Chase schluchzte auf. Er stützte seinen Kopf mit beiden Händen vom Tisch ab, krallte sich mit den Fingern in die schwarzen Haare. Die Erinnerungen fühlten sich an wie Messerklingen, die sich langsam in seinen Kopf und seine Brust drückten. So langsam, dass es den Anschein machte es wäre wirklich nötig und man müsste dabei vorsichtig vorangehen. Seine Wangen färbten sich rot, die Augen waren unterlaufen, die dunklen Schatten kaum zu übersehen. Es machte ihn traurig, frustriert und psychisch fertig zu wissen was man seiner Frau angetan hatte. Das
Schlimmste daran war, dass er sich immer wieder daran erinnern musste. Seiner Liebe, derjenigen, die ihm alles verzieh, die etwas Gutes in ihm sah, wenn andere es nicht einmal bemerken wollten. Sie hatte sich um ihn gekümmert und er hatte es ihr gleichtun wollen. Er wollte ihr alles geben, das er hatte, doch das war nichts geworden. All die Mühe, die er sich geschenkt hatte, war einfach so in Luft aufgelöst. Eine junge Dame trat an seinen Tisch und legte sanft eine Hand auf seine Schulter. „Hey...“, mit sanfter Stimme wollte sie vorbeugen ihn nicht zu erschrecken, doch Chase riss es aus seinen Gedanken
und er schreckte hoch. Schnell, als wäre es ihm peinlich und niemand dürfe es sehen, weil er es dann erklären musste, wischte er sich mit den Handflächen das Gesicht ab, schniefte und versuchte wieder so normal zu wirken wie er konnte, bevor er kurz zu ihr hoch sah. Seine Kollegin war eine hübsche rothaarige, die sich größtenteils immer als gute Freundin erwiesen hatte. Wenn Chase einmal das Büro verlassen musste, um schnell wo anders hin zu gehen, sprang sie für seine Aufgaben ein, übernahm einen Teil oder lenkte die Bosse so lange ab, bis Chase wieder da war. Sie hatte ihn irgendwie immer verstanden und auch jetzt war sie wieder
die einzige, die zu ihm kam und ihn wohl aufheitern wollte. Zu mindestens sagte das ihr bemitleidender Blick. Wie satt er doch diese Blicke hatte... Ein sanftes Lächeln huschte über ihre Lippen, wie sie sich halb auf den Tisch setzte und Chase wie eine gute Mutter musterte. „Alles wird gut, Chase...“, flüsterte sie und wuschelte ihm freundschaftlich durch die Haare, als ob ihn das aus seiner Trauer befreien könnte. Die jahrelange Bekanntschaft in diesem Unternehmen, machte es den beiden leicht den Körperkontakt zu einander zu haben. Sie wusste, das Chase verheiratet war und sie wusste auch, dass er
glücklich war mit seiner Frau. Sie selbst hegte aber auch rein keine Intentionen die beiden auseinander zu bringen. Sie waren Freunde und konnten platonisch einander näher kommen. Sie nickte Chase zu, solange dieser sie dankbar ansah. „Jessy...es ist so schwer. Ich vermisse sie...Ich vermisse sie so sehr...“ Aber mehr als das konnte er nicht sagen, bevor seine Stimme wieder zu zittern begann und die Bilder, wie eine Drohung näher kamen. Bis jetzt hatte er keinem davon erzählt, was er auf dem Video zu sehen bekam oder das es dieses Video überhaupt gab. Niemand würde sich darum kümmern, es gab keine Lücken,
keine Hinweise auf etwas. „Chase, geh' am besten nach Hause. Ruh' dich noch einmal aus.“, sprach sie zu ihm und drückte wieder seine Schulter, bevor sie aufstand und den knielangen Rock raffte. Sie mochte recht haben. Es war sicherer wenn er nach Hause ging, statt alle hier vollzuheulen. Er würde seine Arbeit vergessen müssen, denn er bekam nicht einen einzigen Gedanken dafür hin. Er hatte Schmerzen, war depressiv und er wollte am liebsten den ganzen Tag schlafen. Hauptsache man ließ ihn in Ruhe. Hauptsache er konnte bald seiner Frau folgen. Die Tasche zusammenpackend dankte er seiner Kollegin, bevor er den Mantel
über die Schultern warf und während der Mittagspause, bevor die letzten Mitarbeiter wieder eintrudelten, verließ er das Gebäude. Er nahm den üblichen Weg nach Hause, schaute weder nach links noch nach rechts. Er hätte einkaufen müssen, aber er hatte keinerlei Hunger. Er verspürte diesen schon seit dem Video nicht mehr. Ihm wurde immer wieder schlecht, wenn er daran dachte, was man ihr angetan hatte. Ihr Körper, ihr wunderbarer Körper so geschunden, so misshandelt...Ihre Seele war in diesem Moment in kleine Einzelteile zersprungen. Chase hatte es in ihren weit aufgerissenen Augen gesehen. Sie schrie und er spürte jedes Mal wie sich seine
Lungen zusammenzogen, wenn er daran dachte. So, als ob er selbst in diesem Moment hätte schreien sollen. Abwesend blickte er auf den Gehsteig, den er entlang lief, bevor er den Häuserblock erreichte in dem sich ihre Wohnung befand. Sie war nur noch für ihn und sie war zu groß und die Katze müsste er wahrscheinlich bald abgeben, denn er konnte sich nicht um sie kümmern. Sie ließ sich ungern von ihm streicheln. Wahrscheinlich roch sie seine Verzweiflung oder es war etwas komplett Anderes. Tatze mochte ihn schließlich schon seit Anfang an nicht. Auch heute, als er die Wohnung betrat, huschte sie durch den Flur, als hätte sie
Angst vor ihm. Tatze fauchte nicht oder murrte drohend. Sie war einfach verschwunden. Manchmal gab sie ein Miauen von sich, doch wie bekannt war, miauten Katzen nur um mit Menschen zu kommunizieren. Aber Chase war nicht so weit, um eine neue Sprache zu lernen, schon lange nicht um die Beleidigungen einer Katze zu verstehen. Er streifte die Schuhe ab, legte die Tasche und den Mantel im Flur bei einer kleinen Kommode ab, bevor er den Weg weiter hinein in die Wohnung machte. Langsam schlürfte er ins Wohnzimmer, die Arme hingen schlaff herunter und er ließ sich schließlich auf das Sofa fallen. Es war kalt in der Wohnung, es war
leblos und selbst die Anwesenheit einer Katze machte es nicht besser. Diese sprang auf einmal auf das Sofastück neben ihm und starrte ihn mit ihren großen leuchtenden Augen an. Chase wandte ihr ebenfalls den Blick zu, seufzte und beugte sich vor, worauf die Katze zusammenzuckte, aber sich nicht vom Fleck bewegte. „Was ist los, Tatze?...“, Chase beugte sich leicht zur Seite, um in die Küche zu sehen. Der Fressnapf der Katze war noch immer zur Hälfte voll, also konnte es nicht das Futter sein, was an sich immer der einzige Grund war, weswegen die Katze zu ihm kam. Plötzlich fing sie an zu murren. Ein
schweres und unzufriedenes Murren, das tief aus der Bauchhöhle kam, als wolle sie ihm drohen. Chase runzelte die Stirn und hob die Hand, um der Katze versuchshalber über den Rücken zu streicheln, doch wie sonst auch sprang sie zurück, schnaubte, als wäre sie unzufrieden oder als wolle sie ihn einen Idioten nennen damit. „Was hast du denn, Tatze? Dein Fressen ist da...du hast doch alles...“ Doch die Katze wich nicht weiter als ein paar Schritte von ihm, sprang auf den Boden vor dem Sofa und tapste wieder auf ihn zu, setzte sich hin und sah ihn wieder an. Es war etwas Seltsames mit ihr los, denn
meist verhielt sie sich nicht so, suchte nicht seine Nähe und schon lange nicht das Gespräch. Doch es machte den Anschein, als wolle das Tier ihm etwas sagen. Schließlich stand Chase auf, als wolle er Tatze damit sagen, er würde ihr folgen, wenn sie ihm etwas zu zeigen hätte, doch wie ein Pfeil schoss die Katze aus dem Wohnzimmer und ließ ihn alleine zurück. Verwirrt blickte Chase zum Flur hin und schüttelte schließlich den Kopf. Er fühlte sich nicht gerade in der Lage Tatze hinterher zu jagen, weswegen er sich einfach nur wieder auf das Sofa sinken ließ. Tief und laut durchatmend versuchte sich
Chase zu entspannen. Die Gedanken mussten irgendwo anders hin kreisen und er musste sich einfach ablenken. Vielleicht würde ja ein Bad helfen, dachte er sich. Doch im nächsten Moment, wie er aufstand und den Weg ins Badezimmer einschlagen wollte stieß er sich den Fuß am Couchtisch an. Sofort verzog sich sein Gesicht zu einer schmerzvollen Visage und er ließ sich wieder auf das Sofa zurückfallen. Noch mit zusammen gekniffenen Augen stieß er mit dem heilen Fuß gegen den Tisch und verfluchte diesen, als wäre das Stück Holz Schuld an seiner Unaufmerksamkeit. Durch den Stoß gegen den Tisch fiel etwas herunter,
doch es klang weder nach einem Glas, dass da seit einigen Tagen gestanden hatte, noch nach etwas anderem, das wirklich hätte zerbrechen können, wenn es runter fiel. Es hörte sich mehr nach Papier an. Ein Umschlag der von der Kante gestoßen worden ist und nun auf dem Teppich neben dem kleinen Couchtisch lag. Es war nicht laut gewesen, doch in letzter Zeit war Chase so sensibel geworden was jegliche Art von Geräuschen anging, so dass seine Sinne auch darauf ansprangen. „Was zum...“, Chase schnaufte und rieb sich noch den Fuß, während er den Blick auf den Umschlag fielen ließ und diesen musterte. Ein herkömmlicher einfacher
Briefumschlag, der nichts preisgab. Er war bräunlich, nach der dicke zu urteilen gefüttert, um dem Inhalt eine unbeschwerliche Reise zu gewährleisten. Chase schob die Augenbrauen zusammen und griff nach dem Umschlag. Natürlich neugierig darauf, was dieser hier zu suchen hatte und ob er ihn einfach nur vergessen hatte. Doch plötzlich, als er diesen in der Hand hielt, traf es ihn wie der Blitz. Genau denselben Umschlag hatte er damals bekommen gehabt, kurz bevor er die Bilder seiner Frau gesehen hatte. Bilder, die er nie hätte sehen wollen. Sofort schüttelte er den Kopf und ließ den Umschlag fallen, als wäre dieser zu
einer giftigen Schlange mutiert. „Nein!“, schrie er das Stück Papier an und kehrte komplett auf das Sofa zurück. Der Gedanke an eine entspannende Badewanne war vergessen. Chase sah sich um, hastig und schnell wollte er sehen, ob jemand sich in seiner Wohnung befand. Wie hätte der Umschlag hier auf seinen Tisch landen können, ohne das jemand eingebrochen war. Doch als er rein kam war ihm nichts aufgefallen. Weder war das Schloss lose, noch die Fenster offen. Chase hielt die Luft an, richtete den Blick wieder auf den Umschlag am Boden. „Nein...Bitte...“, seine Gedanken
kreisten, um den einen Fakt, dass dieser Umschlag ihm damals den Tod seiner Frau gezeigt hatte. Er konnte sich nichts anderes vorstellen, was da hätte drin zu finden sein sollen.
tooshytowrite Danke, dass Du die Spannung schön aufrecht erhältst. Damit ich Ausschau nach dem vierten Teil halte und mich darauf stürzen werde? |
TheGeneral Ganz genau das war der Plan, hehe |