Frühling 1901, Kyoto
Die Tür der Kutsche wurde aufgerissen und grelles Sonnenlicht durchschnitt die Dunkelheit. Ich kniff die Augen zusammen, um in der ungewohnten Helligkeit besser sehen zu können. Doch mehr als Schatten und Konturen wollten mir meine Augen nicht zeigen. Starke Hände packten mich und zerrten mich aus der Kutsche. Ich legte die Ohren an, fauchte und knurrte die Männer an und weil mir die Hände gefesselt waren, versuchte ich sie zu beißen. Die Reaktion auf meine Wehr war ein kräftiger Faustschlag mitten ins Gesicht. Meine Augen wurden schwer. Mein
Schädel pochte, doch ich durfte jetzt nicht bewusstlos werden. Ich musste wissen, was sie mit mir vor hatten, was der Grund der Festnahme war und wohin sie mich brachten.
Ich wurde wieder auf eine Schulter gehieft, wie ein Sack Reis, dann trugen sie mich über einen Sandweg, einige Stufen hinauf und in das schattige Innere eines großen Gebäudes. Viel konnte ich nicht erkennen, denn der Faustschlag verbot mir den Kopf zu drehen. Jede Bewegung schmerze und mein Kopf pochte so sehr, dass ich glaubte, er würde jeden Moment platzen. Deshalb beobachtete ich die Füßes des Mannes, der mich trug und den
Untergrund, der unter diesen Füßen vorbei zog.
Drinnen folgte Korridor auf Korridor. Immer dasselbe Muster aus schwarzen und weißen Kacheln auf dem Boden. Alles hallte und wirkte irreal. Oder lag auch das nur an dem Schlag? Ich wurde in einen Raum gebracht und auf einen Stuhl gesetzt. Sie entfesselte mich, doch meine neu gewonnene Freiheit hielt nicht sehr lange an. Die starken Hände drückten meine Handgelenke auf das kalte Metall der Stuhllehnen. Dort wurde ich mit Lederriemen festgehalten. Auch meine Fußgelenke und mein Torso wurden festgeschnurrt. Ich fühlte, wie das Leder mir in die Haut schnitt. Ich
wollte aufschreien, protestieren, fauchen und knurren, doch sie stopften mir einen Knebel in den Mund. Das Tuch war trocken und raubte mir die Luft zum Atmen. Was sollte ich tun? Ich spürte, wie die Panik mich eroberte. Ich erkannte wie schutzlos ich war. Ich wusste, dass niemand mich retten würde.
Sommer 2015, Kyoto
Yuki sah sich um. Ringsum Dunkelheit, doch als er wieder nach vorn sah, konnte er ganz schwach und weit hinten ein kleines Licht erkennen. Der Jugendliche lief ohne darüber nachzudenken los und immer weiter auf das Licht zu. Endlich war er angekommen, doch was er da sah verwirrte ihn. Es schien ein See aus Licht zu sein, doch als Yuki hinein sah, schrak er zurück. In dem irrealen Wasser schwamm wieder eine Art Erinnerung, doch das konnte nicht sein. Dort in dem Wasser lag er, Yuki, in einem Krankenbett, welches einen Gang entlang geschoben wurde. Er zucke und
offenbar hatte er seinen Körper nicht unter Kontrolle. Jemand rief, dass der OP bereit sei und kurz darauf erreichten sie den kargen Raum. Ein Team von Ärzten versammelte sich um ihn und einer verabreichte dem 17 – jährigen ein Serum durch eine Spritze. Kurz darauf hörte der Körper auf zu zucken und wurde ruhig. Die Ärzte begannen eine OP an Yuki´s Kopf. Der 17 – Jährige konnte jedoch nicht erkennen, was es war. Er stand auf und drehte sich um und lief beinahe gegen Akuma. Er erschrak sich so sehr, dass er Rückwerts taumelte und beinahe in den See aus Erinnerungen viel. „Was ist das?“, fragte er und zeigte dabei auf das
Wasser. Yuki sah Akuma an und stellte erstaunt fest, dass dieser die Ohren und den Schanz einer Katze besaß. In Akuma´s Blick lag Dunkelheit und Leere. Yuki fiel auf, dass sein Gegenüber nicht atmete, war er also ein Untoter? Der 17 – Jährige schüttelte den Gedanken fort, es gab keine Untoten. „ Yami no Kage, me o akete, doa o akematsu. Soshite, no kare o mite mimashou, Betsu no “, sprach der Dämon. Yuki verstand nicht, was die Worte bedeuteten, doch mit einem Schlag wurde er in den See der Erinnerungen gestoßen. Er schlug um sich, versuchte zu schwimmen, doch schon bald musste er feststellen, dass es
unmöglich war. Während er immer tiefer in das Wasser gezogen war sah er, wie Akuma am Rand des Sees stand und zusah, wie er ertrank.
Mizusu saß auf einem Plastikstuhl vor der Tür zum OP. Neben ihr saß Yuki´s Großvater. Sie war erst später gekommen, doch der alte Mann hatte ihr erzählt, dass ihr Freund in einer Art Schockzustand lag und sie etwas nahe seines Gehirns entdeckt hatten, was eine Psychose ausgelöst hatte. Das war auch der Grund gewesen, weshalb sie Yuki in ein künstliches Koma versetzt hatten.
Die 16 – Jährige saß nun eine Stunde auf dem unbequemen Stuhl, als von der
Notaufnahme Hektik und Unruhe wie Wellen über den Flur schwabten. Die Jugendliche stand auf, um nach zu sehen, was da los war. Sie trat in den offenen Empfangsraum und sah, wie vier Jungs zwei Schwerverletzte hereinbrachten. Sie rannte zu ihnen hinüber und bot ihre Hilfe an, welche dankend angenommen wurde. Nachdem einige Krankenschwestern die Verwundeten auf zwei Liegen gebracht und sie zum nächsten freien OP geschoben hatten, sog Mizusu stark die Luft ein und stützte sich auf ihren Knien ab. Es war anstrengend gewesen, die Jungen zu tragen. „Danke für deine Hilfe“, riss eine ihr bekannte Stimme
Mizusu aus ihren Gedanken. Sie sah dem Jungen neben sich ins Gesicht und stellte erstaunt fest, dass es Chaos gewesen war. Er schien ebenso verdutzt zu sein, doch dann lachte er: „Ich hätte nicht erwartet dich wiederzusehen.“ Sie setzten sich gemeinsam zu den anderen Wartenden. „Hast du jetzt eigentlich den Typ gefunden, den du damals gesucht hattest?“, fragte der Punk und lehnte sich zurück. „Ja“, erwiderte Mizusu und zeigte auf die OP Tür vor der Isuya saß. Chaos wirkte überrascht: „Oh, dass tut mir leid. Was ist passiert, wenn ich fragen darf.“ Die 16 – Jährige erklärte ihm was passiert war und dass Yuki an einer Psychose leidete. Chaos zog die
Augenbrauen hoch. „Oh Mann, damit ist echt nicht zu Spaßen. Aber stimmt es, dass da oben seine Verwandten wohnen?“, fragte der Punk skeptisch. Mizusu nickte: „Ja, warum?“ „Naja, die einzigen beiden Gebäude die es da gibt sind Akuma´s verfluchtes Haus und der Schrein, den sie gebaut haben, damit Akuma sich beruhigt“, erklärte Chaos. Mizusu zuckte bei dem Namen des Dämonen zusammen. „Alles gut?“, fragte der Punk. Mizusu nickte, auch wenn es nicht stimmte. In der Zeit wo Yuki verschwunden war, hatte sie sich über Akuma informiert und sie wusste, was er damals angerichtet hatte. „Was weißt du alles über ihn?“, fragte die 16 –
Jährige, um die Konversation am Laufen zu halten. „Über Akuma?“ Fragte Chaos, als würde er sich vergewissern, dass sie von derselben Person sprachen. Mizusu nickte. „Nun eigentlich nur das, was alle wissen. Er ist ein Dämon, der damals ziemlich viele Menschen ermordet hat. Ich hab aber auch gehört, dass er unsterblich ist und irgendwo in Japan in ´ner Klapse sitzt“, erzählte Chaos, als wäre es nichts Besonderes. „Er lebt also noch?“, fragte Mizusu und hatte Mühe zu atmen.