Ich hatte mich auf diese Nacht gefreut. Zum ersten mal würde ich sie ohne Klamotten sehen. Doch die Freude nahm schnell ein jähes Ende. Es war eine Zufallsbekanntschaft gewesen. Wir standen beide am Selben Glühweinstand, als so ein Vollidiot uns anrempelte. Ein Taschendieb, wie sich herausstellte. Er hatte versucht uns zu beklauen. Aber das ging voll daneben, da ich mich voll erschreckt hatte. Dabei schüttete ich ihm aus versehen meinen heißen Glühwein ins Gesicht. Während er vor Schmerz schrie und sich wand, fielen einige Geldbörsen aus seinen
Taschen. So haben wir erkannt, das es ein Taschendieb war. Und beinahe hätte er auch mich erleichtert. Die junge Dame, die hinter mir stand, war gerade die ihr Portemonnaie herauszuholen, als er in ihre Tasche greifen wollte, um es zu stehlen. So kam dann eins zum anderen. Und so kamen wir ins Gespräch. Mein Glühwein wurde mir übrigens kosten- und anstandslos ersetzt. Nur die Sicherheitsleute brauchten eine ganze Weile, bis sie bei uns waren und den Typen mit sich nahmen. Was aber nicht alleine an ihnen lag. Es war einfach nur gerammelt voll und die Meisten machten einfach keinen
Platz. „Gut reagiert.“, hatte die junge Dame zu mir gesagt. Das war der Beginn einer langen Unterhaltung und einiger vieler Glühweins. Eigentlich war nur einer eingeplant gewesen. So, wie jedes Jahr. Maximal zwei. Aber mir wurden welche ausgegeben. Aus Dank, weil sie meinetwegen ihre Geldbörsen wiederbekommen hatten und ein Taschendieb weniger die Runde machte. Nach Stunden brachten wir uns gegenseitig zur Straßenbahn. Obwohl meine Bahn zuerst fuhr, stieg ich nicht ein, sondern wartete mit ihr auf ihre Bimmel. Ja, der funke war übergesprungen. Und ich dachte, das sie
der Grund war, warum ich alleine auf den Weihnachtsmarkt ging, was ich sonst nie tat. Wenn niemand mitkommen wollte, blieb ich zu Hause. Alleine machte es mir einfach keinen Spaß. Kurz bevor ihre Bahn kam, gab ich ihr meine Nummer. Es war meine letzte Visitenkarte gewesen und meine Nummer galt nur noch bis ende des Jahres. Bis dahin waren es nicht einmal drei Wochen gewesen. Das sie sich meldet, sobald ihre Bahn losgefahren war, damit hatte ich nicht gerechnet. Um so mehr hatte ich mich darüber gefreut. Dadurch verkürzte sich auch meine Wartezeit. Kaum war ich zu Hause angekommen,
schaltete ich meinen Rechner ein, um nach ihr zu suchen. Doch sie war schneller gewesen. Ich brauchte nur noch ihre Freundschaftsanfrage anzunehmen. Und obwohl wir schon über so ziemlich alles geredet hatten, fielen uns noch was ein, worüber wir reden konnten. An jenem Abend war ich angesäuselt, aber glücklich. Ein paar Tage später waren wir zusammen. Es kam von ihr aus. Aber persönlich sahen wir uns vorerst nicht. Wenn ich Zeit hatte, hatte sie keine und umgedreht. Ich glaubte, das wir uns erst im neuen Jahr wieder sehen würden. Wenn überhaupt. Sollte es so bleiben, das jeder nur dann Zeit hatte,
wenn der andere gerade keine Zeit hatte, würden wir uns nie wieder sehen. Was wäre das dann für eine Beziehung? Zumindest keine körperliche. Die Zeit schlich dahin. Jeder Tag kam mir endlos lange vor. Außer die Zeit, wenn ich mit ihr schrieb. Aus Zeitgründen war es auch nicht mehr so lange, wie beim ersten Mal. Wenigstens hatte sie mir ein Bild von sich geschickt. Ein Passfoto. Das war fortan mein Hintergrundbild. Immer wenn ich es sah, dachte ich an den Abend, als wir uns kennenlernten. Und ich sah es ständig vor mir. Am 30.12. konnte ich nicht glauben, was sie mir schrieb. Sie wollte mit mir
Silvester verbringen. Bei mir übernachten. In meiner Begeisterung dachte ich gleich an Sex. Dabei hatte sie nichts davon geschrieben. Ich ging einfach davon aus, das sie mit mir schlafen würde. Darum duschte ich an jenem Tag zweimal. Putzte übergründlich meine Zähne. Rasierte meinen kompletten Körper. Beine, Gesicht, Achsel und Intimbereich. Kontrollierte mehrfach, ob ich jedes Haar erwischt hatte. Ich war so was von aufgeregt gewesen. Nach dem ich mir ziemlich sicher war, das ich mich ihr so zeigen konnte, schlüpfte ich mich in meine besten Klamotten. Nahm ein paar weniger
Spritzer meines guten Deos. Zum Schluss schaute ich noch einmal durch meine Wohnung. Der Müll war raus geschafft. Die Böden gewischt. Kein Abwasch und keine Wäsche. Im Wohnzimmer war der Tisch dezent gedeckt. - Sie sollte ja nicht gleich sonstwas denken. - alles war perfekt. Nun fehlte nur noch sie. Und sie kam überpünktlich. Nervös öffnete ich die Tür. Lächelnd stand sie davor. „Tritt ein, schöne Frau.“, sagte ich. Beugte mich dabei charmant und gab ihr elegant das Zeichen, das sie eintreten möge. Manchmal habe ich es eben einfach
drauf. Den ganzen Abend war ich angespannt. Konnte die Nacht nicht erwarten. Warum ich darauf aus war, das wir Sex haben würden, weiß ich nicht. Es war einfach so. Wir speisten zu Abend. Mein Appetit war mehr, als lausig. Ich zwang es mir mehr oder weniger rein, obwohl das Essen ausgezeichnet war. Ihretwegen hatte ich mich in Unkosten gestürzt. Ein Teil meiner Ersparnisse geopfert. Und es schien sich gelohnt zu haben. Sie machte ein überaus zufriedenes Gesicht. Aß meinen Teil mit. Wie war ich froh, als es endlich richtig knallte. Seit Stunden krallte ich mich an
einem Glas Rotwein fest. Einerseits, weil ich zu aufgeregt war, um irgendwas hinter zu kriegen, andererseits, weil ich nicht besoffen werden wollte. Sollte sich doch was ergeben, wollte ich es nicht versauen. Außerdem muss man seiner Familie nicht alles nachmachen. Nur weil es bei denen eine Art Pflicht ist, besoffen ins neue Jahr zu kommen, heißt das noch lange nicht, das ich die Tradition fortführen muss. Die Knallerei neigte sich dem Ende zu und wir begaben uns zur nächtlichen Ruh. Wir betraten mein Schlafzimmer und bereiteten uns auf die nächsten Stunden vor. Oder anders ausgedrückt;
wir zogen uns aus und legten uns in mein Bett. Ich war zwar noch nicht müde. Aber ich wollte unbedingt ihre Nähe spüren. Sie in meinen Armen halten. Ihre Haut an meiner spüren. Wie es meist so ist; kaum hat man sich hingelegt und es sich gemütlich gemacht, muss man dringend aufs Klo. Also stand ich notgedrungen wieder auf und trat auf irgendwas. Es tat weh. Aber ich gab keinen Ton von mir. Schaltete nur das Licht ein und schlich flott aufs Klo. Und nachdem ich leer war, wusch ich mein bestes Stück gründlich, da ich immer noch darauf aus war, das was laufen würde. Auch wenn sie ihre Unterwäsche und ihr Shirt
angelassen hatte. Als ich wieder ins Schlafzimmer kam, stieg ich nicht gleich sofort wieder ins Bett. Ich blieb am Türrahmen stehen und betrachtete sie. Ihre Arme lagen auf der Bettdecke und sie saß aufrecht mit dem Rücken an der Wand. Wenn sie nicht auf ihre Arme geblickt und sie schnell unter der Bettdecke versteckt hätte, wäre es mir vielleicht gar nicht aufgefallen. Ich schaltete das Licht aus und kroch unter meine Decke. Legte mich auf die Seite und schaute sie an. „Willst du darüber reden?“, fragte ich
mitfühlend. „...“ „Du bist nicht die erste, die ich kenne, die ein psychisches Problem hat. Da wären meine Ex, meine beste Freundin und diverse Bekanntschaften. Mit mir kannst du offen über alles reden. Wenn ich irgendwas für dich tun kann, brauchst nur ein Ton zu sagen.“ „Scheiße. Ich hatte nicht damit gerechnet...Wahrscheinlich wäre es angebracht, das ich dir das sage...“ Und so berichtete sie mir von ihrer Kindheit und ihrer Jugend. Mir wurde elend dabei. Obwohl ich so viele kenne, denen etwas ähnliches widerfahren war, stimmt es mich immer noch traurig. Es
schmerzt mich, so was zu hören. Aber ich erwarte nichts mehr anderes. Die Welt ist schlecht und es wird immer schlimmer. Natürlich war die Stimmung dahin und ich wusste, das nichts laufen würde. Die Lust war mir eh vergangen. Ich dachte nur daran, das ich wieder mit einem Mädchen zusammen war, das eine starke psychische Störung hat und hoffte, das sie schlauer war, als meine letzte, und nicht nur wusste, das sie mir vertrauen konnte, sondern mir auch vertraute. Zumindest wusste ich nun, warum sie keine Zeit hatte. Therapie. Während sie sprach, lag ihr Kopf auf meiner Brust und mein Arm um ihren
Köper. Genau so schliefen wir auch ein.