Ein Adjektiv erzählt
Gestatten Sie, dass ich mich Ihnen vorstelle. Ich bin ein besonderes Adjektiv, denn ich arbeite im diplomatischen Dienst. Da bleibt es nicht aus, dass ich mir über meinesgleichen Gedanken machen muss. Ohne eine gewisse Behutsamkeit mit Adjektiven rutscht man nämlich auf dem diplomatischen Parkett leicht aus.
Wissen Sie, wir Adjektive leben nicht ungefährlich, weil wir so attraktiv sind. Alle, die Fantasievollen und die Nüchternen, benutzen uns gerne. Unsere größten Liebhaber finden sich aber unter den Dichtern und jenen, die es werden
wollen.
Neulich war ich auf dem Ball der Wortarten in Wien. Da schmiss sich doch so ein profanes Verb an mich ran, das meinte, es könne mich mit Adjektiven becircen. Es legte los wie ein Springquell, fand mein Kleid exorbitant, höchst elegant, umwerfend. Dabei tat ich mit züchtig gesenkten Augen nichts, um diesen Schmeichler in Ekstase zu bringen. Er erzählte mir gleich, dass er erfolgreich auf einem Forum dichte und ließ nichts aus, um es mir zu beweisen: „Mylady, Sie haben so entzückend veilchenblaue Augen“, säuselte er, „Ihr ebenholzschwarzes Haar verzaubert diese poesievolle Nacht
und Ihre alabasterweißen Arme, ach würden sie sich doch.....“ Er schwieg einen Moment bedeutungsvoll. Ich hoffte, nun hätte er seinen immensen Bestand an Adjektiven ausgespielt. Er legte jedoch mein beschämtes Schweigen als Beifall aus und kam nun richtig in Fahrt: „Ein zärtliches Wort von ihren korallenroten Lippen, Madame, würde mir schlaflose Nächte bereiten.“
Eigentlich ist so ein Typ ja harmlos, dachte ich, denn die gefährlichen Verführer lächeln und finden nur wenige, aber sehr gezielte Worte.
Inzwischen hatte sich sein Poetenblick an meinem Busen festgesaugt: „Die
Göttin Venus hat Sie mit formidablen Hügeln beschenkt, reizend und viel zu fein, als dass meine rauen Hände sie je streifen dürften“, flüsterte er. Wenn er jetzt „geil“ gesagt hätte, wäre mir das lieber gewesen als diese Süßholzraspelei.
Derweil spielte die Kapelle einen feurigen Boogie Woogie. Jetzt muss er auf die Schrittfolge achten und das Tempo wird ihm den Atem nehmen, dachte ich. Aber das stimmte nur zum Teil. Er äugte nun auf meine Beine und Füße. „Ihre entzückenden Beine enden in so zierlichen Füßchen, dass Sie jede Japanerin beneiden würde“ keuchte er atemlos.
Endlich hatte die Band ein Einsehen und
er geleitete mich schweißtriefend zu meinem Platz, nicht ohne noch ein abschließendes Kompliment zu hauchen: „Sie tanzen so federleicht, dass ich die ganze Nacht schwerelos mit Ihnen fliegen möchte.“
Wissen Sie, ich würde ja nicht die Adjektive vertreten, wenn ich meine Schwestern nicht lieben würde. Ich freue mich über jeden, der uns zurückhaltend wie etwas Kostbares behandelt. Apropos, kennen Sie die Stilfigur Pleonamus. Man könnte sie ganz einfach ins Deutsche übersetzen: etwas zu dick aufgetragen.
©Ekkehart Mittelberg, Dezember 2015