Ich habe meine Weiterbildung im mittleren Mangement inzwischen erfolgreich beendet und befinde mich im totalen Bewerbungsmodus. In ein paar Tagen, habe ich mein erstes Vorstellungsgespräch und freue mich darauf. Merles Einschulungsparty haben wir gut hinter uns gebracht. Sie geht nun schon in der 3. Klasse und lernt sehr fleißig. Sie erledigt ihre Aufgaben mit einer Leichtigkeit, dass es eine wahre Freude ist. Nach der Schule trifft sie sich immer mit ihren Freunden. Die meiste
Zeit verbringen sie in einem Kinder- und Jugendtreff in der Nähe ihrer Schule. Bernd erlebte Merles Erfolge in der Schule noch 1 1/2 Jahre mit. Sein Angebot in Miami ist leider verfallen, dafür hat er eines in Südafrika angenommen. Dorthin ist er mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter für drei Jahre ausgewandert. Solange dauert sein Vertrag dort. Meine Liebesbeziehung zu Eric dauerte nun schon 3 Jahre an und wir sind noch immer glücklich wie am ersten Tag. Wir treffen uns noch immer mit unseren Freunden. Eric hat den Vorfall mit
Walburga schnell vergessen - oder auch verdrängt und genießt unsere Spielplatztreffen wieder voll und ganz. Als Bernd noch hier war trafen wir uns alle 14 Tage am Wochenende in der Kneipe, wenn Merle bei ihm war. Danach waren wir bemüht jedes Wochenende zu einem kleinen Abenteuer für Merle werden zu lassen und die Kneipenbesuche drängten wir in den Hintergrund. Unser Leben verlief in geordneten Bahnen, bis zu dem Tag, als mich mitten in der Nacht jemand aus dem Schlaf
klingelte. Ich schleiche zur Tür, um nachzusehen wer das wohl ist. Eric kann es nicht sein, denn er arbeitet schon seit einer Stunde, wie mir der Blick auf meinen Wecker verrät. Ich schaue durch den Spion. Meine Augen werden immer größer. Ein Pfaffe? Was will der denn hier? Ich bin doch schon seit Jahren nicht mehr in der Kirche. Ich habe keine Lust ihn einzulassen, schon gar nicht um diese Zeit. Also schleiche ich zurück in mein warmes Bett. Der Kerl lässt einfach nicht locker. Immer wieder klopft er an meine Wohnungstür und ruft sogar immerfort meinen Namen. Er hat
wohl gespürt oder gehört, dass ich hinter der Tür stand. Dann klingelt mein Handy ohne Unterlass. Verdammt noch mal. Was ist denn heute nur los? Ich ziehe meine Decke über den Kopf und versuche zu schlafen. Nur kurze Zeit dauert mein Schlaf an, dann klingelt schon der Wecker und ich mache Merle fertig für die Schule. Irgendwie geht es mir heute nicht gut. Ich fühle mich so neidergeschlagen. Kein Wunder, nach dieser Nacht. Dann sitze ich da und warte mal wieder, seit langem, auf Eric. Doch leider vergebens. In mir versiegt die Freude. Hat ihn der kleine Streit da gestern abend etwa wieder so mitgenommen, dass er sich heute früh
einfach zu sich nach Hause zurückgezogen hat? Ich entschließe mich ihn einfach in Ruhe zu lassen und nicht lange zu nerven. Sollte ich zu einem Arzt gehen? Heute werde ich mich schonen. Vielleicht werde ich später zu unseren Freunden gehen und da werden wir uns dann wiedersehen. Morgen wird es mir sicher wieder besser gehen. Und doch werde ich von einer Beklemmeung umfangen, die mir Angst macht und nichts gutes verheißt. Mir ist so langweilig, ich brauche etwas Wein. Im Vorratsraum finde ich keinen mehr, also begebe ich mich zum nahegelegenen Supermarkt um mir
welchen zu kaufen. Meine Gedanken wandern immer wieder zu ihm. Warum tut er das mit mir? Mein Gott - diese Gedanken. Sie lassen mich einfach nicht los. Ich male mir die schlimmsten Szenarien aus. Bis hin zum Tot. Nein, das darf es einfach nicht sein. Da reißt mich eine Stimme aus diesen schlimmen Gedanken heraus. "Wat issn mit dir los?", höre ich die Stimme weit weg. "Kukuk", sehe ich eine Hand vor meinem Gesicht herumfuchteln. "Ach Walburga,
du?" "Na wern sonst?" "Entschuldige, dass ich dich nicht gesehen habe." "Jets dir nicht gut?" "Wieso?" "Dein Jesicht!" "Was ist mit meinem Gesicht?" "Dat is so
verzerrt." "Ich mach mir Sorgen!" "Um die Lütte?" "Nein, um Eric." "Dat brauchste doch nich! Der is alt genug, der kriecht das schon allein jebacken.", klopft sie mir aufmunternd auf die Schulter. "Ich glaube etwas schlimmes steht zwischen uns." "Wieson das? Da passt doch jar nichts
zwischen." Sie lächelt mich an und zwinkert mir aufmunternd zu. "Aber nach einem Streit gestern Abend, ist er heute früh nicht bei mir erschienen!" "Pennter immer noch jetrennt?", fragt sie mich nun mit entsetzt gespielter Miene. "Naja." Mit gesenktem Blick ziehe ich meine Schultern nach oben. Meine Verlegenheit lässt sich nur schwer verbergen. Ich will ja nicht zuviel verraten. Aber er braucht schließlich vor der Arbeit einen ruhigen
Schlaf. "Na dann will ich ma nich weiter stören. Schönen Einkauf noch." und dann verschwindet Walburga genauso plötzlich wie sie erschienen ist und ich begebe mich zu meinem Einkauf. Wieder stehe ich vor dem gut gefüllten Weinregal und kann mich nicht entscheiden. Wieder richte ich mich nach den Bildchen auf dem Etikett und nehme fünf Flaschen, von dem Wein mit dem schönsten Bildchen, mit. Der Zeiger rückt immer weiter vor. 11.55
Uhr. Gleich ist Aufwachzeit. Vielleicht kommt Eric dann zu mir. Die Warterei wird zur Ewigkeit. Auch bis um zwei rührt sich nichts. Geknickt mache ich mich auf zu unseren Freunden. Ich hoffe, dass er dort ist. "Wattn, heute janz alleene?", empfängt mich lautstark Flaschenkarli. Die Frage: "Wo haste denn den Bullen gelassen?", dröhnt in meinem Kopf. Ganz laut. Ganz schrill. "Lasse ma in Ruhe", schaltet sich nun Walburga
ein. "Wieson? Die warn doch immer unzertrennlich" Ich sitze zwischen ihnen wie ein Häufchen Elend. "Erzähl ma!", fordert Flaschen karli mich auf. "Da jibts nich viel zu erzählen.", meint Walburga. "Wer hattn dich jemeint?" Die Frage lässt Walburga fürs erste
verstummen. "Wir hatten gestern abend einen Streit und heute früh, ist er einfach nicht bei mir erschienen." "Keene Sorge, der kommt schon wieder zu sich." "Was macht euch da so sicher?", will ich nun wissen. "Der ist hier auch schon Tage fern geblieben, wenn er kein Recht bekommen hat." Ich bin gerade dabei neue Seiten an Eric zu entdecken, die ich so noch nicht kannte. Er blieb zwar
öfters mal nach einem Streit zu Hause, das hielt aber nur stundenlang, nie tagelang. Genau in diese Entdeckungen platzt Containerkalle mit seiner lauten Frage: "Habter schon gehört?" "Wer jeten hier uff Arbeit und sitzt aner Quelle?", schnautzt Flaschenkarli ihn an. "Erzähl ma!", hört sich da Walburga schon viel versöhnlicher an. "Heute morgen, war hier ein illegales
Autorennen." "Is doch nichts besonderes. Is doch hier öfters ma." "Ja schon, aber heute soll ein Unbeteiligter ums Leben jekommen sein." "Nee?" "Doch!" "Das hattn wer hier wirklich noch nich." "Sach ich
doch." Aus irgendeinem Grund zieht sich mein Herz zusammen. Wie ein Stich durchfährt es mich. Ich versuche meine Gedanken zu verdrängen. Der Pfaffe kommt mir wieder in den Sinn. Vielleicht ein Seelsorger? Doch sofort werde ich wieder aus meinem Gedankenkarussell gerissen. "Hast du schon gehört?", höre ich Flaschenkarli fragen. "Wat interessantes?" "Der Bulle muffelt ma wieder
rum." "Warumen das?" "Die haben sich gestern jestritten und er zieht sich wieder zurück." "Wie immer, wenn er mit etwas nich umgehn kann!" "Elsa macht sich aber Sorgen." "Warumen das?", schaut Flaschenkarli mich fragend an. "Weil er noch nie so lange weg war. Auch nicht wegen eines
Streits." "Mach dir ma keene Sorgen, der taucht schon wieder uff.", versucht mich Flaschenkarli zu trösten. "Na hoffentlich.", antworte ich ganz weinerlich. Die restliche Zeit verbringe ich Gedankenversunken bei meinen Freunden. Ich kann ihnen nicht mehr folgen - in meinen Kopf tickt es wie in einer Zeitbombe. Dieses ewigeTick-Tick-Tick-Tick macht mich fast wahnsinnig. Ich greife sogar zur gemeinsamen Flasche und versuche
meinen Kummer mit diesem grässlichen Zeug zu ertränken. Dann ist es auch schon 17. 30 Uhr und ich muss nach Hause. Um !8 Uhr kommt Merle aus dem Kinder- und Jugendtreff nach Hause. Schwankend begebe ich mich auf den Heimweg. Mir ist alles egal. Ich nehme kein rechts und links, kein vor mir und hinter mir wahr. Ich gehe einfach meinen Weg und verdränge die Blicke, der mich umgebenden Menschen. Ich stehe vor der Haustür und habe Angst hinein zu gehen. Dieses Gefühl habe ich schoneinmal durchlebt. Wieder umgibt mich diese Einsamkeit, die mich zum trinken brachte. Genau dieses
Gefühl steigt jetzt wieder in mir auf. Schnell schließe ich nun die Tür auf und gehe direkt auf den Schrank zu, wo ich heute den Weinvorrat deponiert habe und nehme mir eine Flasche. Der passt doch gut zum Abendbrot. Ich decke schon einmal den Tisch, denn gleich kommt Merle. Als Merle kommt, schaut sie auf den Tisch uund dann zu mir. Ich ahne, was in ihr vorgeht. "Was nur zwei Gedecke?", kommt auch gleich die
Frage. "Ja" "Warum?" Ich zucke mit den Schultern. "Wo ist Eric?" Sie war es einfach nicht mehr gewöhnt, dass wir nur zu zweit essen. "Du weißt doch, dass wir uns gestern abend gestritten haben?" "Ja, aber deswegen bleibt man doch nicht
einfach weg!" "Anscheinend schon!" "Nein, nicht Eric!" "Du siehst es doch!" "Das glaub ich aber nicht!" Jetzt fängt sie auch noch zu weinen an. Ich bin nicht fähig sie in den Arm zu nehmen und zu trösten. "Kommt er morgen wieder?", fragt sie schluchzend. "Ich weiß es nicht.", versuche ich die
Starke zu miemen und würde doch am liebsten mit ihr um die Wette weinen. "Ruf ihn doch einfach an und frage nach." Ich schaue Merle nachdenklich an. Was für eine kluge Aussage? Warum bin ich nicht auf diese Idee gekommen? Sofort greife ich zum Telefonhörer und wähle seine Handynummer. Er hat leider kein Festnetz. Er jedoch, nimmt das Gespräch nicht an. Hätte ich mir glatt denken können, schließlich erscheint ja meine Nummer auf seinem Display. Am liebsten würde ich den Hörer in die nächste Ecke werfen. "Er nimmt nicht ab!", sage ich in Merles
Richtung. "Bist du jetzt traurig? Fang bloß nicht wieder an zu trinken." Verlegen schweift mein Blick zu der Flasche, die da vor mir auf dem Tisch steht. Merle hebt drohend eine Braue. Verzweifelt versuche ich zu widerstehen. Es gelingt mir nur schwer. Ich tu es nur für meine kleine Merle. Mehr aus Angst vor ihrer Reaktion. Aber als Merle im Bett ist, verfalle ich wieder in meine Grübeleien und greife
zum ersten Glas des guten Schluckes. Immer wieder schweift mein Blick zum Telefon. Ich starte einen zweiten Versuch und wieder hebt Eric nicht ab. Ich greife verzweifelt zum zweiten Glas und trinkr es in einem Zug aus. Und als ich endlich die zweite Flasche geleert habe, schleiche ich, zu später Stunde, ins Bett. Fest auf die Matratze gepresst, bin ich erst noch eine Runde Karussell gefahren, bevor ich fest einschlafe.
Schrill klingt es in meinen Ohren, meine Augen sind nicht zu öffnen, am liebsten würde ich mir die Decke über den Kopf ziehen und doch quäle ich mich aus dem Bett. Ich versuche meinem morgendlichen Ablauf irgendwie in den Griff zu bekommen. Doch irgendwie will es mir nicht so recht gelingen. Ich schmiere Merles Schnittchen - so wie es mir gerade möglich ist. Ich stelle alles was sie braucht auf den Tisch und gehe einfach wieder zu Bett. Merle ist außerordentlich selbstständig, sie wird es schon
hinbekommen. Dann höre ich auch schon Merles Wecker klingeln. Schrill klingt es wieder in meinen Ohren. Merle stapft durch den Flur, wie ich gerade höre und dann steht sie auch schon, mit in die Hüften gestemmten Armen, in meiner Zimmertür. "Du hast wieder getrunken!", sagt sie mit fester Stimme. Ich ziehe mir derweil meine Bettdecke über meinen Kopf. Ich kann mir vorstellen wie ich aussehe, dass möchte ich Merle nicht
zumuten. "Du brauchst dich gar nicht zu verstecken!", sagt sie nun noch drohender. Ich komme unter meiner Decke hervorgekrochen und schaue sie mit meinen verquollenen Augen an. "Brauchst nicht aufstehen, ich komme schon allein zurecht!", kommt es jetzt sehr wütend über ihre Lippen. Ich drehe mich auf die Seite, ziehe mir wieder meine Decke über den Kopf und versuche weiter zu
schlafen. Es dauert eine Weile ehe ich das Geschirr in der Küche klappern höre und dann klappt auch schon bald die Tür. Jetzt kann ich endlich beruhigt einschlafen. Erst gegen Mittag werde ich wieder wach. Ich fühle mich kraftlos. Will nicht aufstehen. Mühevoll quäle ich mich aus dem Bett. Noch immer ist von Eric keine Spur. Grübelnd sitze ich am Küchentisch. In meinen Gedanken gefangen, kullern mir dicke Tränen an den Wangen herunter. Langsam bewege ich mich zu meinem Vorratsschrank. Ein
Tütensüppchen sollte schon noch zu finden sein. Ich starre die Wand an und rühre gedankenversunken in meinem Topf herum. Tomatensuppe habe ich gefunden und freue mich schon darauf. Lange habe ich keine gegessen. Eric war ja immer da, da gab es immer gebratenes. Als mein Süppchen dann endlich fertig ist und sich auf meinem Teller verteilt, sitze ich davor und rühre nur mit meinem Löffel darin herum. Ich habe einfach keinen Appetit. Aber ein kleines Weinchen liegt bestimmt drin. Ich kniee mich vor die Spüle und hole aus der hintersten Ecke des Unterschranks, eine Flasche hervor. Ich genieße mein erstes Glas und gleich
darauf noch ein zweites. Zufrieden bin ich erst, als die ganze Flasche geleert ist. Es fällt mir schwer mich fertig zu machen, aber es wird Zeit. Ich brauche etwas Gesellschaft und mache mich auf den Weg zu unseren Freunden. Voller Hoffnung Eric iwederzusehen. Als ich auf dem Spielplatz ankomme, sitzen und stehen alle eng beieinander und Containerkalle liest aus der Tageszeitung vor. "Hallo", rufe ich in die
Runde. "Hallo", kommt es zurück und alle sehen mich fragend an. "Biste wieder alleene hier?" Ich zucke nur mit meinen Schultern "Wat haste denn dem Bullen angetan?" "Es ging mal wieder ums liebe Geld." "Und desswegen zieht der sich so zurück?" "Na komm ma her. Hier steht was von dem Unfall drin. Der von dem illegalen
Autorennen." Containerkalle beginnt von vorn zu lesen. Ich kann ihm nicht so richtig folgen, bin mit meinen Gedanken wieder bei Eric. Diese Last nicht zu wissen was eigentlich los ist. Ich bin mir einfach keiner Schuld bewusst. Einzelne Brocken dringen bis an mein Ohr. "Jugendliche haben am gestrigen Dienstag, in der Zeit von 2 - 4 Uhr illegale Autorennen veranstaltet." Das lässt mich noch kalt. Ein weiterer Brocken dringt an mein Ohr: "Das Opfer, welches frontal mit
einem der Wagen kollidierte, wurde schwer verletzt - verstarb aber noch auf dem Weg ins Krankenhaus." Der Mann in schwarz, der mich so früh aus dem Bett geklingelt hat, schleicht sich wieder in meine Gedanken. "Das Opfer war auf den Weg zur Arbeit. Er war als Geldzähler in einer Bank tätig." In mir erstarrt das Blut. Meine Kniee werden weich - weich wie ein Pudding. Der Satz: "... Seelsorger war im Einsatz, konnte aber keine Angehörigen ausmachen", trieb mir die Tränen in die
Augen. Ein letztes Wort dringt an mein Ohr: "Sozialbegräbnis" Dann durchbricht unsere Gruppe ein gellender Schrei. Ich springe auf und schnappe mir die erst beste Flasche, die griffbereit steht und setze sie an. Ich nehme einen großen Schluck, egal wie eklig das Zeug ist. So kann ich diese Nachricht besser verdauen. Mein Blut scheint zu gefrieren. Mir ist so kalt - unendlich kalt. Ich setze zum nächsten Schluck an und Schluck um Schluck leert sich die Flasche schnell bis zur Hälfte. Verzerrte Grimassen starren mich
an. Wieder setze ich die Flasche an und trinke einen riesen Schluck. Plötzlich gibt der Boden unter mir nach, dann wird es dunkel um mich. Lautes Geschrei, blaue Lichtblitze und ein hektisches Treiben um mich herum. Was ist nur los? Ich möchte es gern wissen, bekomme aber meine Augen nicht geöffnet. Ich scheine mich in einem Höllentempo zu bewegen. Wohin führt mich mein Weg? Vielleicht zu Eric? Dann steht er in einem gleißenden Licht vor mir und sagt: "Geh zurück, Merle braucht dich noch." Dann ist er wieder fort. Einfach weg. Gerade eben war er noch zum greifen nahe. Dieses
grelle Licht quält mich. Ich suche ihn verzweifelt. Das Licht wechselt im schnellen Rythmus. Hell - dunkel - hell - dunkel - hell. Dann schlage ich meine Augen auf. Wo bin ich nur? Alles sieht so ganz anders aus. Ich liege in einem großen Kinderbett. Ich fühle mich so gar nicht wohl in dieser Kiste und will hier einfach raus. Ich versuche an dem Gitter zu rackeln, kann mich aber nicht bewegen. Meine Arme und Beine sind wie an das Bett genagelt und mein Körper fühlt sich an, als ob er in einem Eisenkorsett steckt. Ich versuche mit meinen Augen alles mir fremde zu erfassen. Das strengt mich so sehr an, dass ich meine Augen schon bald wieder
schließen muss. Ich werde durch ein unkontrolliertes Zucken meiner Gleider wieder geweckt und erschrecke mich davor. Dieses Zucken verlangt mir soviel Kraft ab, dass mir die Schweißperlen auf die Stirn treten. Schon bald scheint sich der Schweiß einen Ausweg aus all meinen Poren zu suchen - meine Haare sind klitschnass, das Laken unter mir scheint frisch aus der Waschmaschine zu kommen und ich schwitze immer weiter. Dann erscheint ein Engel, ganz in weiß gekleidet, neben meinem Bett, lächelt mich an und fragt: "Möchten sie etwas zu trinken
haben?" Ich zittere noch immer und schaue sie mit großen Augen an. "Wir hätten da Bier oder auch Wein! Vielleicht trinken sie auch etwas anderes?" "Ich hätte gern einen Wein." "Rot oder weiß?" "Weiß und lieblich bitte!" Es dauert nicht lange, da steht der Engel wieder vor mir und stellt ein Glas mit
einer hellen Flüssigkeit auf meinem kleinen Tischchn ab. Sie tupft mir den Schweiß von der Stirn und fährt das Kopfteil meines Bettes so weit hoch, dass ich gut trinken kann. Dann nimmt sie das Glas und führt es zu meinem Mund. Ich selbst würde mehr verschütten als ich trinken kann. Dankbar trinke ich Schluck um Schluck, bis das Glas geleert ist. Dabei ist mir nicht entgangen, dass wir zwei beobachtet werden. Neben mir steht noch ein Bett und darin leigt eine Frau die unsere kleine Szene genauestens beobachtet. Mit großen Augen und offenem Mund beobachtet sie uns, um sich schon bald kopfschüttelnd ihrem
Buch zuzuwenden. Was sie aber nicht lange aushällt - unser Anblick scheint ihr wohl interessanter zu sein. Ihr erboster Blick, lässt mich immer mehr in mich zusammenschrumpfen. Als die Schwester unser Zimmer verlässt, rappelt sich die ältere Dame, da neben mir im Bett, auf und rennt ihr hinterher. Draußen entwickelt sich ein lautstarkes Gespräch. Einige Fetzen dringen bis an mein Ohr: "Wie können sie nur...", "...Sauferei unterstützen", "...das sieht man doch". Zwischendurch sagt auch die Schwester mal was - aber in einem ruhigen Ton, der nicht bis zu meinem Ohr durchdringt. Aber zum
Schluss wird auch sie lauter und ich höre diesen einen Satz: "Wenn sie die Entzugssymtome ertragen können, dann lasse ich es bleiben." Dann ist Ruhe da draußen auf dem Flur. Dann kommt meine Bettnachbarin mit einem zornigen Blick wieder ins Zimmer zurück, würdigt mich keines Blickes und kriecht eingeschnappt unter ihre Bettdecke. Und ich, ich beginne zu grübeln. Sind diese Symtome wirklich so schlimm? Wie komme ich nur von dem Alkohol weg? Was kann ich tun um zu vergessen? Es ist Nachmittag - meine Nachbarin hat Besuch. Viele Menschen - viel zu viele, drängen sich um ihr Bett. Ich liege ganz
allein - keiner kommt mich besuchen - nicht einmal meine Merle. Die Tränen kullern an meinen Wangen herunter. Warum nur kommt Merle nicht? Mein Blick wandert immer wieder zur Tür, doch diese bleibt verschlossen. Ich beginne wieder zu zittern und zu schwitzen, dann kullern mir dicke Tränen über die Wangen. Die Schübe werden immer kürzer. Meine Nachbarin greift beherzt zu ihrer Klingel und drückt auf den Knopf. Als die Schwester lächelnd in der Tür steht und zu ihr schaut, brüllt sie sogleich durch den Raum: "Die braucht wieder was zum saufen!" Das Lächeln erstirbt auf dem Gesicht der Schwester und sie wendet
sich zum gehen, als rund um das Bett meiner Nachbarin ein Gekicher losbricht, was sie wütend werden lässt. "Wenn das hier nicht augenblicklich aufhört, ist für sie hier die Besuchszeit beendet!" Dieser Satz kam mit soviel Schärfe, dass das Kichern in sekundenschnelle in Gemurmel überging. Schon bald kam die Schwester mit einem schönen Glas Wein zurück und alle glotzten auf dieses Glas. "Was, davon bekommt man auch nen Entzug?", fragt ein Sprössling der Familie. "Kuck da nich so hin, sonst gibts wieder
Feuer!" Mürrisch wendete er sich wieder von uns ab. "Sonst säuft die härtere Sachen, hier gibts nur nichts anderes", sagt der nächste Spross grinsend und fängt auch gleich einen Schlag an den Hinterkopf ein. Sein lautes "Aua", hielt die Schwester nicht davon ab zu antworten: "Hier gibt es schon andere Sachen, aber diese Frau hier mag halt mehr einen guten Wein." Ihre Stimme klang drohend. "Auch noch nen guten Wein", hörten wir ein leises wispern von nebenan. "Hab gar nicht gewusst, dass guter Wein
einen auch ins Koma befördern kann", meint noch ein anderer. Endlich setzt sie das Glas an meine Lippen und ich genieße Schluck für Schluck. Dann kullern wieder die Tränen. Liebevoll nimmt die Schwester mich in die Arme, aber ich kann mich nicht beruhigen. Immer wieder kommt das Wort "Merle" über meine Lippen. Sie schaut mich lächelnd an und sagt: "Darüber reden wir morgen - morgen wenn der Arzt da ist." Dann geht sie und hinter ihr schließt sich wieder die Tür. Schon bald verschwinden auch die Besucher meiner Nachbarin und dann
beginnt sich der Abend in die Länge zu ziehen. Ich schaue immer wieder zu ihr hinüber um wenigstens ein paar Worte mit ihr zu wechseln, dann wäre auch die Einsamkeit ein wenig von mir genommen. Doch diese Frau bläst immer wieder ihre Wangen auf und starrt auf ihr Buch. Ob sie auch wirklich liest? Ich weiß es nicht. Aber noch schwerer lastet auf mir die Ablehnung ihrerseits. Weiß sie überhaupt was mich dazu getrieben hat? Nichts weiß sie! Sie kann nur verurteilen. Irgendwann ist es dunkel im Raum. Leichte Schlafgeräusche dringen an mein Ohr, die sich im Laufe der Zeit zu lauten Schnarchgeräuchen entwickeln. Die Nacht zieht und zieht
sich und ich kann nichts tun. Ich habe wieder einen Schub, schwitze und zittere und keiner merkt es. Irgendwann fallen mir dann doch die Augen zu. Kein Tiefschlaf - daran ist gar nicht zu denken. Ich schwebe über meinem Bett. Schlafe und schlafe doch nicht