kein tag wie jeder andere
Hinter dem Steuer des schwarzen 5er BMW Touring saß Julia. Schwarze, schulterlange Haare, dunkelbraune Augen. Ihren Mund umspielte immer ein leichtes Lächeln, womit sie bereits vom ersten Moment an das Eis bei Fremden gebrochen hatte. Nicht zuletzt die Eigenschaft, die Henry bei ihrem ersten Treffen einfach nur dahinschmelzen lies.
Julia steuerte den hochmotorisierten Boliden souverän über die dämmrige Landstraße. Trotz der vielen PS fuhr Julia
immer verantwortungsbewusst, nie über ihre Fähigkeiten hinaus oder die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer riskierend. Sie hatte einen guten Grund dazu, drei gute Gründe um genau zu sein. Ihren Ehemann Henry und ihre beiden innig geliebten Kinder. Jennifer war gerade drei Jahre alt geworden, Simon stand vor seinem ersten Geburtstag. Der Kofferraum war voll mit Einkäufen aus dem Supermarkt und weiteren kleinen Einkäufen aus der Stadt. Nach vielen Monaten war dies einer ihrer wenigen wirklich kinderfreien Tage. Jennifer war den ganzen Tag im Kindergarten und Simon kuschelte vermutlich gerade feste mit seinem Papa auf der Couch. Simon
wurde zwar noch gestillt, nahm aber ohne
Probleme schon länger das Fläschchen mit abgepumpter Milch. Beim Gedanken daran, wie Henry mit dem kleinen Knirps auf der Couch saß und die Flasche gab, musste Julia über das ganze Gesicht lächeln. Ihre perfekten, weißen Zähne strahlten im Halbdunkel des Autosinnenraums.
Sie hatte noch ca zwanzig Kilometer vor sich und drehte das Radio lauter. Im Auto traute sie sich laut mitzusingen, wenn ihre Lieblingssongs gespielt wurden. Vor ihr fuhren nur vereinzelt Autos und die Landstraße schlängelte sich gemütlich durch die leicht hügelige Landschaft. Sie konnte die lange Strecke fahren und gemütlich cruisen oder gute fünf Minuten Fahrzeit sparen und ein paar
Kilometer über die parallel verlaufende Autobahn fahren. Da konnte sie die 220 PS auch ein bisschen ausreizen. Also ab auf die Autobahnauffahrt und das Gaspedal durchgedrückt. Der Schub drückte Julia angenehm in den sportlich geformten Sitz und das bekannte Kribbeln im Bauch stellte sich ein. Ihr Grinsen wurde noch ein Stück breiter. Die Autobahn war nicht besonders voll, also konnte Sie das erste Stück gemütlich auf der mittleren Spur fahren. Direkt voraus lag eine Baustelle, die Spuren verengten sich und wurden in einem leichten Schwung auf die gegenüberliegende Fahrbahn gelenkt. Der entgegenkommende Verkehr wurde mit hüfthohen Betonsteinen, die aussahen wie
umgedrehte Y-Formen von Julias Fahrbahn getrennt. Auch gegenüber war nicht viel los und im Dämmerlicht blendeten die entgegenkommenden Scheinwerfer noch nicht störend. Sie wollte sich daheim anmelden und wählte über die Sprachsteuerung die Telefonnummer ihres Festnetzanschlusses. Nachdem der Anrufbeantworter nach einiger Zeit einsprang legte Julia mit einem Seufzer auf und begann den Abend im Kopf zu planen. Mit zwei Kindern und dem Wunsch nach einer Fuß- und Rückenmassage musste der Ablauf Abendessen, Kinderbaden und ins Bett bringen ordentlich getaktet werden. Wie sie ihren Mann kannte, war von Vorbereitung vermutlich nicht viel zu spüren, wenn sie gleich durch die Türe
kam. Sie konnte sich wahrscheinlich schon glücklich schätzen, wenn nicht das totale Chaos herrschte.
Eine langgezogene Linkskurve läutete das Ende von Julias Autobahnstrecke ein. In ein paar Kilometern musste sie ab und wieder auf die Landstraße. Als der LKW aus der Gegenfahrbahn mit überhöhter Geschwindigkeit die Kontrolle verlor und über die Y-Steine wie über eine Rampe geschossen kam, hatte Julia nicht den Hauch einer Chance. Der Sattelschlepper brach mühelos durch die Absperrung und schob sich über Julias Motorhaube bis zu den Rücksitzen durch.
Zwei Stunden später klingelte es acht Kilometer entfernt an der Tür. Henry öffnete mit Jennifer auf dem Arm lachend die Tür.
‚Guten Abend , sind sie Henry Foster?‘