Mein neuer Therapeut Doktor Fox, der erst seit kurzem meine Behandlung übernahm, nachdem er in dieser Klinik begonnen hatte, nahm mich auch heute wieder aus meiner Therapiegruppe heraus und bat mich zu einem kleinen Spaziergang hinaus zum Strand. Meinem Lieblingsort. Denn nur hier fühlte ichmich frei und konnte mich öffnen und von mir, meinen Träumen, Gefühlen und Erlebnissen erzählen. Mir war diese Art der Psychotherapie barfuß spazierend am Strand entlang, wobei man seine Füße über den warmen seidigen Sand
gleiten lässt, lieber, als in einem staubigen Büro auf einer Couch zu liegen und von sich zu erzählen. Ich liebte es, die Sonne auf meinem Gesicht zu spüren, meine Augen zu schließen und meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Heute erzählte ich meinem Therapeuten Doktor Fox von meinem Vater, den ich sehr vermisse, seit ich in dieser Klinik untergebracht bin und mich immer wieder frage, was ich mit all diesen körperlich und geistig Behinderten gemeinsam habe, da ich weder das eine noch das andere war. Dennoch hatte man mich in diese – meine neue – Behausung
gebracht. Auch Doc Fox, der erst seit einigen Wochen neu an dieser Klinik war, brachte diese Frage auf, die ich ihm nicht beantworten konnte. Vielleicht aus diesem Grund oder einem anderen begleitete er mich zu unseren Therapiestunden immer hinaus an den Strand hin zur hölzernen Brücke, wo ich den Möwen beim Luftschweben und den kleinen Booten beim Segeln und Rudern zusehen kann. Ich lehnte mich mit dem Bauch an das Geländer der Holzbrücke und sah hinaus auf das Meer. Der Doc lehnte mit seinem Rücken daran und blickte in die entgegengesetzte Richtung, so dass ich
mich nicht zu sehr von ihm beobachtet fühle und ihm einfach meine Geschichte erzählen konnte. Er kannte bereits einen Teil meiner Lebensgeschichte, doch findet er immer wieder neue Fragen und Themen, die er aus mir herauskitzeln möchte. Sein Freund und Kollege Herr Dr. Matthes betrat soeben den Holzsteg und lief auf uns zu. Er sah ebenso gut aus wie Doc Fox, nur, dass er blond und braungebrannt war, nicht wie Fox, der blasse Haut und brünettes volles Haar hatte. Beide lächelten sich an und begrüßten sich. Sie sahen sich heute das erste Mal an diesem Tag. Matthes gesellte sich zu uns, ich entfernte mich
ein Stück von den beiden, damit sie kurz unter sich sein konnten. Meine Therapiestunde war sowieso vorüber. Ich schritt weiter auf der Brücke auf das Meer hinaus und beobachtete ein kleines Ruderboot, welches unter der Brücke hindurchgleiten wollte. In dem Boot saß ein Mann mit schwarzen kurzen Haaren, braungebrannter Haut, einem kleinen Oberlippenbart und einer hageren Gestalt. Dad! Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen und hangelte mich über das Geländer. Ich rieb mir meine Augen, weil ich meinen Vater schon so lange nicht mehr gesehen hatte. Er sah zu mir auf und winkte mir lächelnd zu. Ich hob
meinen Arm und winkte ihm zurück. Ich freute mich so sehr den liebsten Menschen meiner kleinen Welt wiederzusehen. Ich hangelte so weit es mir möglich war über das Holzgeländer und musste mich etwas festhalten, um nicht hinunter zu stürzen. Ich streckte meinen Arm nach der Hand meines Vaters aus, konnte sie jedoch nicht erreichen. „Was machst du denn hier?“ fragte ich ihn. „Dich besuchen, meine kleine Prinzessin.“ war seine Antwort, die mir sofort die Tränen in die Augen trieb. Es tat so gut, meinen Dad nach all der Zeit wieder zu sehen. Ich lächelte glücklich.
Das kleine Ruderboot glitt unter der Brücke hindurch, so dass ich schnell auf die andere Seite der Brücke eilte, um ihn wiederzusehen. „Warum hältst du nicht an?“ wollte ich von ihm wissen. „Ich kann nicht, die Zeit drängt. Ich muss weiter, da ich einen neuen Job gefunden habe.“ „Was ist das für ein Job?“ „Ich bin Mechaniker auf einer Bohrinsel.“ „Wie lange wirst du wegbleiben?“ „Einige Monate, mein Schatz.“ „Monate? So lange?“ Tränen liefen nun stärker meine Wangen hinunter, während sich das Boot mit
meinem Vater immer weiter von der Brücke, von mir entfernte. „Vati, warte! Geh nicht!“ rief ich ihm noch hinterher, doch er winkte mir zum Abschied und schipperte immer weiter von mir weg. Ich lehnte mich so weit über das Brückengeländer, so dass ich den Halt verlor und ins Wasser stürzte. Als ich wieder aufgetaucht war, schwamm ich meinem geliebten Vater hinterher und schwamm und schwamm. Irgendwann verlor ich ihn aus den Augen. Verzweifelt rief ich seinen Namen, doch ich erhielt keine Antwort. Auch konnte ich das Ufer und die Brücke nicht mehr sehen. Ich war zu weit
rausgeschwommen. Panisch drehte ich mich im Kreis und ließ meine Augen über den Horizont zucken. Wohin nur? Wohin? Ich hatte vollkommen die Orientierung verloren. Ich schwamm erst in die eine Richtung, dann in die andere. Doch es half nichts. Ich sah nirgends Land. Mir wurde allmählich kalt durch die Meerestemperatur, obwohl ich mich bewegte. Gänsehaut überzog meinen Körper. Ich schwamm hektischer, verschluckte mich öfter, hustete das salzige Meerwasser wieder aus und bekam zu meinem Unglück auch noch einen Krampf in mein linkes Bein. Es
schmerzte höllisch. Während ich mich mit einem Arm und einem Bein irgendwie versuchte über Wasser zu halten, massierte ich mit der anderen Hand mein krampfendes Bein so gut es ging, damit ich es wieder schmerzfrei bewegen konnte. Ich war verloren und so fühlte ich mich auch. Unendlich verloren. Dann heulte ich los. Ich hing Ewigkeiten so in diesem kalten Wasser, als ein Surfer auf mich zukam und mich rettete. Er brachte mich auf seinem Brett zum Strand zurück. Allerdings war es nicht dort, von wo aus ich gestartet war. Erschöpft legte ich mich auf den
sandigen Boden und atmete ganz langsam ein und aus. Wie lange mochte ich im Meer gewesen sein? Wo war Vati hin? Welche Bohrinsel meinte er? Wieder stiegen mir Tränen in die Augen an die Erinnerungen an ihn, wie er mich anlächelte und seine kleine Prinzessin nannte, ich auf seinem Schoß als kleines Kind wippen durfte und er nun ein weiteres Mal verschwunden ist. Er fehlte mir so sehr. Ich wischte mir meine Tränen aus den Augen, stand auf und suchte einen Weg zurück in die Klinik. Nachdem ich den Strand und seinen sandigen Boden verlassen hatte, begann
eine kleine Ortschaft vor mir zu wachsen. Doch die Klinik selbst entdeckte ich nicht. Ich irrte verzweifelt in meinen nassen Sachen durch die Straßen und Gassen eines unbekannten Ortes und fragte hin und wieder einige Passanten nach dem Weg zur Klinik und zum Strand mit der Brücke bis ich mich wieder verlaufen hatte. Die Klinik fand ich nicht, allerdings entdeckte ich die Brücke wieder, auf die Doc Fox mit mir hingegangen war. Erschöpft ließ ich mich davor nieder, schlang meine Arme um meinen halb durchgefrorenen Körper und zitterte im Stillen weiter, während ich meine Augen
schloss. Eine ganze Weile verging, ohne dass ich etwas wahr nahm bis ich plötzlich eine warme Hand auf meiner Schulter spürte und den Kopf anhob. Als ich meine Augen öffnete, stand er vor mir: Doktor Fox. In seinem Gesicht standen Erleichterung, Ärgernis und zugleich Besorgnis um mich, was einige Falten auf seiner jungen Stirn verursachte. Er zog sein Handy aus der Tasche, rief seinen Kollegen an und sagte: „Ich hab sie.“ „Ja, hier an der Brücke.“ „Okay, wir warten hier.“ „Sind Sie in Ordnung? Geht es Ihnen gut?“ erkundigte er sich bei mir bis er
bemerkte, wie ich vor Kälte zitterte. Er zog seine Jacke aus und legte sie mir um die Schultern. Die Wärme seiner Jacke und seiner darin haftenden Körperwärme tat so gut. Ich schob meine Arme in die Ärmel und verschloss die Jacke. Sie passte perfekt für eine Herrenjacke. Doc Fox setzte sich neben mich und fragte: „Geht es wieder?“ Ich nickte, da meine Zähne noch immer etwas aufeinanderschlugen und mir ein Antworten noch nicht möglich war. Doc Fox zog mich ein wenig näher an sich heran, legte den Arm um mich und wärmte mich bis es mir etwas besser ging und ich zu erzählen begann. Von meinem Dad mit dem Boot dort hinten an
der Brücke, meinem Sturz, meiner Rettung, meinem Herumirren. Einfach alles. Doktor Matthes tauchte einige Minuten später auf und war weniger freundlich wie Doktor Fox, doch mein Therapeut gab ihm mit einem kurzen Zeichen zu verstehen, dass er sich beruhigen sollte. „Was machen wir jetzt mit ihr?“ „Bring uns zu mir nach Hause. Sie bleibt heute Nacht bei mir.“ „Das kannst du nicht tun.“ „Doch. Das kann ich und das werde ich. Sie hat in der Klinik sowieso nichts verloren. Sie gehört dort einfach nicht hin.“ Sie redeten über mich, als wäre ich gar
nicht anwesend gewesen. Dabei saß ich weiterhin genau neben Doc Fox und wärmte mich in seiner Jacke auf. „Bitte bring uns zu mir. Dann erklär ich dir alles.“ Wir fuhren mit einem Audi zu einem Neubauhaus mit großen Balkonen und einer gläsernen edel gestalteten Eingangstür. Mit einem Fahrstuhl fuhren wir drei in die 2. Etage hinauf, liefen einen kurzen Gang bis zur Wohnungstür des Doktors und blieben stehen. „Die Schlüssel. Wo habe ich die denn nur?“ Tastend suchte mein Therapeut seine Hosentaschen ab, bis ihm wieder einfiel, dass er seinen Schlüsselbund in seine
Jackentasche gesteckt hatte. Jene Jacke, die ich noch immer trug. Er sah mich an, ich begegnete seinem Blick aus diesen tiefen blauen Augen. Er lächelte. „Darf ich mal kurz?“ Er zeigte gleichzeitig auf die linke Jackentasche und zauberte nach meinem Kopfnicken einen Schlüsselbund mit jeder Menge Schlüssel hervor, wovon er einen davon in das Türschloss steckte und aufschloss. Nachdem wir eingetreten waren, staunte ich nicht schlecht. Denn diese Wohnung war groß und sehr hell eingerichtet. Große Glasfenster mit hellen Vorhängen, weiße Möbel, weiße und zarte lindgrüne
Wände, Schwarzweiß-Fotografien, die ihn als Kind zeigten. Ich musste schmunzeln und fühlte mich auf der Stelle wohl an diesem Ort. Doktor Fox geleitete mich in sein Bad, einen ebenfalls hell eingerichteten Ort seiner Wohnung, und brachte mir anschließend etwas warmes Trockenes zum Umziehen. Danach schloss er die Badtür wieder und ging zu seinem Kollegen zurück. Während ich mich meiner nassen Kleidung entledigte, hörte ich gedämpfte Stimmen vor der Tür und lauschte angespannt. Die beiden Ärzte unterhielten sich über… MICH. Doktor Matthes bestand
darauf, mich wieder zurück in die Klinik zu bringen, während Doktor Fox mich nicht wieder zurück an diesen Ort bringen wollte, wo ich seiner Meinung nach eindeutig nicht hingehörte.
Doch wohin gehörte ich?
Ich konnte Doktor Matthes hören, wie wenig begeistert er von der Idee von Doktor Fox war, mich hier zu behalten. "Du kannst sie doch nicht hier behalten! Und schon gar nicht über Nacht! Du verlierst deinen Job und wenn es hart auf hart kommt vielleicht sogar deine Zulassung als Arzt!" "Siehst du es denn nicht?" "Was soll ich sehen? Das Einzige was ich sehe, ist, dass du mit dieser Aktion in den Verderben rennst, mein Freund!" "Kannst du denn nicht sehen, dass Amanda nicht in die Klinik gehört? Sie ist nicht verrückt oder geistig krank. Sie
ist einfach nur einsam!" "Wieso nennst du sie beim Vornamen? Sie ist deine Patientin! Sei vorsichtig! Du solltest sie wieder zurück nach Hause schicken. Dorthin, wo sie hingehört." "Sie ist mehr als nur eine Patientin" entgegnete Doc Fox mit einer Leidenschaft in seiner Stimme, die so viel Wärme ausstrahlte, dass mir warm ums Herz wurde. "In ihrem sogenannten "zu Hause" ist niemand, der sie versteht und Amanda sieht. Kannst du es denn nicht sehen?" "Jetzt hör auf mit diesem Mist des "Sehens". Ich sehe nichts, außer, dass du einen riesigen Fehler wegen dieser Frau
begehst!" Heimlich öffnete ich so leise wie möglich die Tür einen kleinen Spalt, so dass ich dem Gespräch noch besser folgen konnte und sah die beiden Ärzte weiter weg stehen, wie sie heftig miteinander gestikulierten und diskutierten. Doc Fox schüttelte gerade seinen Kopf, so als habe er verstanden, dass sein guter Freund und Kollege Doktor Matthes ihn nicht versteht und womöglich in diesem speziellen Fall auch nicht unterstützen würde. "Ich danke dir, dass du mir geholfen hast, Amanda zu suchen und hierher zu bringen. Wenn ich gefragt werde, war es ganz allein meine Idee. Du wusstest von
nichts, so dass du keine Schwierigkeiten bekommen solltest." "Du ziehst das wirklich durch, nicht wahr?" Doc Fox brauchte keine Antwort geben, denn sie stand ihm ins Gesicht geschrieben. Selbst ich konnte es von meinem Badezimmer-Türspalt erkennen. Doktor Matthes hob die Schultern an und ließ sie wieder sinken. "Ich habe es versucht." sagte dieser kopfschüttelnd, sah seinen Kollegen an, drückte ihm die Hand, wandte sich zum Gehen und wünschte noch ein leises "Viel Glück!" ehe er die Wohnung verließ und die Wohnungstür hinter sich ins Schloss
zog. Ich schloss eilig die Badezimmertür leise und tat so, als habe ich von all dem nichts mitbekommen. Nachdem ich mich in einem großen kuschligen Badehandtuch trocken gerubbelt hatte, schlüpfte ich in die trockene Kleidung, die mir mein Therapeut gegeben hatte. Das weiße T-Shirt war mir viel zu groß und schlabberte ein wenig herum. Ich nahm den unteren T-Shirtsaum, raffte ihn auf der linken Seite zusammen und machte einen Knoten hinein. So saß das T-Shirt gleich besser. Die graumelierte Jogginghose war mir ebenfalls ein wenig zu groß, aber dank ihres schnürsenkelähnlichen Bundfadens
konnte ich sie dazu überreden, nicht über meine Hüften hinabzugleiten und mich zu entblößen. Ich betrachtete mich im Spiegel und sah eine junge Frau, die noch immer ein wenig feuchte dunkle Haare hatte, die ein bleiches Gesicht mit tiefen katzengrünen Augen umrahmten. Ich kniff mir leicht links und rechts in die Wangen, um so wenigstens etwas Farbe in mein Gesicht zu zaubern, doch es half nichts. Ich sah weiterhin unglaublich blass aus. Ich schnappte mir ein kleineres Handtuch und rubbelte meine feuchten Haare trocken und beobachtete dabei mein Spiegelbild. Aus irgendeiner Eingebung heraus schnitt ich dabei immer wieder Grimassen und
musste schmunzeln. So etwas hatte ich zuvor noch nie getan, aber es war lustig. Vielleicht lag es daran, dass ich mich bei Doktor Fox wohl fühlte? Ich fuhr mit gespreizten Fingern durch meine langen dunklen Haare wie mit einem Kamm und versuchte sie so ein wenig zu zähmen, weil ich im Bad keinen Kamm oder keine Bürste fand. Typisch Mann. Meine Haare ließ ich offen und verließ das Bad. Doktor Fox fand ich in der Küche auf einem der Hocker vor seiner Küchenzeile, tief versunken in seine Gedanken. Als er mich kommen hörte, sah er auf und sein Gesicht erhellte sich augenblicklich. Es schien, als freute er sich, mich hier in
seiner Kleidung zu sehen. Mein Herz machte einen winzigen Hüpfer in meiner Brust. "Ich... Ich habe keinen Kamm in ihrem Bad gefunden, um die hier zu bändigen." Ich hob dabei eine Haarsträhne hoch und sah ein flüchtiges Grinsen über sein Gesicht huschen. Vermutlich irgendeine Erinnerung an frühere Zeiten. "Ich hatte mal einen Kamm, aber den hat mein Leihhund Boxer vor einigen Tagen verschleppt, so dass ich ihn bisher nicht wiedergefunden habe. Und bei meinen kurzen Haaren brauche ich eigentlich keinen Kamm..." Dabei wuschelte er sich kurz durch sein wunderschönes kastanienbraunes kurzes
Haar und sah hinterher noch süßer aus als zuvor - besonders mit diesem herrlich breiten Lächeln im Gesicht. "Sie haben einen Leihhund?" "Ja. Na eigentlich ist es der Hund meiner Nachbarn. Sie sind etwas älter und können nicht mehr so oft Gassi gehen, wie Boxer es gern hätte. Deshalb nehme ich ihn manchmal auf, um selbst mal hier raus zu kommen. Der Park ist schließlich ganz in der Nähe." "Sie retten also gern jemanden, wie?" Ich setzte mich zu ihm an den Tresen und genoss seine Nähe. "Wollen sie etwas essen oder trinken?" Just in diesem Moment knurrte mein Magen laut los ohne, dass ich überhaupt
eine Antwort geben brauchte. Doc Fox sprang auf und eilte um den kleinen Küchentresen herum, wühlte in seinem Küchenschrank bis er eine Pfanne gefunden hatte, die er auf den Herd stellte ehe er zum Kühlschrank hinüber ging und nach einer Packung Eier, Schinken und Margarine griff. "Mögen sie Rühreier? In der Akte konnte ich so etwas Einfaches leider nicht entdecken." Ich lachte und nickte. Doc Fox war mit meiner Antwort wohl zufrieden, denn im nächsten Augenblick machte er sich daran, den Schinken in kleine Würfel zu schneiden, die Eier in die Pfanne zu hauen, den Schinken und
eine Prise Salz und Pfeffer zuzufügen, alles unterzuheben und dem Stocken der Eier zuzusehen. Bei jedem seiner Handgriffe sah er so zufrieden, selbstsicher und elegant aus. Unwillkürlich suchte ich seine Hände nach einem Ehering ab und war erleichtert als ich weder einen Ehering noch einen Abdruck eines Ringes daran entdeckte. Wieso ich erleichtert war, konnte ich mir selbst nicht genau erklären. Aber ich war es.
Doktor Fox saß mir während des Essens gegenüber und ließ es sich schmecken. Ich stocherte anfangs nur mit meiner Gabel in den Eiern herum. „Schmeckt es Ihnen nicht?“ „Ähm… doch. Ja.“ gab ich kleinlaut von mir, denn das Essen war sehr lecker, dennoch hing ich meinen eigenen Gedanken nach. Ich dachte an meinen Vater, an sein Lächeln, seine von der Sonne gebräunte Haut, seine dunklen Haare, an seine lieben Worte… Ich vermisste ihn sehr. Außerdem wusste ich nicht, wie es mit mir weitergehen sollte. Beinahe so als ob Doktor Fox meine
Gedanken gelesen hätte, räusperte sich und sagte: „Sie übernachten heute hier bei mir. Sie müssen nicht mehr in die Klinik zurück. Morgen früh fahre ich in die Klinik zurück, schreibe ihren Entlassungsbericht und hole all ihre Sachen ab. Sind Sie damit einverstanden?“ Ich wusste gar nicht, wie ich auf dieses Angebot reagieren sollte. Ich war erstaunt und überrascht zugleich. "Ich danke Ihnen. Müssen Sie morgen arbeiten?“ „Eigentlich nicht, aber für Sie mache ich gern eine Ausnahme.“ Als er dies sagte, leuchteten seine Augen
und kleine winzige Grübchen bildeten sich. Ich spürte, wie ich errötete, konnte meinen Blick aber nicht von ihm abwenden. „Warum tun Sie das alles für mich?“ „Weil Sie dort nicht hingehören. Ich sehe es in Ihren Augen.“ Ich wusste, dass ich nicht wirklich in diese Klinik gehörte. Aber wohin gehörte ich wirklich? „Nun essen Sie erst einmal auf. Dann beziehen wir das Bett im Schlafzimmer neu, in dem Sie schlafen und ich richte mich auf der Couch im Wohnzimmer ein.“ Ich wollte protestieren, er unterbrach mich jedoch mitten im Satz und meinte,
ich sei sein Gast und deshalb würde ich das Bett heute Nacht bekommen. Ich aß letztendlich doch den gesamten Teller ab, denn ich hatte wieder ein klein wenig Hoffnung geschöpft. Außerdem hatte ich Hunger und das Rührei mit Schinkenwürfeln schmeckte wirklich köstlich. Später zeigte mir der Doktor das Schlafzimmer, welches er mir über Nacht überlassen wollte. Es war gemütlich eingerichtet. Ein großes Bett mit weißem Metallgestell befand sich an der Stirnseite des Raums. Rechts davon verströmte sanftes Abendlicht durch ein hohes schmales Fenster eine gemütliche Atmosphäre. Die Wände waren in ein
zartes Hellgrün und weiß getaucht, welches zu dem hellen Kleiderschrank und der Kommode an zwei der anderen Wände passte. Ich fühlte mich in diesem Raum sofort wohl. Der Doc zauberte aus einer Schublade frische Bettwäsche in lindgrün hervor und legte sie auf einen nahestehenden Stuhl. Anschließend widmeten wir uns dem Abziehen der alten Bettwäsche, wobei er die Bettdecke übernahm und ich mich an dem großen und der zwei kleinen Kissen annehmen durfte. Doc Fox sah irgendwie lustig aus, wie er versuchte, den Bettbezug von der Bettdecke zu entfernen, so dass ich schmunzeln musste, was er bemerkte.
Gleich darauf hatte ich ein kleines Kissen im Gesicht und die Bettdecke samt Bezug lagen auf dem Boden. Ich griff mir sofort das andere kleine Kissen und warf es in seine Richtung, verfehlte ihn, doch er fing das Kissen auf. Ehe er jedoch auf mich zielen konnte, griff ich mir das große Kissen und schleuderte es in seine Richtung. Er fing es ebenfalls auf. Ich starrte ihn an und war völlig unbewaffnet. Ich hatte nun zwei Möglichkeiten. Entweder Ergeben oder Angriff. Doch ehe ich mich entscheiden konnte, flog bereits das kleine Kissen auf mich zu und ich duckte mich. Das große Kissen traf mich jedoch am Hinterkopf und drückte mich aufs Bett.
Ich musste lachen. Richtig lachen. Der Doktor ließ sich neben mich aufs Bett fallen und lachte herzhaft mit. „So etwas habe ich ja schon ewig nicht mehr gemacht!“ „Ich auch nicht, Herr Doktor.“ Wir grinsten und beide an, dann reichte er mir seine Hand und sagte: „Nennen Sie mich Jaden.“ „Okay, Jaden. Ich bin Amanda. „Hallo Amanda.“ Während ich es mir im Schlafzimmer gemütlich machte, richtete sich Jaden in seinem Wohnzimmer auf der Couch ein. Ich kuschelte mich in die Bettdecke ein, schloss die Augen und versuchte einzuschlafen. Meine Gedanken kreisten
immer wieder um ein und das selbe Thema, welches mich bereits seit Monaten beschäftigte. Wer bin ich? Ich wollte meinen Vater fragen. Ich wollte von ihm wissen, wo ich herkam, wer ich war und wer ich bin. Ich wollte wissen, ob ich ihm charakterlich ähnelte oder doch ganz anders war als er. Ich wollte mich von ihm verstanden fühlen, von ihm in die Arme genommen und geliebt werden. Ich wusste jedoch, dass ich meinen Vater nicht mehr fragen konnte, weil er vor einigen Jahren gestorben war. Dennoch konnte ich ihn einfach nicht vergessen, ihn nicht gehen lassen. Ich wollte mit ihm
reden.
Ich wollte mich von ihm verstanden fühlen, mit ihm lachen, mit ihm reden, bis mitten in der Nacht in der Küche sitzen und mit ihm Karten spielen so wie früher, mich über Fotografie mit ihm austauschen…
Ich vermisste meinen Vater wie am ersten Tag seines Verlustes.
Ich weinte mich auch in dieser Nacht wieder in den Schlaf.