Kapitel 76 Erwachen
Er blinzelte und erblickte grob behauene Steine und tiefe Furchen zwischen ihnen, Klippen gleich. Und doch schien irgendetwas damit nicht zu stimmen. Entweder, flog er hoch darüber oder… Galren blinzelte erneut. Nur langsam, wurde ihm der er auf Hände und Knie gesunken war und das was er dort sah, damit das Pflaster des Hafens sein musste…
Galren atmete schwer, als er sich ein Stück weit aufsetzte. Seine Finger waren bei seinem Sturz aufgerissen und mit dutzenden kleiner, brennender Wunden
übersäht. Langsam hob er sie sich vors Gesicht, hieß den Schmerz willkommen, den jede Bewegung dabei mit sich brachte. Blut lief ihm aus der Nase, obwohl ihm keine Erklärung dafür einfallen wollte. Er wischte es weg. Vielleicht war er auch nur gestürzt… Tief sog er die kühle Nachtluft ein, die in diesem Augenblick den Geschmack von Honig zu haben schien.
Langsam verstummendes Flüstern hallte durch seinen Geist, wie Nebel, der sich über einem Fluss sammelte während der Tag das Land wieder für sich beanspruchte. Galren konnte beinahe körperlich spüren, wie es verschwand, ein vergifteter Splitter, dessen
Wiederhaken sich endgültig lösten, bevor er zu Nichts schwand.
Er konnte nicht anders, als festzustellen, dass er sich… freier fühlte. Leichter. Wie seit… seit jenem ersten Tag im Tempel nicht mehr… Das Echo in seinem Geist verhallte. Und doch, wenn es nur ein Schatten gewesen war, der ihn da heimgesucht hatte… was mochte seine Quelle dann erst anrichten?
Und was hatte er getan? Galren schwankte selbst noch im Sitzen, während die Erkenntnis über ihn hereinbrach. Mochte sein, das ihn etwas… Dinge zugeflüstert hatte. Aber es entschuldigte nichts. Ihm war es gelungen dagegen anzugehen, oder nicht?
Er war nicht manipuliert worden, er hatte zugelassen, das es ihn langsam veränderte… zu fixiert auf seine Suche, das er es gar nicht bemerkte.
Die Lügen, die er sich selber erzählt hatte brachen unter ihm weg wie eine morsche Brücke und überließen ihn den strömenden, kalten Fluten der Wahrheit…
,,Galren ? Was ist los?“
Elin schien von seinem inneren Kamp nicht viel mitbekommen zu haben, bis zu dem Punkt an dem er schlicht in sich zusammengebrochen war. Doch die Sorge in ihrem Blick trieb ihm erneut einen Dolch zwischen die Rippen. Trotz allem… sie hatte ihn noch nicht
aufgegeben gehabt, wo selbst Lias scheinbar die Hoffnung verloren hatte.
Auch wenn er normalerweise zu ihr hinab sehen musste und sie ihn selbst auf Knien grade um einen halben Kopf überragen mochte, in diesem Augenblick kam er sich klein vor.
,,Götter, was habe ich getan… Ich habe euch alle enttäuscht ich… ich habe mich selbst verraten, Elin. Und es gibt niemanden, den ich dafür die Schuld geben kann als mir selber…“ Er blieb sitzen wo er war, zu matt um aufzustehen oder auch nur den Blick zu heben. Aber er konnte zumindest jetzt alles richtig stellen, nicht? ,, Wir… Wir können morgen früh auf hoher See sein,
Elin. Ihr werdet nicht mehr zurück müssen. Das alles ging schon viel zu weit…“
Er war bereit aufzugeben, wenn es nötig war. Und das war es, dachte Galren. Das hier konnte nicht wichtiger sein als seine Freunde oder Elins Leben. Und doch hatte er es geschafft, sich selbst darüber zu verlieren… Er war bereit seine Jagd nach einem Phantom einzustellen… ein seltsamer Gedanke aber auf seine eigene Art tat er gut.
,, Und wenn wir gehen… würdest du uns begleiten ?“
,, Ich weiß es nicht.“ Aber wenn er versuchen würde, das Geheimnis dieses Ortes weiter zu lösen, würde er das tun,
ohne dabei jemand anders zu gefährden. Im Augenblick jedoch wollte er nichts weiter als sich bei allen zu entschuldigen… und dann nach Hause zurückzukehren. Heim. Nach Maillac… Es würde gut tun, den kalten Stein dieser Stadt gegen das warme Licht der Holzhütten und die vulkanische Asche gegen den kalten Wind einzutauschen, der Hamad umtoste. ,, Und ich weiß, dass es vermutlich nicht viel Sinn hat aber… kannst du mir nochmal verzeihen ?“
Statt einer Antwort, streckte Elin ihm lediglich eine Hand hin und half ihm auf die Füße. Bevor Galren noch einen sicheren stand wiederfand, zog die
Gejarn ihn schon in eine heftige Umarmung.
,,Vergessen und vergeben.“ , flüsterte sie leise und Galren konnte ein , nach all der Zeit, ungewohntes Lächeln nicht unterdrücken. Auch wenn Elins Umklammerung schon fast schmerzhaft war, das Gewicht, das sich von seiner Brust hob ließ ihn kaum etwas spüren.
,, Warum ?“
,, Weil du scheinbar endlich wieder der Mann bist den ich kannte, Galren. Weil ich mich einfach nicht in dir getäuscht habe….“
Eine Weile standen sie nur schweigend und umschlungen am Wasser, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend.
Sie würden schnell handeln müssen, das war Galren klar. Wenn auffiel, das Elin fehlte, würden die Mardar nicht lange zögern, nach ihr zu suchen und der erste Ort an dem man sie vermuten würde, wäre das Schiff. Besser, sie waren weit weg, bevor es so weit kam.
,, Wir sollten zur Immerwind zurück.“ , erklärte er schließlich, als sie sich voneinander lösten. ,, Hedan wird etwas Zeit brauchen alles für die Abreise vorzubereiten und wenn die Sonne aufgeht, sollte man uns hier nicht mehr finden.“
Doch zu seinem Erstaunen schüttelte Elin langsam den Kopf. ,, Wir können nicht einfach gehen und die Leute hier
ihrem Schicksal überlassen. Oder Galren ?
,,Nein… Aber ich werde auch niemanden dafür opfern, Elin. Du hast gehört, was Hadrir darüber gesagt hat. Man würde uns die Wahrheit schlicht nicht glauben…“
,, Ich weiß das es gefährlich ist… aber Kasran , Aglims Thane, scheint mir wirklich zu vertrauen, Galren. Wenn ich mit ihm rede, wird er vielleicht auf mich hören. Sonst sind wir nur mit daran Schuld wenn diese Stadt untergeht.“
,,Und wenn nicht, Elin ?“ , wollte er wissen. ,, Was tust du wenn er dir trotz allem nicht glaubt ? Oder vielleicht wird er sogar annehmen, dass du die Wahrheit
sagst nur entscheidet er sich, dass er dieses Wissen nicht gebrauchen kann? Er würde dich töten…“
,, Wenn er mir nicht glaubt Galren, kehre ich noch vor der Dämmerung zum Schiff zurück und wir können hier weg sein, bevor jemand etwas merkt.“ , erklärte die Gejarn. Sie hatte nur auf eine seiner Fragen geantwortet… ,, Das zumindest bin ich ihm schuldig… ich muss das tun.“
Warum nur kam ihm das viel zu bekannt vor? , fragte er sich. Und wer war er, ihr das zu verweigern?
,, Elin, das kann ich nicht zulassen.“ , setzte er zu einem schwachen Protest an. Es würde nichts nützen, das war ihm klar
noch bevor er ihre Hand ergriff. Aber wenn er schon töricht war, dann diesmal wenigstens aus den richtigen Gründen.
,, Ich komme zurück. Versprochen “ , antwortete die Gejarn ernst, bevor sie sich seinem Griff entwand. ,, Außerdem wärst ihr ohne mich doch ohnehin schon lange verloren.“
Bevor Galren die Möglichkeit hatte, etwas zu erwidern, hatte sie ihm einen kaum spürbaren Kuss auf die Wange gegeben… und verschwand wortlos in der Nacht.
,,Pass auf dich auf.“ , flüsterte er, wohlwissend, dass Elin ihn ohnehin nicht hören würde. Galren konnte nur zusehen, wie ihre Gestalt von der Dunkelheit
verschluckt wurde, trotzdem blieb er noch eine ganze Weile stehen wo er war. Ihm war, als könnte er immer noch ihre Lippen auf seinem Gesicht spüren und gleichzeitig fragte er sich ob er Elin wirklich noch einmal wiedersehen würde.
Schließlich, Galren wusste nicht wann genau, machte er sich langsam auf den Rückweg zum Schiff. Er hatte einiges wieder gut zu machen, dachte er. Nach wie vor hatte sich die Erkenntnis, der ganze Schrecken dessen, was er fast zugelassen hätte nicht richtig gesetzt.
Als das Schiff schließlich in Sicht kam sah er, das nach wie vor Licht brannte, diesmal nicht bloß in der Kajüte des
Kapitäns, sondern auch an Deck. Doch gegen das Flackern der Laternen zeichnete sich nur eine einzige Gestalt ab, als er die Laufplanke hinauf stieg. Lias…
Der Gejarn stellte sich ihm in den Weg, sobald er einen Fuß auf das Schiffsdeck setzte, die Arme vor der Brust verschränkt.
,, Wo ist Elin ?“ , verlangte er zu wissen. Galren hatte gedacht, Lias würde vielleicht wütend sein oder ihn sogar angreifen wenn er ohne sie zurückkam. Nach dem wie er sich die letzten Tage verhalten hatte, würde er ja selber vom schlimmsten ausgehen… Was er nicht erwartet hatte, war die absolute Kälte in
der Stimme des Mannes. Götter, er musste für so vieles um Verzeihung bitten…
,, Zurück.“ , sagte er nur. Zu mehr taugte seine Stimme nicht mehr.
,, Was soll das heißen, zurück ?“ Der Löwe packte ihn an den Schultern, schüttelte ihn um eine Antwort zu bekommen. Galren holte tief Luft. Wenn es nach Elin jemanden gab, dessen Vergebung er erbitten musste, dann war das Lias. Der Mann der ihm wie ein Vater gewesen war… und den er maßlos enttäuscht hatte.
,, Ich muss dir so viel sagen…“ Langsam fing er an, alles zu erzählen, von dem Moment, wo er und Elin das Schiff
verlassen hatten über seine Erkenntnis, wie dumm er gewesen war, bis zu ihrer Entscheidung, einen letzten Versuch zu wagen, den Thanen der Mardar zur Vernunft zu bringen. Um danach hoffentlich zu ihnen zurück zu kehren. Götter, sie musste es einfach schaffen…
Während er sprach, konnte er sehen wie sich Lias entspannte. Die Kälte wich aus seiner Mine und als Galren geendet hatte und erneut auf die Knie sank, wirkte er schon fast entsetzt.
,, Ich war ein Narr, Lias. Ich habe uns alle in Gefahr gebracht ich…“ Es war in diesem Moment, dass er die Tränen nicht mehr zurück halten konnte. Den Kopf gesenkt breitete er schlicht die Arme vor
ihm aus. ,, Vergib mir noch einmal, falls es dafür nicht zu spät ist…“
Eine Ewigkeit schien zu vergehen, in denen keiner von ihnen mehr ein Wort sprach. Galren hatte auch nicht damit gerechnet, dass der Mann ihm einfach so verzeihen könnte. Der Verrat Lias gegenüber ging weit über verletzte Gefühle weit hinaus… und wie sollte er je wieder gut machen, was geschehen war? Er konnte sich nicht dazu durchringen aufzusehen um Lias Blick noch einmal zu begegnen, fürchtete, was er darin sehen mochte.
,, Galren… muss ich einem Blinden vergeben, wenn er über meine Füße stolpert
?“
,, Was ?“ Seine Stimme war kaum ein Flüstern, als er es schließlich doch wagte nach oben zu Blicken. Bevor er jedoch etwas erkennen konnte, traf ihn etwas am Kopf und fiel mit einem klickenden Geräusch vor ihm auf die Planken. Galren blinzelte verwirrt, als er erkannte, was Lias ihm da zugeworfen hatte. Es war ein etwa Armlanger Holzstab, übersäht mit Scharten und Dellen, von denen er genau wusste, woher sie stammten. Das war seine alte Übungswaffe… Unsicher nahm er das Stück Holz an sich.
,, Lias ?“
Der Gejarn hielt mittlerweile ebenfalls ein.
,, Ich dachte, da wir dein Training in letzter Zeit etwas vernachlässigt haben, holen wir das gleich heute nach. Und während wir das tun, wirst du mir noch einmal genau erklären was eigentlich in dich gefahren ist.“
Lias streckte ihm eine Hand hin und zog ihn schließlich wieder auf die Beine. Galren wankte einen Moment doch… er fühlte sich besser. Viel besser sogar. Noch wagte er es nicht, Lias länger in die Augen zu blicken aber… Ein schmerzhafter Schlag an seiner Schulter holte ihn zurück in die Gegenwart.
,, Wie oft glaubst du muss ich dir noch sagen, das man seinen Gegner nie aus den Augen lässt ?“ , fragte Lias
grinsend. ,, Aber es ist schön, dass du langsam wieder zur Vernunft kommst.“
Vernunft… ein seltsames Wort, dachte Galren, während er nur seinerseits nach Lias schlug. Dieser parierte ohne sichtbare Anstrengung und brachte ihm einen erneuten blauen Fleck über den Rippen bei. Der Angriff war schlecht gezielt, er noch zu Aufgewühlt um sich wirklich zu konzentrieren. Aber das würde schon noch kommen. Im Augenblick war er völlig zufrieden damit zu wissen, dass zumindest zwischen ihm und Lias wieder alles wie immer werden konnte. Und was die anderen anging… Er würde sie alle bitten müssen ihm noch eine letzte
Chance zu geben. Wenn es nach ihm ging, konnten sie wieder nach Hause. Nur schien es jetzt so, als müsste er Elin vielleicht davon überzeugen…
Am Ende hatte das Schicksal Sinn für Ironie…