Beitrag zum Forumsbattle 46 /Motto :
"... und niemand hat es gesehen!"
Zudem gilt: "Erlaubt ist, was gefällt."
Optional können folgende Worte verwendet werden :
Klimpern
Schnattern
Exorbitant
Zweifel
Minimalistisch
Front
Puparium
Schnüffelblumen
Hamsterkäufe
Ich liege auf dem Boden.
In Zeitlupe baut sich Gegenwart auf.
Zeitlupenartig höre ich einen durchdringenden dumpfen Knall. Wieder und wieder und wieder.
Ich liege auf dem Boden, um mich herum ist es dunkel. Ich kann kaum atmen.
Ich spüre keinen Schmerz.
Ich kann mich noch bewegen. Meine Hand berührt etwas Hartes.
In der Ferne höre ich Rufen.
Ich starre ins Dunkle. Meine Hand tastet Enge.
Gerade noch habe ich an meinem Computer gesessen und auf der Tastatur geklimpert.
Jetzt liege ich hier.
In Zeitlupe und im Dunklen.
Ich habe keine Schmerzen. War das eine Explosion? Ein Erdbeben? Mir fällt sofort Paris ein.
Mir fällt mein Vater ein. Er wird auf mich warten. Gleich, in der Mittagspause.
Wir sind verabredet. Wollten einfach mal schnattern, naja, so wie Männer das eben tun.
Wenn das ein Attentat war hier, wird er zu mir kommen können, wird er mich suchen? Weiss er es schon?
Hoffentlich war es kein Attentat. Nicht schon wieder.
Einfach nur ein Erdbeben.
Ich versuche meine Beine zu bewegen.
Ich kann sie nicht finden, ich spüre sie nicht. Ich kann sie nicht mehr bewegen. Das Rufen höre ich auch nicht mehr. Vielleicht bin ich ernsthaft verletzt. Vielleicht bin ich blind und taub. Querschnittsgelähmt. Meine Beine müsste ich doch spüren. Das ist doch exorbitant wichtig um gehen zu können.
Etwas Warmes rinnt von der Stirn mein Gesicht herunter.
Hoffentlich war es doch ein Attentat. Kein Erdbeben. Dann würde mein Vater noch wohlauf sein. Er war noch Zuhause. Bitte kein Erdbeben, es soll ihm gut gehen.
Wenn es ein Attentat war, hoffentlich schreibt er nichts an die Täter.
Ohne Zweifel, er hätte das Zeug dazu Terroristen auch noch eine deutsche Angehörigenbotschaft hinterlassen zu wollen. Aber sie wollen Dich nicht hören, hörst Du. Es kümmert sie nicht, dass ich meine Beine nicht mehr bewegen kann. Daß ich es bin der hier liegt, das ist ihnen nicht wichtig. Dein Schmerz kümmert sie doch nicht. Pass bitte auf Dich auf.
Ich bin dann Teil eines größeren Plans. Das hatte ich mir immer gewünscht, mal Teil von etwas Großem zu sein. Ganz vorne an der Front gesehen werden. Nur so, so hätte ich mir das doch nicht ausgesucht.
Aus einem Puparium vermutlich terroristischer Architektur entschlüpfend meinem Ich zu entkommen.
Um von der Welt betrauert zu werden im Namen des Kampfes gegen das Unsägliche. Welches mich wiederum vor seinen Karren gespannt hat. Mich und all die Menschen, die mit mir in diesem Gebäude waren. Sind.
Aber was sucht man sich schon aus letztendlich. Das wenigste. Ich kann niemanden mehr rufen hören.
Weshalb rufe ich eigentlich nicht. Laut. Um Hilfe.
Mein Mund öffnet sich nichtmals. Vielleicht bin ich längst ohnmächtig, betrachte mich nur noch gedanklich? Alles erscheint mir so irreal.
Mir schwinden die Sinne. Also sind sie wohl noch da. Ich spüre jetzt Tränen in meinen Augen.
Trauer, dass ich mit meinem Vater kein Essen mehr essen werde. Trauer, was für eine Welt ich gerade verlasse. Und ein Lächeln spüre ich auf meinen Lippen. Ein Lächeln über so viel Schönes, das ich mitnehme, die Verbindung zu meinem Vater, die ich so sehr spüren kann.
Vielleicht bin ich taub geworden. Wenn mich jemand rettet werde ich taub und blind und querschnittsgelähmt sein. Ein minimalistisches Leben, doch voller unbekannter, neuer Eindrücke. Auf meinen Lippen liegt weiterhin das Lächeln.
Ich fühle mich geborgen. Denn ich habe Vögel singen gehört, Hamstereinkäufe getätigt, diese mit Freunden weggeschlemmt, geliebt, Schnüffelblumen umarmt und bin durch duftende Wiesen gelaufen. Langsam gleite ich weg, bin nicht mehr so ganz in dieser Welt. Was ich noch spüren kann ist eine Träne, die meine lächelnden Lippen berührt. Das fühlt sich schön an.
Worte aber hören nun auf für mich.
Himbeere, November 2015