Kapitel 57 Veränderungen
Elin hatte bisher nicht gewusst, dass man den Himmel vermissen konnte. Aber so war es, als sie sich schließlich alle an Bord der Windrufer einfanden. Die Sonne war längst untergegangen und im Licht der Stadt zeigten sich nur eine Handvoll Sterne am dunklen Himmel. Obwohl sie nur kurze Zeit in den Katakomben verbracht hatten... ihr war erst klar geworden wie bedrückend die überall aufragenden Felswände waren, als sie schließlich ans Tageslicht zurück kehrten. Normalerweise war das ein Gefühl, das sie nicht kannte... Es war
nicht so wie wenn man sich versteckte. Das war etwas völlig anderes, heimeliges mit dem Adrenalinrausch wenn es funktionierte und scheinbar jeder an einem Vorüberging ohne einen zu sehen. Dort unten im Fels hingegen hatte sie den Eindruck ständiger Bedrohung nie abschütteln können. Es war ein beeindruckender Ort, dachte sie. Aber kein Schöner...
Die Gejarn betrachtete gedankenverloren ihre verätzte Hand um die sich mittlerweile ein dünner Streifen Stoff Wand und die Wunde verdeckte. Sie war nicht so tief, wie sie anfangs gedacht hatte, aber was immer die Pflanzen in den Höhlen auch für ein Gift
absonderten, es hatte das Fell auf ihrer Haut sauber weggebrannt. Vermutlich hatte sie das auch vor dem Schlimmsten bewahrt.
Der Duft von bratendem Fleisch stieg ihr in die Nase. Unten am Pier hatte sich ein Großteil von Hedans Crew versammelt und auf einem großen Feuer, das sie in einer niedrigen Kuhle errichtet hatten, drehte sich ein ganzes Schwein, das der Kapitän wohl irgendwie ihren Gastgebern abgeschwatzt hatte. Mochten die Geister wissen, wie. Aber nach der Reise, die sie hinter sich hatten, hatten sich die Leute wohl eine Belohnung verdient. Langsam schien sie zu verstehen, wieso die Crew Hedan trotz seiner Art derart
respektierte. Sie hatte bereits einen Funken davon gesehen, als sie sich an jenem fast vergessenen Morgen ein Wettschießen geleistet hatten. Der Kapitän mochte nicht immer die beste Laune haben und es viel ihm wohl auch nicht leicht Fehler einzugestehen... aber er war nicht nachtragend, dachte Elin. Das und obwohl er das sicher nie zugeben würde im Grunde ein guter Mann. Und er sorgte sich wirklich um sie alle. Wieder etwas, das er wohl niemals zugeben würde, würde sie ihn fragen.
Als sie Schritte hinter sich auf den knirschenden Planken hörte, drehte sie sich um und erkannte Galren. Dem Mann
zog sich ein Verband über die komplette Schulter bis über den Arm hinab und verdeckte damit den Biss des Tunnelschleichers. Naria hatte nur kurz versucht, die Wunde mit Magie zu heilen, aber schließlich aufgegeben.
Galren hatte nicht nachgefragt, was das Problem war. Und Elin fürchtete sich, es an seiner Stelle zu tun. Der Mann schien seit einigen Stunden nicht mehr ganz der Alte zu sein, dachte sie. Und vielleicht konnte die Magierin das genau so spüren, wie sie es sehen konnte.
Statt also ihren Heilzauber fortzusetzen hatte sie dem Menschen nur einen Verband angelegt und ohne zu zögern eine Art Tee aus getrockneten schwarzen
Pilzen und verschiedenen anderen Kräutern bereitet. Galren hatte sich lediglich kurz gedämpft mit ihr unterhalten und selbst mit ihrem Gehör hatte sie nur ein paar Brocken aufschnappen können. Der Beunruhigendste davon : ,, Es wird schlimmer.“
Als er jetzt auf das Deck hinaus trat hielt er wohl schon mindestens die zweite wenn nicht die dritte Tasse in der Hand, nachdem er die erste in einem Zug geleert hatte. Sie wünschte, er würde wenigstens sagen, was mit ihm nicht stimmte. Aber die Zauberin schien bisher die einzige zu sein, der er sich anvertraut hatte. Wenigstens, dachte
Elin, lächelte er wieder etwas, als er zu ihr an die Reling trat und auf das dunkler werdende Meer hinaus blickte.
,, Das hat mir Naria für euch mitgegeben.“ , erklärte er und hielt ihr eine kupferfarbene Dose hin. ,, Sie meinte, das sollte die Schmerzen lindern und verhindern das sich das Gift noch tiefer frisst, falls es noch da ist.“
Elin nahm die Dose an sich und öffnete sie. Skeptisch betrachtete sie die grünlich-gelbe Paste in dem Behältnis. Allein der Geruch der davon aufstieg, konnte einem die Tränen in die Augen treiben, scharf und stechend wie manche der Gewürze, die man auf den Märkten Lasantas
fand.
,, Ich schätze ich nehme in Zukunft doch den Tee.“ , murmelte sie leise, bevor sie die Dose wieder schloss.
Galren fing im gleichen Moment an zu lachen, so das er fast die Hälfte des Tees über sich oder die Planken verteilte. Es war jedoch kein freudiger Laut, wie sie feststellte. Und trotzdem hörte er nicht auf, bis er schließlich schwer atmend über der Reling hing... und den leeren Becher in weitem Bogen davon schleuderte.
,, Wisst ihr was das schlimmste daran ist ?“ , fragte er und der Ton in seiner Stimme machte ihr zum ersten mal Angst. Es sollte nicht das einzige mal in
den kommenden Wochen bleiben... ,, Es hilft nicht einmal mehr...“
Elin wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Was immer den Mann befallen hatte ging tiefer als eine normale Verletzung, dachte sie. Und das war unheimlich. Sie drehte die Salbendose in ihrer Hand nervös hin und her.
Galren schien ihr zögern jedoch misszuverstehen. ,, Wenn ihr wollt kann ich das auch Auftragen.“ , meinte er, aber wenigstens hatte seine Stimme etwas von ihrem bitteren Unterton verloren. ,, Wie ich Naria kenne , wird das ohnehin nicht sonderlich angenehm.“
Eigentlich tat die Wunde kaum noch weh. Tatsächlich schien das Gewebe
darum seltsam taub zu sein... Aber ein Teil von ihr hätte nichts dagegen. Ob es nun nötig war oder nicht. Wieder so ein Gefühl, das sie nicht kannte. Seine Berührung in den Katakomben, so kurz sie gewesen war, hatte etwas gehabt, das nicht zu der sonstigen Getriebenheit des Mannes passen wollte. Besonders, seit sie in der Stadt waren. Geister, seit sie hier waren beachtete er keinen von ihnen mehr besonders, selbst Lias nicht, und schien nur noch darauf aus, irgendwie voran zu kommen. Vielleicht machte ihr diese gnadenlose Zielstrebigkeit sogar Angst. Zumindest, dachte Elin, würde sie jeden bemitleiden der sich je den Zorn dieses Mannes zuzog. Er würde ihn bis
ans Ende der Welt jagen und mit seinen Fähigkeiten wohl auch finden. Nur das was er eigentlich suchte, Wissen über das Schicksal seines Vaters über die Geschehnisse in dieser Stadt, das blieb ihm verwehrt. Elin mochte seine andere Seite ,definitiv mehr, auch wenn sie sie bis jetzt erst selten gesehen hatte...
Und so nickte sie schließlich nur, während der Mann sich zum zweiten mal heute ihre Hand ansah. Tatsächlich musste er dazu sogar auf ein Knie gehen und lies die offene Salbendose irgendwo zu seinen Füßen stehen.
,,Zeigt mal her.“ , meinte Galren, während er den Stoff um die Wunde löste. Er stippte nur einen Finger auf die
Salbe und trug sie mit einer unglaublichen Vorsicht entlang der schwarz verbrannten Haut auf. Seine ganze Gestik und Mimik sprach von einem seltsamen Mitgefühl, das seinem vorherigen Auftreten derart entgegengesetzt zu sein schien, das Elin nicht einmal sicher sagen könnte, ob sie noch den selben Menschen vor sich hatte. Trotzdem zweifelte sie keinen Moment daran, das er genau dieses Mitleid jedem entgegenbringen mochte, der es sich verdient hatte.
Das änderte sich jedoch schlagartig wieder mit Hadrirs Rückkehr....
Galren entdeckte den Zwerg bereits,
bevor er in den Schein des flackernden Feuers vor dem Schiff trat. So spät am Abend waren nur noch wenige Leute auf den Straßen der Oststadt unterwegs und er hatte die Rückkehr des Mannes bereits erwartet. Hadrir schien keine guten Nachrichten zu bringen, dachte er. Die Mine des Zwergs war düster, als sie von den flackernden Flammen beleuchtet wurde und er trat ohne zu Zögern zu ihm und den anderen herüber.
Mittlerweile hatten sie sich alle um das Feuer niedergelassen über dem nach wie vor das Schwein briet, das Hedan aufgetrieben hatte. Der Zwerg jedoch machte keine Anstalten, sich zu ihnen zu
setzen.
Große Töpfe in denen die restlichen Vorräte von Bord der Immerwind vor sich hin köchelten standen am Rand der Flammen und erfüllten die Luft mit dem Duft von Röstzwiebeln, bratenden Gemüse und zu einem Brei eingeweichtem Schiffszwieback.
,, Es stimmt.“ , erklärte Hadrir leise.
,, Was stimmt ?“ , wollte Galren wissen.
,, Mein V... Der König weiß das die Wasserreserven in den Höhlen zur Neige gehen. Er weiß es seit Jahren, er hat es zugegeben...“
,, Dann müssen wir euer Volk warnen.“ , meinte Armell und stand von ihrem Platz am Feuer auf. ,, Hadrir, wenn das
stimmt, wenn diese Stadt von ihrem Grundwasser abhängig ist, dann sind sie verloren, wenn sie nichts unternehmen.“
,, Und wer würde uns glauben ?“ , fragte der Zwerg. ,, Es wäre unser Wort gegen das des Königs...“
,, Ihr seit sein Sohn.“ , begehrte Armell auf. ,, Das wird ja wohl etwas wert sein. Wer würde glauben das ihr euch derartig gegen euren Vater stellt ? Ich meine, was er da tut das ist... Er belügt sein gesamtes Volk.“
,, Ich habe euch doch schon erklärt, wie wenig das alles Wert ist.“ , seufzte Hadrir. ,, Und ich... Ich werde nichts sagen. Ich habe König Brunar geschworen ihm zu vertrauen. Und das
tue ich auch. Es tut mir leid.“
,, Seid ihr verrückt ?“ , wollte Lias wissen. ,, Ihr seit weiter einem Mann hörig, der euch alle Verraten hat ? Das ist genau die Art von falscher Loyalität die beinahe meine Heimatstadt vernichtet hätte. Glaubt mir also wenn ich euch sage, das ihr niemals Erfolg haben werdet. Wenn euer Herr, sei es nun euer Vater oder nicht, sich derart gegen alles stellt... dann dürft ihr ihm doch nicht noch folgen !“
,, Es ist wie es ist.“ , erklärte Hadrir und amte dabei fast den Tonfall seines Vaters nach. ,, Alles was wir tun würde zum Kollaps dieser Stadt führen. Erfahren es die Isolationisten, laufen plötzlich alle
dem Propheten nach. Nichts zu sagen hingegen ist die einzige Möglichkeit zumindest Zeit zu gewinnen. Es gibt keinen anderen Weg, so leid es mir tut.“
,, Und was wollt ihr tun wenn ich mich dazu entscheide einfach jemanden in die Katakomben zu führen ?“ , fragte Galren, seine Stimme tödlich leise. Er hatte dem Austausch still gelauscht. Und er hatte genug gehört. ,,Das könnte ich, das wisst ihr. Selbst wenn ihr alle Eingänge verriegelt, wenn euch auch nur einer entgeht, werde ich ihn finden. Und uns einzusperren oder zu töten würde euren Berichten nach wohl genau so zu einem Kollaps führen.“
,, Das wäre als würdet ihr jemanden
auffordern, Selbstmord zu begehen. Der König war schlau genug die Angst vor den Katakomben in meinem Volk zu schüren. Würdet ihr jemanden diesen Vorschlag unterbreiten, er würde wohl eher glauben ihr wolltet ihn in eine Falle locken und ermorden.“ Die Stimme des Zwergs klang sicher, aber traurig.
,, Verdammt !“ Galen war aufgesprungen, bevor ihn jemand aufhalten konnte und trat einen der Töpfe am Feuer in die Flammen. Funken stoben auf, als der Inhalt des Gefäßes Feuer fing. Während seine Stimme noch verklang, sah er zu, wie das Wasser aus dem Topf verdampfte. ,, Ihr wollt euch umbringen kann das sein ?“ , fragte er.
,, Ihr treibt euch selbst in den Untergang, nur damit ihr das wisst...“
,, Es ist... wie es ist. Ich kann nichts tun, Galren. Was würdet ihr den tun wenn euch euer Vater um Hilfe bitten würde... auch wenn ihr wüsstet, das seine Ziele nicht ganz das sind, was ihr euch erhofft hattet ?“
,,Mein Vater ist tot.“ , erwiderte Galren bitter. ,, Und ich bin mir langsam nicht mehr sicher ob ihr dabei nicht eure Finger im Spiel hattet...“
,, Ich versuche euch nur zu helfen....“ , murmelte der Zwerg getroffen. Und Galren war geneigt ihm zu glauben. Man konnte sich seine Loyalitäten nicht immer aussuchen. Aber ein Teil seines
Verstandes, ein Stolz der vorher nicht da gewesen war, wollte ihn zwingen hart zu bleiben. ,, Obwohl ich eingeschränkt bin. Es tut mir leid...“
Hadrir wendete sich zum gehen und Galren schloss die Augen. Sollte er weglaufen. Es machte nichts mehr besser...
,, Wartet...“ Es war Armells Stimme, die nun doch ein Stück versöhnlicher klang. ,, Ich weiß, das ihr nichts hiervon wollt, Hadrir. Nd ich bin mir sicher, Galren versteht es auch. Ob er es zugeben will oder nicht. Ich... wir würden uns sicher freuen eich einlanden zu können.“ Die junge Adelige machte ein Geste in Richtung eines freien Platzes am Feuer.
Der Zwerg schien einen Moment unsicher, bis Elin ihn schließlich am Arm ergriff und Hadrir ohne viel Gegenwehr an den Angebotenen Platz zog. Der plötzlich so verdutzt dreinschauende Zwerg löste einen allgemeinen Lachanfall unter Hedan und seiner Crew aus und selbst Galren rang sich ein kurzes, kaum sichtbares Lächeln ab...
Ein nagender Teil seines Bewusstseins wollte den Zwerg nach wie vor nicht hier haben. Aber im Augenblick gewann wieder die Vernunft die Oberhand über falschen Stolz. Hadrir war ihr einziger Verbündeter. Und er tat alles um ihnen zu helfen ohne die Grenzen zu
übertreten, die der König ihm aufgezwungen hatte...