Auf der Flucht
In den letzten Wochen des Krieges, als die Front immer näher rückte, flohen viele Menschen aus Angst vor den bevorstehenden Kämpfen. Die Firma, bei der mein Vater bis zu seiner Einberufung zum Militär beschäftigt war, stellte zwei Lastautos zur Verfügung, um Frauen und Kinder der Betriebsangehörigen in Sicherheit zu bringen.
Auch meine Mutter hatte sich entschlossen, mit uns ich war damals vier Jahre alt und meine kleine Schwester gerade eineinhalb die Stadt zu verlassen. Zeitig in der Früh ging es los. Ein kleiner Koffer mit
Kleidungsstücken, eine Einkaufstasche mit Brot und Milch für meine Schwester und eine Matratze waren die wenigen Habseligkeiten, die wir mitnehmen durften. Es waren viele Menschen auf dem Lastwagen, alle kauerten sich eng aneinander, denn es war sehr kalt und die dünne Plane schützte kaum vor dem eisigen Wind.
Die Fahrt dauerte viele Stunden und führte von Zistersdorf über das Waldviertel in einen kleinen Ort, der heute zur Tschechischen Republik gehört. Die Menschen dort waren freundlich zu uns und gaben uns zu essen, sogar ein Gitterbett für meine Schwester war da, so blieb für mich
mehr Platz auf der Matratze.
Meiner Mutter war es sehr wichtig, dass ich Namen und Adresse meiner sämtlichen Verwandten kannte. Immer wieder schärfte sie mir ein, falls ihr etwas passieren sollte, müsse ich auf meine kleine Schwester Obacht geben, dürfe nicht weinen und müsse fremden Leuten Namen und Adresse meiner Großeltern sagen, irgend jemand würde uns dann schon wieder zurückbringen.
Als sich der Krieg endgültig seinem Ende näherte, bekam meine Mutter panische Angst, weil wir uns auf tschechischem Gebiet befanden. Würden die Grenzen wieder geschlossen werden, dürften wir vielleicht nie mehr nach
Österreich zurück. Ich kann mich noch gut an die langen Debatten erinnern, die sie mit anderen Flüchtlingen führte. Schließlich konnte sie doch ein älteres Ehepaar, das ein Auto mit einem kleinen Anhänger besaß, zur Rückreise überreden. Der Mann war Invalide und daher für den Kriegsdienst untauglich gewesen.
Mitten in der Nacht begann dann die gefährliche Fahrt. Im Wagen war es viel zu eng für vier Erwachsene und vier Kinder, denn eine weitere Frau mit zwei kleineren Kindern hatte sich uns angeschlossen und wollte auch noch mit.
Auf dem Anhänger waren Matratzen und Koffer zu einer richtigen Pyramide
gestapelt. Alle waren hektisch und wir Kinder wurden aufgefordert, uns leise zu verhalten, um den Fahrer nicht nervös zu machen. Ich saß zusammengedrückt in der hintersten Ecke, hatte meine kleine Schwester im Arm und wagte kaum zu atmen.
Wir fuhren durch dichten Wald und zwischen den Bäumen lagerten überall Soldaten mit Panzern und schweren Geschützen. An das Gesicht unseres Fahrers kann ich mich nicht mehr erinnern, wohl aber an seine Worte: „Hoffentlich schießen sie nicht auf die Räder“.
Wir hatten Glück, es fiel kein einziger Schuss und wir hielten im Morgengrauen
bei zwei Zollhäusern - Schönau bei Litschau, wir waren wieder auf österreichischem Gebiet.
Die Zollhäuser standen leer und so konnten wir einige Zeit bleiben. Täglich kamen neue Flüchtlinge an, blieben kurze Zeit und zogen dann wieder weiter.
Auch meine Mutter schloss sich eines Tages einer kleinen Gruppe an, die mit zwei Pferdewagen ins Weinviertel wollte.
Wir waren viele Tage unterwegs, schliefen meist in alten Scheunen oder Notquartieren. Überall, wohin wir auch fuhren, sahen wir russische Militäreinheiten.
Als wir einmal bei einer Gruppe Soldaten vorbeifuhren, die gerade beim Essen waren unzählige Brotwecken waren ordentlich geschlichtet auf einem Anhänger zu sehen sprang plötzlich ein Soldat auf, lief mit lachendem Gesicht unserem Wagen nach und wollte mir einen halben Wecken Brot geben. Ich hatte fürchterliche Angst, denn ich verstand seine Sprache nicht und begann zu weinen. Doch meine Mutter bedrängte mich, das Brot unbedingt zu nehmen und so griff ich zögernd danach.
Wie kostbar dieses Stück Brot war, habe ich erst viel später begriffen.
Eines Tages war auch das letzte Stück des langen Weges geschafft, müde und
hungrig kamen wir spätabends zuhause an.
Unser Haus war noch da, aber unsere Wohnung fast leer, ich hatte kein Bett mehr und schlief wieder auf der Matratze.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, stand meine Großmutter neben mir, nahm mich in die Arme und gratulierte mir zu meinem Geburtstag-