Kapitel 88 Sterne
Am Ende dauerte es den ganzen Tag, alle Schiffe durch das Nadelöhr zu schleusen. Immerhin lohnte es sich letztlich, den ohne die Passage, dessen war Galren sich am Abend sicherer den je, hätten sie den Weg niemals überlebt. Zwar war der schmale, sichere Pfad zwischen den beiden Sturmfronten auch alles andere als einfach, aber zumindest nicht selbstmörderisch. Für Heute würden die Schiffe nicht weiter segeln, sondern trieben lediglich vor dem dunkler werdenden Himmel. Dutzende kleiner Laternen warfen ihren Schein auf das
ruhige Wasser, während die Mannschaften endlich die Wohlverdiente Ruhe bekamen. Ein Ausgleich für die Anstrengungen, die der heutige Tag ihnen allen abverlangt hatte.
Galren selber steckte die Erschöpfung ebenfalls in den Knochen, als er kurz nach Sonnenuntergang an Deck der Immerwind trat. Seine Beine fühlten sich an wie Gummi, aber das war nichts im Vergleich zu dem stetigen dröhnen, das sich in seinem Kopf festgesetzt hatte. Bisher war er noch nie gezwungen gewesen, seine Fähigkeiten stundenlang und immer wieder einzusetzen. Naria hatte ihm bei ihrer Rückkehr ohne zu Fragen einen Beutel Kräuter in die Hand
gedrückt. Jetzt war ihm wenigstens klar, wieso. Auf einem getrockneten Blatt kauend trat lehnte er am Schiffsmast und sah zu, wie die letzten Sonnenstrahlen am Horizont verschwanden. Aber sie hatten es geschafft, dachte er. Ab jetzt würde sie kaum noch etwas aufhalten können, bevor sie die Küste erreichten und dann…
Was dann ? Hör auf dir Hoffnungen zu machen, die dich nur enttäuschen können. Zumindest würde sich dann alles aufklären, dachte er. Die Zwerge würden sich mit dem Kaiser arrangieren müssen und vermutlich würde sein Vater darauf bestehen, dabei zu bleiben. Zumindest wären sie wieder daheim. Er
jedenfalls würde nach Hamad zurückkehren.
Morgen würden sie bereits einige der leichteren und schnelleren Schiffe vorausschicken, damit man auf ihre Ankunft vorbereitet wäre. Sonst blieb ihm nur noch, abzuwarten.
Trotzdem blieb ihm der Schlaf verwehrt und vielen seine Augen doch einmal zu, waren seine Träume unruhig und düster. So wenig er sich beim Aufwachen genauer an sie erinnern konnte, es hielt ihn davon ab, Ruhe zu finden.
Galren hätte ihre Schritte fast nicht gehört, obwohl es an Deck Totensill war. Er wunderte sich schon lange nicht mehr, wie es ihr gelungen war,
Wochenlang unentdeckt an Bord zu bleiben. Trotzdem lächelte er stumm in sich hinein. Immerhin, er hatte sie bemerkt.
,, Du bist nicht so gut wie du denkst.“
Elin ließ sich wortlos neben ihm fallen. Einmal schienen ihr tatsächlich die Worte zu fehlen, dachte Galren. Eigentlich hatte er vorgehabt alleine zu sein aber dann würden ihn die Zweifel bis zum Morgen vermutlich auffressen. Elins bei sich zu wissen zeigte ihm immerhin, das er eine Sache richtig gemacht hatte. So schwer es ihm auch gefallen war… Und doch war die Einsicht fast zu spät gekommen.
,, Ich habe auch nicht versucht mich
anzuschleichen.“ , erwiderte die Gejarn. ,, Du kannst auch nicht schlafen, oder ?“
Galren schüttelte den Kopf. ,, Nein.“ Ein Bein angewinkelt starrte er zum dunkler werdenden Himmel hinauf. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die ersten Sterne zeigen würden und er fragte sich, ob sie bereits ein vertrautes Muster bilden würden. Vermutlich nicht, dazu waren sie zu weit von Hamad weg.
,, Wegen dem was uns erwarten wird ?“
,,Wegen allem. Oder vielleicht vor allem wegen meinen Vater. Ich hatte die Hoffnung eigentlich Aufgegeben auch nur eine Spur von ihm zu finden, Elin. Und dann passiert so was. Manchmal glaube ich, es wäre besser gewesen,
wenn ich ihm nie wieder begegnet wäre. Zumindest besser als ihn… so wiederzusehen. Die Zwerge haben ihn gefürchtet. Wegen dem was er tun könnte. Und ich fürchte, was dieser Mann geworden ist und was ich tue. Ich helfe ihm, weil ich keine Wahl habe, aber ich habe keine Ahnung, was er damit eigentlich bezweckt. Er redet ja nicht einmal wirklich mit mir…“
Er nahm ein weiteres Blatt aus dem Beutel, den Naria ihm gegeben hatte und zerkaute es langsam
,,Genauer gesagt, er könnte auch jemand völlig anderes sein, der nur zufällig aussieht wie mein Vater.“
,, Du tust das richtige.“ , meinte sie. ,,
Vergiss Varan… du hilfst nicht ihm, sondern in aller erster Linie Hadrir und den anderen. Das ist doch was zählt. Wir bringen sie alle in Sicherheit. Dein Vater mag nicht der Mann sein an den du dich erinnerst und? Macht es die Sache weniger wert?“ Elin hatte den Kopf auf die Seite gelegt und sah ihn fragend an. Galren zuckte mit den Schultern. Vielleicht nicht. Das änderte aber wenig daran, dass er sich nicht gut dabei fühlte. Das einzige, was ihn weitermachen ließ, war die schwache Hoffnung, dass sein Vater doch noch zur Vernunft kam.
,,Tue ich das wirklich ?“ Draußen auf den Wellen trieben die Schiffe, nur
erkennbar als eine Ansammlung hell leuchtender Punkte in der rasch hereinbrechende Nacht. Galren wendete sich von dem Anblick ab und Elin zu. ,, Ich habe schon einmal geglaubt, etwas tun zu müssen. Und ich weiß nicht, ob man das in Canton so sehen wird.“
,, Ich sehe das so.“ , antwortete Elin. ,, Du bist ein guter Mann. Und lass dir von niemanden etwas anderes einreden. Wir wissen wie das ausgeht.“ Ein schelmisches Grinsen huschte über ihre Züge.
Galren nickte, konnte sich aber nicht dazu durchringen sich ihr anzuschließen. ,, Nur wenn ich mich diesmal irre, Elin, bringe ich damit alle in Gefahr. Nicht
nur uns. Oder dich.“ Unbewusst hatte er eine Hand ausgestreckt. Seine Finger strichen über ihre Wange, als er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht strick.
,, Das ist nicht dasselbe.“ , erklärte Elin vielleicht etwas zu heftig. Galren ließ die Hand sinken, während die Gejarn grimmig zu Boden sah. ,, Ehrlich gesagt wenn ich du wäre, ich würde diesem Kerl die Meinung sagen und ihn ein paar Jahre auf Parlors Insel zurück lassen, bis er sich wieder gefangen hat. Er ist irre aber nicht so verrückt, dass das sein Verhalten rechtfertigen würde. Du bist sein Sohn, du bist gekommen um ihn zu suchen. Was er dir Schuldet, das mindeste, sind ein paar Antworten. Und
ich meine damit keine kryptischen Andeutungen.“
Diesmal lachte Galren. ,, Weißt du ich hoffe jeden Tag, das er sich vielleicht wieder zur Vernunft kommt. Da ist noch so viel an ihm, das mich an den Mann erinnert, der er einmal war… Vielleicht bringe ich ihn, wenn das alles vorbei ist, nach Hamad zurück. Allerdings bezweifle ich, das er gehen würde. Aber wenigstens weiß ich jetzt wie es euch mit mir ergangen ist.“
,, Noch einmal, das ist nicht deine Schuld.“ Die Gejarn ließ den Kopf gegen seine Schulter sinken. Immerhin waren sie im Sitzen etwa gleich groß. Eine Weile saßen sie nur schweigend und
aneinander gelehnt da.
Galren wünschte, er könnte das glauben. Die Wahrheit war jedoch, dass er sich nicht einmal mehr sicher sein konnte, was seine Schuld war und was nicht. Er hatte sich selbst fast vollkommen Verloren bis… ja bis was eigentlich? Elin hatte ihn gerettet. Irgendwie. Die eine Person die am meisten Grund gehabt hätte sich für immer von ihm abzuwenden und doch war sie zurückgekommen und sei es auch nur um Lebewohl zu Sagen. Vorsichtig legte er einen Arm um die schmale Gestalt an seiner Seite.
Über ihnen gingen mittlerweile die Sterne auf, weiße Lichter, irgendwo in
der Ferne. Er wusste, dass es Menschen gab, die behaupteten, in den Sternen ihre Götter zu sehen, manche sogar, die meinten, daraus ihr Schicksal ablesen zu können. Nun, wenn ihm diese kalten Leuchtfeuer irgendetwas sagen wollten, so verstand er es nicht.
Lias hatte ihm einmal erzählt, die verstreuten Drachenanbeter in den Wüste um Helike glaubten, das jeder einzelne Stern ein Drache sei, der über der Welt wartete, bis ihre Zeit wieder gekommen wäre. Andere meinten, es seien die Seelen der Drachen, die nach Laos aufstand gestorben waren und es nicht mehr Wagten, sich ihren Ahnen im Jenseits anzuschließen, wohlwissend,
dass der Drachentöter dort bereits auf sie wartete.
,,Und was glaubt dein Volk ?“ , hatte Galren ihn gefragt, worauf der Löwe gestand , das er es nicht wüsste.
,, Die Traditionen der wilden Gejarn-Clans gibt es in Helike nicht mehr. Die Drachen holten sich Sklaven aus den Gebieten, die ihr heute die Herzlande nennt, so kam mein Volk überhaupt erst nach Helike. Aber was diese an Bräuchen mitgebracht haben mochten, es verschwand wohl spätestens nach Laos Aufstieg. Die Archonten, die auf Laos folgten, haben vieles an Aufzeichnungen aus dieser Zeit vernichtet oder weggeschlossen. Und das ging
Jahrhunderte lang so. Ich bezweifle also, das sich darüber überhaupt noch etwas finden ließe.“
Nun, vielleicht wusste Elin die Antwort ja. Nach allem, was er von ihr wusste, war sie zwar auch nicht in einem Clan aufgewachsen, doch stammte sie zumindest aus Canton. Er drehte Vorsichtig den Kopf um sie nicht ausversehen von seiner Schulter zu stoßen. Seine Frage würde warten müssen, stellte er fest. Elin hatte die Augen geschlossen und schlief bereits tief und fest. Jetzt stand er plötzlich vor einem ganz anderen Problem. Wie bei allen Göttern sollte er aufstehen ohne sie zu
wecken?
Galren lehnte sich resigniert gegen den Mast in seinem Rücken. Vielleicht war das auch nur ihre Art ihn davon abzuhalten ruhelos auf dem Schiff umherzuwandern. Nun… es war nicht der unbequemste Platz zum Schlafen, sagte er sich und musste unwillkürlich grinsen.
Hadrir wurde unsanft geweckt, als die Tür zu seiner kleinen Kabine aufflog. Die Zwergenschiffe waren groß genug um den Delegationen der Häuser, die sein Vater zusammengestellt hatte, zumindest etwas Privatsphäre zu bieten.
Fahles Mondlicht viel durch ein rundes
Fenster direkt über dem schmalen Bett. Aufrecht sitzend, rieb er sich den Schlaf aus den Augen, während sein Verstand noch zu erraten versuchte, was vor sich ging. Seine freie Hand wanderte derweil jedoch bereits unter das Kopfkissen und fand den Griff des dort verborgen liegenden Messers. Eine Angewohnheit, die ihm schon ein paar Mal das Leben gerettet hatte. Es rettete ihn jedoch nicht davor, geblendet zu werden, als der Eindringling den Docht der Laterne Höherdrehte, die er in der Hand hielt.
Im flackernden Schein der Lampe konnte Hadrir einen roten Mantel erkennen, der dem Mann bis über die Hüften viel. Rubine glitzerten am Kragen des
seidenen Kleidungsstücks. Der Kopf, der zu seinem ungebetenen Gast gehörte, war von dünnen, grau-weißen Haaren bedeckt und zwei dunkle, uralte Augen musterten ihn aus einem Gesicht, das von Falten durchfurcht war. Manche schienen vom Lachen zu stammen… die meisten jedoch von tiefer Sorge und einer Bitterkeit, die ebenso gut in Härte umschlagen konnte. Hadrir starrte in das Gesicht von Kasran Mardar.
Der Schreck setzte sich grade noch früh genug, das er dem Mann nicht das Messer in die Kehle trieb. Wäre der Thane in der Stadt plötzlich in seinem Zimmer aufgetaucht, es wäre ziemlich sicher, dass einer von ihnen den Raum
nicht mehr Lebend verlassen hätte. Doch so viel hatte sich in den letzten Tagen geändert. Alte Feindschaften würden Ruhen müssen, bis sie die Küste erreichten. Und hoffentlich auch noch etwas Länger.
Das Messer in der Hand saß HAdrir einen Moment unschlüssig auf der Bettkannte. ,, Was bei allen Unsterblichen tut ihr hier ?“ , verlangte er zu wisse. ,, Ich hätte euch fast getötet…“
,, Unwahrscheinlich.“ , erwiderte Kasran träge. ,, Im Gegensatz zu eurem Vater-König verfügt ihr über ein gutes Maß mehr an praktischer Vernunft. Und über ein gutes Maß weniger an Sturheit.
Vielleicht hätte ich eher jemanden wie euch zu meinem Marschall machen sollen. Oder besser auch nicht. Ich fürchte ihr habt auch ein sehr viel höheres Maß an Skrupel…“
Hinter dem Thanen kamen zwei weitere Männer ins Licht, die sich links und rechts neben die Tür stellten. Hadrir kannte sie. Schweiger. Gefährten. Die stumme Leibwache Kasrans. Was ging hier vor sich? Er ließ irritiert das Messer sinken, während die letzten Reste des Schlafs verflogen.
,, Also was habt ihr hier zu suchen ?“
,, Ganz einfach, euer Vater plant etwas und ich will wissen was.“ Kasran setzte sie wie Selbstverständlich ans Fußende
des Betts. ,, Der König trifft sich ohne die Häuser anzuhören mit Varan Lahaye. Alleine. Ihr müsst mir vergeben, wenn mich das etwas stutzig macht… Ehrlich gesagt ich war der festen Überzeugung, ihr wäret ebenfalls zugegen. Das hätte mir Gelegenheit gegeben eure Kabine nach einem Hinweis zu durchforsten. Stattdessen finde ich euch hier.“
Die unverhohlene Offenheit des Zwergs ließ ihn vorsichtig werden. Kasran war niemand, der seine Gedanken und Pläne preisgab, außer er erhoffte sich davon etwas.
,,, Ich weiß von nichts.“ , erklärte er und sah grimmig zu den zwei Leibwächtern des Thanen. ,, Und ihr
kommt hier in mein Zimmer und bedroht mich. Was glaubt ihr, wird passieren, wenn jemand davon erfährt?“
,, Weder habe ich euch bedroht noch sonst irgendetwas.“ , antwortete der Thane ruhig. ,, Ihr seid derjenige mit dem Messer in der Hand hier, Hadrir. Ich will nur etwas wissen… Was hat der König vor?“