Im Wald war es finster. Dennoch sah Arthur noch genug, um sich einen Weg zwischen den Bäumen zu finden, und nicht die ganze Zeit herabhängende Zweige ins Gesicht zu bekommen. Er duckte sich unter ihnen durch, hielt sie sich mit den Händen fern, und bewegte sich langsam vor. Einen direkten Plan hatte er nicht, aber sein erstes Ziel war auf jeden Fall die Lichtung. Das war ihr Ort, wenn sie ihn sehen wollten, würden sie da sein. Der Boden war weich und gab an vielen Stellen unter seinem Gewicht ein wenig nach, sodass Arthur manchmal in ein
kleines Loch stolperte. Ihm passierte jedoch nichts, und so kämpfte er sich durch den immer dunkler werdenden Wald vor. Plötzlich sah er, wie zwischen den Bäumen Licht hindurch drang. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck, aber einem zwickenden Gefühl in der Magengegend ging er darauf zu. Kurz darauf betrat er die Lichtung. Dort streifte er sich erst einmal alles von seinem Körper ab, was auf der Reise hierher daran hängen geblieben war. Teile von Zweigen, Reisig, Blätter. Dann sah er sich suchend um. Die Lichtung war leer, die Mondblumen geschlossen und auch Geräusche konnte er keine
seltsamen erkennen. Ein Knacksen hier, ein Rascheln dort, aber da wusste er ja bereits, dass das von vielen Tieren des Waldes ausgelöst werden konnte. Unschlüssig blieb Arthur stehen. "Hallo...?", fragte er dann halblaut. Keine Antwort. Seufzend ließ sich Arthur zu Boden gleiten und setzte sich in die Mitte der Lichtung. So verharrte er einige Minuten, dann legte er sich flach auf den Rücken und starrte in den Nachthimmel. Tausende von Sternen leuchteten auf ihn herab, und der Mond befand sich zwischen ihnen. Er war in dieser Nacht nur eine etwas dickere Sichel. Der nächste Vollmond würde erst in über
einer Woche sein, erinnerte sich Arthur. Und wenn sie nur bei Vollmond hierher kamen? Dann wartete er hier ganz umsonst. Arthur richtete sich wieder auf und stützte sich mit den Händen hinter sich ab. Er kratzte sich kurz an der Nase, dann entschied er, weiter in den Wald vorzudringen. Vielleicht fand er sie doch irgendwo, vielleicht hatten sie ein besonderes Versteck, in dem sie sich an allen Nicht-Vollmond-Nächten aufhielten. Sobald er die Lichtung verließ, umfing ihn die Dunkelheit. Arthur sah absolut nichts mehr, daher griff er in seine Hosentasche und zog sein Handy hervor.
Er schaltete die Taschenlampe darauf ein und bahnte sich sorgsam einen Weg durch die Bäume hindurch. Das funktionierte wenige Minuten, dann vibrierte das Telefon plötzlich und das Licht ging aus. Arthur blieb stehen und schaute auf das Display. Nur mehr fünf Prozent Akku, somit auch kein Licht mehr. Na toll. Seufzend steckte er das unsinnige Ding wieder ein. Dann tastete er sich langsam von Stamm zu Stamm voran. Seine Finger berührten eine kräftige Rinde, dann schwenkten sie in der Luft, bis sich schließlich etwas Feuchtes, Leichtes auf sie legte. Reflexartig zog Arthur den Arm zurück und schüttelte sich. Doch er ging einen
Schritt weiter, was ein Fehler war. Das Spinnennetz überzog nun sein ganzes Gesicht und Arthur begann, wild herum zu hüpfen. Er hielt die Luft an, presste die Augen fest zusammen und wischte sich mit den Fingern wieder und wieder über das Gesicht. Schließlich fühlte es sich etwas besser an und er öffnete die Augen wieder. Doch seine Wimpern waren ebenfalls verklebt und seine Augen begannen zu tränen. Der Schrei eines Raubvogels ließ ihn plötzlich mitten in der Bewegung erstarren. Ein Luftzug ließ eine Gänsehaut auf seinem Nacken zurück. Arthur kümmerte sich nicht mehr um die Spinnenhaut, das meiste hatte er
abbekommen. Nun zog er den Kopf zwischen die Schultern, duckte sich ein wenig und drückte sich an den nächsten Baum. Wieder hörte er den Schrei. Wieso machte ihm das solche Angst? Es war doch nur irgendeine Eule oder ein Kauz, nichts, wovor man sich fürchten müsste! Er atmete einmal tief durch. Ein weiteres Mal. Und ein drittes Mal. Dann ließ er seine Schultern wieder nach unten fallen und schüttelte sich sanft durch, um die Anspannung zu lösen. Kurz blieb er noch stehen und wartete auf einen weiteren Schrei. Doch als keiner mehr ertönte, stutzte er. Aus welcher Richtung war er denn jetzt
gekommen? Durch seinen Tanz mit dem Spinnennetz hatte er vollkommen die Orientierung verloren. Mist. Mist, mist, mist!, schimpfte sich Arthur. Wohin sollte er denn jetzt gehen? Probehalber wandte er sich zuerst in die eine, dann in eine andere Richtung und versuchte, tief in sich hinein zu hören. Wo war sein Instinkt geblieben, in diesem Wald immer den richtigen Weg zu finden? Wenn dieser ihn schon nicht nach Hause führte, dann wenigstens zu den Pferden! Im Endeffekt wusste Arthur nicht, ob es nur Einbildung gewesen war, aber er entschied sich für einen Weg nach links. Er hoffte, somit wieder weiter zur
Lichtung zurück zu gelangen. Wieso war er eigentlich weiter gegangen? Er hatte genau gewusst, dass er nichts sehen würde! Verdammte Intuition. Nun klatschten ihm die Zweige nur so ins Gesicht. Da er sie ja nicht sehen konnte, konnte er sie auch nicht weghalten oder ihnen ausweichen. Arthur fühlte, wie seine Haut immer mehr zerkratze und stöhnte auf, als sich etwas in sein Augenlid bohrte. Sofort blieb er stehen und drückte eine Hand darauf, die andere hielt er gerade ausgestreckt, um so eine Situation zu vermeiden. Gefühlte Stunden irrte er so im Wald herum. Es war ihm schon zu Gedanken gekommen, sich einfach niederzulegen
und hier zu schlafen, aber er musste morgen pünktlich zur Schule und außerdem würde es doch ziemlich kalt werden. Gerade, als er an seine warme, weiche Matratze dachte, lichtete sich der Wald wieder ein bisschen. Ein Hochgefühl breitete sich in Arthur aus und er nahm die Hand vom Auge, um dem Licht entgegen zu blinzeln. Wie ein Süchtiger taumelte er darauf zu, streckte die Arme danach aus und hatte ein glückseliges Lächeln im Gesicht kleben. Als er schließlich dort ankam, stellte er jedoch fest, dass er hier auch noch nie gewesen war. Der Wald war noch lange nicht zu Ende. Eine Lichtung war es zwar, aber nicht die von zuvor. Diese
war viel kleiner, und als Arthur genau schaute, konnte er eine Hütte oder so an ihrem Rand zwischen ein paar Bäumen erkennen. Unsicher tappte er darauf zu, blickte sich jedoch immer wieder um, ob jemand anderes auch hier war. Doch er konnte niemanden erkennen. Endlich stand er direkt an dem Gebäude. Es war nichts besonderes, eine einfache Holzhütte mit einem flachen Dach. Nicht einmal Fenster hatte es, wie Arthur feststellte, als er es umrundete. Vor der Tür blieb er schließlich stehen und starrte sie an, als ob sie sich dadurch von selbst öffnen würde. Das hier gehörte ihm nicht, er sollte eigentlich nicht in fremde Hütten eindringen.
Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, schloss sich seine Hand um den Türknauf und zog kräftig daran. Holz knirschte, und modrige Luft schlug ihm entgegen. Arthur wandte das Gesicht ab und begann zu husten. Als der erste Reiz vorübergegangen war, wagte er einen Schritt ins Innere. Die Tür hatte er so weit geöffnet wie möglich, und schwaches Mondlicht erreichte Teile des Häuschens. Arthurs Augen waren bereits an die Dunkelheit gewöhnt, und so erkannte er schnell die wichtigsten Grundrisse. Es war nur ein einziger Raum. Ein paar Schritte nach dem Eingang trennte eine
Wand den Raum bis etwa zu seiner Mitte ab. Arthur wusste nicht genau, ob es an der Leere des Raumes lag, oder ob er wirklich so groß war, wie er auf ihn wirkte. Eine Gänsehaut breitete sich auf seinen Armen aus. Er schlang die Arme um sich und ging einen Schritt weiter, um hinter die Abtrennung sehen zu können. Der Anblick ließ ihn jedoch wieder kurz zurückweichen und er blickte sich erneut um. Immer noch war er alleine. Gut. Langsam wagte er sich näher heran, bis seine Finger über den Rand eines riesigen, steinernen Behälters fuhren. Es wirkte wie ein riesiger steinerner Trog, in dessen Hohlraum wahrscheinlich ein
bis zwei Pferde Platz hätten. An dem Ursch war etwas befestigt: Ketten aus mächtigen Eisengliedern. Ehrfürchtig ließ Arthur seine Finger darüberstreichen, umfasste sie und wollte sie aufheben, doch sie waren zu schwer. Es waren vier Stück, und als Arthur ihren Verlauf verfolgte, schätzte er jede Kette auf etwa vier bis fünf Meter. An ihren Enden waren Karabiner befestigt, als ob man damit etwas oder jemanden befestigen wollte. Ein kalter Schauer lief über Arthurs Rücken. Was war das hier für ein Ort? Wer baute so etwas? Wofür brauchte man so starke Ketten? War das noch aus der Zeit, in der man glaubte, Drachen jagen zu
müssen? Arthur spürte, wie ihm plötzlich der Schweiß ausbrach. Er musste hier raus. Ganz dringend. Die Fensterlosigkeit drang mit einem Mal zu ihm durch. Wenn die Tür irgendwie zufallen würde, wäre er hier gefangen. In einer Hütte ohne Fenster, einsam, und niemand würde ihn je finden. Ruckartig drehte er den Ketten den Rücken zu und Adrenalin durchflutete seinen Körper. Mit einem Satz war er bei der Tür, schnell trat er durch diese hindurch und drückte sie hinter sich zu. Den Rücken lehnte er an die Wand hinter sich, sein Herz raste in seiner Brust und der Atem ging viel zu schnell. Doch
seine Gedanken arbeiteten bereits wieder auf Hochtouren. Er hatte diesen Platz hier bestimmt nicht aus Zufall gefunden. Das war alles Teil des Plans. Eines Plans, den er selbst noch nicht einmal ansatzweise durchschaut hatte.
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Und so geht ein wundersamer Monat des Schreibens zu Ende. Ein Monat voller Inspiration, Motivation, Durchhaltevermögen, Disziplin, Spontanität und Biss. 50,000 Wörter. Es ist vollbracht. Ich bin ein NaNo-Gewinner. Ich bin stolz auf mich, dass ich es so weit geschafft habe.
Das war meine erste Geschichte, die ich einfach so, ohne irgendeine Planung, geschrieben habe. Beziehungsweise habe ich versucht zu planen, aber bin gerade drauf gekommen, dass ich jetzt ungefähr da fertig geworden bin, wo mein Plan eigentlich hätte starten wollen, (siehe
Tag 1, das ist erst in knappen drei Jahren von jetzt aus gesehen...) Aber es hat sich so ergeben, und ich bin auch froh darüber, denn so konnte ich Arthur und die anderen erst einmal kennen lernen und mich nun dem eigentlich Geplanten widmen. Das NaNo-Projekt ist ja hiermit beendet, Arthurs Geschichte jedoch nicht.
Sie werde ich weiterschreiben, aber nicht mehr so extrem wie beim NaNo, also es werden nun bestimmt nicht mehr jeden Tag 20 Seiten neu kommen. Mal sehen, zu wie viel ich kommen werde, aber weiter geht's bestimmt, das verspreche ich :)
Das Projekt steht von nun an unter dem Titel "Blutmondgeboren". Also werde ich alle folgende Teile unter diesem Titel veröffentlichen, so quasi als Band 2, wenn man so will.
Vielen Dank auch an dieser Stelle an alle, die meine kleine Geschichte mitverfolgt haben, die mitgefiebert haben und mir die Motivation gaben, weiterzuschreiben. Dankeschön! :) Besonderer Dank auch an die liebe Ameise, die mir immer Kommentare hinterließ, und ohne die ich wahrscheinlich jetzt nicht mehr weiterschreiben würde.