eine kleine Einleitung
Hi, mein Lieber,
Grüße aus der Hauptstadt. Morgen düse ich ins Rheinland; dann kommt ein Advent und der Nikolaus wird wohl auch Spuren hinterlassen... aber viel bemerkenswerter ist, dass nun schon wieder ein volles Jahr an uns vorbeigerauscht ist.
Anbei ein Foto, auf dem die Schnelligkeit der Zeit am in die S-Bahn einsteigenden Mann erahnbar ist; die Berliner haben es ja immer eilig, obwohl die Züge alle 5 bis 10 Minuten fahren.
Wahrlich verwaschen ist unser Bild von der Zeit.
Mein Freud, deine Worte und dein Bild inspirierten mich, was durchaus nicht unbeabsichtigt war – ich kenne dich doch – zu
nachfolgenden Worten. In dieser Form würdest du sie sicher nicht erwarten. Sei’s drum. So hält die Zeit, neben der Eile, eben noch eine Überraschung parat.
Zeitdiktat(uHr)
Diktatur
Herrscherin und Beherrschte
Die Zeit,
die Mistress, Herrin, Meisterin, Dominatrix;
der Mensch,
der Beherrschte, der devote Sklave –
nein, in deditio.
Klare Rollenverteilung,
Dom & Sub – Top & Bottom,
der Marquis de Sade macht eine tiefe Verbeugung,
der Leopold Ritter von Sacher-Masoch lüftet seinen Hut.
Menschlicher, angeborener Sadomasochismus
oder eingepeitscht und ausgelebt an Zeitprangern,
gefesselt an Zeitgerüste, in geknebelter Sprachlosigkeit,
gespreizt, wehrlos, hilflos, devot und ergeben?
Stichtage, einmal im Jahr stechen sie tief in Lenden,
werden die Instrumente nicht nur gezeigt,
die Zeigerinstrumente dringen ein, Lebenszeitblut fließt,
schwache Stromstöße digitaler Taktgeber – der Sklave (über)lebt.
Wegrennen? Hinrennen! Die Dominatrix lacht schallend.
Schnell die Fesseln anlegen,
schnell den Knebel in sich aufnehmen,
schnell in Demut an den Zeitprager,
schnell das Denken abschalten, –
es denkt allein die Dominatrix –
in lustvoller Unterwerfung kommende Schläge erwartend.
Zeitdiktat, der Tod fährt mit, immer und überall.
Der Tod lächelt nur, weil er sich nicht totlachen kann.
Zeitdiktat, die Dominatrix macht eine huldvolle Geste.
Der Tod ist ein ruhiger, ausgeglichener Wartender…
Cover: © Angelo Zitto (2015)
Worte: © Tusitala (2015)