kapitel 5 2|4
Schritt für Schritt ging sie die Übungen durch, die ich ihr beigebracht hatte, als sie noch ein kleines Kind war. Nach diesen kamen Übungen dran, die sie sich wahrscheinlich bei unserem Bruder abgeschaut hatte. Für ihr Alter war sie ziemlich geschickt und aus ihr hätte später mal noch etwas ganz tolles werden können. Vielleicht sogar eine Valdir. Jedoch wusste ich, dass Jelia dafür zu gutmütig war. Ein guter Mensch, den ich umbringen musste.
Was war dem Anführer hierbei nur eingefallen? Sie würde niemals seine Macht in Frage stellen oder bekämpfen wollen. Ich war alleine schuld, dass sie getötet werden musste. Damit ich meine Loyalität dem Anführer zeigen
konnte.
Die Nacht war jetzt vollkommen hereingebrochen. Einzig und allein das kleine Licht, dass Jelia für ihre Übungen benutzte, hellte die Lichtung, wenn auch nur ein kleines bisschen, auf.
Im Dickicht der Gebüsche saß ich am Boden und plante meine weiteren Schritte. Falior betrachtete mich angespannt, wahrscheinlich war er sich nicht sicher, ob ich mein Vorhaben auch wahrhaftig durchzog. Nach ein paar Minuten, in denen ich in mir gegangen war und ein paar Mal kräftig eingeatmet hatte, deutete er mir, dass ich nun endlich anfangen sollte. Anscheinend hatte er Angst, dass meine Schwester abhauen könnte oder frühzeitig wieder nachhause gehen könnte.
War ich bereit?
Ich wusste es nicht.
Ich wusste, dass die eigene Familie für einen Valdir nichts bedeutete. Trotzdem hatte ich ein mulmiges Gefühl, das ich etwas Falsches tat. War es mein Plan, der mich jetzt verharren ließ? Hatte ich Angst, dass er nicht aufgehen würde?
Ich hatte keine Ahnung. Ich wusste jedoch, dass wenn ich mir jetzt noch länger Zeit lassen würde, Falior es bestimmt als Rückzug ansehen würde. Und ich wollte absolut keine Angst und keinen Zweifel bei meinem Begleiter hinterlassen. Er sollte dem Anführer berichten, dass ich ohne mit der Wimper zu zucken, meine Schwester umgebracht
habe.
Schnell holte ich noch einmal tief Luft, ließ Falior wissen, dass er hier bleiben sollte, stand auf und ebnete mir den Weg zur Lichtung, geradewegs auf Jelia zu.
Die Lichtung war so wie ich sie in Erinnerung hatte, eine etwa 8 Meter große runde und freie Fläche. Ein kleines Häuschen stand etwas links in der Fläche. Meine Schwester und ich hatte es gemeinsam gezimmert. Es war zwar keine Glanzleistung, um allerdings Kampfgegenstände zu verstecken, gut genug. Bei dem Laubbaum, der einen seiner Äste ganz tief nach unten gesenkt hatte, hatten wir einen Seesack für die Kämpfe aufgehängt.
In mir kamen mehr und mehr die alten Erinnerungen hoch. Doch diese musste ich
jetzt verbannen. Ich musste an meinen Auftrag denken. Ich musste böse sein. Ich musste böses tun. Für mich und den Anführer.
Ich spürte Falior Blick direkt in meinem Rücken. Ich hatte die Entfernung so gewählt, dass er sich extrem anstrengen musste, um nur ein Wort zu hören, dass ich mit meiner Schwester sprechen würde.
Nun war es endlich so weit. Ich war an der Lichtung angekommen und es erschreckte mich, dass Jelia mein Auftreten gar nicht bemerkt hatte. Sie war anscheinend so in ihre Übungen vertieft, was ich bewunderte.
„Jelia, es tut mir so leid!“, flüsterte ich und sprintete auf mein kleines Abbild zu.
Nun endlich hatte es meine Schwester bemerkt, dass sie nicht mehr alleine auf der
Lichtung war. Sie trete sich abrupt um. Ihre Kampfeshaltung gegenüber dem Seesack hatte sie mitgenommen. Ich allerdings wusste, dass sie mit ihren 12 Jahren keine Chance gegen mich hatte.
Mein Plan musste einfach aufgehen und wie von Geisterhand griff meine Hand zu dem Dolch an dem Schaft auf meiner Hüfte. Ich zückte ihn, wie bei jedem anderen Opfer ohne nachzudenken.
Immer wieder dachte ich an meinen Plan.
Lass ihn bitte aufgehen.
Ich war nur mehr wenige Schritte von Jelia entfernt. Ich konnte ihre Angst spüren und ich wusste, dass sie genau merkte, warum ich da war. Sie machte keine Anstalten, wollte nicht fliehen, weil sie genau wusste, dass es
aussichtlos gewesen wäre. Ich kannte das Dickicht des Waldes genauso gut wie sie.
Langsam schloss sie ihre Augen, ließ von ihrer Kampfespose ab und ergab sich ihrem Schicksal. Meinem Schicksal.
Lass den Plan bitte aufgehen.
Ich richtete den Dolch auf ihr Herz und in einem Zug durchbohrte es ihre Brust. Sie schrie nicht. Sie sah mich nicht an.
Ich spürte wie innerlich etwas in mir zerbrach: Doch ich durfte keine Gefühle zeigen, nicht wenn Falior die ganze Sache beobachtete. Ich war so stolz auf meine Schwester, dass sie es wie ihre Bestimmung hinnahm und vielleicht war es das auch. Vielleicht musste sie mir so etwas aufzeigen, dass ich sonst niemals gespürt
hatte.
Lass meinen Plan bitte aufgehen.
Als ich merkte, dass ihr Körper sich ergab, ließ ich den Dolch wieder zurück fahren. Blut übersäte jetzt das dunkle Gras und sah wie eine schwarze Pfütze aus. Ich war so froh, dass Jelia die Augen geschlossen hatte, denn so konnte mich ihr Blick nicht mehr durchstechen.
Es war geschehen. Ich hatte meine Schwester umgebracht. Ich hatte den Auftrag ausgeführt und mir meinen Respekt zurück geholt.
Ich stand noch immer vor der zusammen gesunken und am Boden liegenden Jelia, als sich Falior zu mir auf die Lichtung traute.
„Sie hat sich gar nicht gewehrt“, sagte er zu mir, als er sich zu meiner Schwester runter
beugte, um ihren Tod selbst festzustellen.
„Sie war 12 Jahre alt, was denkst du, dass sie vielleicht eine Chance gegen mich gehabt hätte?“, fauchte ich ihn an.
Mir war nicht nach Scherzen zu mute. Ich war leer. Mein Gefühl war leer. Ich hoffte so sehr, dass mein Plan aufgegangen war.
„Willst du sie hier liegen lassen?“, fragte mich mein Begleiter ohne auf meine Aussage einzugehen.
Ich musste mich zusammen reißen. Es war noch nicht vorbei. Ich musste alle Kraft noch mal zusammen nehmen und das Spiel zu Ende spielen. Valdir machte den Tod eines Familienmitgliedes nichts aus. Immer wieder bekräftigte ich mich in meinen Gedanken
selber.
Endlich löste ich mich aus meiner Starre, setzte ein Grinsen auf, dass Falior ziemlich irritierte und wischte den Dolch an einen Strauch in nächster Nähe ab.
„Ich frage mich inständig, wie immer wieder solche dummen Fragen aus deinen Mund kommen können“, antwortete ich ihm, „In dem kleinem Häuschen gibt es eine Diele, die sich herausnehmen lässt, unterhalb ist ein kleiner Bereich, in dem wir immer wertvolle Gegenstände versteckt hatten, dort werde ich sie unterbringen.“
Fragwürdig sah mich Falior an: „Sie ist doch viel zu groß dafür!“
Ich schüttelte lachend meinen Kopf. Ich spielte meine Sache so gut, dass ich mir sogar selbst
glaubte, dass ich die blutrünstigste Valdir war, die es in diesem Land gab. Ich musste mein Spiel zu Ende spielen.
„Gib mir dein Schwert, dann wird sie bald dort Platz finden!“
Lass meinen Plan bitte aufgehen!