Kapitel 17
Ich wollte wegrennen. Wieso hatte ich nicht daran gedacht? Wieso hatte ich mich von meinen Gefühlen leiten lassen? Ich höre, dass Adam etwas sagt, verstehe aber die Worte nicht. Ich höre nur ein lautes Rauschen um mich herum.
Mit einem Ruck dreht mich Adam um, sodass ich ihm direkt in seine braunen Augen schaue. Er ist wütend, besorgt und traurig zugleich. „Ria bitte erkläre mir, wieso du so eine grosse Narbe auf deinem Rücken hast. Wer hat dir das angetan?“ Auf meinem Rücken prangte ein grosses „D“. Ein D für Dean. Ich war 12 Jahre alt, als Dean mich das erste Mal
mit einem Jungen gesehen hatte. Durch mein langes Haar fiel ich in der Schule sofort auf. Ich war zwar ein sehr ruhiges Mädchen, wurde aber von allen sehr gemocht. Toby, ein damaliger Schulfreund, begleitete mich eines Tages nach Hause.
Ich mochte Toby sehr. Vor meiner HaustĂĽre angekommen, kĂĽsste er mich auf die Wange und rannte dann davon. Ich fand das ganze ziemlich lustig. Ich war erst 12 Jahre alt und hatte keinerlei Hintergedanken dabei. Als ich dann in das Haus ging, wurde ich bereits von Dean empfangen. Er fragte mich, wer der Junge sei und wieso ich mich denn von ihm hatte kĂĽssen lassen. Ich hatte bereits
vorher einiges mit Dean erlebt und wusste, dass ich auf der Hut sein musste. Also log ich ihn an. Ich erzählte ihm, dass Toby eine Wette verloren hatte und mich deshalb küssen musste. Aber Dean interessierte das Ganze nicht. Er riss mir meine Schultasche weg und ging mit mir nach oben in sein Zimmer. Ihm gehörte der ganze Dachstock, welcher nur durch eine Auszugstreppe zu erreichen war.
Ich wusste nicht genau was mich erwartete aber es konnte nichts Gutes sein. Als wir in seinem Zimmer angekommen waren, schlug Dean mir ins Gesicht, sodass ich hinfiel. „Bitte Dean nicht“, sagte ich schluchzend. Aber Dean interessierte es nicht. Er trat und schlug
mich immer und immer wieder bis ich in Ohnmacht fiel. Als ich wieder erwachte tat mir alles weh. Ich lag nackt am Boden auf dem Bauch. Meine Kleider waren ĂĽberall verstreut im Zimmer. Mir tat alles weh.
Dean sass auf seinem Bett und spielte mit seiner Playstation. Er schaute mich abschätzig an. „Na Schätzchen, gut geschlafen?“ Ich antworte nicht. Die Schmerzen waren grauenvoll. Ich versuchte mich langsam aufzurichten aber das Brennen auf meinem Rücken machte sich immer mehr bemerkbar. „Dean, was hast du getan?'“ fragte ich ihn, nachdem ich mir auf den Rücken gefasst hatte und an meiner Hand Blut
klebte. „Weisst du Ria in Afrika halten die reichen und einflussreichen Menschen Sklaven. Es gibt alles, Sklaven die kochen und waschen, Sklaven die sich um die Kindererziehung kümmern oder auf dem Feld arbeiten, ja, sogar Sexsklaven. Du bist meine Sklavin. Ich habe nur mein Eigentum gekennzeichnet.“ Damals verstand ich den Sinn seiner Worte noch nicht. Ich wusste nicht wieso er mir das angetan hatte oder was er mit dem Thema der Sklaverei meinte. Ich spürte nur den Schmerz, körperlich wie psychisch. Schnell zog ich mir meine Kleidung wieder an und schlich langsam hinunter in mein Zimmer. An meinem Schrank
hing ein alter Spiegel. Mithilfe eines Handspiegels konnte ich erkennen, was mir Dean angetan hatte. Die nächsten Tage verbrachte ich nur in meinem Zimmer. Ich schlich mich in der Nacht nur kurz hinunter um etwas zu essen um danach wieder in meinem Zimmer zu verschwinden. Patrizia interessierte es nicht, ob ich zur Schule ging oder nicht, solange ich ihr nicht im Weg stand. In den darauffolgenden Tagen wurde ich immer wieder von Dean verprügelt.
Er schlug mir immer wieder auf den Rücken, sodass die Wunde wieder aufplatzte. Der ganze Horror nahm erst ein Ende als Dean in ein Jugendlager fuhr und mein Körper so Zeit hatte, sich
zu regenerieren. Die Narben blieben jedoch zurück und schmückten nun meinen Rücken. Dean war sehr stolz darauf. Immer wieder nannte er mich seine Sklavin. Er zwang mich, mich auszuziehen damit er Fotos von meiner Narbe machen konnte. Ich gehorchte aus Angst wieder geschlagen zu werden. Mit der Zeit wurden die Übergriffe immer schlimmer. Nicht im körperlichen Sinne aber psychisch. Er versteckte den Badezimmerschlüssel, sodass er mich unter der Dusche filmen konnte. Ich musste mich nackt in sein Bett legen und auch dies filmte er. Sobald ich seinen Befehlen nicht gehorchen wollte, erpresste er mich damit, dass er allen
dieses Video zeigen würde. So nahm mein persönlicher Teufelskreis seinen Lauf. Ich hatte Angst. Die Scham war zu gross, also gehorchte ich. Dean hat mich nie sexuell missbraucht. Ich glaube er befürchtete, dass ich dann etwas sagen würde. Davor hatte er zu grosse Angst. Er hat mich geschlagen, gefilmt und mich sonst unmögliche Dinge tun lassen. Ich wurde jahrelang eingeschüchtert und lebte in ständiger Angst.
Als ich dann endlich 18 Jahre alt war und meine Tante Patrizia keinen Unterhaltszuschuss vom Amt bekam, wurde ich auf die Strasse gestellt und fĂĽhlte mich zum ersten Mal richtig frei. Nur noch diese Narbe und die
monatlichen Zahlungen die ich an Dean leisten musste damit er die Videos nicht veröffentlichte, erinnerten mich an die Zeit bei meiner Tante und Dean.
„Ria, bitte sprich mit mir, was ist los?“ jäh wurden meine Gedanken von Adams Stimme unterbrochen. Ich sehe ihn an. Er ist besorgt. Ich zittere. Adam zieht mir den Bademantel über, bindet ihn zusammen und zieht mich dann in seine Umarmung. Ich bin wie versteinert. Was soll ich tun? Soll ich ihm alles erzählen? Langsam löst sich Adam von mir und dirigiert mich in die Richtung der Liegesessel. „Ria, bitte erzähl mir, was los ist. Ich will dich doch nur verstehen. Ich liebe dich doch und will nur dein
Bestes.“ Das wird mir alles zu viel. Ich kann Adam nichts erzählen. Ich stehe auf und renne zum Aufzug. Am liebsten will ich einfach nur noch weg von hier. Doch die Aufzugtüre öffnet sich nicht, denn auch hierfür braucht man einen Schlüssel. Ich lehne mich gegen die Aufzugtüre und gleite daran herunter. Ich habe mich schon lange nicht mehr so hilflos und verloren gefühlt. Adam sitzt immer noch auf der Liege und schaut mich an. Das erste Mal seit wir uns kennen, erkenne ich diese Hilflosigkeit in seinem Blick. Er sorgt sich wirklich um mich. Langsam steht er auf, kommt auf mich zu und setzt sich neben mich auf den kalten Plattenboden. „Ich warte
bis du soweit bist Ria. Ich kann warten, aber bitte erzähl mir was los ist, damit ich dir helfen kann.“
Ich schaue ihm lange in die Augen. Adam strahlt Vertrauen aus. Er nimmt meine Hand in seine und hält sie fest. Zusammen schauen wir in den Himmel. Langsam wird es dunkel. Auf diesem Dach fühle ich mich wohl. Alles scheint weit weg zu sein. Leise beginne ich zu sprechen, während ich noch immer in den Himmel schaue und dabei Adams, warme Hand halte. „Ich war erst fünf Jahre alt, als meine Eltern starben und damit für mich der grösste Albtraum meines Lebens seinen Lauf nahm..“