Yani, das Flüchtlingskind
eine Weihnachtsgeschichte, allerdings schon vor einigen Jahren entstanden, als die Flüchtlinge über die grüne Grenze nach Niederösterreich
kamen.
Yani, das Flüchtlingskind
Es war eine lange Reise gewesen. Wie lange, das konnte der kleine Bub, der Yani gerufen wurde, nicht sagen. Als man ihn später fragte, wie alt er wäre, zeigte er fünf Finger.
„Du musst tapfer sein !“, hatten ihm seine Eltern befohlen.
So weinte er nur, wenn es niemand sah.
Seine Eltern und er waren mit einem Autobus gereist, mit der Bahn, mit dem Flugzeug und zuletzt mit einem Lastwagen – zusammen mit vielen anderen Menschen.
Die meisten verstand er nicht, sie redeten in einer fremden Sprache. Alle waren Flüchtlinge.
Die Eltern hatten Yani sämtliche Kleidungsstücke, die er besaß, übereinander angezogen, so dass er sehr dick aussah.
Jetzt war der Bub froh über die wärmenden Hüllen, denn es begann zu schneien.
Schnee! Yani hatte noch nie Schnee
gesehen, in Indien, dort, wo er zuhause war, schneite es sehr selten.
Und je länger die Reise dauerte, umso kälter wurde es.
Zuletzt trabten alle im Finstern durch einen Wald und kamen an einen Fluss.
Sie mussten leise sein.
Ein Mann in einem dicken Mantel deutete auf Ruderboote.
Dann schrak er auf – und verschwand blitzschnell.
Yani hörte Rufe, Schritte.
So rasch es ging, kletterten die Leute in die Boote. Der Vater hob Yani in ein Boot.
Plötzlich waren Soldaten da, mit Gewehren.
Es war stockfinster.
Das Boot stieß ab.
Vater und Mutter hatten den Sprung in das rettende Boot nicht geschafft.
Yani schrie aus Leibeskräften. Jemand hielt ihm den Mund zu.
Am andern Ufer schon wieder Soldaten. Sie leuchteten das Gelände mit Scheinwerfern und Taschenlampen aus und geleiteten die Flüchtlinge zu Autos.
Der kleine Bub schrie nun nicht mehr. Er war zu müde.
Am nächsten Morgen erwachte er auf einem einfachen Holzbett unter einer warmen Decke. Daneben stand eine lange Reihe ebensolcher Betten, auf
denen Flüchtlinge lagerten.
Eine indische Frau, sie hatte selbst drei Kinder, kümmerte sich um Yani. Sie tröstete ihn:
„Vater und Mutter kommen bald, sei nicht traurig.“
Essen wurde serviert und Yani löffelte hungrig seine Suppe.
Er sah sich um. Fremde Frauen und Männer mit Zetteln und Stiften in den Händen stellten den Flüchtlingen Fragen.
Der kleine Bub kämpfte tapfer mit den Tränen. Immer wieder sah er zur Tür.
Bedächtig zog er alle seine Kleidungsstücke an.
„Ich gehe meine Eltern suchen.“, sagte er.
Doch man hinderte ihn daran. Er durfte das Haus nicht verlassen.
Als es Abend wurde, stellten die Soldaten mitten im Saal einen Tannenbaum auf,
schmückten ihn und zündeten Kerzen an.
Die Leute staunten. Sie wurden zunehmend aufgeregter.
Ein Dolmetsch erklärte, es sei Heiliger Abend. Das schönste Fest bei den Christen.
Dann wurden alle beschenkt. Es gab Süßigkeiten, Handschuhe und warme Schals.
„Ihr müsst zusammenrücken.“,
befahl der Dolmetscher.
„Es kommen schon wieder Flüchtlinge.“
Betten wurden herein gebracht und Decken.
Man hörte Autotüren zuschlagen. Stimmengewirr.
Yani war längst schon bei der Tür.
Ja! Seine Eltern waren gekommen!
Sie trieften vor Nässe. Waren sie durch den Fluss geschwommen?
Yani schmiegte sich an seine eisig kalten Eltern. Sein Schluchzen war nun kein schmerzliches mehr, sondern ein dankbares und überglückliches.
Viel später, als Erwachsener wird er von einem christlichen Weihnachtswunder sprechen.