Romane & Erzählungen
Die Tanzschule oder Lockergang ist aller Laster Anfang

0
"Die Tanzschule oder Lockergang ist aller Laster Anfang"
Veröffentlicht am 29. November 2015, 14 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Literatur war mir in meinem Leben schon während der Schulzeit sehr wichtig. Doch ich habe erst seit ein paar Jahren die Zeit gefunden, selbst zu schreiben. Ich freue mich über Lob, bin aber für alle Verbesserungsvorschläge offen. Ich lese immer wieder in Literaturgeschichten, weil ich meine,dass wir nur so entdecken können, wie wir einen ganz bescheidenen Beitrag dazu leisten können, dass Literatur sich weiter entwickelt.
Die Tanzschule oder Lockergang ist aller Laster Anfang

Die Tanzschule oder Lockergang ist aller Laster Anfang

Heute möchte ich von einer Schule erzählen, die in den 50er Jahren eine größere Bedeutung hatte als heute: die Tanzschule.

In meiner Heimatstadt gab es zwei und die zukünftigen Schüler wurden umworben. Mit solcher Gunstbezeugung gingen unsere Gymnasiallehrer eher zurückhaltend um.

Ein großer Teil meiner Klasse besuchte mit mir die Tanzschule Lockergang/Knicks.* Bevor es jedoch dazu kam, erklärte uns unser Lateinlehrer: “Lockergang ist aller

Laster Anfang, aber glauben Sie ja nicht, dass wir hier die Zügel schießen lassen!“ Er konnte jedoch nicht verhindern, dass uns die Tanzschule wichtiger erschien als die Information, dass Gallien in drei Teile geteilt war.

Korrekt, wie es damals üblich war, fanden wir uns, brav gescheitelt in unseren Konfirmationsanzügen, und die Damen, ebenfalls mit Rock und Bluse herausgeputzt, aufgeregt zu unserer ersten Tanzstunde ein. Mit einem Wettlauf quer durch den Tanzsaal suchten wir uns unsere Tanzpartnerin aus, und dann war unsere größte Sorge, uns nicht alles zu verscherzen, indem wir

gleich zu Beginn auf ihren zierlichen Fuß traten.
Herr Lockergang, pädagogisch geschickt, wusste das jedoch am Anfang weitgehend zu verhindern, indem er mit dem einfachsten der damals üblichen Tänze, dem Marschfox, begann.
Der Herr musste nur vier Schritte vorwärts und dann nach links zwei Seitschritte machen, den sogenannten Seitschluss. Herr Lockergang, ein bejahrter Herr von etwa 70 Jahren, gab mit hoher Fistelstimme das Kommando: “1,2,3,4, Seitschluss, Seitschluss! Kaum hatten wir das begriffen, unterstützten wir ihn mit unserem Stimmbruch, ließen ihn bis vier zählen und brüllten dann im

Chor:“Kurzschluss, Kurzschluss!“ Er blieb dabei recht gelassen und quittierte den jugendlichen Übermut mit einem souveränen Lächeln.
Man munkelte, dass er mit Frau Knicks in einer „wilden Ehe“ lebte, wie man das in den Fünfzigern nannte. Ihr war dieses Gerücht nicht einerlei. Wenn Nachzügler kamen und die Hausglocke betätigten, riefen wir: „Frau Lockergang, es hat geschellt!“
Das brachte sie auf die Palme, und sie erklärte uns erregt. „ Muss ich es Ihnen denn immer wieder sagen: „Ich bin nicht Frau Lockergang, ich bin Frau Knicks.
Es dauerte nicht lange und wir lernten den Foxtrot, begleitet von  einem

schmissigen Schlager, der wieder Anlass gab, uns über die wilde Ehe zu mokieren.. Herr Lockergang setzte sich sehr aufrecht an den Flügel - wir dichteten ihm ein Gipskorsett an - und spielte inbrünstig von Bully Buhlan:
„Ich möcht auf deiner Hochzeit tanzen,
eine ganze Nacht lang tanzen,
immer nur mit einer tanzen,
nur mit dir.“
Als die aufregendsten Tänze einstudiert wurden, war es dann so weit, dass der eine oder andere von uns auch mal einen Fehltritt machte, beim Tango, beim Boogie Woogie oder Rock'n'Roll.
Beim Tango war der sogenannte Wiegeschritt der Clou. Einige Damen

ließen sich dabei sehr weit zurückfallen und wir sahen die Gelegenheit zum Körperkontakt, wollten der Angebeteten in die Augen schauen und verloren fast das Gleichgewicht.
Der Boogie und der Rock'n'Roll waren damals besonders beliebt, weil sie mit zwei musikalischen Perlen glänzten, auf die wir besonders scharf waren, nämlich „In the mood“ von Glen Miller und „Rock around the clock“ von Bill Hayley. Bei dem hohen Tempo vergaßen einige von uns die einstudierten Schritte und stampften, wider Willen improvisierend, ungestüm drauflos. Wenn alles gut lief, bildeten wir eine Schlange und tanzten, schön geordnet,

ein Paar hinter dem anderen her. Beim Boogie gab es jedoch Karambolagen und Herr Lockergang musste uns geduldig wieder in Reih und Glied bringen, bis das nächste Stolperpaar wieder ein kleines Chaos auslöste.

Diese Tanzstunden waren medizinisch betrachtet recht gesund, denn sie brachten unseren Puls mehr auf Touren als der Sport in der Schule. Der Pulsschlag erhöhte sich noch einmal, wenn wir unsere Damen, wie es offiziell erwünscht war, nach Hause brachten und es den Mutigeren gelang, sie zu einem Umweg durch den Stadtpark zu überreden. Aber die alten Parkbäume

haben sicher von späteren Jahrzehnten Aufregenderes zu erzählen, denn wie mir Klassenkameraden später gestanden, hat dort niemand seine Bubenschaft verloren, obwohl man sich damals am Tage nach den Tanzstunden in geheimnisvolles Schweigen hüllte.
                                                                                                                                                                      Die Krönung unserer Tanzstundenzeit waren sogenannte Hausbälle, zu denen sich ein paar Spezies mit ihren Partnerinnen trafen. Reizvoll war dabei zum einen , dass die strenge Kleiderordnung außer Kraft gesetzt wurde. Die Herren trugen enge schwarze Hosen mit Ringelsocken

und verwegen bunte Schlipse und die Damen ließen ihre Petticoats wippen. Zum anderen waren wir frei bei der Auswahl unserer Lieblingsmusik, die mit unserer Schüchternheit kokettierte. So sang zum Beispiel Rita Paul „Meine Mutti hat zu mir gesagt, das ist nichts für kleine Mädchen“ oder wir amüsierten uns mit dem Tango „Ach Egon“
Hier der Text, den Friedel Hensch & die Cyprys sangen:
Ach Egon, Egon, Egon,Egon Songtext
„Gnädige Frau, was ist denn bloß mit Ihnen heute los,
Warum sind Sie traurig, ist ihr Kummer denn so

groß,
werden Sie, rein menschlich, uns die Frage wohl verzeihen,
Ja muss denn das, ja muss denn das so sein!

Egon, ich hab ja nur aus Liebe zu dir
Ja nur aus lauter Liebe zu dir ein Glas zu viel getrunken

Ach Egon, Egon, Egon,

Egon, ich bin ja nur aus Liebe zu dir

Ja nur aus lauter Liebe zu dir

so tief gesunken.


Was soll ich machen, ich weiß die Leute lachen
Doch ich muss immer weinen um einen, den Meinen

Ich bin am Ende, mir zittern schon die Hände,
Die Flaschen sprechen Bände,

die leer auf meinem Nachttisch stehn, ach

Egon, ich werde nur aus Liebe zu dir
Ja nur aus lauter Liebe zu dir
noch mal zugrunde

gehn.“

Wir verstanden uns darauf, zu diesem Text einen Kontrast herzustellen und tranken brav unsere Erdbeerbowle. Doch ganz so harmlos waren wir auch wieder nicht. Wenn am Schluss die „Florentinischen Nächte“ von Rudi Schuricke aufgelegt wurden, ja dann haben wir geknutscht.

© Ekkehart Mittelberg, November 2015

0

Hörbuch

Über den Autor

Phantasus
Literatur war mir in meinem Leben schon während der Schulzeit sehr wichtig. Doch ich habe erst seit ein paar Jahren die Zeit gefunden, selbst zu schreiben.
Ich freue mich über Lob, bin aber für alle Verbesserungsvorschläge offen.
Ich lese immer wieder in Literaturgeschichten, weil ich meine,dass wir nur so entdecken können, wie wir einen ganz bescheidenen Beitrag dazu leisten können, dass Literatur sich weiter entwickelt.

Leser-Statistik
12

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Ameise Schöne Erinnerungen. Beii uns war Tanzschule auch angesagt, aber statt Rockn Roll tanzten wir samba, Salsa, Tango und Chachacha
Vor langer Zeit - Antworten
Phantasus Merci, Anja. diese Täze standen bei uns auch auf dem Programm, mit Ausnahme von Salsa. Den habe ich später auf einem Schiff gelernt.
Vor langer Zeit - Antworten
Herbsttag Habe mich köstlich über deine alten Schlager, die ich alle gut kenne und die Tanzstundenerinnerungen amüsiert. Bei mir gabs leider keine Tanzstunde, die Zeit war noch nicht reif. Tanzen konnte ich später trotzdem sehr ausgiebig und recht gut. Der Rockn' Roll war erst mein Lieblingstanz (mit Überschlag und allem), später der Tango. Amüsierte Grüße Ira
Vor langer Zeit - Antworten
Phantasus Merci, Ira, der Rockn'Roll war auch mein Lieblingstanz. Ich habe es leider nur zum Überschwang gebracht. ;-))
Schmunzelnde Grüße
Ekki
Vor langer Zeit - Antworten
Nereus 
dankend
das war so- ich kanns bezeugen
aber es war schön
Vor langer Zeit - Antworten
Phantasus Ja, Nereus,ich möchte diese Zeit nicht missen. Merci.
Vor langer Zeit - Antworten
Magnolie In deinen Zeilen ist so richtig Schwung. ;-)) Auch ich habe in den 80-igern noch einen Kurs bei der Tanzschule gemacht ...
Liebe Grüße
Manu
Vor langer Zeit - Antworten
Phantasus Meine Tanzstundendamen waren eineiige Zwillinge, Manu. Kannst du dir vorstellen, wie die mich an der Nase herumgeführt haben?
Vor langer Zeit - Antworten
Magnolie Was für ein Spaß ...
für die Mädels!! *Lach*
Vor langer Zeit - Antworten
tooshytowrite Da muss ich gleich mal diese 'Florentinischen Nächte' suchen. Kenn ich noch nicht. Egon haben wir fröhlich über-interpretiert und versucht, 'Alte Saufköpfe' singend zu bekehren.
Tanzstunde aus männlicher Sicht - danke, dass Du uns daran hast teilnehmen lassen!
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
16
0
Senden

137911
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung