Kapitel 84 Unsicherheit
,, Wir waren noch nicht bereit einander wieder gegenüberzutreten, Galren. Ich weiß du kannst das nicht verstehen, aber es gibt Dinge auf die ich warten musste und leider läuft mir nun die Zeit davon dies weiter zu tun. Du, vor allen Dingen, bist nicht bereit...und doch brauche ich deine Hilfe. Nur deshalb bist du letztendlich hier.“
Du wiederholst dich nur, dachte Galren. Aber warum war er nicht bereit ? Der Splitter fiel ihm ein, zusammen mit was auch immer in ihn gefahren war, als er
Elin den Mardar überließ. War es das, wovon sein Vater sprach ? Wenn ja... hatte Varan darauf gewartet, das er wieder zur Vernunft kam und er war einfach noch nicht lange genug wieder bei Verstand... oder das genaue Gegenteil ? Alleine der Gedanke jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Und jetzt wo er kurz davor war die Stadt zu verlassen.... da war seinem Vater keine Wahl mehr geblieben als ihn zu rufen. Was immer er diesem Mann an vertrauen entgegenbringen konnte war bereits aufgebraucht.
Varan, der Prophet, sprach, als müsste ihm längst alles klar sein, in einem Tonfall, der nichts mit dem Mann zu tun
zu haben schien, den er einstmals kannte. Hadrir hatte ihn gewarnt, sagte er sich. Doch Verstanden hatte er es da noch nicht. Jetzt schon.
Galren schüttelte den Kopf und wendete sich von seinem Vater ab. Das war ganz und gar nicht, was er erwartet hatte, dachte er. Enttäuschung und Wut vermischten sich mit den tausend Fragen, die er hatte. Sein Blick streifte die anderen, die sich um Naria gescharrt hatten. Die Gejarn
war nach wie vor bewusstlos, ihre Augen geschlossen. Bisher hatte niemand es gewagt, außer ihm
das Wort zu ergreifen. Und das hier ging sie auch nichts an, dachte er. Das war
eine Sache zwischen ihm und seinem Vater. Und er würde nicht gehen bevor er nicht ein paar Antworten bekam.
,,Meine Hilfe... Wie wäre es, wenn du dich erst einmal erklärst ?“ , begehrte Galren wütend auf.
Zum ersten mal war so etwas wie eine echte Emotion in den Augen des Propheten zu sehen. Er wendete sich ab, vielleicht beschämt, vielleicht auch nur weil es ihm egal war.
,, Du musst verstehen, das meine Rolle jetzt eine andere ist, Galren. Was Teil des Grundes ist, aus dem du hier bist, ob es dir bewusst ist oder nicht. Du bist kein Kind mehr, du solltest das
verstehen.“
,, Ich verstehe, das du dich vor mir versteckt hast. Ich verstehe, das du mich angegriffen hast...“
,, Ich war mir sicher, dich nicht zu treffen. Und ich... ich musste dich einfach sehen, Galren. Ich habe darauf spekuliert aber... dich nach all diesen Jahren zu sehen... Es tut mir leid...“ Varan hielt inne, den Blick zum Altar gerichtet. Als er sich wieder umdrehte wirkten seine Augen wässrig, seine gesamte Gestalt müde von zu vielen durchwachten Nächten. Beinahe wirkte es so, als würde er Galren erst jetzt wirklich wahrnehmen. ,, So viel Zeit ist vergangen... ich war so viele Jahre
hier... Ich wusste nicht wie du reagieren würdest. Verzeih mir. Es fällt schwer mir einzugestehen, was ich alles getan habe, Galren. Sohn... Ich hätte zurück kehren können, aber was wäre dann gewesen ? Diese Leute hätten den Tod gefunden.“
,, Das tun sie vielleicht immer noch.“ Trotzdem klang das fast wieder nach dem Mann, den er einmal gekannt hatte. Voller Sorge und Mitgefühl, aber auch dem Wissen, das er dabei einen Fehler gemacht haben könnte.
,, Es ist unsere Aufgabe, genau das zu verhindern.“ , erklärte Varan. ,, Die Zwerge haben den Weg vergessen, den sie einst über das Meer nahmen , du
wirst ihn ihnen wieder zeigen. Wir werden es sein, die diese Leute retten !“
Trotz seiner Worte konnte Galren das flackern der Gier das in den Augen seines Vaters loderte nicht übersehen. Seine Absichten mochten Nobel sein, so wenig er seine Methoden verstand, aber sein Antrieb dabei... Er war davon Besessen, so wie Galren von seiner Spurensuche. Und vielleicht noch mehr. Varan hatte kein anderes Ziel mehr, als das zu tun, was er seit über zwei Jahrzehnten versuchte, die Zwerge in Sicherheit zu bringen.
Aber ein Problem gab es dabei... ,, Du könntest das genau so gut selber tun, warum ich
?“
Sein gegenüber schüttelte den Kopf. ,, Meine Gabe steht mir nicht mehr so zur Verfügung wie einst, Junge. Du kannst die Pfade noch sehen, ich nicht...“ Zumindest klang er entschuldigend, während er sprach, dachte Galren. Vielleicht war doch noch etwas von dem übrig, was einst sein Vater gewesen war. ,, Lasst mich einmal nach euer Freundin sehen.“
Mit fließenden Schritten trat der Prophet an Galren vorbei und auf die zusammengesunkene Gestalt Narias zu. Er folgte ihm wortlos. Das lief in keiner weise so wie er es sich je vorgestellt
hätte...
Lias stellte sich Varan in den Weg, bevor er die Magierin erreichte. Ragend legte der Mann nur den Kopf auf die Seite und musterte den Löwen eindringlich.
,, Lias, oder ?“ Wiedererkennen und etwas, das freudige Überraschung sein mochte huschte über seine Züge. ,, Es ist lange her...“
,, Das ist es in der Tat.“ Der Gejarn machte keine Anstalten, ihn vorbei zu lassen. ,, Was soll das alles hier ?“
,, Alles zu seiner Zeit.“ , meinte Varan ruhig und legte dem Mann eine Hand auf die Schulter. Zu Galrens Überraschung trat Lias daraufhin auch tatsächlich zur Seite. Ohne zu zögern lies er sich neben
Naria auf ein Knie sinken ,, Verzeiht, ich kann diese Wirkung auf manche haben... ich bin nicht mehr ganz wer ich einst war.“
Mit diesen Worten streckte er eine Hand aus und legte sie der Gejarn sanft auf die Stirn. Kurz schimmerte ein schwaches, blaues Licht zwischen seinen Fingern.
Flattert schlug Naria die Augen auf und stieß den Mann noch im selben Moment von sich, während sie von ihm zurück wich. Nackte Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben.
,,Bleibt weg von mir.“ , rief sie. ,, Galren, das ist...“
,, Mein Vater.“ , beendete er den Satz für sie. ,, Naria was ist los
?“
,, Ich weiß es... nicht ehr.“ Einen Moment sah sie zwischen Galren und Varan hin und her. ,, Eben war ich mir noch vollkommen sicher das da noch etwas anderes war aber... es ist weg.“
,, Das eben war Magie, oder ?“ , fragte Galren derweil. Die Erkenntnis traf ihn wie einen Schlag, auch wenn er nach wie vor nicht wusste wie oder warum... Sie hatten einen Zauberer gesucht, einen Mann, der die Karte vorbereitet hatte. Einen, den es angeblich in der Crew seines Vaters nicht gegeben hatte. ,, Du warst es, der die Karte versiegelt hat...“
,, Ich wusste, sie würde ihren Weg zu dir finden und danach würdest du auch
einen Weg finden zu mir zu gelangen. Du bist der einzige, der überhaupt dazu in der Lage wäre, Galren. Wir werden es sein, die diese Leute retten, Sohn.“
Erneut trat die verrückte Begeisterung seines Vaters für diese Idee deutlich zu Tage. Das war doch nicht normal. Sicher, die Zwerge brauchten jemanden, der sie übers Meer führte, aber so wie sie hier behandelt worden waren... wie konnte sich dieser Mann dafür so begeistern ? Er war zwanzig Jahre hier gewesen, wer wusste schon was die Häuser schon alles versucht haben mochten um ihn loszuwerden.
Galren schloss einen Moment die Augen. Varan war Besessen. Aber vielleicht,
wenn es ihnen wirklich gelang, Canton wieder zu erreichen, vielleicht konnte er dann auch darüber hinwegkommen. Er hatte es gekonnt, dachte Galren, aber es hatte ihn unsägliche Mühen gekostet. Und er hatte nur einige Tage damit zu kämpfen gehabt. Aber sein Vater ? Zwei Jahrzehnte waren eine Ewigkeit...
,, Und das werden wir auch.“ , hörte er sich selber sagen. ,, Aber zuerst musst du mir sagen was mit dir passiert ist... wie... Du bist kein Magier.“
,, Ich sagte ja bereits, über meine Gabe kann ich nicht mehr verfügen. Meine Rolle hat sich gewandelt, Galren.“
,, Deine Rolle in was ?“ Er hätte seinen Vater am liebsten an den Schultern
gepackt und geschüttelt. Der kurze Moment in dem er fast wieder er selbst zu sein schien war vorbei. ,,Naria ist so etwas überhaupt möglich ?“
Die Gejarn zuckte nur mit den Schultern und Galren ließ den Kopf hängen. Das ergab doch alles keinen Sinn... oder ? Schweigen senkte sich über die Gruppe. Er kam einfach nicht an seinen Vater heran, was auch immer er versuchte.
,, Seit ihr eigentlich völlig verrückt, alter Mann ?“ Es war Elin, die ihm diese Worte ohne zu zögern an den Kopf warf.,, Ihr wollt mir jetzt allen ernstes erzählen ihr habt hier zwanzig Jahre herumgesessen und darauf gewartet, das Galren vielleicht, auftaucht und jetzt wo
er hier ist, erwartet ihr mal eben, das wir euch alle helfen , ja ? Und ihr hieltet das ernsthaft für eine gute Idee ?“
Einen Moment blinzelte Varan nur irritiert und Galren konnte nicht einmal raten, was in ihm vorging. Vorsichtig trat er zwischen ihn und Elin. Götter, das ist dein Vater, sagte er sich. Und gleichzeitig nicht, ermahnte er sich. Er hatte den Propheten vor sich, der Mann der vor einem halben Leben einmal sein Vater gewesen sein mochte... jetzt jedoch konnte er nicht mehr sicher sein, was er war.
Dann jedoch lachte er. Kurz glaubte Galren, das sich ein Schatten von ihm hob und für diesen einen Augenblick
stand da wirklich nur Varan Lahaye, nicht der Prophet, der Besessene mit nur einem Ziel.
,, Ziemlich vorlaut die Kleine, wo hast du sie aufgelesen ?“
,, Ob du es glaubst oder nicht, sie war ein blinder Passagier.“
Sein Vater kicherte noch etwas in sich hinein, dann wurde er jedoch wieder ernst. ,, Ich brauche dich schlicht Galren.“ , erklärte er und trat auf ihn zu. ,, Bitte.“ Varan nahm seine Hände in die eigenen und einen Moment schienen Feuer und Müdigkeit aus seinem Blick zu verschwinden. Erneut sah Galren nur seinen Vater vor sich, älter, aber ernsthaft besorgt... um sie
alle.
,,Ich habe bereits zugestimmt, die Zwerge in Sicherheit zu bringen. Das ändert daran nichts.“
Seine Entscheidung stand. Und vielleicht, wenn sein Vater sein Ziel erreichte... vielleicht kam er dann auch wieder zur Vernunft. Es könnte wieder alles werden wie einst. Galren wusste selber, wie schwach diese Hoffnung war, aber was konnte er sonst schon groß tun ?
,, Du bist gekommen, weil du Antworten gesucht hast.“ , meinte sein Vater. ,, Ich hoffe du hast ein paar bekommen. Ob du es mir glaubst oder nicht, aber keiner von uns ist Zufällig hier.“ Mit einer flüssigen Bewegung zog Varan das
Schwert aus der Scheide und hielt die pechschwarze Klinge vor sich. Im Zwielicht, das im inneren des Tempels herrschte war die Waffe fast unsichtbar, sah man vom versilberten Heft ab. Das wenige Licht, das durch die Fenster drang spiegelte sich darauf und Galren
war beinahe, als könnte er die Luft hören, die bei jeder Bewegung über die Schneide floss. Ein leises Singen, fast Stimmen ähnlich... ,, Meine Gabe hat mich zu dieser Waffe geführt. Und jetzt hat die gleiche Begabung dich hierher gebracht. Damit du einen Weg zurück finden kannst. Wie es gedacht war...“
,, Ich hätte mich auch entscheiden können, nicht zu
gehen.“
,,Nein.“ Varan schüttelte den Kopf und schob die Klinge wieder an ihren Platz an seinem Gürtel. ,, Das hättest du nicht. Ich hatte lange Zeit mir darüber Gedanken zu machen, Junge. Die Gabe eines Sehers kann dir Pfade zeigen zwischen denen du wählst. Das jedoch über was du verfügst zeigt dir nur einen einzigen, ob es dir klar ist oder nicht und es wird dich auf ihm Entlangführen bis du ihn vollendest.“
,, Vollenden, was denn ?“ , wollte Lias wissen.
,, Unserer Rückkehr nach Canton, nehme ich an. Die Gabe wurde von selben Leuten geschaffen vermute ich die auch dieses
Schwert schufen. Als Wegweiser. Damit wir hier sind, Galren.“
,, Du sprichst als hätte jemand Jahrhunderte im voraus gewusst, das die Zwerge hierher kommen würden.“ Er hingegen glaubte das nicht. Aber die Klinge hatte ihn angezogen, das konnte er nicht länger leugnen. Was also war hier die Wahrheit ? Zufall war es nicht. Aber das diese Klinge nur als Lockvogel dienen sollte ? Jemand hatte sie hierher gebracht, ja. Das alte Volk wenn dieser Tempel wirklich schon vor den Zwergen hier gewesen war. Und wenn es dabei nie um die Zwerge gegangen
war ? Irgendjemand hatte sich die Mühe gemacht, dieses Ding bis ans
sprichwörtliche Ende der Welt zu schaffen. War es dann eine gute sie wieder dorthin zurückzubringen, woher sie stammte ?
Parlors Worte fielen ihm wieder ein. Die Warnung vor einer schwarzen Klinge, die weiß wurde. Wenn er bereit war, das nicht länger als Gefasel eines Irren abzutun... was um aller Götter willen hatte er dann hier gefunden ? Mehr, als er je finden wollte, so viel war ihm jetzt schon klar.