Abwartend lehnte Hiau Tzü gegen eine pastellfarbene Wand, die leicht vibrierte. Diese war mit stuckähnlichen Verzierungen geschmückt und sollte wohl wie die Wohnwand einer noblen Unterkunft wirken. Die ganze Inneneinrichtung des Abteils zielte wohl auf diesen Effekt ab - sowohl die kleine Nische, in der man sauberes Trinkwasser nach Belieben zur Verfügung hatte, wie auch die schrankähnlichen Fächer in den Sitzabteilen oder die Toiletten, die einen bizarren Retro-Charme ausstrahlten. Selbst die Schutzverdunkelung der Fenster erinnerte eher an zugezogene
Gardinen, als an einen elektronischen Effekt. Es hätte wohl ein Idyll sein sollen. Doch im Moment herrschte Endzeitstimmung. Dazu trugen vor allem die diversen Kleidungsstücke bei, die wild im Gang verstreut herumlagen - darunter sogar ein einzelner, neongrüner Ärmel einer Papierjacke - sowie eine stattliche Ansammlung an vereinzelten Frauen- und Turnschuhe, sowie zahlreiche verwaiste Gepäckstücke. Und eine hässliche Blutlache, die einfach unübersehbar war. Zum Ganzen gesellte sich schließlich noch eine pulsierende Textzeile, die in
Endlosschleife der Wand entlang lief: „Dies ist keine Übung! Dies ist keine Übung! Alle Fahrgäste werden hiermit ultimativ aufgefordert, sich im vorderen Speisewagen einzufinden. Zwingen sie uns nicht, nach ihnen suchen zu müssen! Es könnte verdammt hässlich werden…" Das noch frische Blut stammte vom zuständigen Sicherheitsoffizier der Delaracirolle. Die Asiatin hatte seinen Leichnam achtlos hingeworfen mitten im Gang vorgefunden. Und so wie sie die Zeichen und Abdrücke deutete, hatte er absolut keine Chance gehabt. Auf Höhe der Brust waren die Nähte seiner lässigen Märchen-Uniform
gerissen. Dort war er gepackt worden, als er sich heftig, aber vergebens zu wehren versucht hatte. Weiter deuteten die Druckstellen von Finger um den Mund und in seinem Gesicht darauf, dass ihm von hinten her die Kehle durchschnitten worden war. Auf den ersten Blick mochte es vielleicht primitiv und unüberlegt wirken, in Zeiten perfekten High Techs noch jemanden mit einem Messer abzuschlachten. Aber Hiau Tzü konnte an den Spuren um den Toten gut ablesen, dass die Tat ihren Effekt nicht verfehlt hatte. Danach hatten sich die Passagiere sehr wahrscheinlich viel kooperativer gezeigt. Vor allem die Tatsache, dass
sich weiter vorne im Gang mehrere Leute erbrochen hatten, sprach eine sehr deutliche Sprache. Sie hatte ihn in sitzender Position gegen die Wand gelehnt, seine Uniform einigermaßen zurecht gerückt und ihm seine Hände in den Schoss gelegt. Das war das mindeste, das sie für ihn hatte tun können. Zumindest war er in der Verübung seiner Pflicht gestorben. Die Assassin II in der Rechten und die zuvor erbeutete Glock gesichert am Gurt, kam ihr hier und jetzt die Situation irgendwie vertraut vor. Und zum ersten Mal, seit sie diesen Kontinent betreten hatte, fühlte sich die
Asiatin nicht mehr verloren. Dazu gehörten wohl auch die Rufe und Schreie, die aus der Tiefe des Hochgeschwindigkeitszuges zu ihr drangen. Doch sie fokussierte sich über ihren Audioverstärker mehr auf das Gespräch der zwei Idioten im nächsten Wagen, als auf das Wehklagen weiter vorne zu achten. Vom anderen Ende des Abteils kam inzwischen die hochgewachsene Elfe zurück gerannt. Sie war in ihr Abteil zurückgekehrt, um ihre Perücke zu holen. Noch im Rennen kontrollierte diese ihren knielangen Rock, der nach dem vorherigen Stunt ziemlich in
Mitleidenschaft gezogen worden war und praktisch nur noch aus Goodwill hielt. Die Frau trug immer noch ihren hellgrauen und adretten Business-Suit mit weißen, halterlosen Strümpfen in klassischer Tüllstruktur, Peeptoe-Highheels und eine perlmutfarbene Seidenbluse, durch die sich ihr BH abzeichnete. Laut Etiketten wohl von Armanté. Die Tarnung war an und für sich perfekt. Eine elfische Geschäftsfrau, wie sie im Bilderbuch stand. Wäre nicht ihr Tick mit den Karten gewesen. Einer der zwei Wache schiebenden Männer im vorderen Wagen erhielt jetzt
über Funk neue Befehle. Sie konnte die Anspannung des Mannes förmlich bis hierher spüren. Deswegen wies Hiau Tzü die Elfe an, kurz zu warten, während sie das Gespräch aufzeichnete und ihre Headware zu Hilfe nahm, um alle Details richtig verstehen zu können. Die Elfe ihrerseits nickte und blieb stehen. Unschlüssig sah sie dabei den Leichnam des Sicherheitsoffiziers an. Dann verfinsterte sich ihre Miene, als sie in die Hocke ging und kurzerhand die Uniform des Mannes auf Kragenhöhe aufriss und seine Hundemarke aus Wolframcarbid
herausklaubte. Ihre Gesichtszüge verhärteten sich. Kurzerhand schnappte sich jetzt die Elfe die linke Hand des Mannes und zog ihm den Handschuh aus. Dem Toten fehlten am kleinen Finger zwei und am Ringfinger ein Glied. Mit einem traurigen Seufzen sackte ihr Kopf nach vorne. Nun legte sie Zeigefinger und Daumen auf seine Augenlider und murmelte etwas in einer melodiösen Sprache, vor dem Hiau Tzüs Übersetzungsprogramm komplett kapitulierte. Einen Atemzug lang verharrte sie so. Dann riss sie ihm jäh die Marke ab und ballte ihre Faust, bis die Knöchel weiß
hervortraten. Schließlich küsste sie ihn zum Abschied noch auf die Stirn und richtete sich mit der Eindrücklichkeit eines nahenden Sturmes zu ihrer vollen Größe auf. In den Augen der Elfe war etwas erwacht, das Hiau Tzü nur allzu gut kannte. Irgendwie lief es momentan aus dem Ruder. Vor allem hatte es bei der Einsatzbesprechung viel einfacher geklungen! Dort war nie die Rede davon gewesen, dass es einem simplen Passagier alleine gelingen konnte, die
zusammengetriebenen Menschen zu befreien. Und erst recht nicht, dass dieser gegen bewaffneten Alamos 20K Kämpfer bestehen könnte... Denn er und einige Sicherheitsbeamten, die ihnen scheinbar entkommen waren, versuchten im Moment in einem der Wagen die Stellung zu halten. Also rief ihre Anführerin Alekto alle zurückgebliebenen Mitglieder zusammen, damit sie dieser kleinen Schar Bastarde in den Rücken fallen sollten. Donald bestätigte den Befehl und blickte zu seinem Waffenbruder hoch. Fredrik der Norweger war ein Hüne von einem Mann. Es hieß, dass er es locker mit einem Ork aufnehmen konnte. Und
heute hatte er endlich seinen ersten Elf erlegt! Der Kerl schien mächtig stolz darauf zu sein, so wie er mit einem selten dämlichen Grinsen am anderen Ende des Wagens stand. „Das hat verdammt Spaß gemacht", meinte er mit stark europäischem Akzent, „daran könnte ich mich wirklich gewöhnen!" Von hier aus, sah er wie ein Metzger aus, der gerade aus dem Schlachthaus kam. Denn der Riese hatte sich demonstrativ die blutigen Hände an seiner Panzerjacke abgewischt, bevor er die Passagiere der ihnen zugewiesenen Wagen zusammengetrieben und in die Obhut der
anderen Waffenbrüder übergeben hatte. Jetzt hätten sie eigentlich die Waggons nach den Leuten durchforsten müssen die der Meinung waren, als Held zu sterben sei wohl wirklich erstrebenswert, und sich wohl deswegen versteckt hatten. Doch scheinbar hatten sie vom ersten Moment an einen verfluchten Decker an Bord des Zuges gehabt, der sofort dazu übergegangen war, sie zu sabotieren. So funktionierte die audiovisuelle Überwachung der einzelnen Zugkomposition nicht mehr. Was sicherlich dazu geführt hatte, dass ihre Waffenbrüder in der A-Klasse mit unerwarteter Kon-Security aneinander geraten waren und im Moment wohl
einen schweren Stand hatten. Sehr wahrscheinlich war es ihnen nicht einmal gelungen, die verborgenen Pakete zu erreichen, in denen jeweils genügend Panzerjacken und HK - 228, eine Kreuzung zwischen Sturmgewehr und Maschinenpistole, schon vor der Abreise versteckt worden waren. Solange Alekto und ihre Leute mit dem Decker nicht fertig wurden, lauteten die Befehle eigentlich, die Stellung zu halten. Doch jetzt scheiterten sie bereits daran, die menschlichen Passagiere unter Bewachung zu halten. Das behagte ihm immer weniger… Sein über zwei Meter zehn großer Waffenbruder, am dem die HK - 228 wie
ein Spielzeug wirkte, schien seine Überlegungen bemerkt zu haben. „Keine Angst, wir sind gewappnet", er klopfte sich trocken an die Panzerjacke, „komme was da wolle!" Seine Stimme duldete keine Zweifel. „Verflucht nochmals, das war es wirklich Wert. Nur auf diese Art und Weise bekommt man endlich ein realistisches Gefühl dafür, dass diese hochnäsigen Spitzohren auch nur sterbliche Arschlöcher sind!" Donald war immer noch nicht überzeugt. „Da waren noch Kinder dabei, das ist dir schon bewusst, eh?" „Das waren spitzohrige Missgeburten. Gleich wie diese verweichlichten
Waschlappen, die hier für die Sicherheit hätte zuständig sein sollen. Und, " er hob mahnend den Finger, „du darfst nicht vergessen, dass man uns ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass wir unbedingt ein Exempel zu statuieren hatten... da diese eingebildeten Missgeburten in Wirklichkeit uns Menschen in nichts über sind. Ich persönlich habe deswegen zumindest den Beweis erbracht, dass diese selbstgefälligen Schwächlinge auch nur Rot bluten!" Erneut meldete sich Alekto über Funk und klang dieses Mal ungehalten. Donald entsicherte seine Waffe und überprüfte nochmals seine Panzerjacke.
Wenn ihre Chefin so klang, war es wirklich ein schlechtes Zeichen. Sollte er sich Sorgen machen? Plötzlich realisierte er eine weitere Präsenz in der Nähe. Die beeindruckende Elfe, die nun knapp eineinhalb Meter von ihm entfernt am Eingang des Abteils stand hielt er im ersten Moment für eine Illusion, wirkte sie doch wie eine Art leibhaftige Botin eines finsteren Gottes. Sie war so lautlos erschienen, wie er es von den Elementaren Alektos schrägen Magiers gewohnt war, und auch ihre makellose hellgraue Kon-Uniform würde zum kranken Humor Alektos Hofmagier
passen. Verunsichert hob er die HK - 228 in ihre Richtung. Die Elfe blickte ihn dabei mit violetten Augen an, in denen eine Verachtung brannte, die ihm eiskalte Schauer den Rücken hinabjagte. Nur unbewusst nahm er die Wurfbewegung ihrer Hand in Richtung seines Waffenbruders wahr. Dann traf ihn brutal etwas von der Seite am Bein, explodierte der Schmerz in seinem Knie dermaßen heftig, dass er sich winselnd krümmte. Zierliche Frauenhände berührten seinen Mund und Hinterkopf. Mit einem trockenen Krachen brach ihm Hiau Tzü das Genick und hatte das
Sturmgewehr an sich genommen, noch bevor er am Boden aufschlug. Fredrik dagegen wurde mit einer solchen Wucht mitten in der Stirn getroffen, dass er rücklings gegen die durchsichtige Wand knallte und dann leblos daran hinunter rutschte. Sein Kopf hinterließ dabei eine rote, verwischte Blutspur auf dem Glas. Ohne ein Wort zu verlieren stürmten die beiden Frauen weiter. Dabei checkte die Elfe alle zurückgelassenen Gepäckstücke ab und versuchte sich ein Bild von der Anzahl Passagiere zu machen, die wohl verschleppt worden waren. Im Vorbeigehen lass sie noch ein kleines Plüsch-Einhorn auf und nahm es an
sich. Dann waren sie verschwunden und auch in diesem Abteil herrschte tödliche Stille. Die zwei Frauen stürmten durch den Hochgeschwindigkeitszug vorwärts. Mit konstanter Geschwindigkeit war der Delaracirolle weiterhin unbeirrt auf seiner Fahrt nach Portland unterwegs. Als wäre bisher nichts vorgefallen… Dafür war inzwischen das verspielte Ambiente und die aufwendige Inneneinrichtung kalter und nüchterner Funktionalität gewichen. Praktisch war es Hiau Tzü wie eine Zeitreise
vorgekommen, die sie aus den dekadenten und weltfremden Vorstellungen der in ihrer Diktatur verschanzten Tír-Elfen in die kalte und nüchterne Realität des 21. Jahrhunderts geführt hatte. Sie hatten die Touristenklasse erreicht. Hier reihten sich in den monoton cremefarbenen Abteilen nur noch ultrastabile Sitzbänke aneinander, am Anfang und Ende des Abteils jeweils durch eine mit Reisehinweise voll gepflasterte, eigentlich durchsichtige Plastikwand begrenzt. Mit einem wohl leicht zu reinigenden Überzug aus einem undefinierbaren grünen Material, waren die Sitzbänke in
Metallrähmen eingebettet, die wohl auch einen direkten Granattreffer überstehen würden. Gut sichtbar war dabei in jedem Rahmen das TIC-Logo der Telestrian Industries Corporation eingestanzt. Dafür war die Sitzfläche so hoch angesetzt, dass die Asiatin daran hätte hochklettern müssen, um sich zu setzen. Und hierbei hätten ihre Füße mit Sicherheit nicht mehr den Boden berührt. Genügend Platz für einen großen Hund unter der Sitzbank. Aber der Grund war bei den Elfen wohl ein anderer. Denn wer als Troll oder Ork nicht
gerade ein halbes Vermögen für eine Fahrt aufbringen konnte, landete unweigerlich in diesen Container-Abteile. Hiau Tzü erinnerten sie mehr an die Wartezimmer eines Krankenhauses, als an einen Aufenthaltsraum, in dem man sich während einer Reise wohl fühlen sollte… Und da waren ja auch noch die spottbilligen Unterhaltungsterminals, die jeweils von zwei Sitzbänken flankiert wurden. Sie war auf dem Weg aus Europa hierher ausdrücklich davor gewarnt worden. Denn erstens holte man sich daran mit absoluter Sicherheit ein Spionageprogramm der Spitzohren,
sobald man sich dort einstöpselte, anderseits wurde man dann ausschließlich mit übelster pro-elfische Propaganda eingedeckt, die einzig und alleine Tír Tairngire als DAS gelobte und einzige freie Land darstellte. Ansonsten stand auch hier, wie in den Abteilen zuvor, das ganze Gepäck an seinem Platz. Und auch am Boden lag der eine oder andere Schuh verloren herum, zusammen mit vereinzelten Handtaschen und einigen zertretenen Komatsu Limited Plastikwegwerfuhren. Die Elfe vor ihr verlangsamte nun kurz, und warf dabei prüfende Blicke in die von den Sitzbänken begrenzten Räume am Ende des
Abteils. Dann beschleunigte sie ihren Schritt und wirkte nun irgendwie zuversichtlicher. Als Hiau Tzü die betreffenden Sitzbänke erreichte, musste sie mit Überraschung feststellen, dass hier jemand fein säuberlich die Körper von insgesamt sechs Personen auf die Sitzplätze verteilt hatte. Sie trugen alle noch ihre Waffen und Ausrüstung und es waren sehr wahrscheinlich Leute von Alamos 20K. Aber an keinem Einzigen von ihnen war eine offensichtliche Schuss- oder Stichverletzung zu erkennen, die wohl zu seinem Tod geführt hatte. Unschlüssig blickte sie nach vorne. Dann erklang ein Schuss von weiter
vorne und aus dem Abteil genau vor ihnen waren panische Rufe und allgemeines Wehklagen zu hören! Hiau Tzü rannte weiter. Am leblosen Körper eines weiteren Alamos-Mitgliedes vorbei, erreichten sie nun ein komplett überfülltes Abteil. Verängstigte Menschen standen hier wie Schafe vor der Schlachtbank zusammen und herrschte ein heilloses Durcheinander. In jedem einzelnen Gesicht las man bloß blankes Entsetzen. Die Mehrzahl der über dreißig Leute saß und stand bei den vorderen Sitzbänken herum. Wenige knieten oder lagen weiter vorne am Boden herum, während am
Ende des Wagens vier bewaffnete Sicherheitsoffiziere zuerst panisch in ihre Richtung blickten, dann aber erleichtert aufatmeten, als sie der Elfe gewahr wurden. Obwohl es den Anschein hatte, dass sie mit den Leuten von Alamos 20K zu verhandeln versuchten, war ihnen ihre Verzweiflung anzusehen. Den vieren steckte der Schrecken noch gut sichtbar in den Knochen. Huolong genügte dabei einen einzigen Blick, um mit Sicherheit zu wissen, dass keiner von denen in der Lage gewesen wäre, ein Gefecht unbeschadet zu überstehen. Nur schon die Art und Weise, wie sie
ihre Waffen hielten sprach Bände. Den nervösen Finger am Abzug der entsicherten Waffe, hielt einer von ihnen momentan den Lauf einer HK - Assassin II nur Millimeter vom Arm des Gegenübers entfernt. Sie hatten sehr wahrscheinlich bisher noch nie einen echten Einsatz gehabt und das hier erlebte war eindeutig zu viel gewesen. Ihr fiel weiter auf, das unter allen anwesenden Passagieren kein einziger Elf war. Auch keine andere Metamenschen. Mit Ausnahme von zwei schwerverletzten Orks, die man auf Sitzbänke gebetet hatte. Aber so blutverschmiert wie die beiden
waren und wie ihre Köpfe notdürftig verbunden schienen, würden sie wohl die nächsten Stunden nicht überleben. Sehr wahrscheinlich hatte man versucht sie zu exekutieren. Ein Meer von Augenpaare war zwar auf sie gerichtet, wandte sich aber dann mit Enttäuschung ab, als man sich ihrer Aufmachung gewahr wurde. Wieder erwachten unzählige Stimmenpaare, die im Flüsterton dem destruktiven Gefühl von Bestürzung und Angst frönten. Alle klangen verstört und manch einer saß nur noch apathisch dort. Zwar wurde ausschließlich über das Schicksal der elfischen Passagiere gesprochen, die ins nächste Abteil
verschleppt worden waren, aber mehrfach hörte sie dabei auch die Erleichterung heraus, doch nur ein normaler Mensch zu sein. Allgemein herrschte einzig Hoffnungslosigkeit vor. Obwohl sie sich wortwörtlich auf der anderen Seite der Erdkugel befand, musste die Asiatin nun bitter feststellen, dass verängstigte Menschen überall gleich klangen. Nur schien es, dass je verweichlichter die Gesellschaft war, desto eher verlor sie ihren Kampf- und Überlebenswillen. Dann wurde sie sich des hispanischen Akzentes unter den Stimmen bewusst. Diese einladende und äußerst angenehme
Männerstimme faszinierte Hiau Tzü vom ersten Moment an. Mit einer beängstigenden Natürlichkeit war sie die absolute Ruhe im herrschenden Sturm. Irgendwie wirkte seine Zuversicht ansteckend. Doch die beruhigenden Worte waren von einer derartigen Selbstverständlichkeit, dass sie weder aufgesetzt noch erzwungen wirkte. Als handle es sich beim Sprecher um jemanden, der weder Tod noch Teufel fürchten würde. Als sie deswegen suchend an der Elfe vorbei sah, fiel ihr ein schwarzhaariger Hispanoamerikaner auf, der gerade mit einem älteren Pärchen am sprechen war. Der athletische, gutaussehende Mann
trug Jeanskleider der Rapid Transit-Serie von Ares Victory und deren Sportturnschuhe, bei denen der große Zehen von den restlichen getrennt war. Er passte so absolut nicht hierher. Und Hiau Tzü fühlte ein unangenehmes Prickeln im Nacken, als der Mann sich bei dem Ehepaar entschuldigte und sich mit einem absolut entwaffnenden Lächeln ihnen zuwandte. Doch die Elfe vor ihr erwiderte erfreut das Lächeln und deutete ihr, dass es sich hierbei um einen Verbündeten handelte. Sehr wahrscheinlich ihren Waffenbruder. War dies der ‚simple Passagier', der Alamos 20K so zu schaffen gemacht
hatte? „White Ronin! Was für ein willkommener Anblick! Mi Dama, das war dieses Mal aber eigentlich schon zu spät. Ich habe es wirklich nur noch auf den allerletzten Drücker geschafft und wenn Tzy nicht noch was mit der Schleuse gedeichselt hätte, wäre ich nicht einmal mehr in den Zug rein gekommen!" Er schien aufzuleben, als er mit der Grazie eines Panthers auf sie zukam. „Wäre dieser Hilferuf nicht von dir persönlich gekommen, ich hätte es nicht riskiert. Aber in diesem Fall kann ich wohl davon ausgehen, dass es die Bratach Gheal selbst nicht mehr
rechtzeitig geschafft hat?" Die Elfe nickte trocken, als der knapp zwei Meter große Hispanoamerikaner vor ihnen stehen blieb. Doch obwohl seine Ohren die eines Menschen waren, erschienen der Asiatin seine Züge doch eine Spur zu elfisch. Während sie versuchte, sich einen Reim aus ihm zu machen, nickte dieser erfreut ihrer Begleiterin zu. „Meine Dame, wie ich sehe, hast wenigstens du Verstärkung gefunden!" Doch noch bevor eine der zwei Frauen antworten oder überhaupt reagieren konnte, verfinsterte sich seine Miene kurz und blickte er darauf mit großen und unschuldigen Augen die zwei Frauen
verlegen an. „Dios, wo sind bloß meine Manieren wieder geblieben? So etwas dürfte mir selbst unter widrigsten Umständen nicht passieren!" Mit absoluter Eleganz verbeugte er sich jetzt vor der Elfe, „Mi Dama!" und war kniend vor Hiau Tzü, hatte bereits ihre Hand ergriffen und einen Kuss darauf angedeutet, bevor diese bewusst die Hand zurückzog. Verwirrt wusste sie dabei überhaupt nicht, wie sie nun reagieren sollte. „Mein Name lautet Nox, Nox SanJuan, stets zu ihren Diensten Mylady! Es ist mir eine außerordentliche Freude Bekanntschaft mit einer Waffenschwester meiner Dame zu machen. Doch nennt
mich bitte aus taktischen Gründen Nights!" Obwohl sein Charme sie kurz verwirrte und sein Benehmen ihr gegenüber der Frau in ihr schmeichelte, realisierte sie jetzt auch, dass er sehr wahrscheinlich nur schon durch die Berührung und das abwiegen der Haut sich Gewissheit über ihren Cyberkörper verschafft hatte. Als wäre dies ein diplomatisches Treffen und nicht ein Schnellzug in dem vor kurzen Menschen in Gefechten gestorben waren erhob er sich nun und grüßte sie perfekt auf Chinesisch. „Und mit wem habe ich die Ehre?" „Huolong - der Feuerdrache!" entrang es ihr, während sie immer noch Mühe mit
seiner offenherzigen und entgegenkommenden Art hatte. Doch als sie sich bewusst wurde, wie weit er sie gerade gebracht hatte, überraschte sie dieser Mann noch ein weiteres Mal, als er ihr darauf antwortete. „Es ist mir eine absolute Ehre, an ihrer Seite kämpfen zu dürfen. Ich werde sie nicht enttäuschen!" „Situation?" Fragte nun die Elfe, als sich Hiau Tzü hilfesuchend dieser zuwandte. Nights fuhr in Richtung der Sicherheitsoffiziere herum. „Er ist harmlos!" flüsterte dabei White Ronin der Asiatin zu. „Sie haben sehr wahrscheinlich magische
Unterstützung und spielen ihre Position der Stärke aus, anstatt es auf einen Kampf ankommen zu lassen. Sie wollen alle drei Minuten eine Geisel erschießen, wenn wir uns nicht ergeben. Die Security-Leute versuchen zwar auf Zeit zu spielen, aber eine Geisel ist schon tot und die nächste bald fällig. Sprichst du bitte mit ihnen? Diese Holzköpfe glauben immer noch, dass sie mich beschützen und daran hindern müssen nach vorne zu gehen. Und es käme der Situation nicht gerade entgegen, wenn ich sie hier vor allen ausschalte. Lage und Details später!" Die Elfe nickte nur und schritt mit der Entschlossenheit einer Naturgewalt an
ihm vorbei. Kurz genoss Nox dabei den Anblick der sich ihm bot, als ihr lädierter knielanger Rock verrutschte und einiges preis gab... Denn über den halterlosen Strümpfen war nun ein V-förmiger Rio-Slip mit eingesetzter Tüll und Spitze zu erkennen, der ihre Reize verspielt bis zu einem gewissen Grad enthüllte. Sie hatte einfach einen Knackarsch zum Reinbeißen! Dafür wandte sich nun die Asiatin kurz irritiert dem Latino zu. Während sie verfolgt hatte, wie die Elfe auf Sperethiel den vier Sicherheitsoffiziere wohl die militärische Hierarchie in diesem Abteil
klar machte und diese dabei immer blasser und kleiner geworden waren, hatte sie plötzlich das Gefühl gehabt, dass Nox nicht mehr hier wäre. Es schien, als wenn sie ihn, sobald er aus dem direkten Blickfeld verschwunden war, nicht mehr bewusst wahrnehmen konnte. Zwar registrierten ihre Sensoren ihn noch normal. Doch irgendwie fühlten sich diese Werte falsch an. Zumindest, bis sie sie nicht mit ihren eigenen Augen bestätigen konnte. Dafür war der Blick seiner rotbraunen Augen derart, als könnte er in ihr weit mehr sehen als jeder anderen hier. Irgendwie kamen ihr dabei diese
verrückten Heiler in den Sinn, die auch die schwersten Wunden nur durch bloßes Handauflegen heilen konnten. Währenddessen hatte sich White Ronin zu ihnen gedreht und stemmte ihre Fäuste in die Taille, als vom folgenden Abteil sich wieder jemand zu Worte meldete und ausdrücklich verlangte, dass man sich ergeben sollte und allfällige Waffen abgeben, weil ansonsten… Nox seinerseits ließ das Bild der Elfe auf sich wirken, deren perlmutfarbene Seidenbluse inzwischen halb offen stand und darunter ihr seidener BH hervorblitzte. Sie sah einfach nur hinreisend aus. Absolut sexy. Dann musste er lächeln. „Ich hätte da
eine Idee..." Fragend wandte er sich Hiau Tzü zu. Lässig standen zwei Männer neben der Passage zum vorherigen Abteil mit ihren entsicherten HK – 228s Wache und versuchten so finster wie möglich drein zu schauen. Weiter vorne hatten sich gerade fünf weitere ihrer Kollegen um einen Sechsten gesammelt, der einen elfischen Knaben von knapp acht Jahren am Kragen hoch hielt und ihm eine Glock 88 in die Schläfe drückte. Zwar kämpfte der Junge darum nicht zu ersticken. Aber der Anblick des erschossenen elfischen
Sicherheitsoffiziers am Boden vor ihm sorgte dafür, dass er sich verzweifelt jeden Ton verklemmte. Der breitschultrige Riese mit einer beeindruckenden Narbe, die quer über sein Gesicht verlief, räusperte sich erneut. „Ihr habt noch genau eine Minute Zeit!" Brüllte er zu der Passage. „Bei 30 Sekunden fangen wir erneut mit den Countdown an. Und ich wiederhole, ich scherze nicht!" Während sich jetzt der Knabe die Hosen nässte, erklangen um sie herum unzählige protestierende Stimmen. Doch sie verstummten ebenso schnell, als sich einer der bewaffneten Männer zu den
knapp zwanzig elfischen Männer und Frauen wandte, die sie mit Kabelbinder an die Metallrähmen der Sitzbänke gefesselt hatten. Bei einigen bluteten die Gelenke bereits, so fest hatte man die Kabel festgezurrt. „Keine Sorge, ihr seid auch bald dran!" Befand der Blondhaarige mit einem zufriedenen Grinsen. Plötzlich erklang nun unerwartet Kampflärm aus dem anderen Abteil, fielen mehrere Schüsse. Während sich nun alle fragend ansahen, übertönte Fredriks röhrendes Organ mit seinem unverkennbaren Akzent den Lärm. "Verdammte, verweichlichte
Waschlappen… Leute, schnappt sie euch! Sie könnte für uns äußerst nützlich sein!" Als die meisten ihrem norwegischen Kollegen zu Hilfe eilen wollten, wurde nun eine hochgewachsene Blondine mit voller Wucht in das Abteil gestoßen. Mit einem spitzen Schmerzensschrei knallte die Frau brutal gegen die Trennwand aus Plastik und brach diese aus ihrer Verankerung. Darauf taumelte sie winselnd zurück und versuchte torkelnd irgendwo halt zu finden. Die elfische Geschäftsfrau hielt dabei mit einer Hand einer ihrer Peeptoe-Highheels und in der anderen ein kleines Plüsch-Einhorn, als sie keuchend auf die
Männer um den Knaben zu hinkte. Zwar schnappte noch einer der zwei Wachen nach ihr, doch er kriegte nur ihren Rock zu fassen und riss ihn ihr ab, als sie weiter ging. Ein eindeutiges Leuchten erwachte in den Augen der Männer. Keuchend und auf einem einzelnen Schuh balancierend blieb die Frau nun stehen und kämpfte dabei um ihr Gleichgewicht. Zwar verbarg die Seidenbluse den Slip mehrheitlich, aber dafür war jetzt ihr BH gut sichtbar, da ihr noch die Bluse zusätzlich über eine Schulter gerutscht war. Verängstigt sah die Elfe nun auf und rief den Männern ein "Bitte helft mir!", als
sie sich scheinbar erstmals der Situation bewusst wurde. Mit Entsetzen starrte sie dabei die gefesselten Elfen an. Dann errötete sie, als sie verwirrt an sich hinunter sah. „Bitte… tut mir bitte nichts!" Brachte sie dabei noch mühevoll über die Lippen, während sie sich verzweifelt an das Plüsch-Einhorn klammerte. Die meisten Männer senkten ihre Waffen. Einer sicherte sie sogar, während er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr. Und mit einem Grinsen, das förmlich von einem Ohr zum anderen ging, reichte nun das Narbengesicht den Knaben zu seinem Kollegen zur Linken und trat an die Frau heran und wischte
ihr die blonden Strähnen aus dem verängstigten Gesicht. „Oh, wir werden dir nicht wehtun. Zumindest nicht am Anfang…" Warnend erklang plötzlich eine Frauenstimme aus der Tiefe des Abteils. "Passt auf ihr Idioten! Sie…" Und aus dem Durchgang zum vorhergehenden Abteil meldete sich dafür Fredriks wieder zu Wort. „Geht mir ja sorgsam mit ihr um!" Als beide Wachen jedoch erfreut zum Norweger herumfuhren, standen sie verwirrt einer Asiatin mit jeweils einer Glock 88 in jeder Hand gegenüber. „Überrascht?" sprach diese mit Fredriks Stimme, als sie jedem eine Kugel in den
Kopf jagte. Während nun die anderen Männer zu reagieren versuchten und ihre Waffen hoben, auf den Eindringling schießen wollten, nahmen sie nur verschwommen wahr, wie die Blondine plötzlich hinter dem Hünen stand, dieser vor Schmerzen die Augen verdrehte und sie mit einem wuchtigen Tritt einem der anderen Männer die Kniescheibe zertrümmerte. Das Narbengesicht wie einen Schutzschild vor sich führend, drängte sie darauf mit ihm in die Gruppe der Männer, die instinktiv auseinander wichen. Einem von diesen gelang es gleichzeitig hinter die beiden zu kommen. Dabei
blockte die Elfe seinen Schlag mit der freien Hand und zwang ihren Daumen in seine Faust; derart, dass sie sie aufwuchten und die Finger brutal nach hinten drücken konnte. Der Mann sackte schreiend in die Knie, als sie ihm nicht nur die Finger sondern auch das Handgelenk brach, und schließlich noch die Schulter ausrenkte. Einem anderen Angreifer gelang es zwar sie zu packen. Als er sie jedoch vom Hünen loszureissen versuchte, hielt er bloß verwirrt eine Perücke in Händen. Dann griffen sie auch die restlichen Männer an. Die Elfe wechselte augenblicklich die Hand mit dem sie den Hünen im Klammergriff hielt, rammte
einem von ihnen den Stilettoabsatz ihres Highheels in die Augenhöhle und brach ihn ab. Dann wütete sie wie eine Wölfin unter Schafen. Gleichzeitig schoss Hiau Tzü durch die entstandene Öffnung der Trennwand wild in die Tiefe des Abteils. Zwar war kein Ziel auszumachen. Aber die Tatsache, dass man weder hörte noch sah, wie irgendeines ihrer Projektile etwas traf, ließ wohl auf eine magische Kugelbarriere schließen. Sie leerte dabei zuerst ein Magazin, dann das andere. Obwohl die Magierin der Alamos 20K wohl für ein normales Auge unsichtbar war, hatte Huolong - der Feuerdrache dieses Problem nicht. Sie 'erspürte' sie
förmlich, dank der Sensoren ihrer Cyberware, die hier und jetzt ihre normalen Sinne mehr als nur ergänzten - und konnte sie dank ihrem taktischen Computer immer präziser 'sehen', je länger der Kampf dauerte. Wobei es im Moment primär darum ging, diese abzulenken. Dabei nahm sie nur aus den Augenwinkeln wahr, wie etwas oder jemand der Wand des Abteils entlang unter die Sitzbänke tauchte und mit beeindruckender Geschicklichkeit nach vorne verschwand. Huolong wechselte nun das Magazin der Glock mit einer Hand, während sie noch das zweite am leeren war und
positionierte sich vor White Ronin, der langsam die Gegner ausgingen, mit denen sie sich vor einen möglichen Zauber hätte verstecken konnte. Dann spürten die zwei Frauen, wie sich eine bedrohliche Präsenz um sie herum sammelte und zu materialisieren begann, dabei langsam Form annahm… Jetzt war plötzlich am Ende des Ganges eine hagere, braunhaarige Mestizin zu sehen, die eine mit allerlei Talismanen behängte und zu große Lederjacke trug. Man sah ihr an, dass sie nun endgültig genug hatte. Enttäuscht schüttelte sie dabei den Kopf, als sie langsam und bedrohlich die Hand in Richtung der zwei Frauen hob. „Narren seid ihr
allesamt! Ihr…" Unsicher fokussierte sich die Magierin kurz auf die Asiatin. Währenddessen ging mit einem bösartigen Krachen und kaputten Schulterblättern der letzte Mann bei White Ronin zu Boden. Dann riss die letzte verbliebene Kämpferin von Alamos 20K wutentbrannt die Augen auf. „Du… du bist kein Mensch!" Fast gleichzeitig materialisierten sich zwei Watcher um die Magierin herum und versuchten sie zu warnen, als Nights Faust mit beeindruckender Präzision ihren linken Unterkieferhals traf. Die Wucht des Hiebs brach ihr dabei sauber
den Gelenkkopf vom Rest des Kiefers ab und verkeilte diesen brutal im Schläfenbein. Während der Schwung des Schlages die Frau nach vorne wirbelte, packte er jeweils einen ihrer Arme und dreht sie schwingvoll auf den Rücken, bis sich die Handflächen komplett berührten. Als die vor Schmerz völlig benommene Frau erstmals versuchte einen Ton von sich zu geben, wuchtete er ihre Hände weiter zum Nacken hoch und begann die Finger mit Draht aneinander zu binden. White Ronin und Hiau Tzü wurden währenddessen fast zu Boden geworfen, als eine unsichtbare Sturmbö sich von ihnen
löste. Gleichzeitig begann dafür die Luft um Nights und der Magierin zu flirren, schien er massiv Mühe mit dem Atmen zu bekunden. Er zwang sich jedoch zum Reden, während er die Hände der wimmernden Frau weiterhin fixierte. Der Draht schnitt dabei tief ins Fleisch. „Chico, du bist entschieden zu spät dran!" Sein Atem ging nun rasselnd, während Hiau Tzü keine Präsenz mehr um sich herum wahrnehmen konnte. „Deine Meisterin braucht dich nicht mehr..." Nights fixierte nun mit mehreren Runden Draht die Hände am Hals der Frau und
ließ diese dann achtlos zu Boden fallen, als er sich auf eine fernöstliche Fingerübung zu fokussieren begann. „Geh heim!" Kurz spannte er den Rücken durch und hielt die Luft an. Bis er mit einem erleichterten Seufzen in sich zusammensackte und dann mehrfach nach Luft schnappte. Dabei konnte Hiau Tzü physisch spürten, als wenn jemand, oder Etwas aus dem Raum, förmlich aus dieser Ebene vertrieben worden wäre. Nights bückte sich nun prüfend zur bewusstlosen Magierin hinunter, während sich White Ronin daran machte, die Gefangenen zu befreien. Überglücklich nahm dabei ein Mädchen ihr
Plüsch-Einhorn wieder in Empfang. Der Hispanoamerikaner sah inzwischen nachdenklich auf. „Das war zu leicht..." Und White Ronin sowie Huolong nickten nur. Schneller als das Auge folgen konnte, wirbelte ein russischer Marinedolch aus dem zweiten Weltkrieg durch zierliche Finger. Dann wurde er in die Höhe geschnippt - um darauf mit Zeigefinger und Daumen an der Klinge aufgefangen zu werden. Die sehnige Frau zuckte schließlich mit ihrer Hand nur leicht nach unten und beförderte den Dolch in die zugehörige Scheide an ihrem Gurt.
Mit der Gewandtheit eines Gepards huschte sie währenddessen an einem zwei Meter großen Hünen in Vollpanzerung vorbei und lehnte sich lässig die Treppenstufen zum Führerstand des Triebwagens hoch. „Hat jemand Verdacht geschöpft?" Ihre vibrierende und entschlossene Stimme hatte ein verführerisches slawisches Timbre. Kurz kniff sie beim Sprechen ihre strahlenden, bernsteinfarbenen Augen zusammen, unter denen, über knochigen Wangen, grellbunte Federn tätowiert waren. Das Gefieder wirkte fast echt. Hinter ihr verschränkte Khaled Frérot die Arme. Der zwei Meter große Hüne in
Vollpanzerung überprüfte gerade auf dem Vitalmonitor, der durch seine Cyberaugen in sein Sichtfeld eingeblendet wurde, den Status seiner Modifikationen. Die Angaben leuchteten nur kurz während einem der üblichen unregelmäßigen Routinechecks neben der Frau vor ihm auf. Dafür, dass sich sein Nervensystem in einen konstanten Krampfzustand befand, empfand er im Moment eine angenehme, wenn auch ein wenig langweilige Ruhe. Vielleicht lag das auch daran, dass ein Teil seiner Wirbelsäule durch supraleitendes Material ersetzt worden war. Was auch immer… Im Moment genoss er einfach nur den
Anblick der attraktiven Gestalt vor sich. Sládka hatte einen atemberaubenden Schwanenhals und eine derart blasse Haut, dass ihr ganzer Körper wie aus Meißener Porzellan geformt wirkte. Aber es war nicht nur das Physische, dass er an ihr so faszinierend fand. Denn, vor allem ihr Können mit Dolchen war absolut einmalig. Obwohl er jederzeit in der Lage gewesen war, eine ihrer Wurfklingen problemlos aus der Luft zu pflücken, hatte sie es trotz seiner unmenschlichen Geschwindigkeit noch jedes Mal geschafft ihn damit zu überraschen. Langsam strich sich Sládka über ihr kupferfarbenes Stoppelhaar, als sich ein
Tutchone hinter dem Armaturenbrett im Führerstand des Schnellzuges zu Wort meldete. Der Amerindianer schien in dem ergonomischen Stuhl des Eisenbahnfahrzeugführers bloß vor sich hin zu dösen. „Nicht die Spur!" Ein Lächeln formte sich dabei auf seinen mit zwei Eskimo Piercings geschmückten Lippen und wurde zusätzlich noch durch sein Wangenpiercing verstärkt. „Sie haben den Köder mit Haut und Haaren geschluckt!" „Sehr gut!" Meinte Sládka, als sie sich umdrehte. „Nur dieser verdammte Decker nervt bestialisch", sprach der amerindianische
Rigger weiter, „er muss einen Komplizen mit an Bord haben, über den er sich - trotz meiner wirklich massiven Abblockversuche - jederzeit an einem anderen Port reinhacken kann!" „Und ich dachte doch wirklich, dich könnte niemand! Unser großer Rigger kapituliert bereits vor einem simplen Decker?" Während Sládka und Khaled jetzt zu dem Magier herum fuhren, der gesprochen hatte und zu ihrer Rechten knapp eineinhalb Meter über dem Boden im Lotussitz levitierte, antwortete ihm der Rigger bloß mit einem ausgestreckten Mittelfinger. „Calaitin, Ehecatl!
Bitte!" „Das ist alles Schuld der Sicherheitsparanoia dieser Spitzohren. Ich kann einfach nicht verstehen, weshalb es für den ganzen Schnellzug kein zentral übergeordnetes System gibt, mit dem man die anderen kontrollieren kann. Jeder Wagon hat ein eigenes, gleichwertiges Netz, jeweils mit Zugriffsrechte auf das ganze System!" „Wieso koppelst du sie dann nicht einfach ab?" Sládka warf dem Hünen in Vollpanzerung einen warnenden Blick zu, als der aktuelle Lenker des Delaracirolle darauf nur mit den Schultern zuckte. „Habe ich auch
gemacht. Nur dadurch habe ich ebenso die audiovisuelle Überwachung der einzelnen Zugkompositionen verloren…" „Aber dafür habt ihr ja mich!" Der blondhaarige Magier mit smaragdgrünen, leuchtenden Augen verneigte sich kurz und hob mit einer theatralischen Geste die linke Hand. Darauf materialisierte sich nun ein Watcher, der wie die miniaturisierte Ausgabe eines Schaffners des vorletzten Jahrhunderts aussah. Dieser zog nun seine Mütze aus und las aus einer imaginären Liste vor. „Alle A20K Red Shirts sind gefallen oder inzwischen in Gefangenschaft
geraten!" „Was soll eigentlich das ständige Gequatsche von ‚Red Shirts'," unterbrach Khaled den Watcher rüde, „weder unsere Alamos-Pappmachékrieger noch einer der Elfenfuzzis hatte was Rotes an?" „Ach, mein großer Krieger, das sollte als Hommage an einen uralten Mythos verstanden werden, dem auch heutzutage noch mancher frönt. Beim nächsten Guinness werde ich dir mal ausführlicher davon erzählen." Beim Stichwort 'Guinness' nickte der Riese Calaitin zustimmend zu, als Sládka mit einem lauten Klatschten ihrer Hände den Smalltalk unterbrach und so wieder alle Aufmerksamkeit auf sicher
hatte. „Und sonst Ehecatl?" „Das Paket wird pünktlich in zwölf Minuten abgeliefert! Sie haben für uns sogar schon den Bahnhof geräumt und können es kaum erwarten, uns mit allen militärischen Ehren zu begrüßen! In genau zwei Minuten und achtundvierzig Sekunden sollte dann übrigens unser Taxi da sein! Vielleicht wäre es langsam an der Zeit zu Packen…" Sládka sah nun zu Khaled hoch. Dabei strahlte ihr ganzer Körper eine tödliche Entschlossenheit aus. „Ares, trommle die anderen zusammen und mach dich für die Evakuation
bereit!" „Ja Alekto", sprach er sie ebenfalls mit ihrem Straßenname an und grüßte militärisch, „Deimos und Phobos sollten inzwischen mit der Installation unserer Abschiedsgeschenke im Postwagen so weit sein!" „Und was ist mit diesem Elfenweib, das du verschont hast, als wir das restliche Personal nach Hel geschickt haben?" Die Frau vergeudete keinen Blick an den Magier. „Tu was du willst mit ihr. Aber ihr Geist muss sauber bleiben, damit sie unsere Botschaft übermitteln kann, wenn hier alles vorbei ist!" Zufrieden nickte Calaitin. „Na dann mal sehen, wie es ihr in Begleitung meiner
elementaren Brüder bisher ergangen ist!" „Es scheint, als wäre auch dieses Mal unsere Planung makellos gewesen. Zwar scheint uns die Bratach Gheal wohl auf die Schliche gekommen zu sein, aber schlussendlich haben auch sie ihren Einsatz komplett verpennt!" Selbst wenn... Sládka Alekto Samsonowa ließ den Blick über ihre verschworene Gemeinschaft wandern. Ehecatl war ein Rigger par excellence der jegliches Fahrzeug lenken und dazu noch jedem Decker locker das Wasser reichen konnte. Ihm vertraute sie blind ihr Leben an. Calaitin oder Padraic Kilroy Farquhar,
wie sein wahrer Name lautete, mochte eine leicht paranoide und sehr von sich selbst eingenommene Persönlichkeit sein, aber er war ebenso ein kaltblütiger Bastard, der sie schon ein paar Mal positiv überrascht hatte. Ein todbringender Magier, der schon manchem Runner das Fürchten gelehrt hatte. In Wien hatte sie mit eigenen Augen erlebt, wie er es eigenhändig mit vier feindlichen Magiern gleichzeitig aufgenommen und sie förmlich exekutiert hatte. Und dieses Mal kam er vorbereitet und hatte sogar Geister dabei... Und schließlich war da noch Ares, mit
seinen Schatten Deimos und Phobos, wie er seine Waffenbrüder Kang und Xie Chunqiao für diesen Einsatz getauft hatte. Khaled Frérot, besser bekannt als der ‚Schweizer‘, war ein Chrom-Monster mit Vollkörper-Cyberersetzungen und taktischem Computer, der sogar schon unter Gansus Warlord Xin Laos gedient hatte. Es hieß von ihm, dass er unter Xin Laos einmal einem ganzen Zug feindlicher Soldaten eigenhändig in einer Tempelruine ihr Grab bereitete. Schon er alleine hatte mehr Kampferfahrung als die gesamte Friedenstruppe dieser spitzohrigen Missgeburten Tír
Tairngires… Nein, selbst eine ganze Kompanie davon würde an ihnen nicht vorbei kommen und sich bloß die Zähne ausbeißen. Mit einer natürlichen, fliesenden Bewegung zog sie ihren Marinedolch und hob ihn zur Siegesgeste hoch, als Ehecatl auf das Stichwort antwortete. „Knapp zwei Minuten!" „Ihr habt's gehört, meine Kinder! In genau 90 Sekunden will ich euch alle hier versammelt sehen!" In Sládkas Augen erwachte ein fast übermenschliches Glitzern. „Und wer dieses Mal zu spät kommt, wird dann wohl mit dem Rest dieses dekadenten Elfenstaates einen unvergesslichen
Vorgeschmack auf den kommenden Fimbulwinter erleben!"