Ying & Yang
Meine bessere Hälfte ist vor Kurzem infiziert worden.
Ich verstand sie einfach nicht mehr.
Diese Krankheit hat sie sich offensichtlich bei ihrem Friseurbesuch eingefangen.
Sie erschien plötzlich in einem ganz anderen fremden Aufputz, der an eine Wahrsagerin erinnerte.
"Wir müssen die ganze Wohnung erst energetisch reinigen", verlangte sie.
"Dein Karma bewirkt nämlich negative Influenzen. Ich muss mich unbedingt um Deine vertikalen Meridiane kümmern, damit Dein Chakra sich erhellen kann. Wenn Dein Astralleib, also Dein subtiler Körper im
Gleichgewicht wäre, dann ginge es."
Sie faselte, wie ich fand.
Ich war der Meinung, dass es meinem Körper eigentlich recht gut ging, da hatte ich an sich keine Zweifel
„Komm mal runter“, suchte ich zu beruhigen.
„Du kannst wirklich auch was für Dich tun! Du hast doch schon Augenringe.“
„Das sind keine Augenringe, das sind die Schatten großer Taten“, erwiderte ich.
„Du hast Dir jetzt richtige Macken angewöhnt", wagte ich einzuwerfen.
Sie blieb nichts schuldig.
"Ich habe keine Macken, das sind Wege zur Erkenntnis. Und ich mache mir Sorgen um Dich.“
„Ich auch“, murmelte ich."Vor allem bei Dir",
aber das verschluckte ich wohlweislich.
Sie blitzte mich an.
Ich wußte, was mir blühte. Erst hatte ich mühsam Laufen und Sprechen gelernt, nur, damit ich jetzt still sitzen und den Mund halten musste.
„Ich lege Dir jetzt die Tarot Karten", bestimmte sie. "Wollen doch mal sehen, ob bei Dir noch etwas zu retten ist.“
„Und du kannst das, das Tarot Legen?“ Wenigstens minimalistische Vorkenntnisse hätte ich erwartet. Sie aber war unbeirrbar und entgegnete:
„Jeder kann das, wenn er über eine bestimmte Stufe des ruhelosen Sehnens hinaus ist und zur fundamentalen Sinneswahrnehmung Zugang erlangt hat.“
Mann, Mann, wo war ich plötzlich hingeraten?
Sie legte irgendwelche Karten auf und runzelte immer wieder die Stirn.
„Oje“, meldete sie.
„Wir müssen dringend etwas tun. Jetzt, sofort, oder es geschieht ein Unglück. Du hast eine gefährliche, negative Individualität gegenüber dem Aszendenten entwickelt. Das sieht man schon am sogenannten ersten Haus im Bann des Pluto. Du verstehst, die Imum-Coeli Achse verbiegt sich.“
„Ich verstehe“, murmelte ich.
"Jetzt, zur Weihnacht können wir uns solche gefährlichen Auswüchse nicht erlauben. Deine Auswüchse! Wir müssen Weihnachten retten! Los!
Die Schrankwand muss umgebaut und
überhaupt gegenüber gestellt werden, während das Sofa dann an die Stirnseite kann, damit die transzendenten Wellen nicht gestört werden. Außerdem ist es unumgänglich die Polster noch zu weihen. Der Teppich zerstört die Ausgeglichenheit von Ying und Yang. Die Küche muss umgestaltet werden, weil gerade die Vibrationen kachektisch strahlen und aus dem Lot des 'Seins' ausschlagen. Der Tannenbaum steht völlig falsch. Spürst du nicht, wie er leidet? Hier, schon ist eine Nadel abgefallen!"
„Schlimm“, bemerke ich.
"Was hat denn die Einrichtung mit mir zu tun?"
"Alles! Du störst das Gleichgewicht, und zwar exorbitant! Wir müssen gegensteuern. Du
kannst Dich offensichtlich nicht ändern, also müssen wir Hand anlegen, capische?"
"Hm."
Was soll ich groß erzählen? Völlig zwecklos mit irgendwelchen Argumenten gegen sie Front zu machen.
Zwei Tage lang schuftete ich in der Wohnung wie ein Berserker. Haben sie schon mal Schrankwände ab- und aufgebaut? Die ganze Küche umgestaltet, von neuen Elektrozugängen, Bohrungen und dergleichen mal ganz abgesehen?
Ich war völlig fertig, aber angeblich hatte sich mein Karma selbstständig auf eine höhere Ebene begeben.
„Schön, Bärchen, fühlst Du Dich jetzt nicht
auch wohler?“
„Ja, sicher!“
Der Rücken, Ischias, die Beinmuskeln, die Arme waren anderer Meinung, als hätte ich die diversen Muskelkater durch Hamstereinkäufe ergattert.
Es klingelte.
Ein Waldschrat stand vor der Tür und begehrte Einlass. Meine bessere Hälfte verneigte sich, wie wenn der Kaiser von China persönlich seine Aufwartung gemacht hätte.
"Der", er zeigte auf mich, "ist zwar zu nichts zu gebrauchen, aber dafür zu allem fähig."
Das Rumpelstilzchen hatte ein Knochendreieck in der Hand. Es erinnerte mich an das Brustbein unseres letzten
Brathühnchens.
"Er ist ein berühmter Wünschelrutengänger", raunte Sie mir zu. "War schwierig ihn überhaupt zu bekommen. Ein totaler Profi, er kann uns helfen. Und benimm dich gefälligs, du Trampel!"
Der Druide ging konzentriert die Wohnung ab. Immer wieder zitterte sein Y-Stöckchen. Es gab merkwürdiger Weise sogar Geräusche von sich. Es klimperte.
"Schlimm, "Schlimm", raunte der Zauberer immer wieder.
Ich wollte ihm schon den Ratschlag geben sich vorher zu überlegen, auf was er im Nebenzimmer trifft, wenn er durch die Wand geht. Bevor der Schamane uns verließ, gab
er meiner besseren Hälfte noch genaue Anweisungen.
Sie entließ ihn unter einem Schwall von Danksagungen und drängte ihm einen Obolus auf, das ihm bestimmt ein nobles Weihnachtsfest ermöglichte.
Jedenfalls warf sich meine bessere Hälfte wieder in Positur.
"Wir müssen alles ändern!"
Gefährliche, unheilvolle Wasseradern durchzögen unsere Wohnung. Nur schnelles Handeln könnte uns vor dem Untergang retten.
Ich schüttelte nur noch den Kopf.
"Willst Du etwa das friedliche Weihnachtsfest auf dem Gewissen haben? Katastrophen
herauf beschwören?
Das würde uns nämlich blühen!"
Ich ergab mich meinem Schicksal. Schließlich hatte ich ja eine höhere Stufe des Fatalismus erreicht. Nur so konnte ich eine Depression vermeiden, weil natürlich ich und meine Aura an Allem Schuld waren.
Haben Sie schon einmal versucht die Kleiderschränke wieder abzubauen und wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen? Das Gleiche hatte ich mit der Küche und dem Wohnzimmer vor mir.
Nach einer Woche schweißtreibender Arbeit war es soweit. Alle grausigen, unheilvollen
Wasseradern waren umschifft.
„Na, Bärchen, bist Du jetzt nicht auch mit Dir selbst im Reinen? So kann uns nichts mehr passieren und ich freue mich schon auf eine geruhsame Weihnacht. Da können wir so richtig in uns gehen", schnatterte sie.
Das wollte ich denn auch wörtlich nehmen! In uns gehen. Mein Karma würde es präzisieren: ich würde meinen 'in Sie gehen'.
Ich hätte nun Kalpa-Taru erreicht, erklärte sie, aber das half den blutdurchtränkten, schmerzenden Pflastern auch nicht.
Das juckte die Verletzungen, die ich mir bei den Umzugsarbewiten zugezogen hatte, in keiner Weise. Ich musste mein Vorstellungsvermögen reichlich bemühen, damit ich mich nun angeblich im
Schnüffelblumen-Wolkenkuckucksheim befand.
Anscheinend strahlte ich nun kein Katastrophen-Charisma mehr aus, weil Sie eine ganz gewisse, erotische Entspannungsübung vorschlug, die ich durchaus befürwortete.
Es war richtig weihnachtlich, weil ich mich der Puppenhülle der Engstirnigkeit hatte entledigen können, quasi mein Puparium über Bord geworfen hatte. Geistige Befreiung nennt man das wohl.
Sie würden mich darum beneiden, wenn Sie wüssten, welch überirdische Sphären ich erlangt habe.
Die Wohnung präsentierte sich nun haarklein genauso, wie vorher.
Selbst der indische, kleine Porzellanelefant hatte genau denselben Platz gefunden. Wir waren praktisch zweimal umgezogen.
Und was da alles an Arbeit und Schweiß dahinter steckte, das wurmte mich am meisten, denn:
.. niemand hat’s gesehen!
Wenigstens war das Weihnachtsfest gerettet.