Kurzgeschichte
Bücherflohmarkt

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"Bücherflohmarkt"
Veröffentlicht am 21. Dezember 2015, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Die Ahnung, das Gefühl, der Reiz eines Augenblicks sickert in mein Herz und bildet aus tränenreichen Worten einen See, der, wenn er überläuft, in Kaskaden, Verse schmiedet, die zum Verstand fließen wie ein weiser Strom und sich ins Meer ergießen. Die Hand ist sein Delta, Schreibt auf, was der Fluss von seiner Reise erzählt. (Roland Pöllnitz)
Bücherflohmarkt

Bücherflohmarkt

Bücherflohmarkt

»Ein Raum ohne Bücher ist ein Körper ohne Seele«, bemerkte Cicero schon vor über zweitausend Jahren. In eine Buchhandlung oder in eine Bibliothek einzutreten, erweckt in mir das Gefühl, mich mit einer Fülle von Seelen zu umgeben. Aus Regalen starren sie mich zu Tausenden an, wispern, raunen, flehen mich an. Argwöhnisch verfolgen sie meinen Lauf durch die Reihen. Wohin geht er? Wen wählt er? Schreien. Hier, hier bin ich! Nimm doch mich! Ehrfurchtsvoll nehme ich das bedruckte Papier in die Hand, lese einige Zeilen. Schauer laufen über meinen Rücken. Mein Riecher schnüffelt den narkotisierenden Geruch von Druckerschwärze. Buchstaben tanzen ausgelassen Kasatschok, üben eine magische Wirkung auf mich aus, versetzen mich in den Zustand einer entrückten Welt, lassen mich eintauchen in ferne Epochen und Landschaften.

Alles um mich herum entschwindet, verflüchtigt sich in einer verschleiernden Nebelbank. Kapitän Ahab hält Ausschau nach Moby Dick. Dschingis Khan reitet mit seinen wilden Horden gen Osten. Hedin durchquert Tibet, Amundsen die eisigen Wüsten, Hemingway die grünen Hügel Afrikas. Und ich bin dabei! Erfahre, was sie erfahren haben, sehe, was sie gesehen haben, fühle, was sie gefühlt haben. Für einen Augenblick durchquere ich auf meiner Reise die Ozeane menschlicher Leidenschaften. Ist das nicht großartig? Und wenn man mich fragt, warum ich reise, antworte ich: Ich weiß wohl, wovor ich fliehe, aber nicht, wonach ich suche. Lesen war schon immer ein Abenteuer für mich. In meiner Kindheit sogar ein Doppeltes. Mit der Taschenlampe heimlich unter der Bettdecke und mit der Angst erwischt zu werden durchs wilde Kurdistan. Doch ich bin niemals allein, denn all die Helden begleiten mich auf meinen

Abenteuern. Als ich noch klein war, hatte ich ein Bücherbrett für meine Abenteuergeschichten von Jules Verne und Jack London, und dieses Brett wuchs mit mir, wurde zum Regal, dann holte es mich ein und wuchs über mich hinaus. So sparsam ich auch war, so wenig Geld ich auch zur Verfügung hatte, ein gutes Buch zu kaufen, bereute ich nie. Heute freue ich mich manchmal, ein Buch einfach zu besitzen, auch wenn ich keine Zeit habe, es zu lesen. Bücher breiten sich in meiner Wohnung aus wie wuchernder Efeu. Meine Frau versucht gegen meine Sucht anzukämpfen, aber sie unterliegt meist. Selbst in schlechtesten Zeiten, erwarb ich eher ein Buch als ein Brot. Die Bücher stapeln sich in Regalen, breiten sich aus auf Tischen und Betten, häufen sich auf dem Fußboden. Ich brauche nur einmal aus dem Haus zu gehen, da haben die Bücher schon wieder eine Position

erobert. Einmal wird meine Frau nach Hause kommen, denn werden die Bücher auch die Speisekammer okkupiert haben oder langsam in den Küchenschrank hineinkriechen. Ich stelle mir gern vor, wie ich allmählich von meinen Büchern begraben werde. In tausend Jahren wird man mich vielleicht platt gedrückt, aber wohl mumifiziert unter einem Berg von Büchern finden, die darauf warteten, von mir gelesen zu werden. An diesem Samstag erweckte die strahlende Sonne eine heitere Stimmung in mir. Kaum hatte meine Frau das Haus verlassen, brach ich auf zu einem Bücherflohmarkt. Gelangweilt saßen müde Trödler in der Sonne, vor ihnen kistenweise Bücher aller Art: zerfledderte Taschenbücher, zerschlissene Kitschromane, abgegriffene Kinderbücher, verstaubte Lexika und antiquarische Kostbarkeiten. Gierig griffen meine Hände in die Kisten hinein, mit

mikroskopischen Blicken suchten meine Augen nach bekannten Dichtern, Titeln und Themen auf den Buchrücken. Vorsichtig und aufmerksam durchstöberte ich wie ein Schatzsucher die Stapel. Da! Heinrich Heines »Pariser Tagebuch«. Lüsternheit packte mich. Fieberhaft durchkämmte ich die Reihen. Oh – Hedins »Eroberungszüge in Tibet«. Vorsichtiges Umschauen, schnelles Zugreifen. Ungeduldig, voller Spannung tauchte ich ein in einen neuen Stapel. Staubig modriger Kellergeruch schlug mir entgegen. Dunkle, graue Antiquitäten mit Goldschnitt. Pah – Lawrence von Arabien »Die sieben Säulen der Weisheit«. Hastiges Zuschnappen. Ein Besitz, der mich glücklich macht. Wild süchtiges Weitersuchen. Ein indisches Märchen, hundert Jahre alt! Der Stapel wuchs. Die Tagebücher der Anaïs Nin, ein eindrucksvolles Bekenntnis, das seinen Platz neben den Enthüllungen des heiligen Augustinus, Petronius, Rousseaus und

Proust finden würde. Und dann der Höhepunkt: Jack Kerouacs »Engel, Kif und neue Länder«. Dieser Herold einer Jugend, der sich inmitten der schlechtesten aller Welten zum glückseligen Leben bekannte, nahm mich schon früher mit auf seiner Suche nach einem intensiven, rauscherfüllten Dasein, damals quer durch Amerika von Ost nach West und Nord nach Süd, oder aber auf seinen einsamen Zen-Berg. Und jedes Mal war ich begeistert, wollte so leben wie er, rasend wie Bebop-Jazz, tiefsinnig philosophisch, intensiv fühlend, ruhig buddhistisch. Ein solch aufregendes Leben schwebte mir vor: MUSIK-RAUSCH-LYRIK-GEDANKEN-ORGASMUS-BUDDHA-GOTT.


(c) Rajymbek 2009 aus "Das Geschenk des Schamamen"

http://www.amazon.de/Das-Geschenk-Schamanen-Rajymbek/dp/1447674898

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Über den Autor

Rajymbek
Die Ahnung, das Gefühl, der Reiz eines Augenblicks sickert in mein Herz und bildet aus tränenreichen Worten einen See, der, wenn er überläuft, in Kaskaden, Verse schmiedet, die zum Verstand fließen wie ein weiser Strom und sich ins Meer ergießen. Die Hand ist sein Delta, Schreibt auf, was der Fluss von seiner Reise erzählt. (Roland Pöllnitz)

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Herbsttag Da steckst Du ja in einem richtigen Bücher-Dilemma. Ich verfahre mit meinen Büchern so: Ich behalte nie mehr als zwei pro Autor, meistens sogar nur eins, damit mir der Platz einigermaßen reicht. Obwohl mir die Trennung von einem Buch schwer fällt, habe ich mit meinen Büchern - da sie alle wie neu aussehen - schon vielen Menschen, die gerne lesen, sich aber neue Bücher nicht leisten können, eine Freude machen können. Trotz allem empfehle ich dir von Walter Moers: "Die Stadt der träumenden Bücher", witzig und fantasievoll. Liebe Grüße Ira
Vor langer Zeit - Antworten
Rajymbek 
So kann man es auch halten - ich bin da bei Büchern einfach raffsüchtig. Tut mir leid, ich verborge nicht einmal Bücher, aus Angst, sie nicht zurück zu bekommen.

Guten Rutsch in neue Jahr wünscht
Roland
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Ach ja, wie gut ich das verstehen kann! Vor knapp drei Jahren haben wir beim Renovieren neue Bücherregale gekauft ... und jetzt stapeln die Bücher sich schon wieder, sogar auf der Treppe!

VlG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Rajymbek 
Die Treppe habe ich im Momentz noch ausgelassen, Fleur, meine Bibliothek bietet viel Platz. Nur die Regale dort bald alle gefüllt und für neue gibt es keinen Platz mehr. da muss ich mir was einfallen lassen.

Frohe Weihnachtsfeiertage wünscht
Roland
Vor langer Zeit - Antworten
Phantasus ja, Roland, die Bücher haben dich beschenkt und du hast die Geschenke weitergegeben, so zum Beispiel mit diesem ansteckenden Erlebnisbericht.
LG
Ekki
Vor langer Zeit - Antworten
Rajymbek 
Vielen lieben Dank, Ekki, für deinen Kommentar und den Favo. Ich fühle mich schon beschenkt.

Frohe Weihnachtsfeiertage wünscht
Roland
Vor langer Zeit - Antworten
KarinB Oh ja......genau so geht es mir auch........wenn ich ein Buchladen......ein Flohmarkt oder ein Buchantiquariat betrete dann muss ich allein sein .......denn die Person die mit käme hätte sowieso nichts mehr von mir.......Denn dann tauche ich ein in eine Welt die ganz mir gehört........ähnlich geht es mir bei der Musik.......das sind Momente welche mich stets beglücken und Kraft geben. LG Karin
Vor langer Zeit - Antworten
Rajymbek 
Und ich habe noch etwas vergessen, Karin. Die Geräusche beim Blättern, der Geruch von Jahrhunderten, wenn du ein altes Buch aufschlägst, das Gefühl in den Fingern beim Berühren der Buchstaben... Vielen Dank für dein Mitgefühl.

Frohe Weihnachtsfeiertage wünscht
Roland
Vor langer Zeit - Antworten
Ameise Ich erkenne mich in deinen Worten. LG Ameise
Vor langer Zeit - Antworten
Rajymbek 
Dann haben wir wohl etwas gemeinsam, Anja? Lach Danke für deinen Kommi.

Frohe Weihnachtsfeiertage wünscht
Roland
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