Da hat doch neulich einer eine sentimentale Geschichte über ein vergessenes Komma geschrieben. Unfassbar, statt sich meiner zu erinnern, der gewöhnlichen Beistriche zu gedenken.
Die gehören auf einen Bierdeckel, damit sich der Gast nicht hoffnungslos verschuldet.
Sind Sie mal ehrlich. Kennen Sie die Geniealogie des Fragezeichens?
Ich stamme nämlich aus dem ältesten Adel der Welt. Stellen Sie sich einmal vor, wie die Urmenschen gefroren haben, als sie das Feuer noch nicht
hatten, und wie sie sich geschämt haben, als sie noch nicht wussten, womit sie ihre Blöße bedecken sollten. Sie liefen mit lauter Fragezeichen auf ihren Neandertalerstirnen umher.
Und als es dann endlich bei jemandem Funken geschlagen hatte und das erste Weib mit seinem Tanga unendlichen Neid erregte, wurden diese natürlich gefragt, wie sie auf ihre geniale Erfindung gekommen seien, und sie wiesen voller Stolz auf das Fragezeichen auf ihren Denkerstirnen. Ja, damals war ich noch überlebenswichtig, und man verneigte sich vor dem „von und zu
Fragezeichen“.
Zugegeben, als die Keilschrift erfunden wurde, hatte ich noch nicht den eleganten Schwung wie heute, mit dem Achtung gebietenden Punkt darunter. Ich glich eher einem geadelten Wursthaken. Aber selbst die einfachsten Untertanen hatten Respekt vor mir und fragten auf Teufel komma raus, wie sie den Priestern die Schatullen und den Pharaonen die Grabkammern füllen konnten. Heute brauchen Sie daran ja nicht mehr zu denken, weil das alles per Steuerbescheid automatisch geregelt wird.
Zur Akzeptanz der Wissenschaft - die
hinkt ja bekanntlich immer hinter der Realität her - verhalf mir dann nicht etwa Pippin der Kurze, sondern Karl der Große mit seiner karolingischen Minuskel. Apropos Minuskel. Sie sehen, ich habe mich von Anfang an bescheiden gegeben.
Hoch im Kurs stand ich bei den scholastischen Theologen, die mehr fragten, als alle Narren dieser Welt beantworten können, bis dann dieser Klassiker, der Dr. Faustus, alles kaputt machte. Von wegen „Im Anfang war die Tat.“ Im Anfang war die Frage, wie Gott sich die Langeweile vertreiben könnte. Als Antwort darauf schuf er den
Menschen.
Ja, und dann ging das mit der Fragerei gleich weiter, als Gott sich fragte, wie er dem Adam Gesellschaft verschaffen könne und aus seiner Rippe die Eva kreierte. Heute fragen sich die letzten Feministinnen, warum sie so viel schlauer als die Männer sind, wo sie doch aus Adams Rippe entstanden sind. Fragen über Fragen und die orthographische Planwirtschaft funktioniert, denn der Vorrat an Fragezeichen ist unerschöpflich. Eva musste sich natürlich fragen, wie sie Adam verführen konnte, diesen tumben Tor, und dann kam ihr gleich diese zischelnde Schlange zur
Hilfe.
Deshalb, liebe Herren der Schöpfung, unterscheiden Sie immer genau zwischen harmlosen und Schlangenfragen. Lassen Sie sich letztere schriftlich geben und verweigern Sie die Antwort, wenn kein Fragezeichen dahinter steht.
Übrigens, neulich hat die Stiftung „Fragetest“ wieder eine statistische Erhebung durchgeführt. Wissen Sie, welche die statistisch beliebteste Frage ist? „Liebling, liebst du mich noch?“ Da ich immer dahinter stehe, kenne ich auch die statistisch häufigsten Antworten: Wenn s i e die Frage stellt, brummt e r: „Na klar“, um dann seinerseits die rhetorische Frage
anzuschließen: „Holst du mir noch ein paar Flaschen Bier?“ Wenn e r die Frage stellt, lächelt s i e charmant: „Wie kannst du nur fragen?“ Um ihm dann zu erzählen, dass der Mann ihrer besten Freundin am Samstag mit dieser nach Wertheim Village fährt. Ich weiß, Sie hätten Ihre Frau oder Ihren Mann auf diese Frage sogleich in den Arm genommen und den fragenden Mund mit Küssen verschlossen. Das ist doch selbstverständlich, denn Sie fallen aus jeder Statistik.
Wissen Sie auch, welche die beliebteste Antwort ist, die Politiker auf die Frage geben, wie ein bestimmtes Problem zu lösen ist? „Seien Sie versichert, das wird
von unseren Gremien sorgfältig geprüft und zu gegebener Zeit unverzüglich in Angriff genommen.“
Das sind heikle Fragen, müssen Sie einräumen. Sie müssen ja das von Ihnen erarbeitete Steuergeld nicht in die Hand nehmen und haben von der Last der Verantwortung keinen blassen Schimmer.
Aber das sind alles Peanuts im Vergleich zu der Frage, „was die Welt im Innersten zusammen hält?“ (Goethe, Faust I) Hinter dieser habe ich auch so oft gestanden, und ich antworte Ihnen:„Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“ (Goethe, Faust I)
Sie sehen, es ist nicht leicht, ein Fragezeichen zu sein. Fragen Sie mich
lieber mal, was Leib und Seele zusammen hält? Ich antworte Ihnen: „Essen und Trinken.“ Also, stellen Sie die richtigen Fragen, und Sie erhalten vernünftige Antworten.
© Ekkehart Mittelberg, Dezember 2015