kurz
Der Tag an dem er beschloss sich umzubringen war ein verregneter Frühlingsnachmittag.
Die Luft brummte, war schwer und warm. Drückte von außen ans Fenster als er mit Bleistift und Zettel an seinem Schreibtisch saß und sich den Hauch eines Lächelns anmaßte. Das Klischee des Abschiedsbriefes war auf ironische Weise belustigend und niederschmetternd. Still und untätig fuhr der Regen mit seinen Finger über das Glas. Am Fenstersims neigten die Topfpflanzen, unter der Last denen Zeugen so auf den Schultern liegt, die
Köpfe. Neben ihnen wirkte er hingegen wie ein Kind, das in freudiger Erwartung den Rücken durchgedrückt hatte und ungeduldig mit den Füßen wippte. Der Bleistift lag steinern und hundert Tonnen schwer in seiner rechten Hand. Das Papier erzitterte.
Sein Kopf von Watte ausgefüllt. Verhinderte das Ein- und Ausdringen
jeglicher Gedanken und Eindrücke. Alles was an seiner Oberfläche kratzte war der Moment. Die Augen aus dem Fenster gerichtet, stramm wie Soldaten, sah er den Bäumen beim Tanzen zu. Dunkelgrün, blau und jungfräulich gelb, erschauderten die Blätter unter der Kraft des Himmels. Das Lächeln war ihm
entglitten. Auf den Tisch und von dort zu seinen Füßen gepurzelt. Wo es sich unter dem Teppich verkroch und wartete. Alle Worte der Welt lagen ihm auf den Lippen, klammerten sich fest. Brave, stille Schoßhündchen, die sich nicht von ihrem Herrchen entfernen wollten. Irgendwo am Himmel, zwischen dem Grün und dem Nass, erblickte er sein kaltes Gesicht. Wie ein gemaltes Bild blickte es zurück. Während ihm die Tropfen über Stirn und Wangen liefen. Lange harrte er so aus. Bis ihm der Nacken, von der ungewöhnlich strammen Haltung, schmerzte und er sich dazu gezwungen sah den Kopf Richtung Tischplatte zu senken. Er
starrte das Papier nieder. Schamerfüllt duckte es sich unter ihm. Die Speerspitze des Stiftes darauf gerichtet. Langsam setzte er an. Bereit das Papier mit seinen schweren Worten zu durchbohren.
Aber diese schienen sich zu verflüchtigen und sich in seinem Kopf aufzulösen bevor er auch nur einen Satz zu Ende formulieren konnte. Ein Seufzer. Einer dieser Art, die Schüler während einer Schularbeit von sich geben. Hoffnungslos, gleichgülltig, sich dem Schicksal des Versagens ergebend. Schließlich ließ er den Stift aus der Hand gleiten und schaute wieder aus dem Fenster. Der Stift rollte über den
Tisch. Ein unglaublich lautes Geräusch in der Stille vor dem Tod. Keine Worte an diesem Tag. Der Regen säuselte ermunternd in einer fremden Sprache. Er griff nach dem Messer und legte es an die Schlagader. Eine Bewegung, so kindlich und unschuldig. Ein einfacher Wink.
Das Ganze sollte schnell von Statten gehen. Wie eine Geschäftsangelegenheit. Kurz. Gefühllos. Endgültig. Wenn er es hinter sich gebracht hatte, würde er erleichtert sein. So erleichtert...
Die Zeugen hielten den Atem an.
Draußen starben die Regentropfen.