Der beginn vom anfang
"Wie gehts dir?", fragte Blair.
"Gut", log ich, da Blair mich vor zwei Wochen verlassen hatte, grundlos. Naja grundlos wohl eher nicht, kurz darauf hatte sie bereits einen neuen Freund, Bratt. Bratt ist ein arroganter aufgeblasener Schnösel, der mit seinem Geld prahlt, wie ein König.
Sie schaute mich mit ihren eiskalten-blauen Augen an. Ihre Haare schmiegten sich in leichten Locken um ihren Kopf und ruhten sanft auf ihren Schultern. Sie spielte an der
wahrscheinlich echten goldenen Kette, die wie ich herausfand von Bratt stammte. Ich wich ihrem Blick aus und räumte meine Schulbücher in den Spint. Blair drückte mein mittlerweile etwas muskulösen Oberarm. Nach der Trennung fing ich an zu Trainieren, um sie vielleicht durch mein dann gutes Aussehen zurück zu gewinnen, vergeblich. Ich schaute sie aggressiv an, mein Herz tat immer noch weh.
"Logan, es tut mir leid, was soll ich denn noch tun oder sagen?"
Ich blickte von meinem Spint aus auf, um ihren verzweifelten Blick zu begegnen, ich hoffte dass sie diese Worte nicht ernst
meinte. Mein Puls fing an zu rasen.
"Mich in Ruhe lassen." Es platzte so aus mir heraus, ich bereute es sofort. Sie wendete sich auf meine Worte enttäuscht ab und ließ mich allein am Spint zurück. Meine Augen waren trotzdem noch auf sie gerichtet, auch als sie in den enstehenden Menschenmassen auf dem Flur unterging. Ich werde sie niemals gehen lassen können.
Ich hatte bereits Schulschluss und begab mich zu der Bushaltestelle und wartete auf meinen Bus.
Während ich einstieg fühlte ich einen hasserfüllten Blick auf mich ruhen. Bratt saß
bereits schon im Bus, seine Augen zu kleinen Schlitzen verformt, klebten förmlich an mir. Er beobachtete mich. Mir wurde plötzlich unheimlich heiß, ich konnte nur noch schwer atmen. Es war als ob mir sein Blick mir die Kehle zu drückte. Ich wollte ihn von meinem hinteren Platz aus ignorieren, doch ich erwischte mich immer wieder dabei, wie ich zu ihm hin schaute.
Was dachte er wohl über mich? Bestimmt das ich ein Looser bin und wie Blair mit mir zusammen sein konnte. Er hatte recht, wie konnte sie es? Mich zu küssen? Mit mir zu schlafen? Sich in mich zu verlieben? Mein Selbstbewusstsein schwindet von Tag zu Tag
mehr.
Sieben Haltestellen später stieg er aus, ich atmete erleichtert auf. Da ich auf dem Land wohnte, hatte ich eine weite Busfahrt vor mir. Nachdem der Bus die Endstelle erreichte begab ich mich zu den Fahrradständern und schwang mich auf mein Fahrrad. Die ländlichen Felder gaben mir eine Art Vertrautheit und Sicherheit, ich könnte, wenn es so käme, die Gefahr meilenweit erahnen.
Die Sonne stand am höchsten Punkt ihrer Tageslaufbahn, die Felder wirkten wie aus Gold verzaubert. Die Bäume links von mir zogen sich wie eine Grenze über die Felder. in einem dunklem Grün. Sie standen so dicht,
dass die Sonne keine Chance hatte durch zu scheinen, dort hatte ich mir früher immer eingeredet, lauert das Böse. Die Tatsache ist falsch, heute weiß ich das dass Böse in uns lauert und nur darauf wartet uns zu übernehmen. Sie wartet nur auf die Chance uns zu vernichten.
Von weitem sah man schon den großen Hof, auf dem ich lebte. Es erstreckten sich vier große Gebäude über das Gut. In dem kleinsten lebten meine Großeltern, Magrid und George. In dem mittleren Haus lebte ich mit meiner Mutter Sue, meinem Vater Daniel und meiner kleinen Schwester Maggie. Die zwei weiteren Gebäude waren Scheunen, eine davon für die Pferde. Die andere für
Geräte wie zum Beispiel Trecker und Mähdrescher. Mein Opa und mein Vater betrieben Landwirtschaft und hofften das ich es auch mal nach ihnen übernehmen würde. Doch instinktiv wusste ich dass ich es nicht machen würde. Ich tat was ich kann auf dem Hof, bzw. erledigte was ich tun musste. Ein Leben was für mich bestimmt worden war, wollte ich nicht leben. Ich wollte mein eigenes Leben aufbauen, Ortschaften erkunden und frei sein, nicht gefesselt an den Ort, wo ich aufwuchs und sterben würde.
Mir blieb nicht viel Zeit um mich von der Radtour zu erholen, wenn ich den Abend frei haben wollte, musste ich direkt nach der Schule anfangen meine aufgetragenen
Pflichten ab zu arbeiten. Also fing ich an die Pferde auf die Weide zu bringen; Ställe auszumisten und Futter zu verteilen. Mein eigenes Pferd, Namenlos ein weißer Schimmel, striegelte ich und kratze ihm die Hufe aus, damit ich wenn ich Lust hatte, später noch einmal Ausreiten konnte. Dann ordnete ich den "Schuppen", einer der Scheunen, da mein Opa und mein Vater immer gerne alles her raus nahmen, es aber nie wieder an die richtige Stelle räumten.
Ich fühlte die Schweißperlen auf meiner Stirn, als ich meine Arbeit erledigt hatte. Ich duschte mich schnell und pflanzte mich erschöpft in mein Bett und ließ die Musik über mein Handy laufen. Normal hätte sich zu der
Zeit Blair an meine Seite geschmiegt und ich meine Hand um ihre Taille. Aber nun tut sie das bei Bratt und ich bin alleine. Werde es auch bleiben. Allein, und herzgebrochend. Mein Lächeln verschwand an dem Tag als Blair die Worte sprach: "Logan, du gibst mir schon lange nicht mehr das was du mir einst gabst, meine Liebe zu dir ist wie vom Winde verweht. Ich mache Schluss mit dir." Wie versteht man Worte, die nicht der Wahrheit entsprachen? Sie hatte einfach nach einer Ausrede erfunden, um mit mir Schluss machen zu können. Vielleicht hat ja sogar Bratt ihr dabei geholfen. Ich habe ihr immer alles gegeben, von dem ersten Tag an, bis hin zum Ende. Ich hab ihr mein Leben gegeben, um ihr zu zeigen das ich alles tun
würde, aber es beruhte nie auf Gegenseitigkeit. Mein Leben ist in ihrer Hand langsam kaputt gegangen. Als es schließlich kaputt war, warf sie es weg, ohne zu versuchen es zu reparieren.
Der Tag verlief ohne Besonderheiten, ich trainierte noch etwas und genoss schon den aufsteigenden Geruch von Mama's gekochtem Essen. Ungeduldig ging ich die Wendeltreppe, ins groß aus gebaute Wohnzimmer, hinunter. Durch die bodentiefen Fenster hellte es die Eichenholzmöbel auf und der Raum wirkt noch freundlicher. Durch die einzelnen Fotos von meiner Familie und mir personifizierte es das Wohnzimmer und ließ es ganz eigen
wirken.
Ich ging in die ländlich gehaltene Küche, dort war meine Mutter total in ihre Küchenarbeit vertieft. Sie bemerkte mich gar nicht. Ich wollte sie nicht stören, ihr machte es ziemlich zu schaffen, dass ich mich immer mehr in mich hinein verzog, das konnte sie nicht verbergen. Ich zog mich wieder mal in mein Zimmer zurück und steckte die Kopfhörer in mein Ohr und schaltete die Musik ein. "Dare to believe"- Boyce Avenue, dass Lieblingslied von Blair fing an zu spielen. Die ersten Töne ließen mir die Tränen bereits in die Augen schießen. Blair, war überall. In meinen Gedanken, in meinen Träumen, in der Musik. Ich konnte sie nicht vergessen. Ihr nach Apfel
riechendes Haar, ihr zuckersüßes Lächeln, wenn sie glücklich war, meist nicht wegen mir. Ihre Bewegungen, so sanft, zierlich und doch so selbstbewusst. Ohne sie ist mein Leben doch ein Wrack, ich brauchte sie. Doch trotzdem ging sie. Und ließ mich im Regen stehen. Niemand, wusste wie kaputt ich war. Niemand wusste, dass ich schon innerlich tot war.
Mit immer wieder aufsteigenden Tränen lief ich durch den Wald, der einst für mich das Böse war, nun Zuflucht vor dem Bösen zu scheinen schien. Es regnete, ungewöhnlich für die heiße Sommerzeit in Arizona. Meine mittellangen dunkelblonden Haare klebten an meiner Stirn und ließen meine
dunkelbraunen, fast schwarzen, Augen nur bedingt die Sicht durchdringen. Der Wald hatte keine festen Pfade, die man durchlaufen konnte, man musste sich seine eigenen Wege suchen. Mein Kopf war zum Boden gerichtet, so auch mein Blick, es war immer das selbe Bild was meine Augen sahen. Äste, Matsch, Moos, Blätter, Äste, Matsch, Moos, Blätter, Äste...
Ich war so vertieft in meine Gedanken, dass ich nicht mitbekam wie ich etwas zu Boden, in den Matsch, stieß. Meine Augen blickten hinauf, um zu sehen was ich angerempelt hatte. Sie trafen auf die schönsten grünen Augen, des schönsten Mädchens.
WAS MAN NICHT SUCHT FINDET MAN SCHNELLER
Ich war in meinen Gedanken so vertieft gewesen, das ich überhaupt nicht gemerkt hatte das ich etwas zu Boden stieß. Dieses Mädchen. Wie es da im Gewühl der Blätter lag, irgendwie hilfsbedürftig. Sofort hielt ich meine Hände hin, um ihr beim Aufstehen zu helfen.
„Ein 'Entschuldigung' reicht“, faucht sie und stieß meine Hände bei Seite.
Wow, dachte ich. Dieser Tonfall passt absolut nicht. So frech und arrogant. Ich kaufte es ihr nicht ab. Es wirkte wie eine Fassade, die man aufsetzt wenn man nicht zeigen will wer man wirklich ist.
Ich kenne das ganz gut, zu gut.
Ich zog eine Augenbraue hoch und grinste nur höhnisch. Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen. Sie klopfte sich den Dreck vom Hintern ab, der wie ich finde gut in der schwarzen Hose in Form gebracht wurde. Generell ihr Anblick lässt sich nicht schlecht reden. Die schwarzen glatten Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte. Ihr Gesicht, die wunderschönen smaragd-grünen Augen, dann noch die hohen Wangenknochen und die vollen Lippen. Sie ist einfach wunderschön. Ich starrte sie einen Moment zu lange an, denn sie wand sich
ab.
„Tut mir leid“, brach ich erstens die Stille und zweitens um sie zum Bleiben dazu behalten. Sie schaute mich an und aus ihrem Zopf löste sich eine Strähne, sie fiel perfekt in ihr Gesicht. Ich rieb mir mit der Hand durch den Nacken, da ich nicht wusste wohin mit meinen Händen.
„Was sucht ein Mädchen, wie du, an einem Ort, wie diesem?“, unterbrach ich erneut das Schweigen.
„Ein Mädchen wie ich?“ Sie lachte. „Darf ich nicht hier sein?“, jetzt zog sie eine Augenbraue hoch und ha (!) ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Es war wunderbar. Ich wollte mehr davon sehen.
Aber wie gesagt, es war eine Fassade.
„Ich denke wir sollten uns etwas zum unterstellen suchen?“, ich fragte vorsichtig,da es nicht aufhörte zu regnen. Und da ich sie irgendwie kennen lernen wollte. Was hinter dieser Maske steckt.
Sie nickte nur.
Wir liefen schweigend durch den Wald, die Regentropfen wurden dicker und größer. Bald schon standen wir mitten in einem so heftigen Regen das er einem Monsun ähnelte. Ich kannte mich in diesem Wald aus wie in meinem Zimmer, ich wusste wo jeder Stein und wo jede
Hütte lag. Ich stolzierte also durch den dunklen Wald mit einem Mädchen. Es regnete und ich konnte langsam ihren BH unter ihrem T-Shirt aus machen. Falsche Gedanken. Als wir die Hütte erreichten, wirkte das Mädchen sichtlich überrascht tatsächlich einen Unterschlupf hier zu entdecken. Tja ich bin ein Held, dachte ich. Die Tür war auf, wusste ich natürlich, trotzdem ließ ich es so aussehen, als ob ich erstaunt über diesen Pfund sei. Wir traten ein. Endlich trockenes. Es war moderig und stickig in der Bude und etwas verstaubt. Ich riss die Gardinen auf, aber durch das Gewitter drang nicht mehr Licht rein. Das Mädchen ließ sich auf einen Stuhl
fallen und schaute stur gerade aus. Ich setze mich schräg neben sie. Ich seufzte.
„Wie heißt du?“, sie sprach mit mir. Bis ich das realisierte, hob sie den Blick und schaute mich unausweichlich an.
„Logan und du?“ Ich lächelte, wie ich es immer tat. Denn Mams meinte man sollte stets einen guten Eindruck machen, wenn man sich kennen lernte.
„Cleo“, sie nickte.
„Schöner Name“, ich machte ihr dieses Kompliment gerne.
„Ein Zwang, wir konnten uns es nicht aussuchen.“, konterte sie. Mir fiel alles aus dem Gesicht. Wie konnte sie so etwas behaupten?
Eine gefühlte Ewigkeit sprachen wir
nicht, ich versuchte Netz auf meinem Handy zu empfangen, da es langsam spät wurde. Und Cleo, die ihren Namen hasste, starrte erneut vor sich hin. Ich seufzte an diesem Tag ebenso tausendmal wie ich versuchte die Stille zu durchbrechen.
„Was hast du hier im Wald gemacht?“
Sie schaute mich erschrocken an und fing an zu zittern. Hab ich was falsch gemacht? Ihr Blick wurde leer und sie legte die Hände unter ihre Oberschenkel, um das Zittern zu stoppen.
„Ich wollte den Kopf frei kriegen“, sie antwortete unerwartet.
„Willkommen im Club“, ich bin ein Spaßvogel. Aber es hat funktioniert sie
grinste und legte den Kopf leicht schief.
„Warum wolltest du denn den Kopf frei kriegen?“ Sie fand allmählich gefallen daran Konversation zu betreiben.
„Ach, Schule. Familie. Landleben. Der Alltag, weißt du-“, bevor ich weiter sprechen konnte unterbrach sie mich.
„- ich weiß sehr wohl“. Sie lächelte schwach. War das etwa das Mädchen hinter der Fassade? Wenn ja, dieses Lächeln bedeutete nichts gutes.
„Darf ich fragen wieso?“
„Ebenso belangloses“, ich sollte noch nicht erfahren was der Kern dieser Aussage beinhaltet.
Erneut lange Zeit des
Schweigens.
Ich bemerkte erst viel später das es aufgehört hatte zu Regnen, da ich viel zu sehr in Gedanken versunken war. Cleo stand auf und ging Richtung Tür.
„Ich denke ich werde mal gehen, sie machen sich sicher schon Sorgen“, wer war 'sie'? Ich folgte ihrem Vorschlag und eilte zur Tür.
„Ich helf dir beim hinaus laufen des Waldes“, ich log. Ich wollte einfach noch etwas bei ihr sein, denn es war irgendwie ein gutes Gefühl.
Sie nickte. Das Nicken ging mir langsam auf die
Nerven.
Wir liefen wieder durch den Wald und diesmal erhaschte uns sogar die Abendsonne und ließ etwas Wärme durch die Baumkronen auf uns hinab gleiten. Es roch nach Regen und nassen Blättern. Ich liebte diesen Geruch. Ich wusste nicht warum, aber ich liebte es. Wir fanden schnell wieder heraus, und landeten auf einem großen Feld, das golden in der Abendsonne erstrahlte. Wie gern wäre ich jetzt mit Namenlos durch dieses Feld galoppiert und mich frei gefühlt. Vielleicht morgen.
„Ist es nicht schön, diese Felder zeigen dir von Fern ab das Böse, das auf dich
zu kommt. Es ist als wäre es eine Art Schutz, der dir noch Zeit gibt, dich zurück zu ziehen. Ich laber schon wieder scheiße, tut mir leid.“ Ich kam mir selber blöd bei dieser Aussage vor. Doch es kam keine Antwort mehr.
Ich drehte mich um. Drehte mich nach links und rechts. Und einmal um meine eigene Achse. Spähte in den Wald. Und noch einmal um mich selbst. Sie war weg. Nirgends. Wie konnte sie das geschafft haben, lautlos und sie war doch im Wald immer vor mir? Ich drehte mich nochmal um meine eigene Achse, sie war immer noch weg. Das Mädchen mit den smaragd-grünen Augen war verschwunden.