über der Szenerie. Lautes Poltern und der Widerhall von Schritten schreckten ihn aus den Gedanken. Kommissarin Meyer stürmte mit dem Team der Spurensicherung in das Gebäude. „Los Jungs, ihr fahrt jetzt das gewohnte PROGRAMM ab“, bellte sie durch den Raum. Beim Blick auf Hermann viel es ihr schwer nicht zu grinsen. Zu putzig wirkte er in seinem Outfit. Eine kurzen Begrüßung, dann begleitete sie den verstörten Mann hinaus, damit die Spusi in Ruhe ihrer Tätigkeit nachkommen konnte. Auf dem Weg nach draußen begegneten ihnen Herren, die massige KARTONs schleppten. Von Wallershausen, der langsam die Fassung wieder fand, erfragte den Inhalt. Die Kommissarin erklärte ihm, dass das einer
TERRASSENBELEUCHTUNG gleich kommende Licht, für die Fingerabdrucksuche und anderen Spuren nicht ausreichte. So stellten die fleißigen Mitarbeiter überall im Raum Baustellenscheinwerfer auf, um die bestmöglichen Lichtverhältnisse zu gewährleisten. Zusammen betraten sie die Überwachungsräume des Museums. Seit die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt, gab es mehr Kameras als zuvor. Auf unzähligen Bildschirmen flackerten Momentaufnahmen der Dinge, die im Kunstmuseum passierten. In einem Nebenraum bereitete man alles für die Inaugenscheinnahme der Aufzeichnungen der letzten Nacht vor. Was sie dann zu sehen bekamen, war für keinen der Anwesenden VORRAUSSCHAUBAR. Rosi
Müller, ihres Zeichen, langjährige Reinigungsfee des Gebäudes, erschien auf der Bildfläche. Mit Putzlappen, Eimer und Reinigungswagen bewaffnet, kam sie den alltäglichen Säuberungsaufgaben pflichtbewusst nach. Erfüllung in der Tätigkeit findend, sagte sie auch den kleinsten Wollmäusen den Kampf an. Liebevoll wanderte der Staubwedel über die Bilder. Dann entleerte sie die Mülleimer. Kopfschüttelnd betrachtete sie den Inhalt. Mit zwei Fingern erfasste sie etwas ORGANISCH aussehendes. Zur genaueren Betrachtung führte sie es ganz nah an ihre Augen. Seit Kindertagen litt sie an einer Sehschwäche. Das Nasenfahrrad, ihr ständiger Begleiter, verunglückte auf dem Weg zur Arbeit. Beim
Ausstieg aus der Straßenbahn rempelte sie so ein ungehobelter Rüpel an. Die Brille erlernte zuerst das Fliegen und dann schloss sie Bekanntschaft mit der Schwerkraft. Zu guter Letzt verlor sie den Kampf gegen die Räder der Bahn. Jetzt verweilten die Überreste Rosis treuen Gefährten, sorgsam in ein Taschentuch eingehüllt, in der Handtasche. Sie brachte es nicht über das Herz die Sehhilfe im Mülleimer, zu entsorgen. Wutentbrannt wünschte sie dem Verursacher ihres persönlichen Dilemmas ZIEGENPETER, Masern, Pocken und die Beulenpest an den Hals. So blieb ihr kein anderer Ausweg. Heute musste sie blind wie ein Huhn putzen. Erleichtert begab sie sich in den letzten Raum der Reinigungssafari. Bis jetzt verlief
alles bestens. Nachdem Rosi die liebevolle Behandlung beendet hatte, glänzten die Böden, wie sie es gewohnt war. Doch die Freude sollte nicht lange anhalten. Auch ohne Brille erkannte sie die schwarzen Streifen auf dem hellen Boden. Sämtliche Bemühungen den Fußboden schonend von seinen Verunreinigungen zu befreien, blieben erfolglos. Bevor sie in den Krieg gegen ihren erklärten Feind zog, wechselte sie noch die Handschuhe. Bewaffnet mit allem Scharfen, was die Putzmittelhersteller aufwiesen, zog Rosi in die Schlacht. Null, und nichts half. Wie eine übersinnliche Erscheinung hallten die Worte ihrer Mutter in ihren Ohren. „Merke Dir gut, mein Kind. Wenn kein bisschen mehr hilft, dann greif zum Eimer, schütte das
Wasser schwungvoll über den Erdboden und nimm dir ein Beispiel an unseren Großmüttern. »Auf allen vieren Blanken schrubben, bis sie glänzen.“ Gedacht, getan. Schwung holend schüttete sie das Nass auf den Boden. Jedoch vergaß sie die Fliehkräfte mit, einzuberechnen, und so landete der Großteil des Putzwassers nicht auf den Dealen, sondern auf dem Gemälde, auf der gegenüberliegenden Seite.
Mit einem zufriedenen Lächeln betrachtete sie, ihr Werk. Strahlend weiß leuchtete ihr die Leinwand entgegen. Ihr Sinn für Ästhetik wurde vollauf befriedigt. Sie verstand nie warum jemand ein so schreckliches Bild, wie den Schrei, in ein Museum hing. Müde, aber
mit dem Ergebnis ihrer Arbeit mehr als glücklich, trat Rosi den Heimweg an.