Kurzgeschichte
Mein Schatz

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"Sie wollte ihn nicht mehr haben, ließ ihn aber nicht gehen. Dennoch verlor sie ihn an eine andere."
Veröffentlicht am 03. Dezember 2015, 26 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Sie wollte ihn nicht mehr haben, ließ ihn aber nicht gehen. Dennoch verlor sie ihn an eine andere.

Mein Schatz

Titel

Ich kann es immer noch nicht glauben. Aber es ist tatsächlich wahr. Zehn Jahre teilen wir uns schon alles. Wie die Zeit doch vergeht. Das ich jemals mit ihm glücklich werde, hätte ich damals nicht gedacht. Nicht nur, das ich anfangs kein Interesse an ihm hatte; seine Ex hatte es uns Probleme bereitet. Dabei hatte sie ihn schon längst abgeschossen und x neue Beziehungen gehabt. Hatte ihn nicht selten scheiße aussehen lassen. Wie oft hatte sie sich über ihn beschwert. Aber das Essen durfte er ihr auf Arbeit bringen. Erst nur für sie, dann für sie und ihre Freundinnen.

Damals hatte er mich noch nicht interessiert. Mister Sexy sieht nun mal anders aus. Außerdem war ich da gerade in einer Beziehung gewesen. Damals war ich noch der Meinung gewesen, das zu einer anständigen Beziehung auch Streit gehört. Meine ehemals beste Freundin hatte mir dies eingetrichtert. Deshalb habe ich nach einer gewissen Zeit Streit angefangen, wenn keiner automatisch aufgekommen war. Das war auch dann das Ende der Beziehung gewesen. In meiner Naivität habe ich es nie gemerkt. Erst durch ihn kam ich darauf. Es ist ja nicht so, das wir uns stets verstehen und einer Meinung sind. Nur streiten wir uns nicht sinnlos, sondern

diskutieren alles in Ruhe aus. Nacheinander sprechen wir uns gegenseitig aus. Hören einander zu. Anfangs war es neu und ungewohnt für mich. Aber ich merkte schnell die positive Wirkung. Jeden Tag war er zu uns auf Arbeit gekommen. Kam er anfangs nur ihretwegen und brachte nur ihr Essen mit, stellten sich bald andere Kollegen dazu und gaben ihre Bestellungen auf. Da dachte ich, das er entweder ein Trottel ist oder er Langeweile hatte. Vielleicht auch beides. Ich fing an, ihn zu beobachten. Irgendwie interessierte es mich, wer der Typ war. Vor allem, warum er tat, was er tat. Er brachte ja

nicht nur das Essen. Ab und zu kam er mit einem Zettel an, den sie unterschreiben musste. Irgendwas wichtiges. Oder er zählte auf, was er schon erledigt hatte und was er noch tun müsse. Außerdem fragte er sie, ob ihr noch was eingefallen wäre, was er noch machen solle. Ich verstand ihn nicht. Zwar war er nicht mein Typ gewesen. Aber dennoch glaubte ich, das er was besseres verdient hatte und was besseres kriegen würde. So viel, was er für sie tat...und was machte sie? Beschwerte sich über ihn. Das verstand ich nicht. Sie hatte jemanden, der ihr förmlich den Arsch sauberleckt

und... Dadurch wurde er aber auch interessanter für mich. Was ging in dem Mann vor? Warum tat er so viel für eine Frau, die es nicht zu würdigen wusste und ihn schlecht darstellte? Er musste ein Trottel sein. Ein naiver, aber liebenswerter Trottel. Ich hatte echtes Mitleid mit ihm und verspürte Verachtung für sie. Wenn man so aussah, wie sie, musste man dankbar dafür sein, überhaupt einen Mann abbekommen zu haben. Es tut mir leid, wenn ich das so krass sage. Normalerweise bin ich sehr tolerant. Lasse mich nicht auf ein bodenloses Niveau ab. Lästere nicht und ziehe nicht

über andere her. Wenn ich etwas zu sagen hatte, dann nicht hinter dem Rücken des Denjenigen, sondern ins Gesicht, des Entsprechenden. Wie in jenem Fall. Ich ging auf sie zu und sagte ihr meine Meinung ins Gesicht. Dafür erntete ich böse Blicke und giftige Worte. Von ihr und ihren Freundinnen. Aber das war mir egal. Damit hatte das fette, dumme Urvieh nur dafür gesorgt, das ich noch mehr Mitleid mit der armen Seele bekam. Ich tat alles, um ihn aus ihren Armen zu reißen. Um es auf den Punkt zu bringen: Anstatt nur zu beobachten was er tat, schmiss ich mich an ihn ran, sobald ich ihn sah. Oh mein Gott, was erntete ich

für tödliche Blicke. Auf der einen Seite zog sie hinter ihm her und regte sich auf, das er nicht kapierte, das es zwischen den beiden aus war und nie wieder etwas werden würde. Aber auf der anderen Seite reagierte sie sehr eifersüchtig, wenn ich mit ihm sprach. Augen sagen eben mehr als Worte. Und ich war nicht die Einzige, die sie so angeschaut hatte. Wollte ich ihn anfangs nur von ihr befreien, merkte ich immer mehr, das ich mich in ihn verliebt hatte. Kurz vor der Mittagspause schlich ich mich nach draußen, weil ich es nicht erwarten konnte, ihn endlich wieder zu sehen. Mit ihm zu reden. Ich fühlte mich, wie

ein Teenager. Und das mit über dreißig. Mir war egal, was die anderen dachten. Vor allem, was seine Ex wollte, war mir schnuppe. Sie hatte ihn doch verlassen und wollte nie wieder mit ihm zusammen kommen. Also konnte es ihr doch egal sein, wenn er eine andere hatte. Schließlich hatte sie zwischendurch auch einen anderen Kerl gehabt. Irgend so ein Widerling. Ich kann ihn nicht beschreiben. Zu lange her. Mein Schatz hat mir einmal gesteckt, das Jener sie einmal geschlagen hatte. Denn noch hatte sie sich weiterhin mit ihm abgegeben. Selbst nach der zweiten Trennung hatte sie noch Kontakt zu ihm. Seine Meinung

war, das er sehr gut im Bett sein musste. Oder sie hatte angst vor ihm. Beides war möglich. Weshalb sonst hatte sie ihn damals nicht angezeigt, sondern sich nach ein paar Tagen wieder mit ihm vereint? Warum hatte sie ihm erlaubt, das er sein Diebesgut bei ihr unterstellen darf? Wieso hatte sie ihm erlaubt, das er bei ihr ein und ausgehen darf, wie er wollte? Ich war damals ein wenig traurig gewesen, weil ihr Ex nicht mehr kam, stattdessen dieser schmierige, eklige, von sich selbst eingenommene Typ. Wie viel Verachtung hatte ich damals für beide. Für sie und ihren Neuen. Traurig fand ich, das, kaum war dieser

Widerling „Geschichte“, stand der liebenswerte Trottel wieder an der Tür. Zum Glück für mich, kann ich jetzt sagen. Wer weiß, welchen Versager ich jetzt an der Backe kleben hätte, wenn ich ihn nicht hätte. Noch lange, nach dem er zu mir gefunden hatte, versuchte sie, ihn mir wieder wegzunehmen. Sie konnte es einfach nicht ertragen, das er glücklich war. Vielleicht lag es auch ein wenig an mir. Schließlich konnte sie mich nicht leiden. Nicht, nach dem ich ihr eine klare Ansage gemacht hatte. Ich bin dankbar dafür, das ich ihn gefunden habe. Er ist ein liebevoller und vor allem liebebedürftiger Mensch. Das

habe ich sehr schnell herausgefunden. Wenn er nicht genug Liebe bekam, flüchtete er sie sich in Alkohol. Das Thema Alkohol ist Geschichte. Nur ab und zu geht er mit seinen Freunden einen Trinken. Wenn er dann nach Hause kommt, gibt er sich sehr viel Mühe, weder mich, noch unser Kind zu wecken. Das klappt aber nicht so gut, da ich ohne ihn nicht einschlafen kann. Wenn er nicht neben mir liegt und ich ihn nicht spüren kann, liege ich stundenlang wach. Zum Thema Kind: als er erfuhr, das ich schwanger bin, wusste er nicht, wie er reagieren sollte. Auf der einen Seite hatte er sich darüber gefreut. Auf der

anderen Seite war er traurig. Mit seiner Ex hatte er Kinder. Viel hatte er nicht von ihnen gehabt, da die Kindesmutter meist ohne ihn weg ist und die Kinder mit ihr gehen mussten. Später wurden sie ihm ganz weggenommen. Ihm und ihr. Seit dem sieht er sie zwar öfter, als je zuvor. Aber wenn die Kindesmutter ihren Grips benutzt hätte, wäre es nie so weit gekommen. Deswegen hatte er angst. Es könnte ihm ja wieder weggenommen werden. Nun ist sie sieben und immer noch bei uns. Obwohl uns „Unbekannte“ angezinkt hatten. Mehrfach hatten wir Besuch vom Jugendamt gehabt. Beim ersten mal kam jene Dame, die ihm seine ersten Beiden

Kinder entrissen hatte. Daraufhin waren wir umgezogen. Weil ich befürchtete, das mir mein Kind entzogen wird. Sie hatte sich sehr lange bei uns aufgehalten. Sehr viele Fragen seine Ex gestellt. Sie wollte nicht kapieren, das sie keinen Kontakt mehr zueinander hatten. Das sie ihre Kinder nur noch getrennt besuchen gingen und nicht mehr gemeinsam, wie am Anfang. Ich war froh, als sie endlich gegangen war. Kurz darauf zog er sich an und verschwand wortlos. Ließ mich einfach stehen. Als er Stunden später mit einer extremen Fahne wiederkam, entschuldigte er sich mehrfach bei mir, das er einfach so gegangen war. Er

wollte seine Wut nicht an mir auslassen, hatte er mir gestanden. Am liebsten hätte ich ihm eine geknallt. Aber ich war auch dankbar, das er Rücksicht auf mich genommen hatte. Beziehungsweise, auf uns zwei. Deshalb verzieh ich ihm. Besser er soff irgendwo und kam friedlich nach Hause, anstatt das er mich anging und irgendwas zerdepperte. Erstaunlich, wie schnell der Buschfunk Nachrichten übermittelte. Kaum hatten wir unsere Wohnungen gekündigt und einen neuen Mietvertrag unterschrieben, wusste schon sein altes Jugendamt von und wollte genaueres erfahren. Warum wir umzögen und so weiter. Lange haben wir an einer Antwort gefeilt. Die

ersten Briefe, die mein Schatz schrieb, konnte man nicht abschicken. Darin war zu viel Hass und Wut. Zu seiner Verteidigung muss ich sagen, das er sich warmgeschrieben hatte. Seinem Ärger Luft gemacht hatte. Deshalb auch diese unleserliche Handschrift. Als er etwa dreißig Seiten vollgeschmiert und verworfen hatte, schrieb er die Reinschrift: „Sehr geehrte Frau K, eigentlich bin ich Ihnen keine Rechenschaft schuldig. Es ist eine Entscheidung, die meine jetzige Frau und ich gemeinsam getroffen haben. Dennoch werde ich Ihre Neugier stillen

und Ihnen den Grund für unseren Umzug nennen: Es liegt an Ihnen. Sie haben mir schon einmal meine Kinder genommen, weil Sie entweder nicht in der Lage sind richtig zuzuhören, oder Sie es nicht wollen. Wie oft haben Sie auf mich herumgehackt, ohne mal zu fragen, wie es wirklich ist? Ich wurde stets von Ihnen und ihren Kollegen übergangen. Stets haben Sie nur auf meine Exfrau reagiert. Wenn sie die Kinder nicht haben kann, dann werden sie den Eltern weggenommen, war Ihre Devise. Mir haben Sie nie wirklich eine Chance gegeben. Ebenso wenig haben Sie sich aus unserer Ehe herausgehalten, wie Sie

es uns eigentlich immer wieder weisgemacht haben. Sie wussten, das meine Ex dumm ist und wie man sie manipuliere kann. Am Ende, als ich meine Ehe nicht mehr retten konnte, haben sie sich keine Mühe mehr gegeben, es rein durch die Blume zu tun. Da ist es dann endlich meiner Exfrau aufgefallen, das Sie uns auseinanderbringen wollen. Und bevor Sie es nun wieder tun, ziehe ich um. Weit weg von Ihrem Einzugsgebiet. Ich habe, dank Ihnen, ihren Kollegen und meiner Exfrau, schon zwei gestörte Kinder. Damals habe ich nichts unternommen, was ich sehr bereue. Aber jetzt sieht alles anders aus, da

meine neue Frau geistig gesund ist und zu einhundert Prozent zu und hinter mir steht. Ihre Intelligenz überragt meine immens. Sie lässt sich nichts gefallen. Sollten Sie, oder einer ihrer Kollegen, versuchen uns auseinanderzubringen, beziehungsweise, das Kind wegzunehmen, werden wir vor Gericht ziehen. Ich werde alle alten Geschichten aufwärmen und dafür sorgen, das Sie diesen Job nie wieder ausführen dürfen. Und da wir gerade beim Thema alte Geschichten sind: Ich habe eine Art Tagebuch entdeckt. Darin stehen ein paar Dinge über meine Ex. Über sie reden durfte ich ja nicht. Sie durfte nur mich schlecht machen. Aber

umgedreht... Lesen Sie es dich durch. Vielleicht sehen Sie dann ein, das Sie einen verdammt großen Fehler gemacht haben. Es stehen nur die Ereignisse drin, wo ich noch bei ihr gelebt hatte. Alles was danach kam, habe ich nicht mit hineingenommen. Aber allein die wenigen Anmerkungen werden das schöne Bild zerstören, was Sie von ihr haben. Meinetwegen behalten Sie das Büchlein. Legen Sie es zu den Akten. Vor Jahren hatte ich mal einen mehrseitigen Brief geschrieben. Der liegt schon ungelesen in den Akten. Woher ich weiß, das mein Brief ungelesen ist? Nichts passierte daraufhin. Gar nichts. Absolut nichts?

Und warum nicht? Weil sie eine Frau ist und sich deshalb alles erlauben darf? Mit freundlichen Grüßen …“ Es war das Beste von allen. Auch wenn es auf dem ersten Blick nicht so aussehen mag. Mein Schatz liebte seine Frau und seine Kinder. Deswegen hatte er alles versucht, das sie eine Familie werden. Aber zu viele waren dagegen gewesen. Einschließlich Jugendamt. Bei uns hatten sie auch reingeredet, wollten uns auseinander bringen. Aber sie

kannten mich nicht. Ich bin nicht, wie seine Ex. Wenn es sich lohnt, um etwas zu kämpfen, dann tu ich es und gebe nicht einfach kampflos aus. Er war und ist etwas, um das es sich lohnt zu kämpfen. Zehn Jahre sind eine lange Zeit. So lange hielt es noch nie jemand mit mir aus. Er ist immer noch ein liebenswerter Trottel. Aber nicht mehr der, der er vor über zehn Jahren noch war. Ich habe ihn dazu gebracht sich zu verändern. Positiv zu verändern. So, wie er mich verändert hat. Durch ihn weiß ich, das eine Beziehung keinen Streit braucht. War damals echt dumm von mir, das ich mir einreden ließ, das zu einer Beziehung

auch Streit gehört. Heute weiß ich es besser. Das habe ich nur ihm zu verdanken. Wir unternehmen sehr viel gemeinsam. Lassen uns aber auch unsere Freiräume. Es ist ein Geben und Nehmen. Gegenseitiger Respekt. Um diesen Mann zu kämpfen, lohnt sich wirklich. Auch wenn es auf dem ersten Blick nicht den Anschein hat. Durch ihn habe ich gelernt, das es auf die inneren Werte ankommt. Schönheit ist vergänglich. Mein Opa war einst ein wunderschöner, attraktiver Mann gewesen. Jetzt ist er einfach nur alt. Man sieht nichts mehr davon, wie er früher einmal aussah. Trotz des Schwindens seiner

Attraktivität, liebte meine Oma bei ihn weiterhin, weil er blieb, wie er war und sich täglich veränderte. Klingt seltsam, aber so hatte es mir meine Oma gesagt. Leider ist sie vor Kurzem verstorben. Bei ihr fand ich immer jemanden, bei dem ich mich aussprechen und ausheulen konnte. Mein Schatz war der erste, meiner festen Freunde, den sie sofort ins Herz geschlossen hatte. Da wusste ich, den muss ich halten. Denn meine Oma hatte sehr gute Menschenkenntnis. Siebenundneunzig Jahre war sie geworden. Ein hohes Alter. Es tat weh, als sie von uns ging. Aber sie hatte ein hohes Alter erreicht und war bis zum

Schluss ziemlich fit geblieben. Tägliche Spaziergänge, geistige Arbeit und bewusste Ernährung scheinen Wunder zu bewirken. Deshalb kam es für uns so überraschend. Mitten in der Nacht war sie einfach eingeschlafen und wachte nicht wieder auf. Eigentlich ein schöner Tod. Zehn Jahre teilen wir uns nun schon Freud und Leid. Wir haben viel durchgestanden. Geschafft haben wir es aber nur, weil wir zusammen gehalten haben. Nie aufgaben. Wir drehten denen den Rücken zu, die uns unser Glück nicht gönnten. Gingen auf die zu, die sich mit uns freuten und zu uns standen. Unser Freundeskreis ist sehr

überschaubar. Aber dafür können wir uns auf sie verlassen. Ich bereue nicht, um ihn gekämpft zu haben. Denn er zeigte mir, was wahre Liebe ist. Durch ihn bin ich reifer geworden. Er ist mein Mann und der Vater meiner Tochter. Seine Exfrau hatte ihn freigegeben, aber nicht abgeben wollen. Sie wusste schon, warum.Was sie mit ihm verlor. Aber darüber hätte sie vorher nachdenken sollen. Ich weiß, was ich an ihm habe.

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