Das Bratkartoffelverhältnis
„Wie hast Du ihn kennengelernt? Der sieht ja schnuggelig aus.“, fragte Marina ihre Freundin Elke etwas verblüfft. „Sag ich Dir doch, im Kochforum Omas Rezeptbuch“, erwiderte diese und zeigte ihr das Foto, das sie auf dem Laptop abgespeichert hatte. „Er heißt Moritz. Wir haben Kartoffelgerichte ausgetauscht. Er war begeistert von meiner Kartoffelsuppe". Marina schaute in ein offenes Männergesicht, dunkle Augen umgeben von Lachfältchen. Rotblonder
Lockenschopf, Sommersprossen, so zwischen 40 und 50 mochte er sein. Hinter ihm Küchenutensilien, eine Reihe Kellen und ein Messerblock. „Ist er Junggeselle oder warum treibt er sich auf so einem Forum herum?“, wollte Marina wissen. Elke schüttelte den Kopf. „Weiß nicht, ich glaube, er ist geschieden, hat etwas von Schichtarbeit geschrieben. Dass die Zeit nicht für Familie reicht. Aber ich glaub ihm nicht. Seine Stimme klang traurig, als wir im Skype miteinander sprachen.“ Die beiden Frauen blickten wieder auf das Foto. Elke fühlte irgendwo im Bauch dieses Kribbeln, so also fühlten sich die Schmetterlinge an,
wenn man über 40 war. Es hatte sich nichts geändert. Aber sie spürte auch eine Wärme in sich aufsteigen, wie sie sie sonst nur für ihre Tochter gespürt hatte, wenn diese mit ihren Problemen vor ihr stand und sie Tränen trocknen musste. Nach ihrer Trennung von Holger vor 5 Jahren lebte sie mit ihrer Tochter Mara allein. Sie hatte das gemeinsame Restaurant auch nie mehr betreten. Der Pachtvertrag lief ohnehin auf ihn. Nun jobbte sie in verschiedenen Gasthäusern als Beiköchin und in einem kleinen Restaurant, das nur am Wochenende offen hatte, als Kochgehilfin, wenn sie auch als Alleinköchin arbeitete, aber so
war das, wenn man schwarz arbeitete. Und sie sehnte sich so sehr wieder als Küchenchefin zu arbeiten. Doch wer stellte eine alleinstehende Frau mit Kind an, die nicht einmal eine abgeschlossene Kochlehre vorweisen konnte und nur 10 Jahre gemeinsam mit ihrem Lebenspartner eine Gaststätte betrieben hatte. Die Auszeichnungen, die sie erkocht hatte, waren an ihm hängen geblieben. Angestellt war sie im Service und im Büro in der Buchhaltung, ihrem erlernten Beruf. Er war der Chef und der ausgebildete Koch, nur Phantasie hatte er nicht. Die Ideen, die Rezepte alles ihre Kreationen. Nun war er mit dieser
blonden Servicekraft zusammengestoßen und bei ihr kleben geblieben. Sollte er doch sehen, wie er seine Küche nun weiter betreiben konnte, von wegen: „Wir können ja Freunde bleiben, ich werf dich doch nicht raus.“
Da sie keine schriftliche Kündigung hatte, musste sie so schnell wie möglich irgendwo unterkommen, diese Minijobs verdarben auf Dauer ihr Können. Sie wusste, dass sie eine gute Köchin war, wenn auch ohne Abschluss. „Weiß denn dein neuer Küchenprinz von deinem Dilemma?“ fragte Marina. „Klar, ich habe kein Geheimnis draus gemacht. Er sagte er
hört sich um.“
„Aber du unternimmst doch auch was?“, wollte die Freundin wissen.
„ Ja, ich sammle Absagen!“, erwiderte Elke. „Wir können bald feiern, ich warte auf die 100.“
Marina nahm ihre Freundin in den Arm. Sie war sich sicher, irgendwann würde es schon klappen.
Es klingelte, die beiden schauten sich erstaunt an. „Hat Deine Tochter keinen Schlüssel?“ Elke schaute auf die Uhr: „Das ist die Post um die Zeit.“
Sie öffnete die Haustür und nahm ein Einschreiben entgegen, quittierte und grüßte die Briefträgerin, die ebenfalls neugierig guckte. „Kommt aus
Österreich und ist zusätzlich Express. Von einem Hotel. Wollen Sie verreisen, Frau Eisner?“ Elke verfluchte diese Kleinstadt. Jeder wusste von jedem und die Briefträgerin war die größte Tratsche. „Frau Molle, das fällt wohl unter das Briefgeheimnis!“, antwortete sie in scharfem Ton. Genervt knallte sie die Tür zu. Marina steckte sich eine Zigarette an und rührte in der halb leeren Kaffetasse. Ihr war es peinlich, das Ausrasten der Freundin mit erlebt zu haben. Doch Elke hatte den Zwischenfall schon bei Seite geschoben. Lachend kam sie zurück ins Zimmer: “So eine Tratsche, die muss man ab und zu stoppen! Schau,
das ist vom „Schloßhotel Preising“, da habe ich mich beworben.“ Sie öffnete den geprägten Briefumschlag, holte den mit einem Goldkopf verzierten Briefbogen heraus und las: „ … sie aus über 300 Bewerbern ausgewählt, … in einem Wettbewerb gegen 19 Mitbewerber zwei verschiedene Menüs und eine Eigenkreation auf Kartoffelbasis“, sie schluckte. „Marina, die laden mich nach Wien zu einem Kochwettbewerb ein, und bezahlen Fahrgeld und Aufenthalt. Die ersten drei bekommen einen Vertrag bei renommierten Restaurants. Drei Tage geht das. Sowas habe ich noch nie gemacht. Kochwettbewerb!“
„Das ist eine Art Vorstellungsgespräch, bloß eben anders. Sei doch froh, die wollen keine Zeugnisse, die wollen sehen, was du kannst.“ Marina nahm die Freundin in den Arm.
„Du kannst das! Mach dir keine Sorgen. Und um Deine Tochter und den Hund kümmere ich mich. Musst du deine Jobs verschieben?“ „Ja, das ist das schlimmste.“
„ Kannst Du eine Vertretung stellen? „Ich habe noch ein paar Tage Urlaub, das übernehme ich schon. Das schaffen wir schon.“ Sie knuffte ihre Freundin, in den Arm. „Nicht, wenn Du mich vorher zum Krüppel schlägst.“
Elke lachte. „So und jetzt muss ich telefonieren und mich vorbereiten. In drei Tagen gehts los.“ Marina nickte ihr zu. Ich ziehe dann morgen bei dir ein, dann haben wir noch Zeit, alles abzusprechen. Elke winkte ihr vom Laptop aus zu. Sie war mit ihren Gedanken schon in einer duftenden und kräuterreichen Welt.
Drei Tage später saß Elke im Flieger nach Wien. Marina hatte sie mit dem Auto zum Flughafen gebracht, ihr viel Glück gewünscht und dann hieß es für sie und Mara warten, während sich Elke in Wien um einen der drei Verträge schlug. Ein asiatisches und ein österreichisches Menü waren
gefragt. Beide Aufgaben löste Elke sehr phantasiereich, jedoch wusste sie nicht, wie die Jury gewertet hatte. Erst mit der Eigenkreation eines rustikalen Gerichtes würde sie die drei Jurymitglieder und ihre Bewertung kennenlernen. Erst dann würde sie erfahren, ob sich ihre Reise gelohnt hatte.
Marina und Mara kreisten am Abend des dritten Tages um Telefon und Laptop wie die Planeten um die Sonne. „Wann wird Mama wissen, ob sie den Job hat? Müssen wir dann nach Österreich umziehen?“, fragte die 10-jährige Mara zum wiederholten Male die Tante Marina. „Ich weiß es doch
nicht. Es kann schon sein, dass ihr dann dorthin ziehen müsst.“ Marina war auch ungeduldig. Und dann klingelte das Telefon, es war kurz nach 21 Uhr und Mara gerade im Bett verschwunden. Im Nu stand sie wieder im Wohnzimmer, Marina stellte den Fernseher auf Stumm. „Erzähle, Elke!“, sagte sie und stellte das Telefon auf Lautsprecher. „Ihr ahnt nicht, was mir passiert ist und wem ich hier begegnet bin“, klang es aus dem Lautsprecher. „Ziehen wir um, Mama?“, fragte Mara. „Holt ihr mich vom Flughafen ab?“, fragte Elke lachend. „Bis gleich!“, antworteten beide, wie aus einem Mund. So schnell hatte sich Mara noch
nie angezogen. Noch bevor Marina Tasche, Autoschlüssel und ihre Schuhe beisammen hatte, stand Mara im Jogginganzug vor dem Haus. Sie kamen etwa zeitgleich wie Elke nach der Gepäcksuche im Empfang zusammen. „Mama, ziehen wir um? Kann Waldi mitkommen?“ Elke gab ihrer Tochter einen Kuss: „Ja und Ja!“ Und dann gab es viel zu erzählen. Begeisterung hatte ihr Menü aus Malaysia ausgelöst. Hauptspeise war Malaysisches Kokoshühnchen mit Reis, als Vorspeise Ananassalat mit Krabben und als Dessert bereitete sie Apam Balek zu, das sind malaysische Pfannkuchen auf der Basis von
Reismehl. Mit dem österreichischen Menü hatte sie weniger Erfolg, wie sie dann erfuhr. Sie sollte den Klassiker, Wiener Schnitzel, zubereiten. Aber immerhin, ganz misslungen war es nicht. Hier punktete sie jedoch mit ihrem Dessert, einem Marillensouffle.
„Nun erzähl schon, wie lief es mit deiner Eigenkreation?“, fragte Marina.
„Den sommerlichen Bratkartoffeln im Blütenbett? Es war eine Katastrophe und zum Schluss der Sieg.“ Und Elke erzählte: „ich lag gut in der Zeit, die Pellkartoffeln waren gekocht und gepellt und kühlten aus. Ich bereitete derweil den bunten Tomaten-Paprika-Gurkensalat vor. Verschiedene frische
Sommerkräuter und etwas Knoblauch dufteten bereits in der Schüssel, ich bereitete die Marinade aus Basilikum und Olivenöl, die ich schaumig geschlagen hatte und gab den Salat hinein. Derweil bruzzelten die Bratkartoffeln mit den Schinkenspeckwürfelchen kross. Dann wurde der Auftritt der Jury angesagt. Ich hatte bereits den Tisch gedeckt, also den Teller mit dem Bett aus Kresse, blauen Borretschblüten und Gänseblümchen vorbereitet und wollte soeben die heißen Kartoffeln in den Blütenring gleiten lassen, als ich kurz aufblickte. Wisst ihr, wer als Chef der Jury vor mir stand? Moritz! Mein
Küchenprinz aus dem Forum. Und dann nahm das Unglück seinen Lauf. Vor Schreck vertat ich mich und die Bratkartoffeln landeten in der Salatschüssel, mitten zwischen Tomaten und Paprika im Balsamico-Olivenöl-Dressing.“
Die beiden hielten die Luft an. „Und was dann?“, fragte sie. „Ich fasste mich schnell, stellte die Pfanne bei Seite, hob die Kartoffeln vorsichtig unter den Salat und gab dann eine Portion davon in das vorbereitete Blütennest. Ich stellte den Teller auf seinen Platz und kündigte selbstbewusst an: „Sommerliches Bratkartoffelverhältnis“.
Mit dieser Kreation holte ich den ersten Platz. Moritz sagte mir später, als er mein Mißgeschick sah, wäre ihm fast das Herz stehen geblieben. Den anderen Jurymitgliedern ebenfalls. Doch durch meinen frechen Einfall habe ich das Gericht tatsächlich zu etwas Einzigartigem gemacht. Ab 1. September bin ich Küchenchefin im „Schloßhotel Preising“.
„Wo liegt Preising?“ fragte Marina. „Falsche Frage. Wer ist Preising, heißt die richtige. Und die Antwort lautet: Moritz von Preising, der Inhaber und Eigentümer von Schloss und Hotel, mein Küchenprinz. Er hat das Haus gerade durch Erbschaft übernommen
und will es neu ausrichten. Von steif altbacken auf jung und edel. Er sucht noch eine hotelerfahrene PR-Kraft, die auch den Hausservice unter sich hat. Kennst du so jemanden?“ Elke zwinkerte ihrer Freundin zu. Marina nickte stumm. „Wir sind angekommen, gnädige Frau, darf ich ein Schlückchen Champagner servieren? Und für das kleine Fräulein ein Glas Saft?“ Die drei betraten Elkes Häuschen am Stadtrand von Berlin, wohl wissend, dass dieser Lebensabschnitt bald hinter ihnen liegen würde.
Elke griff nach ihrem Handy und wählte eine vorprogrammierte Nummer. „Hallo Moritz, wie geht es Dir? Ja, du
fehlst mir auch. Ja, ich habe sie gefragt. Sie macht es. Und nun trinken wir ein Glas Prosecco. Ja, auch Dir Küsschen, bis bald und schlaf schön.“ Elke schickte noch ein Küsschen durch ihr Smartphone und wandte sich Mara und Marina zu, die mit offenem Mund das Telefonat belauscht hatten. „So, nun seid ihr auf dem Laufenden“, sagte Elke und griff nach dem Sektglas. „Auf die Zukunft!“