Kapitel 1
Es war kalt draußen. Nicht überraschend kalt, doch kalt. Ich spürte wie der Wind sanft durch meine Haare wehte. Meine Frisur war damit für den Tag schon mal kaputt. Es war Freitag, was für mich heißt: Psychotherapie. Nein, ich gehe da nicht freiwillig hin, sondern nur um meinen Eltern einen Funken Hoffnung zu geben. Ich denke oft daran wie schlimm es eigentlich für sie sein muss, eine Tochter zu haben die sich wegen einer Trennung fast das Leben nahm. Ich selber denke nicht gerne an die Zeit zurück, noch weniger gerne rede ich davon. Deshalb verstehe ich auch nicht
was diese Psychotherapie soll.
Nachdem ich aus dem Bus ausstieg, lief ich schnell zu dem Gebäude. Dafür, dass es eine Psychiatrie war, war das Gebäude eher in dunklen Grautönen gestrichen. Ich wusste nie wie das die Leute glücklich machen sollte. Drinnen angekommen grüßte mich Frau Hehn, die Sekretärin, mit einem Lächeln. Sie brauchte mir schon gar nicht mehr zu sagen wo ich lang musste, das wusste ich schon alles. Ich öffnete die Tür und die ganze Gruppe starrte mich an. Ich hasste dieses Starren. Menschen starren immer. Egal was ist. Sie schauen immer so, als wäre man ein Alien. Sie analysieren dich von unten nach oben und schließen dann
ihr Urteil über dich ab. Ich lächelte einfach, zog meinen Schal und meine Jacke aus und setzte mich auf einen Stuhl. Mark, der Leiter der Gruppe begrüßte uns alle mit dem größten aufgesetzten Lächeln das die Welt je gesehen hatte. Er war der Meister darin. Im Gegensatz zu den anderen Teilnehmern der Gruppe war ich schon sehr lange hier. Ein Jahr war es schon her, ein Jahr. Um ehrlich zu sein, brauchte ich die Therapie nicht dringend. Nach meinem Selbstmordversuch ging es nur noch bergauf. Meine Freunde und meine Familie waren eine große Hilfe und auch wenn ich es nicht zugeben möchte, die
Therapie hat mir wahrscheinlich auch geholfen. Da waren Menschen, denen ging es wie mir. Sie sind in ein Loch gefallen und kamen alleine nicht mehr raus. Jede Leiter die sie bauen wollte, brach ineinander zusammen. Jeder noch so hohe Sprung, brachte sie wieder auf den Boden zurück. Sie brauchten Hilfe, doch wollten es sich nie eingestehen. „Zoe, möchtest du was dazu beitragen?“, fragte mich Mark mit erwartungsvollen Augen. Ich hatte keine Ahnung worum es ging. Ich war ganz in Gedanken. „Also, ähm, meine Woche war ganz gut. Ich habe zwei Arbeiten zurückbekommen, Chemie und Geschichte, die sind beide ganz gut ausgefallen. Es gibt nichts zu
beklagen.“, sagte ich mit der Hoffnung, dass es auf seine Frage passte. Er schaute mich an, ich lächelte leicht. Das Mädchen mit dem rosanen Oberteil gegenüber von mir fing an zu kichern. Ich hatte recht. Meine Antwort hat nicht im geringsten dazu gepasst, was Mark mich fragte. Immer mehr lachten, ich lachte auch. Ich war froh, dass die Menschen lachten, obwohl sie über mich lachten.