Kapitel 51 Altes Volk
,, Was meint ihr damit, ihr kommt nicht hindurch ?“ , wollte Naria wissen.
Die Gejarn lief einmal um den Magier herum, wie um zu demonstrieren, dass es nichts gab, das ihnen im Weg stand, aber Merl blieb wo er war, die Arme nach wie vor ausgestreckt gegen etwas, das sie alle nicht sehen konnten.
,, Genau das.“ , erklärte er irritiert und trat einen Schritt von dem Tor zurück. ,, Es geht nicht weiter…“
,, Wir sind alle drüber gekommen.“ , bemerkte Naria und um ihre Worte zu unterstreichen, trat sie zurück über die
Torschwelle des Tempels und zurück. Zumindest ihr stand dabei nichts im Weg und auch die anderen waren ohne Wiederstand hinein gelangt, soweit Galren das beurteilen konnte. Warum also Merl nicht ?
,, Nun es ist jedenfalls da.“ , meinte der Zauberer und tastete sich an der unsichtbaren Mauer entlang. ,, Und ziemlich massiv… Ehrlich gesagt nicht mal die Barrieren die mein Meister in Silberstedt aufgestellt hat, waren so stark. Ich glaube nicht, das ich da hindurch komme…“
,, Ich spüre nicht mal irgendwelche Magie, Merl.“ Naria folgte seiner Geste, griff jedoch nur durch Luft. ,,
Wenn da etwas ist dann…“ Sie stockte, als ihr Blick auf die Fliesen der Türschwelle viel. Wortlos ließ sie sich auf ein Knie nieder und wischte mit einer Hand Staub und Dreck beiseite, der sich im Laufe der Jahre dort angesammelt hatte. Darunter kamen in den Stein gemeißelte, nun jedoch verblasste, Runen zum Vorschein. Doch noch immer ging ein schwaches Glühen von den in sie eingelassenen Kristallen aus. Das Licht flackerte und verschob sie, während Merl an der Barriere entlanglief um nach einer Lücke zu suchen.
,, Dieser Ort wurde nicht von eurem Volk erbaut, Hadrir, kann das sein ?“ ,
wollte Naria wissen, während sie die Runen untersuchte. Auch Merl, der auf der anderen Seite der Tür gefangen war, hatte sich auf ein Knie niedergelassen und betrachtete die leuchtenden Schriftzeichen.
,, Nein…“ , erklärte der Zwerg unsicher. ,, Aber als mein Volk diesen Ort fand, war er kaum mehr als eine Ruine, das meiste haben wir einfach wieder aufgebaut, soweit es uns möglich war.“
,, Und ich vermute, das gesamte Fundament war noch Intakt ?“ , fragte nun Merl. ,, Wenn das ein Schutzzauber ist, läuft er vermutlich um das gesamte Gebäude herum. Ich wette wenn ich versuchen würde ein Fenster
einzuschlagen würde ich genau so wenig hinein gelangen.“
,, Was meint ihr damit, dieser Ort wurde nicht von den Zwergen erbaut ?“ Armell sah ratlos zwischen Merl und Naria hin und her.
,, Ich glaube ich weiß es.“ , meinte Lias schließlich. ,, Diese Architektur, ich konnte mir nicht sicher sein, aber jetzt wo Hadrir es selbst zugibt, aber ich kenne sie. Aus der inneren Stadt Helikes. Das hier ist die Bauart des alten Volkes. Helike steht wortwörtlich auf den Ruinen einer ihrer Siedlungen.“
Noch ein Rätsel, dachte Galren. Das alte Volk war also hier gewesen… und das offenbar lange bevor die Zwerge hier
ankamen. Aber er hatte bisher nirgendwo andere Spuren von ihnen gesehen. Nur hier. Alos hatte dieser Tempel alleine gestanden? Die Ausmaße waren zu gewaltig um ein simpler Wegschrein zu sein. Und noch wichtiger… was war jetzt mit Merl ?
,, Du kommst immer noch nicht hindurch, oder ?“ Armell sah ihn besorgt an und trat, ohne zu zögern, wieder zu ihm nach draußen.
,,Nein.“ , erklärte der junge Magier seufzend. ,, ich schätze mal, ich muss den Schutzzauber vorhin aktiviert haben.“
,, Bleibt die Frage, warum er euch draußen hält und uns nicht.“ , meinte
Naria, die nach wie vor mit den Runen beschäftigt war. Ihr Blick hatte etwas abwesendes, während sie ein kleines Buch aus ihrem Umhang zog und anfing darin zu Blättern. Die Seiten waren vergilbt und brüchig und Galren konnte einen Blick auf Zeichnungen von Runen und Symbolen erhaschen, die denen auf den Fliesen am Tor verdächtig ähnlich sahen. ,, Ich bin kein Experte, was so etwas angeht, aber offenbar sind diese Runen darauf ausgelegt… ein Mitglied des alten Volkes fernzuhalten.“
,, Sie wollten diesen Ort vor sich selbst abriegeln ?“ , fragte Elin. ,, Wozu ?“
Die Gejarn zuckte mit den Schultern. ,, Ich habe keine Ahnung. Aber ich schätze
mal, es gab auch Dinge, die sie voreinander geheim halten wollten.“
Und vielleicht war dieser ganze Ort ein Geheimnis gewesen? , fragte Galren sich. Das würde erklären, warum jemand ihn in einer Feuerwüste mitten im Nirgendwo errichtet hatte. Sein Blick wanderte durch den Tempel hin zu dem gesplitterten Marmorblock. Irgendetwas zog ihn nach wie vor dorthin, so sehr er auch versuchte, es zu ignorieren…
Merl zögerte. ,, Das erklärt allerdings warum er mich draußen hält.“ , meinte er schließlich. ,, Das ist… nun jeder Magier stammt auf irgendeine Art direkt vom alten Volk ab, auch wenn zwischen damals und heute mehrere hundert
Generationen liegen dürften. Wir sind praktisch das, was dabei herauskam, als die Letzten ihrer Art menschliche Gefährten nahmen. Also hält dieser Zauber mich schlicht für ein Mitglied des alten Volkes.“
,, Dann müsste er mich allerdings auch dafür halten.“ , begab Naria zu bedenken. ,, Meine Magie stammt aus der gleichen Quelle wie eure, ich habe lange genug darüber gerätselt um das zumindest sicher zu wissen. Und momentan sperrt die Barriere nur euch aus. Dieser Zauber wurde geschaffen um Magier auszusperren, doch reagiert er nur auf euch, obwohl wir beide das Erbe des alten Volkes
besitzen.“
,, Ich bin mir nicht sicher ob ich verstehe worauf ihr hinaus wollt.“ , bemerkte Armell düster. Galren jedoch begann langsam zu ahnen, worum es Naria ging. Und wenn das was er vermutete auch nur zum Teil der Wahrheit entsprach… zu was machte das Merl dann?
,, Ihr irrt euch.“ , erklärte der junge Zauberer überraschend kühl.
,, Es würde einiges erklären.“ , erwiderte die Gejarn. ,, Eure Überempfindlichkeit für Magie beispielsweise.. und gleichzeitig eure Schwierigkeiten damit. Der Zauber ist gegen das alte Volk und seine
Abkömmlinge gerichtet, aber er reagiert nicht auf mich… Das heißt ihr müsst sehr viel mehr von ihrem Erbe in euch tragen als ein gewöhnlicher Magier. Sehr viel mehr, würde ich vermuten. Wer waren eure Eltern?“
,, Das geht euch so was von überhaupt nichts an.“ Merl war vor ihr zurück gewichen. Wenn Galren eines wusste, dann das es schon einiges brauchte um den jungen Magier aus der Fassung zu bringen. Und er hatte noch nie erlebt, dass er wirklich wütend auf jemanden gewesen wäre…
,, Würde mir bitte jemand erklären, was hier eigentlich vor geht ?“ , forderte
Armell.
,, Beantwortet mir einfach die Frage.“ , behaarte Naria ohne die Fürstin zu beachten.
,, Er…“ Merl stockte. ,, Zachary hat mir nie viel von ihnen erzählt. Vielleicht hat er auch einfach nicht mehr über sie herausgefunden. Nur das sie im Krieg umgekommen seien. Ich wurde in den Ruinen Silberstedts gefunden… einige Tage nach dem Ende der letzten Kämpfe. Er… hat mich aufgenommen weil er nach einem Schüler suchte, das war alles, aber wenn was ihr sagt stimmt…“
,, Oder euer Meister wusste bereits, was ich euch jetzt sage : Ihr seid kein einfacher Magier. Ihr seid ein direkter
Nachkomme. So verrückt das klingt, aber damit ein Zauber wie dieser auf euch reagiert könnt ihr kaum weniger als… ein halbes Mitglied des alten Volkes sein. Vielleicht ein Viertel. Ein Elternteil oder zumindest eure Großeltern gehörten zum alten Volk.“
,, Das ist doch Unsinn…“ Merl schüttelte entschieden den Kopf. ,, Ihr seid völlig verrückt, wir spekulieren hier über etwas das… das… Götter, Zachary muss es gewusst haben. Er muss das die ganze Zeit gewusst haben, aber er hat mir nichts gesagt, kein Wort… Deshalb hat er mich aufgenommen. Seine gesamte Forschung über Seelenwanderung über das Wesen der Magie des alten Volkes…
Ich bin ein verdammtes Studienexemplar…“
Der junge Magier wendete sich ab, doch bevor er einen Schritt machen konnte, war Armell da und zog ihn an sich.
,, Merl hör mir zu. Du kennst ihn genau so gut wie ich. Ich bezweifle das er dich so gesehen hat und ich bezweifle das er dir aus Bosheit irgendetwas verschwiegen würde. Denk nach, das alles seine ganze Arbeit…“
,,Für mich…“ , murmelte der junge Zauberer fast unhörbar leise. ,, Alles was er getan hat.“
,, Er wollte auf den richtigen Moment warten, da bin ich mir sicher. Wenn er dir erklären konnte, wie du damit
umzugehen hast. Das, genau jetzt, wollte er verhindern.“
Naria schien nun selbst etwas betreten, während die beiden sich wieder voneinander lösten. ,, Es tut mir leid.“ , erklärte sie. ,, Ich bin mir sicher, es ist wie Armell sagt. An eurer Stelle würde ich deswegen nicht schlechter von eurem Meister denken. Es ist wie es ist oder vielleicht täusche ich mich auch. Aber es ist die einzige Erklärung die mir einfällt. Und es würde auch bedeuten, wir wüssten, warum ihr langsamer lernt als die meisten. Es kann sein, das ein normaler Zauberer euch einfach nicht mehr beibringen kann, als ihr schon wisst. Wo Ich, Zachary und alle anderen
Zauberer nur Stufen auf einer Leiter darstellen… seit ihr einfach eine völlig andere Kategorie.“
Merl schien sich wieder etwas zu beruhigen. ,, Ich schätze… ich werde ihn fragen müssen, wenn wir zurück kommen.“
,, Und vielleicht hilft es euch auch.“ , meinte die Gejarn. ,, Man ist nun mal, als was man geboren wird, daran kann man nichts ändern. Man kann nur damit Leben und das Beste daraus machen. Ich bin der zweite Gejarn-Zauberer der je geboren wurde also… ich weiß wovon ich spreche.“
,, Nun… ich stecke nach wie vor hier fest.“ , erwiderte Merl grinsend. ,, Ihr
habt nicht zufällig eine Idee, wie mich dieses… Wissen durch die Tür bringt?“
,, Ich denke schon.“ Naria kniete sich wieder über die Runen am Boden. ,, Der Zauber ist ziemlich alt, ich sollte ihn also eigentlich von hier drinnen brechen können.“ Sie streckte eine Hand aus und bedeckte eines der glühenden Symbole damit.
Galren wanderte derweil unruhig durch das Kirchenschiff auf und ab. Mehr Rätsel, diesmal über Merl. Das war vielleicht wirklich das letzte, was ihnen gefehlt hatte. Aber der junge Zauberer schien es überraschend gut zu verkraften… vielleicht auch nur weil sie nach wie vor nicht sicher sein konnten
ob es auch stimmte. Sein Blick ging erneut n Richtung des Altars. Der Block war ganz offenbar von irgendetwas mittig in zwei Teile gespalten worden. Die scharfen, zackigen Kanten stachen hervor und die gebrochenen Kristalle glitzerten im einfallenden Licht, wo andere Brüche und Beschädigungen im Stein schon lange Stumpf geworden waren. Er musste nicht erst Hadrir fragen um zu wissen, dass der Block schon hier gewesen war, als die Zwerge kamen. Er wirkte bereits uralt…
Und noch etwas fiel Galren auf. Unter dem Staub und von Äonen von Stiefeln so gut wie abgeschliffen waren weitere Runen auf dem Boden angebracht
worden. Und nicht nur dort. Sie zogen sich die Mauern hinauf und liefen sogar an der Decke entlang und mancherorts formten sie sogar einen kompletten Kreis, der das Innere des Gebäudes umrundete. Doch anders als die Barriere am Tor waren die Symbole hier erloschen und dunkel, ihre Kraft wohl schon vor Jahrtausenden erloschen.
Das war eine Festung, dachte Galren. Ein Bollwerk aus Magie. Halb war er froh, dass nur die äußerste Verteidigungslinie die Zeit offenbar überstanden hatte. Andererseits machte es ihn auch Unruhig. Warum machte man sich so viel Mühe jemanden von diesem Ort fern zu halten? Oder ging es eher
darum etwas… drinnen zu halten? Die Antwort lag am Steinaltar, das spürte er, irgendetwas dort rief ich, griff mit unsichtbaren Fingern nach ihm. Ohne dass er etwas dazu beitrug spüre er, wie seine Beine sich in Bewegung setzten und ihn in Richtung Altar trugen. Er hörte kaum, wie die Barriere am Tor flackernd erlosch, als Naria ihre Arbeit beendete und die Rufe seiner Gefährten klangen seltsam fern. Er drehte den Kopf und sah wie Hadrir versuchte ihn einzuholen. Ohne langsamer zu werden, stieß er den Zwerg weg und stand plötzlich vor dem gespaltenen Altar. Sein freier Wille schien nicht mehr zu existieren, sein Körper handelte von
selbst, als er hinauf kletterte einen Moment ratlos auf die Lücke im Stein starrte. Das Gefühl der Distanziertheit, das er nicht mehr Herr über sich selbst war, verschwand. Dafür machte sich eine Erkenntnis breit, die ihn schwerer traf, als ein echter Schlag das je könnte. Hier war… Nichts.