Jugendbücher
Chalk Junkies

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"Chalk Junkies"
Veröffentlicht am 31. Dezember 2015, 178 Seiten
Kategorie Jugendbücher
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Über den Autor:

Hallo :) Ich heiße Nasti und bin 15 Jahre alt. Also, ich schreibe natürlich sehr gerne, gehe (wie man an Profilbild, Benutzername sowie einem meiner Bücher erkennen kann) SEHR gerne bouldern und mache Parkour (bzw. versuche es). Abgesehen davon zeichne ich sehr gerne, fotografiere und spiele Gitarre :) Außerdem habe ich nicht viel für alles Moderne übrig, z.B. diese übermäßig riesigen Handys ;) , ich mag alte Musik sowie alte Filme :)
Chalk Junkies

Chalk Junkies

Prolog

Blitzartig schoss die pechschwarze Silhouette durch die von blassem Mondlicht erhellten Gassen und verschmolz hin und wieder mit den langen Schatten, die von breiten Mauern auf den grauen Asphalt geworfen wurden. Geschmeidig und mit der Eleganz einer Raubkatze presste sich die Gestalt an die blutrot funkelnden Backsteinwände, rannte wie eine Eidechse an ihnen hinauf und überquerte sie mühelos, bis sich plötzlich eine weitere Gestalt aus den Schatten löste und die erste zu verfolgen begann. Geräuschvolle Schritte durchschnitten

die nächtliche Stille wie eine scharfe Klinge, als sich beide schnell und mit zackigen Bewegungen durch die Schatten glitten. Immer wieder änderten sie ihre Richtungen, verschwanden irgendwo inmitten der Dunkelheit und tauchten nach einiger Zeit wieder auf, als seien sie niemals verschwunden gewesen. Einige Male vermochte man nicht zu erkennen, wer der Jäger und wer der Gejagte war, bis eine der Gestalten vor einer hoch in den Himmel ragenden Mauer zum Stehen kam. Panisch legte sie den Kopf in den Nacken und blickte hinauf, als könne sie nur schwer die so weit über ihr liegende Kante der Mauer erkennen, und fuhr dann hektisch herum.

Ihr Verfolger rannte mit der Geschwindigkeit eines Geparden auf sie zu, seine Schritte schienen von Siegessicherheit zu zeugen und er verlangsamte sein Tempo, als wüsste er, dass seine Beute nun ohnehin keine Chance zu entkommen hätte. Diese jedoch warf einen kurzen Blick zu Boden, trat dann dicht an die Mauer heran und begann, sich mit vor Aufregung zitterndem Körper hinaufzuarbeiten. Mühelos krallte sie sich in den winzigen, scheinbar nur haaresdicken Spalten zwischen den rötlichen Steinen fest und zog sich mit gewaltiger, von der mit jedem Herzschlag wachsenden Angst

verliehener Kraft hinauf, ihre Hände führten jede Bewegung flüssig aus und ihre Füße trafen jeden winzigsten, zentimeterdicken Vorsprung mit einer derartigen Präzision, dass es an eine problemlos an einer Wand hinaufkrabbelnde Spinne erinnerte. Der Verfolger blickte in den Himmel und tat einen Schritt auf die Wand zu, als wäre er ebenfalls im Begriff, diese hinaufzuklettern, schüttelte dann jedoch mit unverkennbarer Enttäuschung den Kopf. Er stieß ein scharfes, von Wut durchschnittenes Zischen aus, fuhr dann herum und rannte davon, hinein in die tiefe

Dunkelheit. "Wieso ist er entwischt?" Die von Wut mit der Schärfe eines funkelnden Messers durchzogene Stimme durchstach die Stille. "Ich bin über jede Mauer gesprungen, und ich hatte ihn fast eingeholt, aber..." "Wieso ist er dann entwischt?!" "Es war unmöglich! Er ist eine glatte Mauer einfach hinaufgeklettert, als wäre es eine Leiter! Ich dachte, ich hätte es mit einer menschlichen Spinne zu tun, es war... " Die erste Stimme sprach erneut: "Ich kann es mir vorstellen." Einige Augenblicke kehrte Schweigen

ein, ein eisiges Zögern, dass die sternenklare Nacht einfrieren zu wollen schien, dann ein höhnisches Lachen: "Dann wissen wir also, womit wir es zu tun haben".

The bone breaker

Wie dichter, von winzigen Schneeflocken durchdrungener Nebel lag die schwere Wolke weißen Staubs über dem Raum und raubte den an Felsstrukturen erinnernden Klötzen, die sich in allen Farben über die in verschiedensten Winkeln aneinandergeschmiegten Wände zogen, ihre Leuchtkraft. Geräuschvolle Rufe, manche voller Freude, manche frustriert, hallten an den von schwarzen Striemen überzogenen Wänden wieder und ein leicht unangenehmer Geruch lag in der stickigen Luft, die nur hin und wieder von durch einen schmalen Schlitz in der

Tür dringendem Wind erfrischt wurde. "Alléz, das schaffst du!", ertönte ein lauter Schrei, auf welchen ein weiterer folgte: "Ja, komm, sauber." In den dunkelbraunen Augen des Mädchens funkelte Entschlossenheit, pechschwarzes Haar fiel ihr in wilden Strähnen in das verbissene Gesicht und ihre von weißem Staub bedeckten Hände zitterten, als sie sich krampfhaft an dem tiefroten Griff festzuhalten suchte. Wenige Meter unter ihr ruhten die angespannten Blicke ihrer Zuschauer auf ihr, während sie sich langsam an der leicht überhängenden Wand hinaufarbeitete und ihre Hand vorsichtig nach oben gleiten ließ, dem nächsten

Griff entgegen. "Mach' langsam!" Aus der Menge erhob sich eine Gestalt und rannte mit ausgestreckten Armen auf die Stelle zu, wo das Mädchen zweifellos landen würde, lockerte sie nun ihren Griff um die breite, rote Kugel. "Ich spotte dich, Isa, keine Angst!" "Ist der nächste gut?", rief das Mädchen an der Wand daraufhin. "Nein, pass auf, das ist ein verdammter Sloper!" Isa zischte etwas Unverständliches, ehe sie die über ihr hängende, riesenhafte Kugel mit scharfem Blick fixierte und mit einer raschen Handbewegung danach griff.

"JA!" Es schien zunächst, als drohten ihre Finger den Halt zu verlieren, doch dann lehnte sie sich mit einer derartigen Belastung gegen den Griff, dass ihr Körper beinahe waagerecht in der Luft hing und ihr Arm völlig ausgestreckt war, sodass das Abrutschen beinahe unmöglich schien. "Schön!", rief die unter ihr stehende Person, "und jetzt schieb' dich ganz vorsichtig nach links, stütze dich mit der linken Hand an der Wand ab..." Sie brach ab, als Isa kurz einen undefinierbaren Punkt zu ihrer Linken anpeilte, Schwung zu nehmen schien und

wie eine hervorschießende Kobra zur Seite sprang, die Kante der dort aufragenden Wand sicher greifend, ehe sie sich mühelos hinaufzog. "So viel zum Thema "vorsichtig nach links schieben", murmelte die Gestalt, welche soeben noch unter ihr gestanden hatte, um ihre Landung im Falle eines Sturzes zu dämpfen. Sie wandte den Blick der steilen, hoch über ihr aufragenden Wand zu, und ihre hellblauen Augen ruhten auf dem vollmondähnlichen, dunkelroten Griff, der auf der weiß-gräulichen Wand an ein riesenhaftes Geschwür erinnerte. "Wer denkt sich so etwas aus?" Sie fuhr sich mit der von weißem Pulver

bedeckten Hand durch das kurze, strohblonde Haar, als wolle sie ihr recht langes Pony möglichst weit aus ihrem Gesicht fernhalten. "Hast du den beim ersten Versuch geschafft, Tassy? 'Tschuldigung. Pinkie", ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr, sie drehte sich herum und blickte in Isas neugierige Augen, als diese plötzlich unmittelbar hinter ihr stand. "Wie bist du..." Sie zögerte und verspürte einen kaum wahrnehmbaren Anflug von Belustigung, als Isa sie mit ihrem neuen Spitznamen ansprach, den sie seit einer misslungenen Haartönung mit sich trug. "Warst du nicht vor einer Sekunde noch da oben?" Sie wies mit einem knappen

Nicken auf die sich über ihr erstreckende Wand, schüttelte dann jedoch den Kopf. "Egal. Ja, ich habe ihn beim ersten Versuch geschafft." "Geflasht!", sagte Isa und schenkte Tassy ein breites Grinsen, wodurch sie an ein Grundschulkind erinnerte, das gerade eine schwierige Frage richtig beantwortet hatte. "Genau", antwortete diese mit einem belustigten Funkeln in den Augen. Unwillkürlich machten sich die Bilder des Tages, an denen Isa zum ersten Mal jene Boulderhalle besucht hatte, in ihrem Gedächtnis breit, und sie erinnerte sich mit einem Anflug von Bewunderung an die scheinbar unerschütterliche Energie

sowie den Ehrgeiz des Mädchens. Vor welche Aufgabe man sie auch stellte, sie setzte stets alles daran, sie möglichst perfekt auszuführen, und obgleich Isa nicht so hochgewachsen war wie einige andere Kletterer, konnte sie dennoch problemlos mit den meisten von ihnen mithalten. "Also, da wir den Roten ja alle geschafft haben- was machen wir jetzt?" "Wir könnten..." hob Isa zu Sprechen an, doch eine aufgebrachte Stimme, welche mit einem Mal hinter Tassy ertönte, unterbrach sie: "Leute, ich glaube, sie wissen, dass wir hier sind!" Kaum waren jene Worte an ihre Ohren gedrungen, verspürte Tassy eine Woge

des Unbehagens in sich aufsteigen, bevor sie die in der trüben Wolke weißen Staubs nur als Silhouette erkennbare Gestalt eines Jungen ausmachen konnte, der sich mit unruhigen Schritten näherte. "Was ist passiert, Nick?" vernahm sie die vorsichtige Stimme Isas, die an den Jungen herantrat, bei dem ernsten Ausdruck in seinem Blick jedoch prompt zum Stehen kam. "Sie haben mich letzte Nacht verfolgt, fast bis hierher, und ich glaube, sie wissen jetzt, dass wir immer hierherkommen!", stieß Nick hervor und versuchte sichtlich, seine Aufregung zu verbergen. "Irgendeiner von ihnen hat

mich gejagt wie ein Irrer, ist über alle Mauern gesprungen... Nur durch Klettern konnte ich ihn abhängen." "Oh nein..." Tassy sah den sorgenvollen Ausdruck in Isas geweiteten, dunklen Augen, als diese herumfuhr und schnellen Schrittes auf sie zueilte, woraufhin Nick sich schwerfällig auf die staubige Matte sinken ließ. "Was machen wir jetzt?" Zögernd, die sich in einem einzigen Herzschlag vor ihrem inneren Auge auftuenden Bilder der Zukunft zu verarbeiten suchend antwortete Tassy: "Ich... Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie uns bis in die Halle verfolgen werden, aber... Zumindest bis vor die

Tür. Diesen Vollpfosten traue ich wirklich alles zu." "Die können uns nicht leiden! Und wir haben ihnen nicht einmal etwas getan!" Isa ballte die Fäuste, als wolle sie ihre Erscheinung möglichst gefährlich wirken lassen sowie ihre Kampfbereitschaft zum Ausdruck bringen, und der angriffslustige Schleier, der über ihren dunklen Augen lag, unterstrich ihre Wut. "Na ja, wir haben ihnen ihr Revier gestohlen", fügte Nick schließlich keuchend hinzu, woraufhin Tassy entgegnete: "Aber nur, um hierher zu kommen! Ich verstehe gar nicht, was die für ein Problem mit uns haben." "Wie hat das alles eigentlich

angefangen?", erkundigte sich Isa, und das aufgeregte Funkeln in ihrem Blick wich Neugier, "so lange bin ich ja noch nicht dabei." "Wir kommen eigentlich hierher, seitdem die Halle eröffnet wurde. Irgendwann ist uns dann aufgefallen, dass sich hier in der Gegend so eine... na ja... Gruppe herumtreibt", erklärte Nick, woraufhin Tassy einwarf: "Eine Gruppe, die überall, wo sie ist, Unruhe stiftet. Einmal haben wir sie daran gehindert, diesem dicken Jungen, der manchmal hier herumspaziert, sein Geld zu klauen, und seitdem haben sie es ständig auf uns abgesehen." Sie zögerte und warf einen flüchtigen

Blick auf die gläserne, das in allen Farben erstrahlende Licht von an den Decken befestigten Scheinwerfen nur schwach reflektierende Eingangstür, als glaubte sie, jeden Augenblick würde ein Angreifer mit lautem Schrei durch diese hindurchbrechen. Gerade war sie im Begriff, diesen unwirklich scheinenden Gedanken zu verwerfen, merkte dann jedoch mit einem leisen Anflug des Entsetzens, dass die Möglichkeit eines solchen Ereignisses gar nicht so weit entfernt war, wie sie es vor wenigen Minuten noch geglaubt hätte. Die Nibos- so wurde jene Gruppe von ihnen genannt, wobei sie diesen Namen als Abkürzung für

"Nicht-Boulderer" nutzten- hatten bisher jede Möglichkeit genutzt, die Boulderer aus dieser Gegend zu vertreiben- durch seltsame Nachrichten, die sie ohne jegliche künstlerische Begabung -wie Tassy zu beurteilen wusste- an eine der alten Backsteinwände gesprüht hatten, durch Drohungen oder durch misslungene Fallen, wo sie vergeblich versucht hatten, einen der Boulderer zu schnappen. Bisher jedoch waren sie nie so nah an sie herangekommen, und sie hatten seltsamerweise nie von der Existenz dieser Halle gewusst. Womöglich würde sich von nun an einiges ändern, und irgendetwas sagte Tassy, dass dieses

Ereignis die Sicherheit ihrer Gruppe sowie die der Halle gefährden könnte. "Wir sollten Kat und Lilly bescheid sagen", murmelte sie mehr an sich selbst gewandt und dachte an die überraschten Ausdrücke in den Gesichtern ihrer Freundinnen, wenn sie von jener Nachricht erführen. Tassy, Kathrin und Elisa, die bei den meisten jedoch bloß als Lilly bekannt war, hatten sich schon einige Jahre vor der Eröffnung dieser Halle kennengelernt- obgleich Tassy zu Beginn ihrer Bekanntschaft von Elisas übertriebenem Selbstvertrauen sowie einem Funken Arroganz nicht besonders angetan gewesen war und sie sich zudem in ihrer Freizeit eher selten sahen,

stellten sie- wenn sie denn irgendwann einmal zusammen waren- nun ein scheinbar untrennbares Dreiergespann dar. "Wo sind die beiden überhaupt schon wieder?", riss Isa sie aus ihren Gedanken. "Keine Ahnung. Ist mir momentan auch egal. Wir sollten ihnen aber spätestens morgen bescheid sagen." Sie zögerte und schüttelte dann den Kopf. "Ich glaube, die nächste Zeit wird spannend." Leichtfüßig und sich nach scheinbar jedem Herzschlag vorsichtig umblickend schlich Tassy über die schmalen Mauern,

die vom wie feiner Staub zu Boden rieselnden Regen glatt geschliffen wurden und ihr so das Gefühl gaben, jeden Augenblick auf dem roten Stein auszurutschen, um dann auf den harten Asphalt einige Meter unter ihr zu stürzen. "Warum müssen wir den Weg nehmen?", wisperte Nick, der mit hörbar unsicheren Schritten hinter Tassy herschlich, gefolgt von Isa, deren Bewegungen über die dünnen Steinmauern deutlich präziser sowie von weniger Angst geprägt waren als die des Jungen. "Weil diese Pis... 'Tschuldigung. Weil diese Blödmänner sich bestimmt dort unten

herumtreiben." "Das Dumme ist... Verdammt!", zischte Nick mit unwillkürlich erhobener Stimme, woraufhin Tassy blitzschnell herumfuhr und eine Flamme des Entsetzens in sich aufsteigen spürte. "Was?!" "Nichts. Ich dachte, ich würde ausrutschen." Nick grinste, wobei ein Anflug von Verlegenheit um seinen Mund spielte, und Tassy spürte sofort, wie ihr Entsetzen tiefer Erleichterung wich. "Lappen", wisperte sie daraufhin und schenkte Nick ein amüsiertes Lächeln, woraufhin dieser mit gespielt genervtem Gesichtsausdruck die im Mondlicht

silbern funkelnden Augen verdrehte. "Das Dumme ist", begann er dann erneut, "dass sie jetzt scheinbar jemanden gefunden haben, der auch keine Probleme damit hat, über Mauern zu hüpfen. Soweit ich das beurteilen konnte, ist dieser Kerl nicht einfach irgendwie irgendwo drübergeklettert. Das sah stark nach Parkour aus." "Aber er hat dich nicht bekommen", entgegnete Tassy und blickte über die Schulter zurück, als wolle sie sich vergewissern, Isa nicht verloren zu haben. "Schon, aber nur, weil ich mich erstens oft versteckt habe, und zweitens bin ich ihm stellenweise davongeklettert. Bei

weiten Sprüngen, Wallrun oder ähnlichem hatte er keine Probleme, mitzuhalten." Daraufhin kehrte Stille ein, und Tassy hatte Mühe, die nur von fahlem Mondlicht beleuchteten Mauern, welche die niedrigen Dächer des riesigen alten Firmengeländes übersäten, auszumachen. Sie hatten noch einige Stunden in der Boulderhalle verbracht und jegliches Zeitgefühl verloren, doch da der Mond bereits seit einiger Zeit am Himmel stand, schätzte Tassy die Zeit auf etwa zehn Uhr. Für sie und Nick spielte dies keine Rolle- abgesehen davon, dass am nächsten Morgen keine Schule war, stand sie kurz vor ihrem sechzehnten und er

vor seinem fünfzehnten Geburtstag und für ihre Eltern stellte es somit keinerlei Probleme dar, wenn sie an Wochenenden erst etwas später nach Hause kämen. Isa jedoch war beinahe vier Jahre jünger Tassy, und obgleich sie behauptete, so spät nach Hause kommen zu dürfen, wie sie wolle, konnte Tassy sich nicht vorstellen, dass ihre Eltern ihr tatsächlich so lange fortzubleiben erlauben würden. In ihre Gedanken versunken achtete sie kaum auf die bei jedem Schritt auf die maroden Backsteinmauern entstehenden Laute, doch plötzlich ertönte hinter ihr ein scharfes Zischen und sie spürte, wie ihr Unterarm mit festem Griff

umklammert wurde. "Pssst!", wisperte Isa und zog sie hinab, worauhin Tassy mit fragendem Gesichtsausdruck auf die Knie sank. "Was ist?", fragte sie, als Nick und Isa ihr mit hektischen Gesten bedeuteten, sich dicht an die über ihr aufragende Wand zu pressen, die sie von der sich tief unter ihnen erstreckenden Straße trennte. "Da redet jemand. Und ich glaube, ich weiß auch, wer es ist", flüsterte Nick beinahe lautlos, und Isa verengte ihre dunklen Augen zu misstrauisch funkelnden Schlitzen. "Sind das die Nibos?" Tassy zögerte und tat leichtfüßig einen

Schritt vorwärts, um über die Kante des hohen Gebäudes hinabblicken und die Sprechenden genau betrachten zu können. Die Gestalten waren dunkel gekleidet und drohten mit den alles verschluckenden Schatten der Nacht zu verschmelzen, doch ihre leicht nach vorne gebeugten sowie steifen Haltungen zeugten von einer Schwerfälligkeit, die sie selbst in einer dunklen Nacht unverkennbar machten. "Ja", antwortete sie schließlich, presste sich erneut an die Mauer heran und fügte dann mit einem beinahe höhnischen Grinsen hinzu: "Und sie wissen nicht, dass wir hier sind. He, lasst uns irgendwas auf sie

werfen!" "Nein, sonst erwischen sie uns noch! Hast du eigentlich nur Blödsinn im Kopf?", flüsterte Nick, woraufhin Tassy den Kopf schüttelte- dann wenige Sekunden zögete und schließlich mit einem Lächeln nickte. "Ja. Und die kommen hier nicht rauf." "Aber sie könnten uns sehen" "Stimmt auch wieder." Daraufhin kehrte Schweigen ein, und Tassy hielt mit dicht an die Wand gepresstem Körper den Atem an, um das auf der Straße Gesprochene verstehen zu können. "Wie weit ist das denn?", grunzte ein Junge mit tiefer Stimme, woraufhin eine

weitere folgte: "Sie meinte, es muss hier in der Nähe sein. Ich kann sie ja nochmal fragen, wo genau." Daraufhin ertönte eine Stimme, die zwar sehr dunkel, jedoch eindeutig weiblich war: "Also, wir steigen einfach durchs Fenster ein und klauen Sachen, oder wie?" "Ich hab aber kein Bock, durchs Fenster zu klettern!" Keinen Bock, dachte Tassy nur, ehe sie den Worten weiterhin lauschte. "...geht aber nicht anders. Und außerdem, wer in 'ne Kletterhallte einbricht, der muss auch klettern können." Das dumpfe Lachen, welches auf diese Worte folgte, ließ Tassy

unwillkürlich die Fäuste ballen und sie spürte eine Woge des Entsetzens in sich aufsteigen, als sie mit geweiteten Augen zu ihren Begleitern herumfuhr. "Sie wollen in die Halle einbrechen!", zischte sie und sah, wie ihr Entsetzen auf Nick und Isa überzugehen schien. "Wie... Wie wollen sie das denn machen? Und wa..." "Psst! Hört weiter zu". Sie brachte das Mädchen mit einer knappen Handgeste zum Schweigen und schloss die Augen, als könne sie so die gesprochenen Worte besser verstehen. "Wann sollen wir das machen?" "Keine Ahnung. Können wir ja noch überlegen. Aber am besten warten wir noch, weil die jetzt bestimmt mit was

rechnen, weil wir ja gestern erst versucht haben, einen von denen zu fangen." "Hast recht. Und was..." Verdammt, dachte Tassy und senkte den Kopf, ihre Finger krallten sich wütend in die kalten, vom Dunst des Nebels mit einer hauchdünnen Schicht von Nässe überzogenen Steine, deren Kälte mit der Schärfe einer Klinge in ihre aufgeschürften Fingerspitzen drang. Sie mussten irgendwie herausfinden, wann die Nibos in die Halle einzubrechen planten, und sie würden dies zu verhindern versuchen müssen. Langsam und noch immer dicht an die kühle Wand gepresst erhob sie sich, eilte lautlos auf die gegenüberliegende Seite

des Gebäudes und suchte mit den Augen die Umgebung nach dem grünlich schimmernden, vom matten Schein einer Lampe erhellten Eingangsschild der Boulderhalle ab. "Rockwalls. The bone-breaker", las sie mit einem leisen Lächeln auf den Lippen und drehte sich langsam um, als sie näherkommende Schritte hinter sich vernahm. "Hoffentlich werden sie dadurch abgeschreckt." Nick trat neben sie, gefolgt von Isa, und richtete seinen Blick ebenfalls auf das unauffällig grüne Schild. "Wenn sie überhaupt lesen können." "Ja, wir sollten ein Schild hinhängen mit

"hier sind nur Leute erlaubt, die das Schild lesen können." "Das hast du aber nicht...", begann Tassy und versuchte, ruhig einzuatmen, um nicht in geräuschvollem Gelächter auszubrechen. "Hast du das gerade ernst gemeint?" "Was?" "Das mit dem Schild." Isa nickte. "Isa." Tassy blickte zu Boden, ehe sie weitersprach. "Wenn man ein Schild nicht lesen kann... Ach, verdammt. Das hat gerade einfach gar keinen Sinn gemacht." Isa verzog plötzlich das Gesicht, konnte ein lautes Lachen nicht zurückhalten und

vergrub ihren Kopf in den Händen, während Tassys verwirrter Blick auf ihr ruhte. Sie schien etwas antworten zu wollen, brach jedoch bei jedem Versuch zu sprechen ab und lehnte sich mit vor Belustigung verzerrtem Gesicht gegen die Wand. "Das war jetzt wirklich richtig sinnvoll, Isa", bemerkte Nick mit unverkennbarer Ironie in der Stimme und brachte seinerseits ein leises Lächeln zustande- kaum wahrnehmbar und nur einen Sekundenbruchteil anhaltend, aber dennoch eindeutig vorhanden. Tassy fuhr sich mit der Hand durch das blonde Haar, das nunmehr vom sich wie eine schwere Decke über die Stadt gelegten Nebel

benetzt war, und verlor die Belustigung, die sie soeben noch erfüllt hatte, an einen neuen Anflug von Enttäuschung. Wie sollten sie die Boulderhalle vor diesen Unruhestiftern beschützen, ohne irgendeine Information über sie sowie ihr Vorhaben zu haben? Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, sagte Isa mit wiederkehrendem Ernst in der Stimme: "Wir kriegen diese blöden Affenköpfe schon davon abgehalten, in unsere Halle einzubrechen. Im Notfall müssen wir eben die ganze Zeit Wache halten!" "Wir werden morgen jemandem bescheid sagen. Vielleicht gibt es dort ja schon Überwachungskameras, oder so etwas.

Irgendwie werden wir es schon verhindern können. Hoffentlich." Sie richtete ihren Blick auf einen undefinierbaren Punkt in der von den schwach durch den Nebel dringenden Lichtern der Stadt erhellten Ferne und wiederholte jenes letzte Wort im Stillen mehrmals. Hoffentlich.

Kathrin und Elisa

Das ohrenbetäubende Pochen durchschnitt die Luft und hallte an den sterilen Wänden, die selbst neben einem unbemalten Stück Papier eine triste, öde Farblosigkeit ausgestrahlt hätten, wieder, als die Hand heftig gegen die hölzerne, weiße Tür schlug. Einige Augenblicke kehrte Stille ein, bis sich die Tür lautlos öffnete und eine Gestalt mit einem genervten Ausdruck in dem schmalen Gesicht hinaustrat. "Was soll das? Musst du so fest gegen die Tür schlagen?" Die von einem bräunlichen Schimmer, durch den sich ein schwarzer Strich zog, umsäumten

Augen der Frau blitzten Tassy wütend entgegen und ließen sie unwillkürlich zu Boden blicken, wobei das grelle Rot auf den vollen Lippen ihres Gegenübers zu einem undeutlichen Fleck verschwamm. "Tut mir leid. Ist mir gar nicht aufgefallen, dass das so fest war." "Dann arbeite eben daran." In ihrer Stimme lag ein schnippischer, beinahe gestresster Unterton, als wäre ihr allein die Tatsache, nur wenige Augenblicke ihrer kostbaren Zeit für jemanden herzugeben, unangenehm. "Ist Kathrin da?", fragte Tassy dann. Die Frau drehte sich ruckartig herum, wobei ihr aufwallendes, platinblondes Haar wie eine sanfte Welle in der Luft ihre

hektische Bewegung dämpfte. "Kathrin!", rief sie aus, und Tassy wunderte sich über die Schärfe in ihrer Stimme- wenn ihre eigene Mutter ihr gegenüber überhaupt jemals einen derartig wütenden Ton in der Stimme anschlug, dann nur in Situationen, wo dies allzu berechtigt war. "Ich komme!", ertönte dann aus irgendeinem Zimmer des geräumigen Hauses, dessen Inneres einem reich verzierten Palast glich, das geräuschvolle Rufen Kathrins, auf welches die nicht zu überhörenden Laute sich schnell nähernder Schritte folgte. "Trampel doch nicht so durch das Haus, mein Gott", zischte ihre Mutter,

woraufhin sich Kathrin an dieser vorüberschob und mit einem zaghaften Lächeln zu Tassy hinaustrat. "Hallo", sagte sie mit jenem vertrauten Ausdruck von Freundlichkeit in der Stimme, der sich auch in ihren tiefblauen, schmalen Augen spiegelte. Ihr blondes Haar war zu einem einst strengen, sich immer mehr zu lösen scheinenden Pferdeschwanz zusammengebunden und ihre hellgraue Strickjacke hatte sie möglichst weit zugeknöpft, als versuchte sie vergeblich, sich völlig zu bedecken. Sähe Tassy sie nun zum ersten Mal, wäre ihr jene brave, unschuldige Ausstrahlung, die von dem Mädchen

ausging, vermutlich stärker aufgefallen- doch sie kannte Kat, sie wusste, welche Hemmungslosigkeit diese schüchterne, ruhige Fassade hin und wieder in sich barg. Schließlich hob Tassy zum Sprechen an: "Wir wollten dich in die Boulderhalle entführen. Kommst du mit?" "Ich weiß nicht, ob ich Zeit habe. Kann ich?" fragte sie an ihre Mutter gewandt. "Wenn du nichts mehr zu tun hast, dann geh", sagte diese nur, und Tassy glaubte beinahe zu sehen, wie sie ihre schwarz umrandeten Augen verdrehte. "Dankeschön", sagte Kat und sah Tassy mit einem Blick an, der sagen zu wollen schien: "Schnell weg

hier!" "Aber du bleibst nicht wieder bis tief in die Nacht hinein, hast du verstanden?" "Nein, mache ich nicht!" Bei diesen Worten nahm auch der Klang in Kats Stimme eine leise Schärfe an, und Tassy verspürte einen Anflug von Erleichterung, als die Mutter ihrer Freundin schließlich mit einem letzten Blick auf die Mädchen die Tür schloss. "Na, wie geht's?", fragte Tassy dann, während sie hinter Kat den langen, schneeweiß gestrichenen Flur entlangschlurfte. Diese zögerte, bis sie die shwarze, von in der Mittagssonne glänzendem Sonnenlicht durchschienenen Glaselementen gezierte Tür öffnete und

ins Freie trat. "Meine Mutter geht mir in letzter Zeit einfach nur auf die Nerven", zischte sie und blickte unsicher über die Schulter zurück, als glaubte sie, diese könne sich unmittelbar hinter ihr befinden und ihren Worten lauschen. "Immer nur meckern. Ich muss für die Schule lernen, ich muss Klavier spielen, ich muss auf meinen Bruder aufpassen. Und Bouldern ist ja angeblich überhaupt kein Sport für mich! Da macht sich die arme Kathrin die Finger schmutzig." "Du tust mir leid", murmelte Tassy und blickte Kat mit bedauerndem Gesichtsausdruck entgegen, während sie durch den gewaltigen Vorgarten schritten, dessen ihn umsäumende,

perfekt gestutzte Hecken den sterilen Ausdruck des auf einer kleinen Anhöhe kauernden Hauses unterstrichen. Kat streckte ihre Hand aus, drückte die Klinke des kunstvoll gefertigten Eisentores, welches jenen Garten von der Straße trennte, nach unten und sprang schließlich mit einer solchen Energie hinaus, als breche sie nach einer Ewigkeit der Gefangenschaft durch ein scheinbar unzerstörbares Eisengitter in die Freiheit hinaus. "Kathrinchen!", ertönte ein schriller Ruf, woraufhin plötzlich zwei Gestalten aus den schützenden Schatten der Hecke hinausliefen und mit von Euphorie erfüllten Blicken auf Kat zusprangen.

"Isa! Lilly!", rief sie aus, als sich das kleinere Mädchen an ihr festklammerte und sie somit beinahe zu Fall gebracht hätte, wäre Lilly nicht im rechten Moment hinübergestürmt, um Kat zu stützen. "Geh' von mir runter, du Arschgesicht!", rief Kat spielerisch aus und wand sich unter Isas festem Griff, die sich mit einem beinahe gehässigen Grinsen an ihren Schultern festhielt und wie ein riesenhafter Rucksack auf ihrem Rücken lastete. Tassy verschränkte die Arme und blickte mit gespielt besorgtem Blick zu Kat hinüber, die sich noch immer vergeblich zu befreien suchte. "Du hast da ein

Geschwür auf dem Rücken, Kat." "Tass, würdest du das von mir runter holen?!" Diese brachte nur ein verstohlenes Grinsen zustande, sprang zu der unter Isas Gewicht nachzugeben drohenden Kat hinüber und stützte sich mit ihren Händen auf ihr ab, woraufhin Kathrin das Gleichgewicht verlor und mit einem geräuschvollen Lachen zu Boden sank. "Ihr seid fies", sagte Lilly, die sich fest an eine neben die sattgrüne Hecke grenzende Mauer gelehnt und das Geschehen somit aus einiger Entfernung beobachtet hatte, ehe sie langsam zu der noch immer unter Isa am Boden liegenden Kat hinüberschritt.

"Hol´ sie runter!" rief Kat, deren Augen sich vor Lachen mit klaren Tränen gefüllt hatten, woraufhin Tassy, nachdem sie sich wieder erhoben hatte, Lilly mit festem Griff an den Handgelenken packte. "Ich halte Lilly fest, Isa! Kitzel sie zu Tode!" Tassy blickte in Lillys angriffslustiges Grinsen sowie ihre funkelnden, grünlichen Augen und vernahm hinter sich ein ohrenbetäubendes Quieken, woraus sie schloss, dass Isa tat, wie geheißen. Nach einiger Zeit ließ jenes Geräusch zusammen mit Tassys Kraft, Lilly weiterhin zurückzuhalten, nach und

schließlich erhoben sich die beiden anderen Mädchen vom Boden, keuchend und mit vom Staub des grauen Asphalts befleckten Gesichtern. "Ihr habt mir gefehlt, Leute", sagte Kat mit einem Lächeln sowie einem leisen Hauch von Ironie in der Stimme. "Also, nachdem wir uns hier alle gegenseitig umgebracht haben", warf Lilly ein, "lasst uns endlich Bouldern fahren." Kat warf Tassy einen verwirrten Blick zu. "Fahren?" "Wir haben Fahrräder dabei. Du stellst dich einfach auf die Stangen an meinem BMX." Sie drehte sich um und wies mit der

Hand auf die Stelle, wo die im Sonnenlicht glänzenden Fahrräder zwischen einem parkenden Auto und einer Mauer verborgen lagen, während Kat ein langsames Nicken zustande brachte. "Meine Mutter wäre nicht begeistert." "Ja, also wirklich, Kathrin", antwortete Tassy grinsend und erhöhte dabei ihre Stimme um einige Frequenzen, als wolle sie dieser den Ausdruck einer schimpfenden Lehrerin verleihen, während sie die übereinandergelegten Fahrräder voneinander zu trennen suchte, "du prügelst dich auf der Straße, und du fährst ganz ohne Helm bei jemandem auf den Stangen mit. Du solltest dich

schämen, wirklich!" "Das ist aber wirklich gefährlich! Was, wenn uns die Polizei sieht?" "Reg dich ab, Lilly", seufzte Tassy nur und platzierte ihr schwarz-grün funkelndes BMX-Rad auf der trockenen, kargen Straße, als wäre sie im Begriff, sofort daraufzuspringen und davonzufahren. "Tassy! Überleg' doch mal. Das ist verboten, und wir sind hier in einer Stadt. Wenn das jemand sieht, dann hast du-" "Wir machen das doch ständig, und es ist nie etwas passiert. Außerdem nehmen wir ja immer den nicht so häufig benutzten Weg, wo uns sowieso niemand sieht",

entgegnete Isa, die Tassy sowie Kat einen beinahe genervten Blick zuwarf. "Aber..." "Lilly, alles wird gut gehen, okay? Jemanden auf seinem BMX-Rad mitzunehmen ist kein Schwerverbrechen, für das wir ins Gefängnis kommen." Nur am Rande bemerkte Tassy die in Kats Stimme aufsteigende Ungeduld, und sie vermutete, dass auch Lilly, die nun schwieg, diese wahrgenommen hatte. Wortlos setzte auch sie sich auf ihr Fahrrad, während Kat versuchte, auf den dünnen, schwarz funkelnden Stangen an den Seiten des BMX-Rades Gleichgewicht zu finden. "Geht's?", fragte Tassy schließlich und

wandte ihr Gesicht Kat zu, die ein bestätigendes Nicken hervorbrachte. Unwillkürlich fuhr Tassy mit einer derartigen Ruckartigkeit los, dass Kat auf den Stangen auszurutschen drohte und sich mit einem erschreckten Zischen an Tassys breiten Schultern festhielt, um nicht rückwärts auf den harten Grund zu stürzen. Mit einer Geschwindigkeit, dass es Tassy mitzuhalten Schwierigkeiten bereitete, schossen die beiden anderen Mädchen über die zerschundene, über Jahrzehnte von unzähligen Autos geschliffene Straße hinweg und zogen eine kaum wahrnehmbare Spur ihrer Reifen wie einen endlosen, pechschwarzen Schleier

hinter sich her. Tassy trat in die Pedale, so stark sie vermochte, und genoss das Gefühl des eine kühle Brise mit sich tragenden, sanft ihr Gesicht streifenden Windes, während sich der feste Griff Kats um ihre Schultern zu lockern schien. Zu ihren Seiten verschwamm die Umgebung zu einem undeutlichen Spiel verschiedenster, ineinandergemischter Farben wie ein sich weit erstreckendes Feld von unzähligen Blumen, und sie sog einmal tief die von einer Frische getränkten Luft ein, wie sie es nur in dieser fern von der Innenstadt gelegenen Gegend zu geben schien. "Ich bin ein Vogel!", rief Kat freudig

aus, woraufhin Tassy einen kurzen Blick zurückwarf. Ihre Freundin hatte die Arme von sich gestreckt und blickte mit zusammengekniffenen Augen auf einen undefinierbaren Punkt in der Ferne, ihr blondes Haar wallte wie die Wellen eines goldenen Flusses im Wind. Unwillkürlich und auf das verschwommene Farbenspiel zu ihren Seiten konzentriert schlug Tassy den wohlbekannten Weg ein, den sie so oft zurückkelegt hatten, während Isa und Lilly bloß als undeutliche, immer kleiner zu werden scheinende Punkte erkennbar waren. Irgendwann verebbte die vom Wind mitgetragene, leise Brise von

Pflanzenduft, während die Luft eine zunächst kaum wahrnehmbare, jedoch immer intensiver werdende Schärfe annahm und die entfernten Laute von unzähligen Fahrzeugen sich mehr und mehr näherten. "Hallo, zugemüllte, miefende Stadt, wir kommen!", rief Tassy aus und beschleunigte ihr Tempo, während die neben ihr aufragenden Gebäude an Höhe sowie Unförmigkeit, so schien es ihr, zunahmen. Mitlerweile funkelte das Farbenspiel zu ihren Seiten nicht mehr in verschiedenen Grüntönen, sondern hatte ein tristes Grau, Blassgelb oder das grelle Rot des Eingangsschildes eines

heruntergekommenen, scheinbar unzählige Male in jener Gegend aufzufindenden Kiosks angenommen, und mehrmals wich Tassy ruckartig einigen Fußgängern aus, die ihr entweder verwirrte Blicke oder aufgebrachte Worte in den unterschiedlichsten Sprachen entgegenwarfen, was jedoch keines der Mädchen zu verstehen vermochte. "Isa, Lilly!", rief Tassy, "wartet mal!" Diese hatten jedoch nunmehr einen derartigen Vorsprung, dass sie das kaum durch den Lärm der zu ihrer Linken vorüberzischenden Autos dringende Rufen vermutlich nicht zu hören imstande waren. Mit zusammengekniffenen, von in

Autoabgasen getränkter Luft tränenden Augen konnte Tassy nur schwer erkennen, wie Isa und Lilly ruckartig an einer Ampel zum Stehen kamen und schließlich die Straße überquerten, ohne nur einen Blick zurückzuwerfen. Abermals beschleunigte sie ihr Tempo, erreichte die Ampel im rechten Moment mit dem Schimmer des grünen, grellen Lichtes auf ihrem Gesicht und überquerte ihrerseits die Straße, wobei ihr einige Autofahrer bei dem Anblick der auf den Stangen balancierenden Kat verwirrte Blicke schenkten. Nach langer Zeit, so schien es, nahmen die Laute des Staßenverkehrs zusammen mit der Belebtheit der engen Gassen ab

und Tassy spürte einen Anflug von Erleichterung, als sie von der Einsamkeit des geheimnisvollen, im matten Sonnenlicht tiefrot funkelnden Firmengeländes empfangen wurde. Isa und Lilly hatten ihr Tempo verlangsamt, sodass Kat und Tassy sie einzuholen vermochten, bis sie alle schließlich zum Stehen kamen. Langsam stieg Kat von den rutschigen Stangen des BMX-Rades hinab und unterdrückte ein wohliges Seufzen bei dem Gefühl von festem, unbeweglichen Asphalt unter ihren Füßen, welcher sie nicht bei jedem Schritt ihres Gleichgewichts zu berauben

drohte. Sie tat einen Schritt vorwärts und blickte in Tassys eisblau funkelnde Augen, die auf einen undefinierbaren Punkt in der Ferne gerichtet waren- Kat wusste, wie sehr ihre Freundin diese Gegend liebte, jenen stillen Ausdruck von Einsamkeit. So oft hatten sie diesen Weg bereits zurückgelegt, waren die roten Backsteingebäude hinaufgeklettert und hatten von den flachen Dächern aus das endlose Bild der leuchtenden Stadt betrachtet, dass sie alle mit diesem Gebiet sehr vertraut waren. "Also dann, lasst uns mal weiterfahren,

oder?" Sie sah, wie Tassy den Kopf schüttelte und sich mit beinahe bedauerndem Gesichtsausdruck zu ihr herumdrehte, ehe sie antwortete: "Wir müssen dir noch was verklickern." Sie zögerte und blinzelte einige Male. "Diese Affen von Nicht-Boulderern wollen in die Rockwalls einbrechen." "Was?!" Kat spürte Verwirrung in sich aufsteigen und hatte Mühe, ihre Gedanken zu sortieren. Eigentlich hätte sie Tassys Worten niemals Glauben geschenkt, doch jenes amüsierte Funkeln in deren Blick, welches sie sonst immer die Unwahrheit zu sprechen verriet, war erloschen und in

ihrer Stimme lag ein tiefer Ernst. "Du verarschst mich nicht, stimmt's?", fragte sie nur, woraufhin Tassy den Kopf schüttelte. "Wir haben sie zuletzt belauscht und gehört, was sie vorhaben. Leider wissen wir aber nicht, wann und wie sie das geplant haben. Irgendwie müssen wir es noch herausfinden." "Ja, super", zischte Kat mit einem Anflug von Wut in der Stimme, "und wie sollen wir sie dann davon abhalten? Wir können sowieso nichts gegen sie ausrichten." Aus den Augenwinkeln bemerkte Kat, wie Isa ihre Hände zu kleinen Fäusten ballte und das Gesicht zu einer wütenden, beinahe angriffslustigen Grimasse

verzog, als sie zischte: "Wir machen sie kalt!" Die Tür öffnete sich lautlos und ließ die Mädchen die geräumige Halle betreten, wo die dichte, weiße Wolke sie mit trockenen Händen zu packen schien. Kat unterdrückte ein geräuschvolles Husten, als der kühle, einen leisen Hauch von Frische mit sich tragende Wind der Außenwelt der stickigen Hallenluft sowie dem leisen Geruch lange getragener, schweißgetränkter Kletterschuhe wich. "Ich liebe diese Atmosphäre, Mann", murmelte Tassy mit einem Lächeln, woraufhin Lilly entgegnete: "Du liebst

den Geruch von miefenden Kletterschuhen? Mit dir stimmt was nicht, Tass." Kat bemerkte jenen überheblichen Ausdruck in Lillys Stimme, als diese zu sprechen aufhörte und darauf zu warten schien, dass jemand über ihre Bemerkung lachte; Beiden daraufhin ein amüsiertes Grinsen schenkend folgte Kat ihnen schließlich an die Kasse und wurde dort von einem freundlichen Lächeln empfangen. "Ach, Lilly und Kat! Euch gibt es also auch noch. Ihr wart ja richtig lange nicht mehr hier." Die breitschultrige Frau blickte ihnen mit ihren warmen, dunkelbraunen Augen entgegen und ihre nunmehr verfilzten,

von in allen Farben funkelnden Perlen durchflochtenen Dreadlocks umrahmten ihr kantiges Gesicht, das an einigen Stellen von weißen Striemen durchzogen war. "Tine, du hast Chalk im Gesicht", sagte Lilly, woraufhin die Frau auf ihre schneeweißen Hände herabblickte. "Das macht nichts. Ihr seid sofort dran, Leute, ich muss nur noch das Mädel da drüben registrieren, in Ordnung?" Mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken des Kopfes wies sie auf ein Mädchen mit leicht gewelltem, braunen Haar, das sich gerade in dem neben der Eingangstür stehenden Computer eingetragen hatte und nun leichtfüßig zu der Kasse

hinüberschritt. Kat schenkte ihr jedoch keine weitere Beachtung und ließ ihren Blick über die von bunten Griffen überzogenen Wände gleiten- ihr fielen sofort unzählige Veränderungen auf und sie spürte die Neugier in sich aufsteigen, jede einzelne Route auszuprobieren. Während die Augen Kathrins auf den schiefen, von schwarzen Striemen übersäten Wänden hafteten, musterte Tassy das vor ihr stehende Mädchen genau. Ihr Gang war von der Eleganz einer geschmeidigen Katze und ließ ebenso wie ihre knochigen Handgelenke sowie ihre zierlichen Arme darauf schließen, dass sie nicht oft mit einem

Klettergriff in Berührung gekommen war- Tassy hatte schon unzählige Kletterer kennengelernt und nunmehr bemerkt, dass diese zumeist eine leicht gekrümmte Haltung sowie einen kräftigen Körperbau aufwiesen, was auf dieses Mädchen keineswegs zutraf. "Also dann, viel Spaß beim Bouldern, Cecilia. In dem Regal dort drüben stehen die Leihschuhe. Nimm' dir einfach deine Größe heraus und lege sie wieder dorthin, wenn du fertig bist." Schließlich neigte das Mädchen bejahend den Kopf und entfernte sich mit beinahe vorsichtigen Schritten von der Kasse, woraufhin sich Tine schließlich an die Übrigen wandte: "Ihr habt ja alle

Jahreskarten, stimmt's?" Lilly bestätigte ihre Frage als Erste mit einem ausladenden Nicken, und Tassy antwortete: "Jo, haben wir." "Na dann, immer rein mit euch", sagte sie dann mit einem fröhlichen Ton in der Stimme und gab den Mädchen mit einer kurzen Handgeste zu verstehen, die Boulderhalle betreten zu können. Beinahe unwillkürlich schlug Tassy den bekannten Weg zu den in einer engen Nische zwischen einer Kletterwand sowie dem Eingang der Umkleiden gelegenen Schränken hinüber, wo sie ihre Sachen aufbewahrten. Sie kramte den winzigen, immer in der Tasche ihrer nunmehr an einigen Stellen zerrissenen Lederjacke

liegenden Schlüssel heraus und öffnete die von olivgrüner Farbe überzogene Schranktür, woraufhin ihr ein beißender Geruch mit harter Faust ins Gesicht zu schlagen schien. Sie kämpfte gegen das Verlangen an, einen gewaltigen Schritt nach hinten zu tun, wobei sie am Rande bemerkte, wie auch Isa, Lilly und Kat ihre Spinde öffneten und sie im selben Augenblick mit vor Ekel verzerrtem Gesicht zuschlugen. "Jedes Mal!", rief Kat, "Jedes-verdammte-Mal!" Isa senkte den Kopf und spielte vor, sich übergeben zu müssen, dann krächzte sie: "Pfuuii, das stinkt nach Schimmelkäse!" Tassy trat mit höhnischem Grinsen an

Kathrin heran und flüsterte: "Lecker, sowas isst du morgens zum Frühstück auf deinem Brot, stimmt's? Gammelbrötchen mit Kletterschuh-Käse, Kat's Spezialität." Diese schüttelte bloß den Kopf, sog einmal die Luft ein und öffnete den Spind dann erneut, woraufhin Tassy abermals grinsen musste. "Stellt euch nicht so an. Das macht doch eine gute Kletterhalle aus!", sagte Tassy nur, woraufhin die anderen Mädchen schwiegen. Während sie schließlich ihre eigenen Schuhe sowie das Chalkbag, in dem sie das pulvrige, von den Boulderern als Chalk bezeichnete Magnesia aufbewahrte, herausnahm, sah sie das

braunhaarige Mädchen nur wenige Meter von ihr entfernt auf einem der verschlissenen Sessel sitzen und sich vergeblich in einen Kletterschuh hineinzuzwängen versuchen. Tassys auf ihr ruhenden Blick bemerkt zu haben scheinend sah sie plötzlich mit beinahe schmerzvollem Gesichtsausdruck auf, woraufhin Tassy ihr ein mitfühlendes Lächeln schenkte. Sie war sich über die Mühe, derer es einen Kletterschuh anzuziehen bedarf im Klaren und ahnte auch, welche Schmerzen das Mädchen nach einiger Zeit in diesen engen, jeden einzelnen Zeh eindrückenden Schuhen würde ausstehen müssen- Obgleich Tassy selbst

seit drei Jahren mit jenem Sport vertraut war und eigentlich auch an die damit verbundenen Schmerzen gewöhnt sein müsste, liebte sie das Gefühl der Erleichterung, wenn sie sich am Ende des Kletterns ihrer Schuhe entledigte. "Au... Verdammt... Ich bin drin!", stöhnte sie dann, als sie ihre eigenen Schuhe mühsam über ihre Füße streifte, und erhob sich schließlich unter dem unangenehmen Gefühl zusammengepresster Zehen; aus den Augenwinkeln sah sie, wie Kat ihr bei jenen letzten Worten ein kurzes Lächeln zuwarf und sich dann ihren eigenen Schuhen zuwandte. "Jaaa!" Ein lautes Rufen ertönte

unmittelbar hinter Tassy, dann zischte eine Gestalt mit einer sie bloß als dunkle Silhouette erkennen lassenden Geschwindigkeit an ihr vorüber und eilte geradewegs an dem noch immer ihre Schuhe anzuziehen versuchenden Mädchen vorüber. Tassy lief hinter ihr her, verspürte jedoch aufgrund der Tatsache, dass sie jene Halle nunmehr jeden Tag besuchte und ihre Boulder-Griffe somit scheinbar auswendig kannte, nicht mehr ein derartig gewaltiges Verlangen, sich sofort an die Wände zu stürzen. Während sie sich, gefolgt von Lilly und Kat, auf eine nur leicht überhängende Wand im hinteren Teil der Halle

zubewegte, dehnte sie ihre Finger und ließ ihre Arme schwungvoll hin-und her kreisen. "Ich mache erst ein paar Einfache", verkündete sie an Lilly und Kat gewandt, "was ich euch auch raten würde. Ihr wart ja länger nicht mehr hier." "Kein Bock", murmelte Kat bloß, woraufhin Lilly sofort entgegnete: "Doch, mach das, Kat. Sonst kannst du dich verletzen, das ist dir schon klar." "Ja, ich weiß, aber..." "Überleg' doch mal, Kat..." Tassy schüttelte nur den Kopf und entfernte sich ein wenig, um an der aufkommenden Diskussion zwischen Kat und Lilly nicht teilhaben zu müssen- sie

wusste, dass Lilly nicht aufgeben würde, bis man ihr zustimmte und in solchen Fällen schnell die Ruhe verlor. Unwillkürlich trat sie an den in einem grellen Orange leuchtenden, taschenförmigen Startgriff einer sich diagonal über die überhängende Wand ziehendend Route heran und begann mühelos, sich diese hinaufzubewegen, als erklimme sie eine Leiter. Ihre Hände und Füße arbeiteten sich parallel zueinander hinauf- griff sie mit einer Hand nach der nächsten Tasche, setzte sie gleichzeitig auch ihren Fuß um einen Griff höher und hatte somit schnell den mit einem Schild markierten Topgriff

erreicht. Ihre Füße hingen frei in der Luft und sie hielt die Tasche fest gepackt, als sie jenes vertraute Gefühl von Freiheit in sich aufsteigen spürte. Sie wandte den Kopf und ließ den Blick über die sich vor ihr erstreckende Halle sowie die aus jener Perspektive klein wirkenden Kletterer schweifen, dann schloss sie die Augen. Obgleich sie sich in nicht mehr als vier Metern zu befinden wusste, stellte sie sich einen nicht lange anhaltenden Augenblick vor, an einer hoch in den Himmel ragenden Felswand zu hängen, mit den sanften Wellen eines tiefen Meeres unter sich, und beinahe glaubte sie, einen den süßen Duft von

Wasser mit sich tragenden Windeshauch zu vernehmen... "Hey, Tassy! Komm auf die Erde zurück!" Das laute Rufen riss sie aus ihren Gedanken und ihre Finger verloren vor Schreck den Halt, woraufhin sie abstürzte und scheinbar eine Ewigkeit durch die stickige Luft zischte, ehe sie unsanft auf den rutschigen Matten aufkam. "Du nimmst einfach alles zu wörtlich." Einen Augenblick in jener leicht verdrehten Position verharrend drehte sie sich schließlich herum und sah in Nicks belustigt funkelnde, blaue Augen, die auf sie herabschauten. "Seit wann bist du denn hier?", fragte sie

nur, woraufhin er nachdenklich den Kopf neigte. "Schon recht lange. Ich habe euch beobachtet, wie ihr panisch eure Schränke zugeknallt habt." Tassy stöhnte nur, ehe sie sich schließlich erhob und nach einiger Zeit antwortete: "Dieser Gestank ist aber auch heftig, Mann. Ich sage immer, Kletterschuhe sind tödliche Waffen." Nick grinste zustimmend und wandte dann den Kopf, als blickte er sich nach jemandem um, woraufhin Tassy sagte: "Kat und Lilly sind auch hier. Und sie..." Unwillkürlich brach sie ab und ließ ihren nunmehr von Neugier erfüllten Blick an

Nick vorüberschweifen, als sie eine schmale, von braunem Haar umsäumte Gestalt sich elegant die Wand hinaufarbeiten sah- zwar kletterte das Mädchen bloß eine orangefarbene und somit eine der einfachsten Routen, tat dies jedoch mit einer für einen Anfänger sehr ausgeprägten Sicherheit sowie Präzision, dass Tassy den Blick abzuwenden nicht imstande war. "Was ist denn los?", vernahm sie Nicks spöttische Stimme am Rande, "hast du dich in die verknallt, oder was?" Tassy schüttelte grinsend den Kopf. "Sie ist noch nie geklettert, und dafür ist sie gut." Sie zögerte. "Verdammt

gut."

Cecilia

Grelle, in allen erdenklichen Farbtönen über die kargen Backsteinwände huschende Lichter spiegelten sich in den Blicken derer, die sich ihren Weg durch die lange Schatten auf den Boden werfenden Gebäude bahnten, und der Wind trug die geräuschvollen Töne der aus der Halle dringenden Musik zu ihnen heran. "Wenn die Nibos die Halle heute nicht finden, dann weiß ich auch nicht weiter", murmelte Lilly, woraufhin Tassy antwortete: "Stimmt, ich meine, wie zum Geier kommen die Lichter bitte von der Halle aus hier hin? Lilly, erklär's dem

Physikmuffel." "Musst du selbst drauf kommen", antwortete Lilly schnippisch, woraufhin Kat beinahe unwillkürlich ihre Augen verdrehte. "Lilly, du weißt es doch selbst nicht" antwortete sie nur und sah, wie Tassy ihr flüchtig einen dankbaren Blick zuwarf, während sie ihr Tempo beschleunigte. "Kat rennt schon wieder vor", sagte Nick und tat es ihr dann zusammen mit den anderen gleich, bis sie schließlich um eine Kurve traten und der wie ein in den unterschiedlichsten Farben funkelnder Stern in der nächtlichen Dunkelheit kauerenden Halle gegenüberstanden. "Ich bin mal auf die neuen Boulder gespannt", murmelte

Tassy, "es wurde ja komplett umgeschraubt." Kat spürte die ihr Gesicht erhellenden Lichter und musste unwillkürlich die Augen zusammenkneifen, als sie nach oben blickte und das in einem neongrünen Farbton glänzende Eingangsschild betrachtete. "Sind dort Lichter hinter dem Schild?" "Ja, sonst würde das wohl kaum so leuchten", antwortete Lilly, Kat ignorierte ihre einen überheblichen Ton mit sich tragende Antwort jedoch. "Was steht da drunter?" Tassy trat neben sie und wies auf den unter dem vertrauten Eingangsschild befestigten Schriftzug, bevor sie mit

einem freudigen Grinsen antwortete: "Rockwalls- open dusk till dawn" "Och nein, ernsthaft?", sagte Lilly und trat neben ihre Freundinnen, "Tassy, sag mal... Warum??" "Weil's lustig ist", antwortete diese, woraufhin Kat bloß grinsend den Kopf schüttelte. "Ich hab's mir gedacht, dass diese Öfnnungszeiten heute deine Idee waren. Sollen wir jetzt endlich rein?" "Gute Idee", antwortete Tassy und öffnete dann die Tür, woraufhin Kat die grellen, aus der Halle in die tiefe Dunkelheit dringenden Lichter in ihr Gesicht zu schlagen schienen, und das geräuschvolle Dröhnen der in einer undefinierbaren Richtung entspringenden

Musik durchfuhr ihren gesamten Körper. "Was Lautstärke angeht, machen die ja keine halben Sachen", sagte sie an sich selbst gewandt und blickte sich dann in der funkelnden Halle um- noch nie zuvor hatte sie eine derartig große Anzahl an Besuchern dort gesehen, und an den Wänden schien es kaum einen nicht besetzten Fleck zu geben, doch sofort vielen ihr die unzähligen neuen Routen auf, die sich wie bunte Auswüchse über die rauen Wände zogen. "So, wo ist unsere Pia?", fragte Kat und bahnte sich durch die Menschenmenge hindurch ihren Weg zur Kasse, wo sie von Tines fröhlich glänzenden, braunen Augen empfangen wurde. "Hallo! Ich

habe schon gehofft, dass ihr kommen würdet. Heute ist der Eintritt selbstverständlich frei, für unser kleines Geburtstagskind." "Hi, Tine", sagte Tassy und Kat sah aus den Augenwinkeln, wie sie neben sie trat. "Tagchen, Tass. Und alle anderen. Also, Pia liegt dort drüben"- sie wies mit einer ausladenden Handgeste auf einen an die Schließfächer angrenzenden Gang- "und schläft. Hat natürlich keine Ahnung, was hier vor sich geht und wie viel Zeit wir hier investiert haben, um dieses Nachtbouldern zu planen. Und es ist ja nicht so, dass sie nichts davon hätte. Geht einfach mal zu ihr und seht es euch

an." Kat und Tassy wechselten einen flüchtigen Blick, ehe sie sich von Tine abwandten und sich mühsam in die Richtung jenes Ganges zwängten, wo sich der Labrador befinden sollte. "Habt ihr ein Geschenk für Pia dabei?", fragte Lilly schließlich, woraufhin Nick den Kopf schüttelte. "Nein, leider nicht." "Und ihr beiden?" Wiederum blickten sich Kat und Tassy kurz an, ehe sie gleichzeitig in die Innentaschen ihrer Jacken hineingriffen und jeweils einen in buntes Papier gehüllten Gegenstand herausnahmen. "Ein Ball?", fragte Kat mit einem

Lächeln, woraufhin Tassy den Kopf schüttelte. "Wirst du gleich sehen. Und du, hast du einen Kauknochen, oder was ist das?" "Quietscheknochen", antwortete Kat dann und setzte ihren Weg fort. Als sie das Gedränge hinter sich gelassen hatten, sah Kat bereits einen in sich zusammengekugelten Schatten, der von den bunten Lichtern an die hölzerne Wand geworfen wurde und sich nur schwer erkennbar regte. "Pia", wisperte Lilly und trat an Kat sowie Tassy vorbei, "wo ist die kleine Maus? Pia, komm her". Plötzlich sah Kat, wie sich die Ohren des Schattens aufstellten und dieser dann den Kopf hob, bevor eine kleine, helle

Gestalt um die Ecke trat und mit beinahe amüsiertem Schwanzwedeln auf die Mädchen zutrabte. "Pia!", riefen Lilly und Kat zugleich aus und strichen dem Hund sanft über den Kopf, während dieser mit freudig blitzenden, bernsteinfarbenen Augen um sie herumlief. "Hey, Pia! Na, wo ist mein Mädchen?", rief Tassy dann, woraufhin der Hund mit einem erfreuten Wimmern auf sie zueilte. Belustigt beobachtete Kat, wie er sich gegen Tassy drückte und mit erwartungsvoll erhobener Vorderpfote die Ohren kraulen ließ. "Ja, bist ein feines Mädchen! Hier, das ist für dich, Pia", sagte Tassy und befreite den aus

ihrer Tasche herausragenden Gegenstand von seiner bunten Verpackung, "he, weißt du was? Ich war mal in einer anderen Kletterhalle, und da gab es auch einen Hund." Kat blickte lächelnd zu Lilly und Nick hinüber und vermutete, dass auch ihnen aufgefallen war, wie sich Tassys Stimme verändert hatte, als sie mit dem Hund zu sprechen begonnen hatte. Diese fuhr fort: "Das war auch ein Labrador, genau wie du- aber er war schwarz. Und er hieß Mia- was für ein Zufall." Als sie zu sprechen aufhörte, entnahm sie das Hundespielzeug schließlich gänzlich seiner Verpackung, und Kat konnte ein beinahe verstörtes Lachen

nicht unterdrücken, als sie das aus Gummi bestehende, tote Hühnchen sah. "Happy birthday, Pia." Tassy reichte es grinsend dem Hund, welcher es sanft mit den Zähnen entgegennahm und es dann vor sich ablegte, woraufhin ein groteskes, ohrenbetäubendes Geräusch aus dem Inneren des Spielzeuges drang. Zunächst vermutete Kat, der Hund würde sich vor jenen Lauten fürchten und das Spielzeug nicht noch einmal anrühren, dann jedoch packte dieser es erneut und hielt es Tassy entgegen, sodass diese es für sie werfen konnte. Irgendwann verschwanden beide aus dem Blickfeld der drei Freunde und das letzte, was Kat von Tassy hörte, war das verstörende

Quietschen des mit leerem Blick auf einen undefinierbaren Punkt starrenden Plastikhühnchens. "So, die haben wir für den Rest des Abends beschäftigt", murmelte Lilly, "Kat, leg' dein Geschenk für Pia einfach dort ab, wo sie eben gelegen hat." Daraufhin nickte Kat und trat um die Ecke, als sich ihre schmalen Augen plötzlich zu gewaltigen, im bunten Licht funkelnden Kreisen weiteten: Dort, wo der Hund soeben noch gelegen hatte, befand sich ein gewaltiger Haufen unzähliger eingepackter Kauknochen sowie aller erdenklichen Spielzeuge- Bälle, Frisbeescheiben, Gummitiere und vieles mehr. Zögernd packte Kat den von

ihr mitgebrachten Knochen aus und legte ihn auf den gewaltigen Haufen, bevor sie sich aus jener Ecke entfernten. "So viel bekomme ich ja nichtmal zu Weihnachten", sagte Lilly beinahe empört, "wie dieser kleine verwöhnte Köter!" "Also, lasst uns mal die Kletterschuhe holen", schlug Kat vor und blickte sich beinahe unwillkürlich noch einmal nach Tassy um, doch diese schien inmitten der unzähligen Menschen untergegangen zu sein. Aufgrund des beißenden Geruchs, der aus dem Inneren der Schränke drang, warteten sie mit dem Öffnen, bis sich niemand mehr in ihrer Nähe befand und

schlugen die Türen dann sofort wieder zu, als sie ihre Sachen entnommen hatten. "So viele neue Boulder", flötete Lilly, "und Isa hat immer noch Hausarrest? Da bin ich ja ein bisschen schadenfroh!" "Ach, Lilly, das ist fies", entgegnete die sich in ihre Kletterschuhe hineinzwängende Kat, woraufhin Nick einwarf: "Finde ich nicht. Dieser kleine Zwerg macht einfach nie, was ihre Eltern ihr sagen. So gut Isa auch Bouldern kann, so unverschämt und frech ist sie auch." Daraufhin antwortete niemand, doch Kat musste eingestehen, dass Nick die Wahrheit sprach. So oft hatte sich Isa

dem widersetzt, was ihre Eltern, verschiedene Lehrer oder ihre älteren Freunde ihr gesagt hatten und sich somit schon unzählige Male in Schwierigkeiten gebracht. In ihre Gedanken versunken ließ Kat den Blick über die bunt funkelnden Wände schweifen, über die riesenhaften, gelblichen Halbkugeln, die von diesen in den Raum hineinragten und über die sich an der Wand entlangziehenden, prismaförmigen Volumen. "Hallo!", ertönte plötzlich eine fröhliche Stimme und riss Kat somit aus ihren Gedanken, und als sie erschreckt aufsah, blickte sie in die freundlich funkelnden Rehaugen Cecilias.

"Hi", antwortete Kat, "na, wie geht's?" "Bist du Cecilia?", erkundigte sich Lilly, ehe das Mädchen zu antworten imstande war. "Ja, genau. Und du? Mit dir habe ich ja gestern nicht gesprochen." "Ich bin Lilly. Ich habe dich auch zuletzt hier in der Halle gesehen, und gestern auf dem Skaterplatz. Warst du auch dort, um über Mauern zu hüpfen, oder bist du nicht so lebensmüde?" "Nein, eigentlich nicht", antwortete Cecilia zögernd, "ich wollte nur ein wenig spazieren gehen." "Also", unterbrach Nick, "sollen wir uns jetzt an die Wände begeben? Dann kannst

du das arme Mädel ja da weiter zuquasseln, Lilly." Kat nickte und sah aus den Augenwinkeln, wie sich Cecilias Lippen zu einem amüsierten Lächeln formten, bevor sie ebenfalls nickte. "Ich bin aber viel schlechter als ihr. Das ist doch dann blöd für euch." "Ach, Quatsch." Kat schüttelte den Kopf. "Wir können ja mit dir ein paar einfache Routen klettern und dir das ein bisschen beibringen. Wenn du Lust hast." "Das wäre cool!" Somit drängten sie sich durch die Menschenmenge auf die dunkelblauen, weichen Matten und eilten schnellen Schrittes auf eine nur leicht

überhängende, von den anderen deutlich überragte Wand zu, die von unzähligen taschen- sowie henkelförmigen Griffen übersät war. "Also, die orangefarbenen Routen sind am einfachsten, deswegen solltest du mit denen anfangen", sagte Lilly sofort und drängte sich an Kat und Nick vorbei, um Cecilia eine der für Anfänger geeigneten Routen zu zeigen. "So einfach sieht das nicht aus", sagte Cecilia zögernd und Kat fiel das unverkennbare Funkeln der Unsicherheit in ihren Augen auf, als sie an der Wand hinaufblickte. Über Lillys breites Gesicht legte sich jener scheinbar undurchsichtige Schleier der Überheblichkeit, den Kat ihr schon

so oft herunterreißen wollte, während sie sprach: "Ist es aber. Darf ich es dir mal vormachen? Bitte!" "Also... Ja, von mir aus." Kaum hatte sie jene Worte gesprochen, begann sich Lilly an der Wand hinaufzuarbeiten- sie schien dies mit so viel Schnelligkeit sowie Eleganz zu tun, wie es in ihrer Macht stand, doch Kat bemerkte mit einem beinahe schadenfrohen Lächeln, wie viel Kraft sie dies kostete. "Oh Gott", murmelte Cecilia mit tiefem Erstaunen in der Stimme, "das schaffe ich doch nie." "Ich mache das ja auch schon länger als du!", rief Lilly geräuschvoll, ehe sie sich

erneut auf die Matten zurückbegab. "Und auch länger als Tassy und Isa. Weißt du", fuhr Kat an Cecilia gewandt fort: "Isa, die leider heute nicht dabei ist, klettert erst seit zwei Jahren und ist gerade mal zwölf- sie ist wirklich gut. Tassy war auch von Anfang an nicht schlecht." "Wer ist denn eigentlich Tassy?" "Oh, Tassy ist heute auch dabei, spielt aber gerade mit dem Hund." "Tassy erkennst du sofort", warf Lilly ein, "kurze, blonde Haare, Sidecut , breite Schultern und ein rot kariertes Hemd- obwohl, beim Bouldern trägt sie wohl eher irgendein übergroßes T-Shirt. Das sind die Markenzeichen eines Tassys in freier

Wildbahn." Daraufhin nickte Cecilia lächelnd, ehe sie mit unsicherem Gesichtsausdruck an die Wand herantrat und vorsichtig nach den beiden großen, mit silbrig funkelnden Klebebandstreifen markierten Startbouldern griff. "Hier fängt es also an?" Kat nickte, woraufhin sich Cecilia mit der Vorsicht eines an seine Beute heranschleichenden Raubtiers an den Griffen hinaufzog und ihre in den engen Kletterschuhen noch zierlicher wirkenden Füße auf den kleinen, walnussförmigen Tritten platzierte. "Und jetzt musst du einfach immer den nächsten Griff mit der jeweiligen Hand

greifen und den Fuß auf den Tritt auf der anderen Seite setzen. Also, linke Hand... Ja, genau! Gut so!" Gespannt sah sie zu, wie sich das Mädchen an der Wand hinaufarbeitete und konnte das in ihr aufsteigende Staunen nicht unterdrücken, als Cecilia in ungewöhnlich kurzer Zeit sowie scheinbar ohne jegliche Schwierigkeiten den markierten Topgriff erreichte- Obgleich sie Tassys Worte keineswegs angezweifelt hatte, war sie nun sichtlich verblüfft über die ungewöhnlichen Fähigkeiten dieses Mädchens, und in ihr machte sich die Vorstellung breit, dass sich Cecilia mit regelmäßigem Training zu einem herausragenden Kletterer entwickeln

könnte. Krampfhaft hielt sich das Mädchen an dem wie eine untergehende, glühende Sonne funkelnden Stein fest und ihre Füße hatten sich von den Tritten gelöst, sodass sie nun frei in der vom weißen Staub durchzogenen Luft hingen. "Keine Angst, Cecilia, hier sind Matten. Du kannst einfach..." Gerade wollte Kat jenen Satz vollenden, als Cecilia ihren Griff lockerte und nach nur einem Herzschlag mit einem dumpfen Geräusch auf dem weichen Boden aufkam, wo sie in einer seltsam verdrehten Position liegen blieb. "Alles in Ordnung?", erkundigte sich Kat und trat mit aufsteigender Besorgnis an sie heran, doch in den geweiteten Augen

des Mädchens glomm tiefer Stolz und sie ballte die knochigen Hände zu Fäusten, ehe sie sich schließlich erhob. "Ich hab's geschafft! Wow, ich hätte nicht gedacht..." "Du hast es nicht nur geschafft", wurde sie von Lilly unterbrochen, "du hast es geflasht. Das bedeutet, beim ersten Versuch geschafft." Das helle Funkeln des Stolzes sowie Selbstvertrauens in den Augen des Mädchens schien an Intensität zuzunehmen, während sie sich zögernd an Kat wandte: "War das... In Ordnung?" "Das war mehr als in Ordnung, Cecilia, das war wirklich ziemlich gut. Ziemlich gut. Tassy hat definitiv Recht gehabt."

Gerade hatte Kat diese Worte gesprochen, tauchte unmittelbar hinter Lilly eine Gestalt auf, die die ihr gegenüberstehende Kat mit einem hinterhältigen, verräterischen Grinsen anblickte, das Gummihühnchen unauffällig an Lillys Ohr hielt und es vorsichtig zusammendrückte. Nur schwer konnte Kat ein belustigtes Lachen unterdrücken und spürte jene Spannung aufsteigen, während Tassy, den rechten Moment abzuwarten scheinend, inne hielt. Sie blickte mit ihren tiefblauen Augen von einer Seite zur anderen und bedeutete der in Gelächter auszubrechen drohenden Kat mit einer kaum wahrnehmbaren Handgeste, Lilly nicht zu

warnen. Als Kat ihr höhnisches, lautes Lachen nicht länger zurückhalten zu können glaubte, lockerte Tassy ihren Griff um das Hühnchen und ein ohrenbetäubendes Kreischen, als wäre das Spielzeug tatsächlich ein sich seinem sicheren Tod gegenübersehendes Tier, drang aus seinem Inneren. Lilly schrie auf und fuhr mit aufgerissenen Augen herum, während Tassy ebenso wie Kat geräuschvoll zu lachen begann. "Du Arschloch! Du hässliches, kleines, verdammtes Arschgesicht!", kreischte Lilly und ließ sich mit ihrem gesamten Gewicht auf die vor Lachen auf ihre Knie gesunkene Tassy fallen, woraufhin diese mit einem Stöhnen in sich

zusammensackte. "Geh' von mir runter, du Kamel!", keuchte sie und versuchte vergeblich, sich irgendwie unter Lilly herauszuwinden, schien jedoch bei jedem Versuch mehr Kraft zu verlieren und blieb schließlich reglos liegen. "Okay, du hast gewonnen, du Riesenarsch". "Wie hast du mich genannt?", fragte Lilly spöttisch. "Gar nicht!", keuchte Tassy, "geh' einfach von mir runter." Schließlich ließ Lilly von Tassy ab, woraufhin sich diese mit einem erleichterten Seufzen erhob und auf das noch immer in starr in ihrer Hand ruhende Gummihühnchen blickte. "Gut gemacht, Mannfred."

"Mannfred?", fragte Kat belustigt, woraufhin Tassy nickte. "Ich habe es Mannfred genannt. Und ich glaube, Pia will es zurückhaben. He, Pia!", rief sie dann, als die bernsteinfarbenen Augen des Hundes plötzlich inmitten der unzähligen Kletterer, die sich ihren Weg an den Matten entlangbahnten, auftauchten, und warf ihr das Hühnchen schließlich zu, sodass Pia es geschickt mit den Zähnen auffangen konnte. "Also, Cecilia", hob Kat dann zu sprechen an und legte Tassy die Hand auf die Schulter, "das ist Tassy. Tassy, das ist Cecilia." "Oh, hi!", antwortete Tassy, "ich habe

dich vor ein paar Tagen schon hier gesehen. Bist erst zum zweiten Mal in der Halle hier, stimmt's?" "Ja, ich bin vorher auch noch nie geklettert." "Und, gefällt's dir?" "Ja, sehr sogar. Weißt du, eigentlich bin ich eher etwas ängstlicher, deswegen hätte ich auch nicht gedacht, dass ich zu einer Sportart wie dieser fähig bin." "Ich bin auch ein ziemlicher Schisser!", antwortete Tassy, woraufhin die neben ihr stehende Kat bloß den Kopf schüttelte. "Ich habe Höhenangst. Alles, was höher ist als.."- sie demonstierte mit einer Handgeste eine Höhe, wie sie ungefähr der eines Pferderückens

entsprach- "macht mir Angst." "Na ja", sagte Cecilia ruhig, "so ängstlich kannst du ja nicht sein, nach dem, was ich gestern auf dem Parkour-Platz von dir gesehen habe. Über diese ganzen Mauern springen und so weiter ist auch nicht so ungefährlich." "Aber nicht hoch", entgegnete Tassy, woraufhin Cecilia bloß nickte. "Also, sollen wir ein paar der neuen Boulder probieren?", fragte Tassy, woraufhin die übrigen mit einem Nicken antworteten. Kat sah zu, wie sie ihren Blick kurz über die schräge Wand schweifen ließ und dann auf eine Route mit schmalen, leistenförmigen Griffen

zutrat. "So- die Rote probier ich mal... Nur so zum Spaß." Kaum hatte sie jene Worte ausgesprochen, begann sie sich an der Wand hinaufzubewegen. Scheinbar mühelos hielt sie die ihren Fingern kaum Platz bietend aussehenden Griffe gepackt und vermochte sich auch festzuhalten, als sie ihre Füße einmal mit einer schwungvollen Bewegung von den Tritten lösen und im selben Augenblick nach dem schmalen, unter einem großflächigen Volumen befestigten Griff schnappen musste. "Allez, Tassy!", rief Kat aus und stellte sich mit ausgestreckten Armen unter ihre Freundin, "ich spotte

dich!" Hinter sich vernahm sie die an Lilly gewandte Stimme Cecilias: "Spotten?" "Sie stellt sich unter Tassy, um im Fall eines Sturzes die Landung zu dämpfen. Beim Spotten muss man aufpassen, dass der Kopf oder der Oberkörper des Kletterers nicht gegen die Wand oder so kracht, verstehst du." Tassy hatte den letzten Griff erreicht und bedeutete Kat nun mit einem vielsagenden Blick, aus dem Weg zu gehen. "Wenn ich auf dir lande, bist du platt!" Somit trat Kat zur Seite und sah, wie Tassy mit einem triumphierenden Funkeln in den blauen Augen auf der

Matte aufkam, woraufhin sie ihrer Freundin die zu einer Faust geballte Hand entgegenstreckte. "Schön geflasht. Check!" Tassy berührte Kats Faust mit der ihren, ehe sie mit einem Nicken auf die Wand hinter sich wies und sagte: "So, jetzt du." "Denkst du, ich schaffe das?" "Wenn ich das flashe, kannst du es auch machen, Kat. Beweg' deinen Hintern dort rauf", sagte sie, woraufhin Kat ihrerseits an die Wand herantrat und sich die schmalen, mit schwarzem Klebeband markierten Startgriffe ansah- wie auch die darauffolgenden Griffe schienen sich nicht mehr als drei Fingerspitzen an den schmalen Leisten halten zu können, beim

Berühren der steinähnlichen Plastikstücke fiel Kat jedoch eine erstaunliche Griffigkeit auf. Präzise traf sie jeden der schmalen Tritte und es kostete sie nur wenig Kraft, sich schließlich an dem letzten, schmalen Griff hinaufzuziehen sowie dann mit einer schnellen Bewegung nach dem rundlichen, großen Topgriff zu greifen. Rasch zog sie ihre zweite Hand hinzu und hielt die tiefrot funkelnde Kugel sicher, während sie im Stillen die für das tatsächliche Beenden einer Route erforderlichen Sekunden abzählte. Eins, zwei, drei. Dann ließ sie von dem aus Plastik bestehenden Stein ab und kam auf den sie mit ihrer kalten, weichen

Oberfläche empfangenden Matten auf, wo Tassy ihr fröhlich entgegenblickte. "Hab' ich doch gesagt. Schlag ein!", sagte sie, und als sich Kat gerade erhoben hatte, zeigte Tassy mit beinahe aufgeregtem Gesichtsausdruck auf eine ihr gegenüberliegende Wand. "Sollen wir das probieren?!", rief sie aus, "ein Laufboulder! Da muss man an den Volumen hochlaufen, das wird lustig!" "Nicht so stürmisch", sagte Lilly, "ich bin müde." "Du bist immer müde", entgegnete Tassy, woraufhin Kat ein belustigtes Lächeln nicht unterdrücken konnte. Während Lillys hin und wieder träges sowie zum Teil humorloses Verhalten eher dem

eines überarbeiteten Erwachsenen ähnelte, hatte Tassy die Energie und oft auch den Charakter eines fünfjährigen Kindes- nicht, dass sie keine vernünftigen Entscheidungen zu treffen imstande war, doch wenn Kat an einige das blonde Mädchen in Lachtränen ausbrechen lassende Dinge dachte, fiel ihr auf, dass Lilly darüber womöglich leicht das mürrische Gesicht verziehen würde. "Ja, kommt, lasst uns rübergehen", sagte Kat schließlich und sah, wie Tassy Cecilia anblickte: "Willst du einfach mal mitmachen, oder traust du dir das noch nicht so zu? Ist gar nicht so schwer, weißt du, du musst einfach

hochlaufen." Das von Unsicherheit geprägte Zögern in Cecilias Stimme war unverkennbar, doch schien die Sorge des Mädchens nicht ihrer Unfähigkeit zu gelten. Kat vermutete eher, dass sie jenen Boulder zu schaffen glaubte, sich jedoch vor ihren neuen Freunden als angeberisch sowie arrogant dazustehen fürchtete. "Also... Ich kann's mal versuchen, warum nicht." "Also, Cecilia", sagte Lilly und trat neben das Mädchen, "diese Wand dort nennt sich Platte. Das bedeutet, dass sie nicht überhängt, sondern... Na ja, in die andere Richtung geneigt ist." "Die Pladdeee!", flötete Tassy und trabte

neben Lilly her, die erneut an Cecilia gewandt zum Sprechen anhob: "Solche Boulder sind ja nicht so meins. Ich laufe nicht gerne irgendwo hoch, zumindest nicht beim Bouldern. Beim Parkour ist das ja etwas Anderes. Machst du sonst noch irgendeinen Sport? Ich war ein Schwimmer, bevor ich die Liebe zum Bouldern entdeckt habe." "Cool", brachte Cecilia nur zustande, dann sprach Lilly bereits weiter, doch Tassy hörte ihren Worten nur am Rande zu. Natürlich würde Lilly dem Mädchen nun ihre gesamte Lebensgeschichte erzählen und alles, was sie in irgendeiner Weise in Cecilias Interesse zu liegen glaubte, sodass Tassy nicht die geringste

Chance hätte, ein Gespräch mit dem Mädchen zu beginnen und sich mit ihr anzufreunden. Als sie den Volumen-Boulder erreicht hatten, schenkte Tassy Lillys Worten erneut Aufmerksamkeit: "Ich fahre außerdem gerne Fahrrad", hatte diese gerade gesagt, woraufhin Cecilia den Kopf schüttelte: "Also, einfach Fahrrad fahren macht mir nicht so viel Spaß. Was ich gerne machen würde, ist BMX-Rad fahren. Da kann man coole Tricks mit machen." "He, ich fahre BMX", warf Tassy schnell ein, woraufhin sich Cecilia mit interessiertem Blick zu ihr umwandte.

"Wirklich?" "Na ja, ein wenig. Ein paar Anfängertricks habe ich schon drauf, das war's aber auch." "Welche denn?" Tassy ging ihre nächsten Worte in ihren Gedanken durch. Sollte sie Cecilia alles sagen, was sie konnte, oder sollte sie, wie sie es immer tat, ein wenig untertreiben? Denn wenn jemals der Fall eintreten sollte, dass das Mädchen ihre Fähigkeiten zu Gesicht bekam, wäre sie womöglich enttäuscht, da sie zu viel erwartet hätte. "Also, ich kann einen ganz kleinen Bunny-Hop", begann sie, woraufhin Kat einwarf: "So klein ist der nicht." Sei

doch still, dachte Tassy verzweifelt, fuhr jedoch fort: "Ich konnte mal dieses... wie heißt es noch... Cross-up, oder so, hab's aber lange nicht mehr gemacht. Fakie müsste drin sein, kurz auf einem Rad fahren... Ja, das war's. Nichts Großartiges." "Ich kann gar nichts davon", sagte Cecilia, "vielleicht willst du mir das ja irgendwann beibringen?" "Klar doch, wäre cool", sagte Tassy, bevor Lilly erneut das Wort ergriff und Cecilia mit Unzähligen ihrer Lebensgeschichten zu durchlöchern begann. "Wer fängt an?", fragte Kat an Tassy gewandt, woraufhin diese lächelnd

antwortete: "Ladies first. Du fängst also an, Nick." "Hahaha, lustig", murmelte dieser bloß, "nein, du fängst an. War deine Idee." Daraufhin nickte Tassy und ließ ihren Blick kurz über die prismaförmigen, sich quer über die beiden in einem stumpfen Winkel aufeinandertreffenden Wände zog. Sie trat zögernd an diese heran und ging in Gedanken die Schrittfolgen durch, um zu überlegen, welchen Fuß sie auf das erste Volumen setzten sollte. Dann tat sie einige Schritte nach hinten, nahm ein wenig Anlauf und sprang schwungvoll auf das sich an die Wand schmiegende, hölzerne Volumen, von welchem sie in nur wenigen

Herzschlägen die restlichen zu überqueren imstande war. Sie sprang nach links, drückte sich dort mit dem Fuß ab und trat auf ein höher gelegenes Volumen, wo sie dann schließlich zum Stehen kam. "Bin oben!", rief sie und bemühte sich, ihr Gleichgewicht auf dem leicht nach unten geneigten Holz nicht zu verlieren, während sie ihre Hände langsam in das mit neongrün leuchtendem Tape abgegrenzte Quadrat legte. "Eins, zwei, drei- Geschafft!", rief sie dann und blickte zu Kat hinab, "hey, sieh dir das an, die haben nachtleuchtendes Tape!" "Herzlichen Glückwunsch!", antwortete Nick, bevor sich Tassy umwandte und

nach einem kaum wahrnehmbaren Zögern zu Boden sprang. "War eigentlich ganz in Ordnung. Wenn man seinen Fuß mal dort hinaufbekommen hat"- sie wies auf ein eher schmales Dreieck- "ist der Rest easy." Kat brachte jene Route mit kaum mehr Anstrengung als Tassy hinter sich, während es Nick einige Anläufe kostete- nicht etwa, weil er nicht an der Wand hinaufzulaufen vermochte, sondern aufgrund der Überwindung, derer es bedarf. Auch Cecilia versuchte es zu Tassys sowie Nicks Überraschung und traf einige der hölzernen Volumen mit ungewöhnlicher Präzision, schien jedoch bei einem der letzten Schritte das

Gleichgewicht zu verlieren und stürzte unsanft zu Boden, woraufhin Tassy ein erschrecktes Zusammenzucken nicht unterdrücken konnte. "Das war gut", bemerkte sie, als das Mädchen erneut aufgestanden war, "willst du's nochmal probieren?"

Das Erste Treffen

"Nein, lieber nicht. Ich sollte besser Dinge üben, die meinem niedrigen Niveau entsprechen", antwortete Cecilia mit einem Lächeln. Dies tat sie auch im weiteren Verlauf des Abends; während die vier Freunde sich an einigen weißen und somit auf dem vorletzten Schwierigkeitsgrad befindlichen Bouldern die Hände blutig kletterten- Tassy spürte letztendlich ein unangenehmes Ziehen in ihren Fingerspitzen und von ihren Handinnenflächen hatten sich einige nun auf penetrante Art wabbelnde Hautfetzen gelöst, während an Nicks schmalen

Fingern Rinnsale dunkelroten Blutes herabflossen- brachte Cecilia mit ungewöhnlicher Ausdauer sowie scheinbar nie ermüdender Kraft alle orange- und lilafarbenen Routen, den ersten sowie zweiten Schwierigkeitsgrad also, hinter sich. Nun saßen sie auf einigen verschlissenen, mit rotem, lederähnlichen Stoff überzogenen Sesseln, welche in einem Kreis um einen aus Paletten bestehenden Tisch aufgestellt waren, und teilten sich eine riesenhafte Pizza. Da nur vier jener Sessel vorhanden waren, hatte sich Kat auf Tassys Schoß niedergelassen und anschließend ihre Füße auf der ihr

gegenübersitzenden Lilly platziert, die ihr daraufhin einen vorwurfsvollen Blick geschenkt hatte. "Wie lange hat die Halle heute auf? Es sind nämlich längst nicht mehr so viele Leute da wie vorhin, als wir gekommen sind." "Bis Sonnenaufgang", antwortete Tassy und grinste daraufhin, bevor sie blitzschnell ein großes Stück aus Kats Pizza herausbiss und diese dann mit einem unschuldigen Funkeln in den Augen anblickte. "Ich war's nicht." "Tassy, Cecilia und du, ihr habt ein gemeinsames Hobby", sagte Lilly dann und blickte kurz zu Cecilia.

"Welches?" "Schreiben". "Echt?", fragte Tassy mit unverkennbarer Überraschung in ihrer Stimme an das Mädchen gewandt, welches schüchtern nickte. "Ich schreibe nicht so oft, aber wenn ich mal einen... Na ja... Schreibfluss habe, dann bin ich auch fleißig." "Was schreibst du so?" Cecilia zögerte, ehe sie antwortete: "Viel. Momentan schreibe ich ein Fantasy-Buch, aber ich mag auch Kurzgeschichten und probiere mich hin und wieder an Gedichten." "Ich auch!", rief Tassy dann fröhlich aus,

"worum geht es in deinem Buch?" "Also, hauptsächlich um solche Gestalten wie Elfen, Kobolde... Aber es ist kein Kleinkinderbuch, wie man vielleicht meinen könnte, es kommen auch Kämpfe und so weiter vor." "Hey, sowas Ähnliches habe ich auch geschrieben! Wow, ich kenne sonst keinen, der auch ein Fantasy-Buch schreibt! Wie ist dein Stil so?" "Schwer zu erklären", sagte Cecilia schüchtern, "müsstest du lesen, um das zu wissen." "Tassys Stil ist cool. So... wiedererkennbar", sagte Kat und blickte über die Schulter zu Tassy, die dankbar

lächelte. "Ich schreibe übrigens auch ein Fantasy-Buch", warf Lilly beinahe vorwurfsvoll ein. "Aber nicht die Art von Fantasy, die ich meine", entgegnete Tassy. "Stimmt", meinte Kat, "sie schreibt diese typischen Teenager-Stories, mit gutaussehenden Jungs oder diesen typischen Dämonen-Kerlen, die irgendwelche sechzehnjährigen Schulmädchen in ihre düstere Welt entführen!" "Das ist nicht so mein Fall, ehrlich gesagt", sagte Cecilia lächelnd, "solche Filme gucke ich auch nicht gerne." "Ich auch nicht", antwortete Tassy, "aber

über meinen Musik- und Filmgeschmack lässt sich auch streiten." "Was magst du denn so?" "Hast du das Schild an der Tür gelesen?" Cecilia nickte. "Kannst du damit was anfangen? Wenn ja, dann hast du die Antwort." "Echt, auf sowas stehst du?" Nun war es Tassy, die nickte, obgleich sie zunächst eine negative Reaktion Cecilias erwartete. "Ich auch!", rief diese dann aus, "ich stehe total auf diesen Film! Hab' ihn aber leider nie zuende geguckt. Bis zu der Szene, wo..." "Also, ich hab' ihn zuhause", unterbrach Tassy sie, "kann ihn dir ja mal

ausleihen." "Oder wir gucken ihn zusammen. Anschließend bringst du mir BMX-Tricks bei." "Coole Sache!", antwortete Tassy, "lass machen. Wir können uns ja alle zusammen treffen und einen DVD-Abend machen. Habt ihr in nächster Zeit Zeit?", fragte sie dann an die übrigen gewandt, die jedoch alle den Kopf schüttelten. "In den nächsten Tagen definitiv nicht", sagte Kat traurig, woraufhin Lilly nickend bestätigte. "Ich auch nicht". "Ich fahre über das Wochenende mit meinen Eltern weg", antwortete Nick, "und danach ist wieder jeden Tag irgendwas. Fußballtraining, Nachhilfe

und so." "Doof", meinte Tassy, "dann treffen wir uns eben allein, wenn du nichts dagegen hast." "Klar. Wir können uns gerne treffen. Hast du morgen schon Zeit?" Tassy grinste. "Ich hab' immer Zeit. Sollen wir uns dann wieder am Skaterplatz treffen? Ich weiß nämlich nicht, wo du wohnst." Cecilia nickte. "Gut." "Gut." Kalter, den dichten Nebel wie graue Rauchfäden aufwirbelnder Wind strich über die feuchten Wiesen und zauste Tassys blondes Haar, während sie mit in

den tiefen Taschen ihrer weiten Jeans vergrabenen Händen an einer jener bunten Mauern lehnte. In ihre Gedanken versunken ließ sie die blauen Augen über den sich weit erstreckenden Platz sowie den Fluss schweifen, der sich mit nie verstummendem Rauschen seinen ewigen Weg durch die Landschaft bahnte. Winzige Regentropfen prasselten auf den Grund, perlten an Tassys schwarz glänzender, ausladender Kunstlederjacke ab und ließen ihr nunmehr vor Nässe triefendes Pony schwer in ihr Gesicht fallen, während das Mädchen auf einen undefinierbaren Punkt in der Ferne blickte. Obgleich Tassy noch nicht allzu lange an

jenem Ort verharrte, spürte sie mit jedem vorüberstreichenden Augenblick dieses unangenehme Gefühl der Nervosität in sich wachsen und blickte schließlich zu Boden. Was hast du dir dabei gedacht?, fragte sie sich im Stillen, du kennst das Mädchen doch gar nicht! Tassy war in der Gegenwart anderer Personen immer zurückhaltend gewesen und hatte es nur selten zustande gebracht, jemanden anzusprechen oder gar sich aus eigenem Antrieb mit jemandem anzufreunden- und nun war sie im Begriff, sich mit einer Person zu treffen, mit der sie sich bloß ein Mal unterhalten hatte. Was ist auf einmal los

mit mir? Plötzlich ging sie schnellen Schrittes und mit dem schweren Gewicht des auf ihren schmalen Schultern lastenden Rucksacks an der grauen Straße entlang und ihr langes, glattes Haar wallte im Wind, während sie dem Rascheln der sich zu ihren Seiten erstreckenden Hecken lauschte. Die geräuschvollen Laute der langsam vorüberrollenden Fahrzeuge schienen weit entfernt und Tassy war in ihre Gedanken versunken, als eine rufende, helle Stimme hinter ihr ertönte: "He, Tassy, warte mal!" Zögernd blickte sie mit ihren großen Augen hinter sich und sah das Mädchen mit dem langen, zu zwei ordentlichen

Zöpfen geflochtenen Haar schüchtern an, als dieses fragte: "Sollen wir zusammen zur Schule gehen? Meine Mama mag nicht, wenn ich allein gehe." "Okay. Meine auch nicht", sagte Tassy leise und blickte unwillkürlich zu Boden, während Kat sprach: "Ich habe gestern ein richtig spannendes Buch gelesen, das dich bestimmt auch interessiert. Soll ich es dir mal ausleihen?" "Wenn du willst." "Sollen wir uns mal zum Spielen treffen?" "Okay." "Tassy?" "Ja." "Tassy!" Eine freundliche Stimme riss

sie aus ihren Gedanken, und als sie mit einem leisen Anflug von Verwirrung aufblickte, fand sie sich in den wie flüssiger Bernstein leuchtenden Augen Cecilias wieder. "Hi", sagte diese, woraufhin Tassy mit einem Grinsen nickte. "Hey. Tut mir leid, ich war gerade woanders." "Wo denn?" Sie blickte zu Boden, ehe sie lächelnd antwortete: "Auf dem Weg zur Schule, in der fünften Klasse. Nichts Besonderes." "Mit wem?" Tassy legte fragend den Kopf schief, woraufhin Cecilia fortfuhr: "Wenn man so in Erinnerungen schwebt, dann ist da doch meistens jemand dabei,

oder?" "Ach so, das meinst du", antwortete diese, "Kat war dabei. Als Zehnjährige." "Du kennst sie seit der fünften Klasse?" "Ja, schon ziemlich lange, was?" Cecilia nickte daraufhin und blickte zu den im dichten Nebel nur als verschwommene Silhouette erkennbaren Skaterrampen hinüber, dann sagte Tassy: "Ich würde sagen, es ist ein bisschen zu nass, um Tricks zu üben. Vor allem auf diesen Rampen. Weißt du, ich will dich nicht auf dem Gewissen haben." "Wäre ja nicht deine Schuld, wenn ich mich verletzen würde", antwortete sie lächelnd, "aber du hast Recht, bei dem Wetter ist das wohl nicht die beste

Idee." "Wir haben ja immer noch die Möglichkeit, zu mir nach Hause zu gehen und uns diesen Film anzugucken. Und..." Sie zögerte. "Na ja, meine Mutter und ich wohnen zwar nicht in dem größten aller Häuser, aber bestimmt in dem ungewöhnlichsten." "Was ist denn so ungewöhnlich?" "Wirst du dann sehen", antwortete Tassy mit einem Grinsen, "lass uns gehen." Tassy öffnete lautlos die hölzerne, eine tiefbraune Färbung tragende Tür und wollte gerade in den nicht sehr geräumigen Flur hineintreten, drehte sich jedoch noch einmal mit dem sie von nun

an ständig zu begleiten scheinenden Gefühl der Nervosität zu Cecilia um. "Ich hab' ganz vergessen, zu fragen, ob du Angst vor..." "BONNIE!", unterbrach eine schrille, aus irgendeiner Richtung im Inneren des Hauses dringende Stimme ihre Worte, als eine Gestalt mit der Geschwindigkeit eines Pfeiles auf Tassy zustürmte und sich mit vor Freude geweiteten, dunkel leuchtenden Augen an dieser vorüberzuzwengen versuchte. Der hochgewachsene, breitschultrige Schäferhund mit den an die Pranken eines Löwen erinnernden Pfoten stellte die spitzen Ohren auf und blickte Cecilia mit seinem wohlgeformten,

wolfsähnlichen Gesicht entgegen, woraufhin Tassy diese aus den Augenwinkeln lächeln sah. "Ich habe keine Angst vor Hunden", sagte sie mit freundlicher Stimme und bückte sich, bis ihre Augen auf einer Höhe mit denen der Hündin waren. "Darf ich vorstellen, Cecilia? Das ist Bonnie, meine beste Freundin auf der ganzen Welt!", sagte Tassy und tätschelte den pelzigen, von einem breiten Lederhalsband gezierten Hals des Tieres. "Sie ist süß", antwortete das Mädchen, "wie alt ist sie?" Einen nicht lange anhaltenden Augenblick zögerte Tassy, ehe sie antwortete: "Ähm... Vier. Ja, sie müsste

inzwischen vier sein." "Ein sehr verspieltes Mädchen, was, Bonnie?" "Definitiv", antwortete Tassy lächelnd und bedeutete Cecilia dann mit einer Handgeste, ihr in das Haus hineinzufolgen, "da du dieses Ungeheuer ja gut überstanden hast, kannst du dich auf das nächste vorbereiten." "Oh, du hast noch einen Hund?" "Nein", antwortete sie mit einem ironischen Grinsen, "sondern meine Mutter." Cecilia schenkte ihr einen zunächst unsicheren Blick, dessen Ausdruck jedoch tiefem Erstaunen wich, als sie schließlich in den Flur getreten war: Über die gesamten gelblich-weißen

Wände sowie die recht niedrige Decke zogen sich unzählige bunter Griffe wie ein kräftiger Regenbogen über einen wolkenlosen Sommerhimmel und an einigen der sich zu ihren Seiten auftuenden Türen waren keine Türklinken vorhanden; sie schienen sich sofort, ohne einen Schlüssel benutzen zu müssen, aufstoßen zu lassen. "Oh Mann", murmelte sie an Tassy gewandt, woraufhin diese ein zufriedenes Grinsen aufsetzte. "Überrascht?" "Das ist eine echte Kletterer- Wohnung. Macht deine Mutter das auch?" Daraufhin schüttelte Tassy mit unwillkürlicher Belustigung den Kopf. "Nein, meine Mutter ist nicht wirklich

eine Sportskanone. Normale Leute dürfen hier auch gerne die Treppe oder- stell's dir vor- den Fußboden benutzen, aber ich bevorzuge die Decke, um mich von Raum zu Raum fortzubewegen." "Also, was soll ich sagen, das ist wirklich, wirklich verdammt cool! Dass deine Eltern dir das erlauben! Meine Mutter würde mir den Vogel zeigen, wenn ich vorhätte, unser Haus zur bewohnbaren Boulderhalle umzubauen." "Meine Mutter ist da ziemlich locker", antwortete Tassy lächelnd, "soll ich sie dir vorstellen?" Cecilia nickte zögernd, woraufhin Tassy ihr abermals bedeutete, ihr zu folgen. Sie öffnete die hölzerne Tür am Ende des

kleinen Flures, wo sie eine weiße Wolke von dichtem Dampf sowie der verführerische Duft unzähliger Kräuter empfing und eine geräuschvolle, eine undefinierbare Melodie trällernde Stimme an ihre Ohren drang. "Ich glaube, sie kocht irgendetwas. Und sie singt", sagte sie an Cecilia gewandt und erhob dann die Stimme: "Hey, ich bin wieder da, Mama!" Der durchdringende Gesang verstummte mit einem Mal und durch den dichten Dampf hindurch sah man eine sehr voluminöse Gestalt aus der vom Rest des mit einem schmalen, von alten Holzstühlen umgebenen Tisch gefüllten Raums abgetrennten Küche

treten. "Oh, hallo, Tassy!", sagte die Frau mit warmer Stimme und trat an die Mädchen heran, woraufhin sich ihr rundes, von tiefschwarzem Haar umsäumtes Gesicht zu einem freundlichen Lächeln verformte. "Das ist Cecilia", sagte Tassy, woraufhin das Mädchen höflich ihre Hand ausstreckte. "Hallo." "Hallöchen, Cecilia", antwortete Tassys Mutter und schüttelte vorsichtig die Hand des Mädchens, "ich hoffe, Bonnie hat dich nicht erschreckt." "Nein, nein", antwortete diese, "ich hatte selbst mal einen Hund, wissen

Sie." "Oh, du brauchst nicht... Nenn mich einfach Rosita, in Ordnung?" "In Ordnung." "Wollt ihr was essen? Ich koche gerade Suppe", fragte sie dann und bewegte sich tänzelnd in die von undurchdringlichem Wasserdampf angefüllte Küche, woraufhin Tassy nickte. "Ja, von mir aus. Willst du auch was futtern, Cecilia? Meine Mutter holt immer jegliches Gemüse- wir essen kein Fleisch, weißt du- und klatscht es in die Suppe rein." "Ja, warum nicht. Ähm... könnte ich mal eure Toilette benutzen?" "Klar, du musst einfach den"- sie wies mit dem Finger auf die sich an der Wand

entlangziehenden, tiefgrünen Griffe- "grünen Bouldern folgen." "Okay, bin sofort wieder da", sagte Cecilia dann und trat mit lautlosen Schritten aus dem Raum hinaus, woraufhin sich Tassy mit einem Seufzen auf einen der knarrenden, von verschlissenen Stoffüberzügen bedeckten Stühle sinken ließ. "Oh Mann", murmelte sie dann an sich selbst gewandt und bemerkte nur am Rande, wie ihre Mutter mit geräuschvollem und schwerfälligen, aber dennoch beschwingten Gang hinter sie trat. "Nicht Lilly und nicht Kat, was?" fragte sie, und Tassy konnte sich das beinahe höhnische Grinsen in ihrem Gesicht

vorstellen. "Nein, verdammt, ich kenne Cecilia kaum!" "Warum dann mit ihr treffen?" "Wie es scheint, haben wir ziemlich ähnliche Interessen, und anfangs habe ich gedacht, wir könnten uns alle zusammen treffen- also, mit Kat und Lilly. Na ja, jetzt sitze ich mit ihr allein hier." "Was habt ihr vor?" " 'Nen Film angucken, und vermutlich Bouldern. Mal sehen, wenn's nachher aufhört zu regnen, wollte ich ihr ein paar BMX-Tricks beibringen." "Dann seit ihr wenigstens beschäftigt", sagte Rosita mit einem erleichterten

Ausdruck in der Stimme, "sie scheint aber nett zu sein. Netter als diese Lilly!" "Hey, das ist nicht nett", sagte Tassy, konnte ein Lächeln jedoch nicht zurückhalten. "Was? Darf doch Meinung sagen?" "Ja, ja", murmelte Tassy nur, als sich die Tür mit einem kaum wahrnehmbaren Quietschen öffnete und Cecilia vorsichtig den Raum betrat. "Hier, pflanz dich hin", sagte Tassy zu ihr und wies auf einen der Stühle, woraufhin sich Cecilia langsam und mit vorsichtigen Schritten an den Tisch setzte. Der süße Geruch unzähliger Kräuter, den Tassy seit ihrem Betreten des Hauses nur

am Rande wahrgenommen hatte, nahm an Intensität zu, als sich ihre Mutter mit einem großen, silbrig glänzenden Topf näherte und ihn sowie drei mit kunstvollen Mustern gezierte Suppenteller auf dem runden Tisch abstellte. "So, guten Appetit", flötete sie dann und ließ sich ihrerseits auf einem der Stühle nieder, der ein derartiges Knarzen erzeugte, als drohte er unter dem Gewicht der Frau zusammenzubrechen. "Also, Cecilia", sagte sie an das Mädchen gewandt, während sie mit ihrer fleischigen Hand nach der Suppenkelle griff und sich eine gewaltige Menge des rötlichen, dickflüssigen Breis in ihren

Teller goss. "Sieht aus wie Kotze", sagte Tassy beiläufig, woraufhin ihre Mutter ihr einen amüsierten, jedoch vorwurfsvollen Blick schenkte. "Tassy, du solltest vor dem Mädel hier mal ein wenig Anstand zeigen!" Aus den Augenwinkeln sah sie ein belustigtes Lächeln um Cecilias Lippen spielen, dann murmelte Tassy grinsend: "Reg' dich ab, Mama, es ist ja leckere Kotze." "Schmeckt wirklich lecker", sagte Cecilia nach einiger Zeit, woraufhin Tassy lachte: "Ja, nicht wahr, wenn man die Augen schließt. Meine Mutter kocht generell leckere Sachen. Sehen zwar nicht so lecker aus,

aber..." "Jetzt reicht's aber!" Als Tassy und Cecilia ihre Teller geleert hatten, nahm die Frau sie entgegen und verschwand damit in der noch immer von Dampf umwobenen Küche, woraufhin sich Tassy dann erhob und an Cecilia gewandt fragte: "Also... Sollen wir rauf in mein Zimmer gehen und uns diesen Film reinziehen, oder hattest du irgendwas..." "Nein, das ist eine ziemlich gute Idee." "Was wollen die Damen denn gucken?", ertönte Rositas durchdringende Stimme aus der Küche, "wahrscheinlich wieder diesen Kram, den du dir immer anguckst, Tassy,

dieses..." "Nein, nein, Mama, wir gucken so einen Mädchenfilm. Über so eine... ähm... hochgeschminkte, aufgetakelte Cheerleader-Zicke und... und ihre... potthässliche, unbeliebte Schwester. Genau." "Von wegen, ich kenne doch meine Tassy, und ich kenne auch Tassys Freundinnen! Cheerleader-Zicke, von wegen! Cheerleader-Zicke, die von Elefant zertrampelt wird, das würde ich noch glauben!" "Okay, lass uns gehen", sagte Tassy dann zu Cecilia und eilte die unter ihrem Gewicht groteske, knarrende Töne erzeugende Holztreppe hinauf, die

geradewegs in einen weiteren schmalen, von an den Wänden befestigten Griffen in ein Spiel unzähliger Farben verwandelten Flur führte. Cecilia folgte ihr mit zaghaften, auf dem von einem rötlichen Teppich bedeckten Boden kaum hörbaren Schritten in ein geräumiges Zimmer hinein, und Tassy glaubte, den Ausdruck der Überraschung in den braunen Augen des Mädchens spüren zu können. "Du hast einen... warum hast du einen..." "...Traktor-Reifen von der Decke hängen?", beendete Tassy den Satz grinsend, "weil's lustig ist." Sie schenkte Cecilia ein kurzes Lächeln und betrat dann den Raum, der sie in

seine vertraute, gemütliche Atmosphäre eintauchen ließ. Tassys Bett sowie der schmale Kleiderschrank und das sich in eine Ecke hineinzupressen scheinende, mit Büchern sowie DVDs angefüllte Regal bestanden aus hellem Holz und die breite, von bunten Kissen übersäte Sitzbank hatte sie selbst aus einigen mit einem durchsichtigen Lack überzogenen Paletten erbaut, was dem Zimmer eine Art warmen Ausdrucks verlieh. "Okay", fuhr Cecilia fort, während sie sich umblickte, "aber, ich meine... Warum hängt da ein Reifen von deiner Decke?" "Da kann man verdammt gut dran

hochklettern. Ist irgendwie gutes Training, glaube ich. Ich habe das mal im Internet bei einem ziemlich bekannten und sehr guten Kletterer gesehen, und dachte, ich überrede meine Mutter, auch so etwas in mein Zimmer bauen zu dürfen", antwortete sie verspielt grinsend und deutete mit einem kurzen Nicken auf den silbrigen, kastenförmigen Fernseher, der auf einem schmalen Regal in der dem Bett sowie der Palettenbank gegenüberstehenden Ecke stand. "Darf ich sagen, dass du irgendwie schräg bist? Also, im guten Sinne." "Klar", antwortete sie abermals, "ist 'n Kompliment. So, soll ich den Film

reinschmeißen?" "Klar." "Okay, also, du kannst dich irgendwo hinpflanzen. Aufs Bett oder den Palettensitz. Kannst dich von mir aus auch an den Reifen hängen, aber das könnte nach einiger Zeit unbequem werden." "Lass mal, ich hänge mich lieber nicht irgendwo dran. Sonst kommt der Krankenwagen, bevor ich überhaupt eine halbe Stunde hier war." Mit diesen Worten schritt Cecilia zu der Palettenbank hinüber und ließ sich mit jener nunmehr vertrauten Vorsicht darauf sinken, während Tassy zu dem Bücherregal hinüberschlenderte und die

unzähligen, sich über einige Zeit darin gesammelten Filme durchsuchte. "Okay, hab's gefunden", sagte Tassy, zog eine der DVD-Hüllen mit einem zufriedenen Grinsen heraus und zeigte sie Cecilia, nachdem diese gefragt hatte: "Was gefunden?" Den Drang, sich jeden Augenblick mit einem nervösen Funkeln in den Augen nach Cecilia umzusehen unterdrückend schaltete Tassy den Fernseher an und ließ sich dann auf ihrem Bett nieder, während sie hin und wieder einen flüchtigen Blick auf das Mädchen warf, das in den nächsten vorüberstreichenden dreißig Minuten unbeweglich und mit gespannt auf den Fernseher gerichtetem

Blick auf der hölzernen Bank saß. "Das ist jetzt cool", sagte sie irgendwann mit beinahe abwesender Stimme, hatte den Blick jedoch starr nach vorne gerichtet und blickte Tassy nicht einen Herzschlag lang an. "Tassy, kommst du mal kurz?!", ertönte plötzlich eine durchdringende Stimme, woraufhin sich Tassy schnell erhob und an Cecilia gewandt sagte: "Ich lasse dich mal ganz kurz alleine, Cecilia, okay?". Diese brachte nur ein kaum wahrnehmbares Nicken zustande, woraufhin die sich um leise Schritte bemühende Tassy aus dem Zimmer hinaus und die steile Treppe hinuntereilte.

"Was ist?", fragte sie dann, als ihre Mutter mit schwerfälligen Schritten aus der Küche hinaustrat und verkündete: "Ich bin mal kurz mit Bonnie weg". "Dafür hast du mich jetzt gerufen?", fragte Tassy mit einem gespielten Ausdruck der Wut in ihrer Stimme, "ich verpasse gerade die coolsten Szenen!" "Hmm, kann ich mir denken.", murmelte Rosita nur und bedeutete Tassy dann, in ihr Zimmer zurückzugehen. Diese machte kehrt und eilte erneut die Treppe hinauf, während sie an ihre Mutter gewandt rief: "Bis gleich!" Als sie die Tür zu ihrem Zimmer öffnete, erblickte sie die sich fest an die hölzerne

Lehne der Bank pressende Cecilia, die noch immer mit weit aufgerissenen Augen auf den ihr einige verstörende Bilder entgegenwerfenden Fernseher blickte und die den Raum betretende Tassy nur am Rande oder gar nicht zu bemerken schien. "Ist das meine Schuld?", sagte George Clooney gerade, und Tassy sah, wie sich Cecilias Augen mit jedem verstreichenden Moment stärker zu weiten schienen. Lautlos ließ sie sich erneut auf der Matratze nieder, beschloss dann jedoch, sich bei Cecilia zu erkundigen, ob alles in Ordnung wäre. "Hey, geht's...." Plötzlich sprang das

Mädchen mit einem durchdringenden Schrei auf und tiefes Entsetzen ergriff ihren Blick mit scheinbar eiskalten Händen, während sie einen gewaltigen Satz nach hinten tat und sich zitternd an die gelbliche, von einem schwarz-weißen Schriftzug überzogene Wand presste. "Oh Gott!", keuchte sie dann mit vor Erleichterung zu versagen drohender Stimme, "jetzt hab' ich so einen Schock bekommen! Ich habe gar nicht gemerkt, dass du wiedergekommen bist, und... und dann warst du plötzlich da, und diese gruselige Szene, und... Und die arme Frau ist ja tot!" "Ach was", antwortete Tassy und zögerte kurz, ehe sie fortfuhr:"tut mir echt leid,

Mann. Ich wollte dich echt nicht erschrecken." "Ich weiß, ich weiß", murmelte Cecilia und setzte sich dann wieder mit noch immer geweiteten Augen auf die Palettenbank, "ich bin nur ein wenig schreckhaft." "Dann ist es vielleicht nicht so ideal, einen Horrorfilm zu gucken." "Nein, nein, ist okay. Ich habe mich nur gerade so dort hineinversetzt und gar nicht gemerkt, dass du plötzlich da warst. Egal, ich hab's ja überlebt." "Ja, im Gegensatz zu manchen anderen", sagte Tassy grinsend, dann kehrte erneut Schweigen

ein. Eine sanfte Brise wurde vom kalten Wind über die im Mondlicht glänzenden Straßen getragen und die Laute des Straßenverkehrs sowie die grellen Lichter der Stadt durchstachen die von den leuchtenden Sternen erzeugte Ruhe wie ein scharfes Messer, als die Mädchen mit gemächlichen Schritten an der schmalen Straße entlanggingen. "Das war so peinlich, als du plötzlich ins Zimmer kamst und ich beinahe vor Angst ohnmächtig geworden wäre!", sagte Cecilia lachend, "aber im Nachhinein finde ich es ziemlich lustig." "Am besten war sowieso deine

Arschbombe auf den Boden, als du durch den Flur bouldern wolltest." "Ich fange ja gerade erst an", wiedersprach sie mit einem Lächeln, "aber trotzdem vielen Dank für deine BMX-Tips. Kann ich gut brauchen." "Zum Glück hat es letztendlich doch noch mit dem Regnen aufgehört." Ein langsam an den Mädchen vorüberziehender, den beißenden Geruch von Abgasen wie einen unsichtbaren Schleier mit sich ziehender Bus übertönte Tassys Worte, und sie blickte dem mehr und mehr in den dunklen Schatten der Straße verblassenden Fahrzeug lange nach, ehe sie fragte: "Sag mal, wo genau wohnst du

eigentlich?" "Nicht mehr weit entfernt; Ich wohne ziemlich in der Nähe von der Schule, die ich besuche." "Warte...", murmelte Tassy dann mehr an sich selbst gewandt, "gehst du auf dieses Gymnasium mit den vielen blauen Fenstern? Mir fällt gerade der Name nicht ein..." "Ja, genau", antwortete Cecilia, woraufhin Tassy fortfuhr: "Meine Schule ist nämlich ziemlich nah an deiner! Vielleicht sieht man sich ja mal auf'm Weg." "Das wäre cool. Ich kann mich ja auf dem Heimweg oder in den Pausen nach dir und deinen Freunden umsehen.

Schade eigentlich, dass wir nicht dieselbe Schule besuchen." "Stimmt", sagte Tassy und blickte dann zu Boden, während sie den Rest der Strecke schweigend zurücklegten. Dabei spürte sie wiederum dieses vertraute Gefühl des Unbehagens und in ihrem Inneren suchte sie nach den passenden Worten, die sie zu Cecilia sagen könnte, doch sie hatten sich gerade vor einem Tag kennengelernt und somit derartig geringe Menge an Gesprächsinhalt, dass Tassy weiterhin zu schweigen beschloss- vermutlich war das Schweigen besser als der vergebliche Versuch, nach irgendwelchen ohnehin uninteressanten Themen für eine Unterhaltung zu

suchen. Irgendwann hatten sie eine von dicht aneinandergedrängten, scheinbar mit unzähligen kleiner Wohnungen angefüllten Gebäuden eingekesselte Straße erreicht, und schließlich brach Cecilia jene seltsame, wie eine schwere Decke über ihnen liegende Stille: "Okay, ich wohne dort drüben. Du hättest mich wirklich nicht bis hierher begleiten müssen." "Ich hätte irgendwie ein schlechtes Gewissen gehabt, dich alleine gehen zu lassen. So 'n Mädchen in einer großen Stadt im Dunkeln, das ist wahrscheinlich nicht die beste Idee." "Jetzt musst du aber auch alleine durch

die Stadt und durch die Dunkelheit gehen, das ist dir schon bewusst?" "Ja, schon", entgegnete Tassy, "aber das macht mir nichts aus, ich bin diesen Weg schon öfter im Dunkeln gegangen. Und wenn sich jemand nähert, der irgendwie zwielichtig aussieht, klettere ich eben schnell auf ein Dach", fügte sie lächelnd hinzu. "Dann vertraue ich mal darauf, was du sagst", sagte Cecilia dann zögernd, blickte kurz zu Boden und sah Tassy dann erneut an: "Also dann, wir sehen uns."

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Hörbuch

Über den Autor

ChalkBAg
Hallo :) Ich heiße Nasti und bin 15 Jahre alt. Also, ich schreibe natürlich sehr gerne, gehe (wie man an Profilbild, Benutzername sowie einem meiner Bücher erkennen kann) SEHR gerne bouldern und mache Parkour (bzw. versuche es). Abgesehen davon zeichne ich sehr gerne, fotografiere und spiele Gitarre :) Außerdem habe ich nicht viel für alles Moderne übrig, z.B. diese übermäßig riesigen Handys ;) , ich mag alte Musik sowie alte Filme :)

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