Kurzgeschichte
Der Schrecken nach der Geburt

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"Als sie ihr Kind sah, kam die traumatische erinnerung wieder "
Veröffentlicht am 29. November 2015, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Elena Okhremenko - Fotolia.com
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Als sie ihr Kind sah, kam die traumatische erinnerung wieder

Der Schrecken nach der Geburt

Titel

Als sie mir mein frisch geborenes Kind in die arme gaben und ich in das Gesicht meines Sohnes sah, hatte ich mich fürchterlich erschrocken. Die Vergangenheit hatte mich wieder eingeholt. Ich schrie den ganzen Kreißsaal zusammen und hätte beinahe das Kind gegen die Wand geschmissen. Keiner wusste, was mit mir plötzlich war. Ich wusste es selber nicht so genau. Als ich in sein Gesicht gesehen hatte, sah ich nicht mein Kind, sondern den Mann, der mich meiner Kindheit beraubt hatte. Die schrecklichen Qualen, die ich damals durchlitten hatte,

durchlebte ich in dem Kreißsaal noch einmal. Spürte noch einmal seinen heißen Atem in meinem Gesicht. Sah wieder sein feistes Grinsen vor mir. Die Ärzte und Schwestern hatten Mühe, mich zu beruhigen. Das gelang nur durch eine gewaltige Dosis Narkotika. Nach dem Krankenhaus, kam ich in eine Nervenheilanstalt. Mein Mann kümmerte sich derweil um unser Kind. Ich weiß, das er mich gern besucht hätte. Aber ich habe ihm gesagt, das ich mich bei ihm melden werde, wenn ich mich bereit dazu fühle. Auch wenn ich ihn liebte, wollte ich ihn nicht sehen. Konnte keinen Mann ertragen. Weder ihn, noch meinen Sohn, geschweige einen anderen

Mann. Als ich ins Sanatorium überwiesen wurde, wusste ich noch nicht, das ich meinen Mann und meinen Sohn verlassen werde. Aber ich habe es getan. Wie könnte ich mit jemanden unter einem Dach leben, der mich immer wieder an jenem Mann erinnert, welcher mich damals missbraucht hatte? Mir ist klar, das es ein Baby war, vor dem ich angst hatte. Mein Baby. Aber so ist es nun mal. Die Gesichtszüge ähnelten weder meinem Mann, noch mir. Das Baby hatte haargenau das selbe Gesicht, wie... Mein Mann weiß von nichts. Weiß nichts vom Missbrauch und warum ich

unser Kind loswerden wollte. Wie sollte ich ihm das erzählen? Er zeigte zwar Verständnis. Aber ich glaube nicht, das er mich für voll genommen hätte, wenn ich ihm das mit unserem Kind gesagt hätte. Ich finde ja selbst, das es irre klingt. Jeden Tag gehe ich eine halbe Stunde im Hof spazieren. Danach sitze ich ebenso lang auf eine der Bänke. Das ist mein Alltag. Ich weiß, wenn sie mich entlassen, drehe ich durch. Dann würde ich ihn überall sehen. Diesen Bastard. Es tut mir leid, das ich meinem Mann gegenüber nicht ehrlich sein kann. Wie gern würde ich ihm ins Gesicht sehen und ihm alles sagen. Aber ich kann es

nicht. Mir fehlt Vertrauen. Das Vertrauen, das er mich hinterher nicht für verrückter hält, als ich so schon bin. Auch würde ich gern unseren Sohn sehen. Mich vergewissern, das er nach uns kommt. Das er nicht so aussieht, wie dieser Mann. Aber die Angst, das ich mich nicht irre, das er wirklich so aussieht, ist größer. Ich habe mich an das Leben hier gewöhnt. Hier fühle ich mich wohl. Auch wenn ich eingesperrt bin. Vielleicht schaffe ich es eines Tages, ihnen einen Brief zu schreiben. Sie haben die Wahrheit verdient. Aber noch kann ich es nicht. So leid es mir tut.

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