Schneebälle
Eine kleine Anekdote aus längst vergangener Zeit.
Wer möchte, kann sich nach dem Lesen der Geschichte noch ein wenig von Mozarts Musik berieseln lassen (KV386) und in den späten 1960-ger Jahren weiterschwelgen. ;-)
Bild:
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Schneebälle
Schneebälle flogen durch die Luft – und ich war auch dabei!
Es war ein herrlicher Wintertag. Zappelig sass ich im Schulzimmer und schaute zum Fenster hinaus. Schneeflocken rieselten vom Himmel. Sie verzauberten still und leise die ganze Umgebung in eine Märchenlandschaft. Mein Blick schweifte über die weisse Schulwiese zur Kirche hinüber und hoffnungsvoll hinauf bis zum Zifferblatt der Turmuhr – doch die schien wieder einmal stillzustehen. Kaum zu glauben, wie unendlich lange ein Morgen sein
kann, wenn man in der Schule sitzt, und doch viel lieber draussen wäre. Nach quälend langer Zeit war es dann endlich soweit. Die Zeiger standen auf 11:30 Uhr. Die Turmuhr schlug. Die Schule war aus. Nichts und niemand konnte uns noch halten. „Raus in den Schnee!“
Hei, war das ein Spass. Perfekt liessen sich die Schneebälle formen und schon flogen sie durch die Luft. Wir Buben zielten auf die Mädchen, die kichernd davonrannten, um dann an der nächsten Ecke doch wieder stehen zu bleiben. Ich war sehr treffsicher und flink dazu, aber eines der Mädchen traf ich nie. An ihr zischten komischerweise meine
Schneebälle immer vorbei. Woran das wohl lag? Na klar, sie gefiel mir so sehr, dass ich sie unmöglich treffen konnte. (Viele Jahre später erzählte sie mir bei einem Klassentreffen, sie sei damals schon enttäuscht gewesen, dass ich sie nie getroffen hätte, obwohl sie sich doch oft absichtlich in günstige Position gebracht habe. – Da verstehe einer die Frauen.)
Auf dem Nachhauseweg, drückte ich eilig einen besonders festen Schneeball zusammen. Dieser war für meinen Klassenkameraden Otto bestimmt, weil er auf der andern Strassenseite jemanden arglistig beschoss. Das ging ja mal gar
nicht – nicht auf sie! Er war so in Eifer, dass er mich bestimmt nicht als Schützen erkannt hätte. Ich zielte, warf, und schon war zwischen uns ein Auto. Mein Schneeball, der so zielgenau unterwegs war, knallte ans Fahrzeug. Sofort hielt es an und ein erboster Lenker, den ich zu kennen glaubte, warnte mich mit erhobenem Zeigefinger. „Nur bloss weg!“ So schnell ich konnte, rannte ich nach Hause.
Das Mittagessen schmeckte mir nicht, obgleich Mama meine Lieblingsspeise – Bratwurst mit Kartoffelsalat – zubereitet hatte. Der Magen drehte sich in Schuldgefühlen. „Hoffentlich hat es am
Auto keine Beule gegeben. Was geschieht, wenn Bruno mich auch erkannt hat und am Nachmittag zur Schule kommt, und alles meinem Lehrer erzählt?“
So befand ich mich dann wieder im Klassenzimmer und war wie auf Nadeln. Hatte der Lehrer schon etwas von meiner Tat mitbekommen? Aber alles war ganz normal und Herr Goop spassig aufgelegt wie immer. Nach und nach fasste ich neuen Mut. Auch meine Lebensfreude kehrte zurück. Ganz besonders, weil es draussen erneut zu schneien begonnen hatte. Abermals wanderte mein Blick zur Turmuhr, 15:00 Uhr – „noch eine halbe
Stunde bis zur Erlösung“, war mein Gedanke. Im selben Augenblick klopfte es an der Tür. Mein Puls schnellte nach oben und ich konnte kaum noch atmen.
„Jetzt ist es passiert. Das ist Bruno. Er wird alles dem Lehrer erzählen. Sicher hat es eine Beule gegeben – auweia…“ Herr Goop öffnete die Tür und trat hinaus. Ich konnte nicht erkennen, wer draussen war. Bange Minuten verstrichen. Während meine Mitschüler plauderten und lachten, sass ich da wie ein Häufchen Elend. Dann ging die Tür wieder auf und mir rutschte das Herz in die Hose. Der Lehrer stellte sich mit grimmigem Gesicht vor die Klasse.
"Ich weiss nicht, wie ich bei so einer
schlimmen Nachricht beginnen soll“, erhob er seine Stimme und machte eine Kunstpause. Mit letzter Kraft klammerte ich mich an den Stuhl und schloss die Augen.
„Morgen, ja morgen, (und schon wieder eine Kunstpause)… habt ihr fei und könnt den ganzen Tag Schneebälle herumballern. Ich muss zu einer ausserordentlichen Lehrerkonferenz!“
Meine Augenlider schossen nach oben und ich glotzte Herrn Goop an, der übers ganze Gesicht lachte und mich fragte: „Ist das denn so schlimm, Paul?“
Zentner fielen von meinen Schultern und das Herz hüpfte wieder an den richtigen
Platz
"Nein, Herr Lehrer, das werden wir schon überstehen!“, grinste ich überglücklich.
Dann war die Schule aus und die Schneebälle flitzen wieder durch die Luft. Ich war mittendrinn und traf wie nie zuvor – nur an einem bestimmten Mädchen flogen all meine Kugeln seltsamerweise immer haarscharf vorbei... ;-)